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GMG – Klausur & mdl. Prüfung

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Academic year: 2022

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GMG – Klausur & mdl. Prüfung

Die Anforderungsbereiche

Bei einer Prüfung, sei es eine Klausur oder eine mdl. Prüfung, erwarten Sie Aufgabenstellungen, die klar definierte Anforderungen sowohl an Ihre Verstehens- als auch an Ihre Darstellungsleistung stellen. Diese Anforderungen und die zugehörigen Arbeitsanweisungen lassen sich den Anforderungsbereichen 1 bis 3 zuordnen, die aufeinander aufbauen und von Ihnen einen zunehmenden Grad an Komplexität und Abstraktionsfähigkeit verlangen. Dies bedeutet, es werden von Ihnen bei der Bearbeitung der Aufgaben grundsätzlich Leistungen dreier verschiedener Leistungsniveaus verlangt:

Niveau 1 – Reproduktion / Wiedergeben (einfach)

Beispiel: Beschreiben Sie Aufbau und Funktionsweise des Eurosystems im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB).

Niveau 2 – Reorganisation / Anwenden (mittel)

Beispiel: Vergleichen Sie Aufbau und Funktionsweise des Eurosystems im Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) mit dem des Federal Reserve System (FED) der USA.

Niveau 3 – Reflexion & Problemlösung / problembezogenes Denken & Urteilen

Beispiel: Nehmen Sie Stellung zur sogenannten 3%-Grenze, die als Konvergenzkriterium im Vertrag von Maastricht festgelegt ist.

Im Anforderungsbereich I (Reproduktion) sollen Sie:

- grundlegendes Fachwissen unter Verwendung der Fachterminologie wiedergeben.

- die Art des Materials bestimmen.

- Informationen aus unterschiedlichen Materialien entnehmen.

- Arbeitstechniken und Methoden kennen und sie darstellen.

Im Anforderungsbereich II (Reorganisation) sollen Sie:

- kategoriale, strukturelle und zeitliche Zusammenhänge erklären.

- politische, ökonomische, soziologische und historische Sachverhalte sinnvoll verknüpfen.

- unterschiedliche Materialien analysieren.

- Sachverhalte unter Beachtung der sie konstituierenden Bedingungen einordnen.

- Sach- und Werturteile unterscheiden.

Im Anforderungsbereich III (Reflexion und Problemlösung) sollen Sie:

- politische, ökonomische, soziale, historische Sachverhalte und Probleme der Gesellschaft erörtern.

- eine strukturierte, multiperspektivische und problembewusste Argumentation entfalten.

- Hypothesen zu politologischen, ökonomischen, soziologischen, historischen Fragestellungen der Gesellschaft entwickeln.

- Ihre eigene politische Urteilsbildung unter zusätzlicher Beachtung ethischer und normativer Kategorien reflektieren.

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Anforderungsbereich 1 (Reproduktion- einfach)

- Wiedergeben von Wissen

- Bestimmen der Art des vorgegebenen Materials

- Entnehmen von Informationen aus vorgegebenen Materialien

Anforderungsbereich II (Reorganisation und Transfer-mittel)

- Analysieren von Materialien - Erläutern des historischen Kontexts - Erklären historischer Sachverhalts - Strukturieren von historischem Wissen

Anforderungsbereich III (Reflexion und

Problemlösung-gymnasial)

- Beurteilen und bewerten von Thesen durch eine Argumentation - Entwickeln eigener Deutungen

Grundsätzlich gilt: Sie müssen in jedem Anforderungsbereich Leistung bringen. Je höher der Anforderungsbereich ist, den Sie methodisch wie inhaltlich erreichen, desto besser wird Ihre Leistung beurteilt und benotet.

Die Operatoren

Damit Sie erkennen, welche Leistungen Sie aus welchem der drei Anforderungsbereiche erbringen sollen, sind standardisierte Arbeitsanweisungen anhand von Verben formuliert, sogenannte Operatoren. Jedem AFB sind verschiedene Operatoren zugeordnet, die signalisieren, welche gedanklichen Handlungen und Tätigkeiten beim Lösen von Prüfungsaufgaben erwartet werden. Sie dienen durch ihre konkreten Vorgaben sowohl dazu, Arbeitsaufträge eindeutig zu formulieren und voneinander abzugrenzen. Daher ist es äußerst wichtig, dass Sie sich mit den Anforderungen der einzelnen Operatoren eingehend auseinandersetzen und sich bewusst machen, was durch die Verwendung der einzelnen Operatoren konkret von Ihnen gefordert wir d.

In der folgenden Übersicht werden die AFB skizziert und im Zusammenhang mit den einzelnen Operatoren erläutert.

Anforderungsbereich 1 Anforderungsbereich II Anforderungsbereich III

- nennen, aufzählen - analysieren, untersuchen - beurteilen Operatoren - bezeichnen, schildern, - begründen, nachweisen - bewerten, Stellung

skizzieren - charakterisieren nehmen

- aufzeigen, beschreiben, - einordnen - entwickeln

zusammenfassen, - erklären - sich auseinandersetzen,

wiedergeben - erläutern diskutieren

- herausarbeiten - prüfen, überprüfen - gegenüberstellen - vergleichen - widerlegen

übergeordnete - interpretieren, erörtern, darstellen

Operatoren (betreffen alle Anforderungsbereiche)

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GMG

Übersicht über die Operatoren

Übergeordnete Operatoren,

die Leistungen in allen drei Anforderungsbereichen verlangen:

interpretieren Sinnzusammenhänge aus Quellen erschließen und eine begründete Stellungnahme abgeben, die auf einer Analyse, Erläuterung und Bewertung beruht

erörtern Eine These oder Problemstellung durch eine Kette von Für- und-Wider- bzw. Sowohl-als-Auch-Argumenten auf ihren Wert und ihre Stichhaltigkeit hin abwägend prüfen und auf dieser Grundlage eine eigene Stellungnahme dazu entwickeln. Die Erörterung einer historischen Darstellung setzt deren Analyse voraus.

darstellen Gesellschaftliche & historische Entwicklungszusammenhänge und Zustände mit Hilfe von Quellenkenntnissen und Deutungen beschreiben, erklären und beurteilen

Operatoren, die Leistungen im Anforderungsbereich I (Reproduktion) verlangen:

nennen, aufzählen

zielgerichtet Informationen zusammentragen, ohne diese zu kommentieren

bezeichnen, schildern, skizzieren

Gesellschaftliche & historische Sachverhalte, Probleme oder Aussagen erkennen und zutreffend formulieren

aufzeigen, beschreiben, zusammenfassen, wiedergeben

Gesellschaftliche & historische Sachverhalte unter Beibehaltung des Sinnes auf Wesentliches reduzieren

Operatoren, die Leistungen im Anforderungsbereich II (Reorganisation und Transfer) verlangen:

analysieren, untersuchen

Materialien u n d g e s e l l s c h a f t l i c h e & historische Sachverhalte kriterienorientiert bzw. aspektgeleitet erschließen begründen,

nachweisen

Aussagen (z. B. Urteil, These, Wertung) durch Argumente stützen, die auf g e s e l l s c h a f t l i c h e n & historischen Beispielen und anderen Belegen gründen

charakterisieren historische Sachverhalte in ihren Eigenarten beschreiben und diese dann unter einem bestimmten Gesichtspunkt zusammenfassen

einordnen einen oder mehrere gesellschaftliche/historische Sachverhalte in einen Zusammenhang stellen

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erklären Gesellschaftliche & historische Sachverhalte durch Wissen und Einsichten in einen Zusammenhang (Theorie, Modell, Regel, Gesetz, Funktionszusammenhang) einordnen und begründen

erläutern wie erklären, aber durch zusätzliche Informationen und Beispiele verdeutlichen

herausarbeiten aus Materialien bestimmte g e s e l l s c h a f t l i c h e o d e r historische Sachverhalte herausfinden, die nicht explizit genannt werden, und Zusammenhänge zwischen ihnen herstellen

gegenüberstellen wie skizzieren, aber zusätzlich argumentierend gewichten

widerlegen Argumente dafür anführen, dass eine Behauptung zu Unrecht aufgestellt wird

Operatoren, die Leistungen im Anforderungsbereich III (Reflexion und Problemlösung) verlangen:

beurteilen den Stellenwert g e s e l l s c h a f t l i c h e r & historischer Sachverhalte in einem Zusammenhang bestimmen, um ohne persönlichen Wertebezug zu einem begründeten Sachurteil zu gelangen

bewerten,

Stellung nehmen

wie Operator „beurteilen", aber zusätzlich mit Offenlegen und Begründen eigener Wertmaßstäbe, die Pluralität ein- schließen und zu einem Werturteil führen, das auf den Wertvorstellungen des Grundgesetzes basiert

entwickeln gewonnene Analyseergebnisse synthetisieren, um zu einer eigenen Deutung zu gelangen

sich auseinander setzen,

diskutieren

zu einer gesellschaftlichen oder historischen Problemstellung oder These eine Argumentation entwickeln, die zu einer begründeten Bewertung führt

prüfen, überprüfen

Aussagen (Hypothesen, Behauptungen, Urteile) an

g e s e llsc h af tlic he n od e r historischen Sachverhalten auf ihre Angemessenheit hin untersuchen

vergleichen auf der Grundlage von Kriterien gesellschaftliche oder historische Sachverhalte problembezogen gegenüberzustellen, um Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Teil-Identitäten, Ähnlichkeiten, Abweichungen oder Gegensätze zu beurteilen

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Die Kriterien der Bewertung

Bei den Kriterien der Bewertung lassen sich zwei Ebenen unterscheiden: die inhaltliche Leistung und die darstellerische Leistung. Die inhaltliche Leistung besteht dabei - besonders in den Anforderungs- bereichen II und III - nicht einfach aus dem Vorhandensein oder Fehlen bestimmter inhaltlicher Punkte. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen ergibt sich darüber hinaus, wie differenziert am gesellschaftlichen & historische Problem erläutert wird, wie kontrovers die Argumentation ist, d.h. in welchem Maße sowohl Pro- als auch Kontra-Argumente berücksichtigt werden, oder ob der Prüfling in der Lage war, unterschiedliche Perspektiven der verschiedenen gesellschaftlichen & historischen Akteure einzunehmen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist weiterhin die darstellerische Leistung. Hinzu kommt, dass sich inhaltliche und darstellerische Leistung nicht ohne weiteres trennen lassen. Eine unpräzise formulierte Aussage führt oftmals dazu, dass der inhaltliche Punkt nicht mehr gegeben werden kann.

inhaltliche Leistung

1. sachliche Korrektheit und Problemorientierung 2. Differenziertheit

3. Schlüssigkeit und Kontroversität der Argumentation 4. Selbständigkeit

5. Multiperspektivität

darstellerische Leistung

1. korrekte Rechtschreibung, sicherer Sprachstil

2. präzise und differenzierte Sprache, korrekte Verwendung der Fachsprache 3. sinnvoll und klar strukturierter Aufbau

4. klare Verknüpfung von Teilaufgaben wie Materialanalyse, Einordnung in den historischen Kontext und Beurteilung

5. korrekte und angemessene Belege bei der Materialanalyse

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Das Material analysieren

Zur Aufgabenstellung, eine Quelle oder historische Darstellung zu analysieren, gehört zunächst die Bestimmung allgemeiner Merkmale wie Art des Materials, Autor, Adressat, Thema, Anlass, Zeit, ggf.

Ort und Intention. Mit diesen Informationen sollte die Klausur dann in knapper Form eingeleitet werden:

M1 Karikatur aus dem Simplicissimus von1933

Antreten zum letzten freien und gleichen Bürgerrecht

Die neue Reichstagswahl findet gleich nach Aschermittwoch statt, jedoch ist ein kleines Maskenzeichen sehr erwünscht.

Beispiel:

Aufgabenstellung: Analysieren Sie die Karikatur.

Angaben zum Material: Karl Arnold, Februar 1933, aus: Simplicissimus (satirische Zeitschrift)

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Einleitung der Lösung:

Bei dem vorliegenden Material handelt es sich um eine Karikatur des Zeichners Karl Arnold aus der satirischen Zeitschrift Simplicissimus vom Februar 1933. Der Karikaturist richtet sich an die Leser des Simplicissimus, mithin an die deutsche Öffentlichkeit. Die Karikatur ist damit eine historische Quelle und ein Dokument (Überrest). Anlass der Karikatur ist die Reichstagswahl am 5. März des Jahres 1933, ihr Thema die Frage nach der Freiheit und Gleichheit dieser Wahl. Der Autor möchte mit der Karikatur zeigen, dass sich die deutsche Gesellschaft, manipuliert durch Polizeiterror und Propaganda, bereits auf dem Weg in eine Diktatur befindet.

Autor, Anlass, Ort und Zeit lassen sich aus den Angaben zum Material direkt entnehmen. Beim Adres- saten ist zu bedenken, dass es sich bei diesem um einen weiteren Kreis von Personen handeln kann, als die direkt angesprochenen, bei einer Festrede z.B. die gesamte Öffentlichkeit durch eine Rund- funkübertragung. Thema und Intention sollten erst dann formuliert werden, wenn man das Material inhaltlich erschlossen hat. Bei der Bestimmung der Art des Materials ist zu klären, ob es sich dabei um eine Quelle oder eine historische Darstellung handelt, und im Fall einer Quelle, ob diese eine Traditionsquelle oder ein Überrest ist.

Quelle oder historische Darstellung?

Allgemein ausgedrückt sind Quellen, wie Akten, Gemälde oder Inschriften, der Ausgangspunkt unseres Wissens von der Vergangenheit, historische Darstellungen bauen auf Quellen und deren Interpretation auf und fügen diese - oft in erzählerischer Form - zu einem Bild der Vergangenheit zusammen. Je nach der Fragestellung kann eine historische Darstellung auch zur Quelle werden - ein Lehrbuchtext aus der DDR beispielsweise für die Frage, wie Geschichte zur DDR-Zeit gedeutet wurde.

Quellen:

1. Textquellen / Akten, Reden, Autobiographien, Zeitungsartikel 2. Bildquellen / Karikaturen, Fotographien, Gemälde, Plakate 3. gegenständliche Quellen / Bauwerke, Denkmäler

4. Ton- und Filmdokumente

Historische Darstellungen

1. wissenschaftliche Abhandlungen (Sekundärliteratur) 2. populärwissenschaftliche Literatur

3. Lehrbuchtexte 4. publizistische Texte 5. Reden

6. Dokumentar- und Spielfilme

Traditionsquelle oder Überrest?

Eine Traditionsquelle (Monument) liegt dann vor, wenn der Autor beabsichtigt, der Nachwelt etwas über seine Zeit zu übermitteln, etwa ein Memoirenschreiber über sein Leben und die Gesellschaft, in der er gelebt hat. Wenn eine solche Absicht nicht besteht, handelt es sich um einen Überrest (Dokument). So richtet sich ein Verfasser von Zeitungsartikeln üblicherweise an seine Zeitgenossen, ein Redner an das anwesende Publikum. Auch Traditionsquellen können als Überreste aufgefasst werden, sofern sich die Fragestellung auf Informationen bezieht, die die betreffende Quelle beiläufig übermittelt, wie z. B. Merkmale der Sprache, in der sie verfasst ist.

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,

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Traditionsquelle

1. Geschichtsschreibung 2. Memoiren

Überreste

1. Akten 2. Reden

3. Zeitungsartikel 4. Bildquellen

5. Ton- und Filmdokumente

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Texte

Die grundlegenden Hinweise für eine prägnante und klar strukturierte Darstellung gelten aber ebenso für Bildquellen und Statistiken wie für die übrigen Prüfungsteile

.

Bei der inhaltlichen Erschließung eines Textes ist es zum einen wichtig, vor Augen zu haben, wie eine gelungene Inhaltsangabe aussieht, d.h. zu wissen, welche inhaltlichen und darstellerischen Bewer- tungskriterien hier wesentlich sind. Zum anderen sollte man methodische Schritte zur Erschließung des Textes kennen und eingeübt haben. Die Bewertungskriterien werden zunächst an folgendem Beispiel erläutert:

M2 Auszug einer Rede Konrad Adenauers vor dem Deutschen Bundestag am 15. Oktober 1963, gehalten anlässlich seiner Verabschiedung als Bundeskanzler:

Herr Bundespräsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Ihnen, Herr Bundestagspräsident, von Herzen dankbar für Ihre Worte und ich bin Ihnen meine verehrten Mitglieder, Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, von Herzen dankbar dafür, daß Sie die Schlußworte des Herrn Bundespräsidenten in dieser markanten Weise durch Ihr Aufstehen gutgeheißen haben.

Wenn ich am heutigen Tage zu Ihnen spreche, dann bin auch ich von Dank erfüllt, vom Dank an das deutsche Volk. Sicher, meine verehrten Damen und Herren, wenn wir an das Jahr 1949 zurückdenken, wenn wir von den Trümmerfeldern hören, von denen der Herr Präsident soeben gesprochen hat, dann wollen wir auch den Blick noch hinausgehen lassen über die Grenzen unseres Landes und wollen daran denken, wie der deutsche Name in der Welt gewertet wurde und wie es heute anders geworden ist. Wenn wir vieles, nicht alles wiederaufgebaut haben und wenn der deutsche Name im Ausland wieder seinen Klang hat, dann, meine Damen und Herren, wäre das nicht möglich gewesen ohne das deutsche Volk selbst. (Beifall im ganzen Hause.) [...]

Und darum bin ich stolz auf das deutsche Volk - ich darf das wohl auch mit dem Blick über unsere Grenzen hinaus heute sagen -: Ich bin stolz auf das, was das deutsche Volk in dieser verhältnismäßig kurzen Zeitspanne geleistet hat. Wir Deutschen dürfen unser Haupt wieder aufrecht tragen, denn wir sind eingetreten in den Bund der freien Nationen und sind im Bund der freien Nationen ein willkommenes Mitglied geworden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) [...]

Bei der inhaltlichen Leistung wird erwartet, dass die Inhaltsangabe die wesentlichen Punkte des Textes erfasst, die auch in der fehlerhaften Lösung enthalten sind. Darüber hinaus sollte aber - was oft übersehen wird - die Funktion von Textteilen oder bestimmter Sätze mit erfasst werden: Der Autor sagt nicht einfach nur etwas, er begründet, kritisiert, erklärt oder - wie in der Musterlösung - zieht Bilanz und verdeutlicht seine Thesen. Man spricht hiervon reorganisierter Wiedergabe.

fehlerlhafte Lösung:

Adenauer beginnt seine Rede mit einem Dank an den Bundespräsidenten und die anwesenden Kollegen, die der Rede des Bundespräsidenten Anerkennung erwiesen haben. Er sagt zunächst, er sei von seinem Dank an das deutsche Volk erfüllt und kommt dann auf die Trümmerfelder des Jahres 1949 zu sprechen, die der Bundespräsident in seinem Redebeitrag bereits erwähnt hat Daraufhin redet er davon, „wie der deutsche Name in der Welt gewertet wurde" und dass sich dieser Missstand zum Positiven gewandelt habe. Er sagt, der deutsche Name hat im Ausland wieder seinen Klang und dazu, wie zum Wiederaufbau, hat das deutsche Volk beigetragen. Anschließend spricht Adenauer von seinem Stolz auf das deutsche Volk, das diese Veränderungen mit erheblicher Schnelligkeit herbeigeführt habe. Er sagt, das deutsche Volk könne stolz darauf sein, zum Bund der freien Nationen zu gehören und mit diesen in einem freundschaftlichen Verhältnis zu stehen.

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gute Lösung:

Adenauer zieht in diesem Redeausschnitt positive Bilanz über die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung im Jahre 1949. Als Errungenschaften dieser Zeit hebt er den Wiederaufbau und Ruf der Bundesrepublik im Ausland (Z.?), sowie den Bund und die freundschaftlichen Beziehungen mit den westlichen freien Staaten (Z.?) hervor. Die besondere Leistung dieses Fortschritts, die er dem deutschen Volk zuspricht, verdeutlicht er durch den Hinweis auf die gegenteiligen Verhältnisse, die noch 1949 Bestand hatten (Z.?) und das hohe Tempo dieser Entwicklung (Z.?).

Sprachlich bedient sich Adenauer einer pathetischen Ausdrucksweise: „wenn der deutsche Name im Ausland wieder seinen Klang hat" (Z.?), „unser Haupt wieder aufrecht tragen" (Z.?). Sie wird unterstützt durch die Verwendung von Anaphern: von Herzen dankbar [...] von Herzen dankbar" (Z.

2f.), Ich bin stolz [...] ich bin stolz" (Z.?f.).

Zur darstellerischen Leistung gehört zunächst die Einhaltung der formalen Regeln der Inhaltsangabe.

Es sind folgende Regeln zu beachten:

1. Die Inhaltsangabe sollte in eigenen Worten verfasst werden. Die Wiedergabe von Formulierungen des Autors ist sparsam (bei zentralen Textstellen) einzusetzen! Die in der fehlerhaften Lösung zitierte Formulierung „wie der deutsche Name im Ausland gewertet wurde" ist nebensächlich.

2. Werden Formulierungen des Autors verwendet, müssen diese als Zitate gekennzeichnet sein oder in indirekter Rede im Konjunktiv angeführt werden. Es muss in der fehlerhaften Lösung also heißen: Der Autor sagt, der deutsche Name habe im Ausland wieder seinen Klang.

3. Der zitierte Wortlaut muss buchstabengetreu wiedergegeben und zwischen Anführungszeichen gesetzt werden. Als Zitate werden ganze Sätze, Satzteile, aber auch einzelne Wendungen oder Wörter gekennzeichnet. In der fehlerhaften Lösung betrifft dies die Ausdrücke „Trümmerfelder "und „Bund der freien Nationen".

4. Die Inhaltsangabe muss durch Textverweise belegt werden. Dies können bei allgemeineren Aussagen auch die Abschnitte sein („lm ersten Abschnitt behandelt der Autor..."), bei konkreteren Textinhalten, insbesondere bei Zitaten, sind Zeilenangaben notwendig, die bei der fehlerhaften Lösung ebenfalls nicht vorhanden sind.

5. Die Inhaltsangabe steht im Präsens.

Zur darstellerischen Leistung gehört weiterhin, dass der Inhalt prägnant, d.h. wie in der Muster- lösung in konzentrierter Form präsentiert wird und Nebenaspekte (Begrüßung der Zuhörer) nicht unangemessen ausgeweitet bzw. Wiederholungen vermieden werden. Die Musterlösung wirkt aber auch deshalb überzeugend, weil sie klar strukturiert ist und von dem Hauptpunkt ausgehend (positive Bilanz) zu den untergeordneten Punkten (Errungenschaften und besondere Leistung) übergeht, während in der fehlerhaften Lösung eine solche Orientierung fehlt.

Ein strukturierter Aufbau bedeutet allgemein, dass die Zusammenfassung nach einem leitenden Ver- fahren in Haupt- und Unterpunkte gegliedert ist.

Für das leitende Verfahren gibt es verschiedene Möglichkeiten: Beim textdurchschreitenden Verfah- ren orientiert man sich am Textverlauf, d.h. die Zusammenfassung geht die Abschnitte des Textes der Reihe nach durch. Es ist aber genauso möglich (und oft prägnanter), sich an gedanklichen Gesichts- punkten zu orientieren, z.B. an einer Reihe inhaltlich zentraler Punkte oder an der Argumentation. In diesem Fall kann die Zusammenfassung auch mit Kernaussagen aus der Mitte oder dem Ende des Textes beginnen. Auch beim textdurchschreitenden Verfahren muss die Eigenständigkeit der Inhalts- angabe erkennbar sein (Anforderung der reorganisierten Wiedergabe). Dazu kann die Hervorhebung

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von Hauptpunkten sowie die Verdeutlichung der Textfunktionen beitragen.

Die Haupt- und Unterpunkte bilden bei einem argumentativen Text die Thesen bzw. Gegenthesen und deren untergeordnete Argumente (Begründungen) bzw. Beispiele. Nicht alle Texte oder alle Textpassagen enthalten aber eine Argumentation, möglich sind auch Beschreibungen, Erläuterungen, Erklärungen oder erzählende (narrative) Abschnitte. Auch diese lassen sich je nach Länge in Haupt- und Unterpunkte gliedern.

M 3 Gustav W. Heinemann: Deutschland in der Entscheidung

Interessant ist, daß in der Propagierung der westdeutschen Aufrüstung jetzt zwei Argumente betont werden. [...] Das eine Argument lautet: Westdeutsche Aufrüstung und Eingliederung in den Westblock ist der Weg zur Wiederherstellung der deutschen Einheit. [...] [Es ist] objektiv widersinnig, die deutsche Einheit durch Eingliederung in den Westblock zu suchen. Westdeutsche Aufrüstung wird den Eisernen Vorhang dichter schließen. Die Deutschen in der Sowjetzone haben Kriegs- und Rüstungsdienst für die Sowjetunion als Antwort auf unsere Eingliederung in den Westblock zu erwarten. [...] Und auf der anderen Seite sollten uns die heute schon unausgesetzt vorgetragenen Besorgnisse der Westmächte, sonderlich Frankreichs, gegenüber einer zu stark werden-den westdeutschen Bundesrepublik endlich darüber belehren, daß diese Partner kein Interesse daran haben, mit uns den Weg zu einem Deutschland zu suchen und zu gehen, welches auch den deutschen Osten umfassen wird. [...]

Das andere Argument lautet: Deutschland kann nicht neutral bleiben, sonst wird es ein Opfer des Bolschewismus. [...] Dazu ist folgendes zu sagen: [...] Deutschland könnte

auch unter einer gesamtdeutschen Regierung zunächst noch besetztes Land sein [...]. [...] Darüber hinaus kann es von den Siegermächten und Nachbarn wechselseitig garantiert werden, weil sie ein sich aufhebendes Interesse daran haben, daß Deutschland keinem ihrer Gegenspieler zufallt.

Schließlich kann auch eine für Verteidigungszwecke ausreichende Wehrmacht des wiedervereinigten Deutschland ins Auge gefasst werden.

In: Stimme der Gemeinde zum kirchlichen Leben, zur Politik, Wirtschaft und Kultur: eine Halbmonatsschrift der Bekennenden Kirche vom 01.01.1952 (Auszug)

Gliederung:

leitendes Verfahren: Argumentationsstruktur Haupt- und Unterpunkte: Thesen und Argumente

Heinemanns These: Aufrüstung in Westdeutschland ist falsch.

Gegenthese: Westdeutschland sollte aufgerüstet werden.

Argument 1: Aufrüstung dient der Wiedervereinigung.

Argument 2: Abwehr des Bolschewismus

Kontra-Argument 1: a) Aufrüstung verstärkt den Gegensatz zwischen Machtblöcken, b) Aufrüstung führt zu Aufrüstung in Ostdeutschland,

c) Westmächte wollen kein zu mächtiges Deutschland.

Kontra-Argument 2: a) Deutschland kann besetzt bleiben,

b) Neutralität steht im Interesse beider Machtblöcke, c) Deutsche Streitkräfte sind zur Verteidigung denkbar.

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Als methodische Schritte zur Texterschließung haben sich folgende Punkte bewährt:

1. Es sind mehrere Lesedurchgänge bzw. das wiederholte Lesen bestimmter Abschnitte oder auch Sätze erforderlich. Beim ersten Lesen kann man sich noch darauf beschränken, unklare Stellen zu kennzeichnen, Assoziationen nachzugehen und Verstehensinseln zu bilden.

2. Bei den folgenden Durchgängen sollten Sinnabschnitte gebildet werden und deren Kerngehalt

sowie die Kernaussage des gesamten Textes erfasst werden. Dabei sollte die Funktion der Textteile (These, Argument, Erläuterung usw.) berücksichtigt werden.

3. Bei der optischen Aufbereitung empfiehlt es sich, die Kerngedanken der Sinnabschnitte in kurzen Stichworten (Überschriften) an den Rand zu schreiben und die Textfunktionen durch Abkürzungen zu vermerken: zum Beispiel Th. für These, Arg. für Argument, Erl. für Erläuterung, Bspl. für Beispiel.

4. Vor der Niederschrift der Inhaltsangabe sollte eine Gliederung nach Haupt- und Unterpunkten erstellt werden, um sicherzustellen, dass die Struktur der anschließend ausformulierten Lösung auch überzeugend ist.

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Bildquellen

Bei der inhaltlichen Erschließung einer Bildquelle kommt es hinsichtlich der inhaltlichen Leistung darauf an, die Eigenschaften des Bildes nach Kriterien der Gestaltung wie Perspektive, Proportion, Mimik usw. zu beschreiben und die Bedeutung der Symbole („Bär" steht oft für Russland) zu nennen.

Die Erläuterung der Bildelemente im historischen Kontext ist von diesem Arbeitsschritt zu trennen!

Um eine strukturierte Darstellung zu erreichen, können die Kriterien der Gestaltung als Hauptpunkte der Gliederung verwendet werden, wobei mit den zentralen Merkmalen wie der dargestellten Szene und den beteiligten Personen begonnen werden sollte. Eine entsprechende Darstellung ist in der Tabelle zu folgendem Beispiel ausformuliert.

M 4 Karikatur aus dem „Kladderadatsch" von 1868

„Nur nicht ängstlich!“ - sagte der Hahn zum Regenwurm

Bildunterschrift:

Seht doch nur, jetzt kommt Er, jetzt kommt Er!

Fällt mir gar nicht ein! Es ist doch nur für den Fall, daß doch das Wetter im Westen heraufzieht, damit ihr bequemer herüber kommen könnt!

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Kriterien der Gestaltung ausformulierte Darstellung zur obigen Karikatur

Szene

Welche Personen sind abgebildet? Gibt es Symbolfiguren (z.B. deutscher Michel)? Welche Handlungen/Ereignisse sind dargestellt? Welche Gesamtwirkung hat das Bild?

Die Karikatur zeigt Bismarck, der dabei ist, ein Brett, das für den Zollverein steht, als Brücke über den Main zu legen, wobei er von vier Personen, Vertretern des Südbundes, von deren Gebiet aus besorgt beobachtet wird.

Figurendarstellung

Welche Mimik zeigen die Figuren? Welche Gesten sind erkennbar? Was fällt an der Haltung/Bewegung auf?

Tragen die Figuren eine typische/auffällige Kleidung?

Was wird verzerrt oder übertrieben dargestellt?

Welche Wirkung geht von den Figuren aus?

Bismarcks Haltung und Mine wirkt entschlossen, während die äußeren Figuren der Personengruppe Angst und Erregung zeigen. Die durch den Talar als Geistlicher identifizierbare rechte Figur scheint zum Himmel zu beten, während die linke zurückweichend auf Bismarck weist. Ihr sind die erregten Worte der Bildunterschrift in den Mund zu legen: „Seht doch nur, jetzt kommt Er, jetzt kommt Er!"

weitere Bildelemente

Welche Landschaft ist abgebildet? Welche Gegenstände sind dargestellt? Handelt es sich dabei um Symbole? Wie ist das Verhältnis von Bildelement und Figur? Welche Wirkung haben die Bildelemente?

Auf beiden Seiten des Mains steht ein Gebäude, deren Aufschriften die Gebiete des Nordbundes und des Südbundes markieren. Die Burg des Nordbundes, ausgestattet mit Kanonen, zeigt militärische Stärke, während das Haus des Südbundes, dessen Dach mit Steinen gesichert werden muss, Schwäche vermittelt.

Die Berge im Hintergrund kennzeichnen ebenfalls den Süden, über dem bedrohliche wirkende Wolken aufziehen, in denen die Gesichtszüge Napoleons III.

erkennbar sind.

Raum

Was kennzeichnet den Vorder- bzw. Hintergrund?

Ist das Bildzentrum markiert? Wie sind die Größenverhältnisse gestaltet? Gibt es übertrieben große oder kleine Elemente? Welche Perspektive wird verwendet?

Die Figur Bismarcks dominiert das Bild, auch wenn er nicht in dessen Zentrum steht. Die Vertreter des Südbundes und ihr Haus erscheinen klein, sowohl gegenüber Bismarck und der Burg als auch dem überdimensional großen Kopf Napoleons III. im Hintergrund des Bildes.

Licht

Welche Hell-Dunkel-Kontraste fallen auf?

Wie ist die Lichtführung?

Das Licht fällt von rechts ein und fokussiert die Vertreter des Südbundes, wodurch ein starker Kontrast zu dem dunklen Wolkengebilde erreicht wird.

Textelemente

Welche Texte werden verwendet? In welchem Verhältnis stehen Text- und Bildelemente?

Der Untertext der Karikatur unterlegt der Szene einen Dialog: Bismarck antwortet auf den besorgten Ausruf beschwichtigend und warnend zugleich, indem er auf ein mögliches Unwetter aus dem Westen verweist. Die Überschrift der Karikatur bildet dazu eine ironische Brechung, da sie Bismarck unterstellt, in Wahrheit den Südbund wie der Hahn den Regenwurm „schlucken" zu wollen.

Neben den am häufigsten verwendeten Bildquellen, der Karikatur und dem Plakat, sind auch Ge- mälde wie Herrscher- oder Historienbilder, Abbildungen von Denkmälern, Karten, Fotografien oder Filmdokumente in einer Klausur/mdl. Prüfung möglich. Bei einer Fotografie ist zu bedenken, dass das abgelichtete Bild kein neutrales Zeugnis darstellt, sondern dass die Wahl des Motivs bzw.

Bildausschnitts, der Kameraeinstellungen und die Nachbearbeitung mit einer bestimmten Absicht des Fotografen verbunden sein kann. Entsprechendes gilt für Filmdokumente.

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Statistiken

Ziel der Analyse von Statistiken ist es nicht, alle enthaltenen Werte zu beschreiben, sondern be- stimmte auffällige Merkmale, wie etwa ein starkes Wachstum der Zahlenwerte in einer Tabelle.

Zusammen mit der Information, dass es sich bei den Tabellenwerten um die Kohleförderung in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts handelt, kann man dann die historische Aussage folgern, dass die Kohleförderung Mitte des 19. Jahrhunderts stark angestiegen ist. Es müssen also zwei Fragen beantwortet werden: 1. Welche besonderen Merkmale weist die Statistik auf? 2. Welche historische Aussage lässt sich daraus ableiten?

M 5 Statistiken zur Auswanderung

Quelle: Marschalk, Peter: Deutsche Überseewanderung im 19. Jahrhundert.

Stuttgart 1973, S. 35ff.

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Welche besonderen Merkmale weist die Statistik auf?

Bei der oberen Tabelle, die die Zahl der Auswanderer aus Deutschland zwischen 1820 und 1854 angibt, kann zunächst das Wachstum beschrieben werden: Die Werte steigen von 10000 auf 728000 an. Die deutsche Auswanderung nimmt in der geschichtlichen Phase von 1820-1854 also erheblich zu. Weiterhin lässt sich aber auch überprüfen, wie stark die Werte anwachsen. Dies geschieht nicht gleichmäßig: Während sich der Wert zwischen den Phasen 1825/29 und 1830/34 fast vervierfacht, beträgt der Zuwachs in den Jahren 1835/39 nur noch knapp das doppelte des vorigen Werts. Wie stark ein Wert gegenüber dem vorigen anwächst, wird als Steigerungsrate bezeichnet, die in der unteren Tabelle in Prozentzahlen angegeben ist. Der Vergleich mit der oberen Tabelle macht deutlich: Die Werte der Auswanderung wachsen durchgehend, ihre Steigerungsrate, die immer wieder abfällt, jedoch nicht! Bei der Steigerungsrate fallen besonders die Sprünge von 30% auf 392%

und von 18% auf 170% ins Auge. Solche auffälligen Daten werden als herausragende Einzelphänomene bezeichnet, die gewichtige historische Gründe haben können.

Bei der Analyse von Statistiken, die eine Entwicklung aufzeigen, sollte folglich nicht nur darauf geach- tet werden, ob die Werte zunehmen, abnehmen oder gleich bleiben, sondern auch wie stark sie sich verändern und ob Sprünge vorliegen.

Welche historische Aussage lässt sich ableiten?

Aus den Daten zur deutschen Auswanderung lässt sich aus der obigen Analyse als historische Aussage also nicht nur das Wachstum der Auswanderung ableiten. Es ist auch feststellbar, dass das Wachstum nicht kontinuierlich gestiegen ist, sondern zwei herausragende Sprünge aufweist: In zwei Phasen, zwischen 1830 und 1834 und zwischen 1845 und 1849 trat in Deutschland ein Auswanderungsschub ein. Hier wäre nun zu fragen, welche historischen Gründe dafür eine Rolle spielen. Doch die Erläuterung des historischen Kontexts gehört bereits zum nächsten Arbeitsschritt, der im folgenden Kapitel behandelt wird.

Wenn eine Statistik ein Wachstum aufweist und die Werte die Zahl der deutschen Auswanderungen angeben, ist die Ableitung der historischen Aussage trivial: Die Zahl der deutsche Auswanderungen hat zugenommen. Bei vielen Statistiken ist die Ableitung der historischen Aussage aber durchaus nicht trivial, sondern mit Fallstricken verbunden. Dazu sei folgende Statistik aus einer Originalprüfung betrachtet:

M6 Die Sozialstruktur der NSDAP-Mitgliedschaft vor dem 3. September 1930

Erwerbstätige In der NSDAP Anteil der

Gesamtbevölkerung

Arbeiter 28,1 45,1

Landwirte 14,1 6,7

Handwerker 9,1 5,5

Freie Berufe 8,2 3,7

Beamte 3,0 1,5

Angestellte 25,6 15,9

Mithelfende Familienangehörige (meist weibl.) 3,6 17,3

Insgesamt 100 100

Broszat, Martin: Der Staat Hitlers. 11. Aufl. München 1986, S. 51.

In der zweiten Spalte der Tabelle, welche den prozentualen Anteil der Berufsgruppen der NSDAP- Mitglieder anzeigt, fallen die 28,1 % als größter Wert zunächst ins Auge. Wenn man daraus nun schlicht ableitet, dass in der NSDAP die Gruppe der Arbeiter mit 28,1% am größten ist, so ist dagegen nichts einzuwenden. Die Folgerung, dass die NSDAP im Vergleich zu anderen Berufen für Arbeiter

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besonders attraktiv war, ist jedoch problematisch. Denn zunächst einmal sagt die Statistik darüber nichts aus. Die dritte Spalte macht vielmehr deutlich: Der Anteil der Arbeiter in der Gesamtbevölkerung ist mit 45% deutlich höher. Damit ist die Gruppe der Arbeiter in der NSDAP unterrepräsentiert. Zudem zeigt sich bei anderen Berufsgruppen das gegenteilige Verhältnis: Bauern, Handwerker, Freiberufler, Beamte und Angestellte kommen in der NSDAP auf einen erheblich höheren Anteil als in der Gesamtbevölkerung. Die richtige Folgerung muss also lauten: Arbeiter waren in der NSDAP unterrepräsentiert, während Selbständige, Beamte und Angestellte überrepräsentiert waren. Diese Annahme lässt sich aus der ersten Spalte alleine nicht entnehmen, sondern die Informationen über die Verteilung der Berufe in der NSDAP muss mit den Angaben über die Verteilung in der Gesamtbevölkerung verknüpft werden. Bei der Frage, welche historische Aussage sich aus einer Statistik ableiten lässt, sollte man deshalb folgende Punkte beachten:

1. Was genau sagt die Statistik aus und was ist bereits hineingedeutet?

2. Welche Informationen ergeben sich aus der Verknüpfung verschiedener Merkmale?

(18)

Den gesellschaftlichen/historischen Kontext erläutern

Nachdem im ersten Arbeitsschritt ein Überblick über allgemeine Merkmale und den Inhalt des Ma- terials geschaffen wurde, gehört es zur inhaltlichen Leistung des zweiten Arbeitsschrittes, den richtigen Kontext zu erläutern. Die Erläuterung betrifft neben dem Inhalt des Materials auch den Autor, den Anlass und die Intention im Bezug auf den Adressaten.

Was ist zu erläutern? Beispiel

Autor Welche Biographie hat der Autor?

Welche gesellschaftliche Stellung und politische Haltung hat er? Was ist daran relevant für die Intention und den Inhalt des Materials? (nicht einfach eine Biographie schreiben!)

Adenauer als langjähriger Bundeskanzler und Vertreter der Westintegration

Anlass, Adressat, Intention

In welcher historischen Situation wird die Quelle verfasst? In welcher

Beziehung stehen Anlass, Adressat und Intention zu dieser historischen

Situation?

Ende der Ära Adenauer, die er bei seiner Verabschiedung zu würdigen versucht

Inhalt

bei Texten In welchem historischen Kontext stehen die Aussagen des Autors? Wie setzt der Autor die sprachlichen Mittel hinsichtlich der Intention ein? Geschieht dies offen oder verdeckt? Was bedeuten Begriffe, Anspielungen oder Zitate (z. B. Lotse, der das Schiff verlässt)?

Entwicklung der Bundesrepublik während Adenauers Regierungszeits;

eine pathetische Sprache hebt feierlichen Anlass hervor

bei

Bildquellen

Was bedeutet die Gesamtaussage und die einzelnen Merkmale der Gestaltung im historischen Kontext?

Größenverhältnisse Bismarck/Südbund stehen für die Machtverhältnisse

bei

Statistiken

Wie lassen sich die historischen Aussagen, die aus der Statistik hervorgehen, erklären?

Hungersnot und Wirtschaftskrise als Auslöser von Auswanderungsschüben im 19. Jh.

Im Vergleich mit der Analyse des Materials kommen hier zwei Schwierigkeiten hinzu: Zunächst ein- mal ist jetzt das eigene historische Wissen gefragt, während bei der Materialanalyse die korrekte Anwendung der Methode hinreichte. Darüber hinaus konnte man sich, um eine differenzierte Ana- lyse beispielsweise einer Bildquelle zu erreichen, auf die Details des Bildes konzentrieren. Wie aber gelingt eine differenzierte Erläuterung eines historischen Ereignisses auf Grund des eigenen histori- schen Wissens? Die Antwort lautet: Um ein Ereignis zu erläutern, müssen wir dieses gewissermaßen in unser Bild von der Vergangenheit einordnen und je genauer dieses Bild ist, desto differenzierter kann die Erläuterung ausfallen. Da es in der Prüfung aber vor allem darum geht, Zusammenhänge darzustellen, sollte dieses Bild nicht einfach aus einer Menge von Fakten bestehen, sondern in Zu- sammenhängen strukturiert sein.

Bei der Vorbereitung auf eine Prüfung empfiehlt es sich also, nicht nur auswendig zu lernen, sondern auch über das Wissen nachzudenken und Zusammenhänge zu konstruieren. Dadurch bleibt der Stoff nicht nur besser im Gedächtnis haften, sondern die Anwendung des Wissens gelingt in der Prüfung leichter. Die Beispiele zu diesem und dem nächsten Arbeitsschritt (Beurteilen und Bewerten) berück- sichtigen dies und zeigen an Hand von Prüfungsaufgaben auf, auf welche Weise Zusammenhänge erkannt werden können. Im Anschluss daran finden sich dazu weitere Arbeitsvorschläge.

(19)

Das folgende Beispiel zeigt auf, wie eine Quelle im Kontext erläutert werden kann. Es handelt sich um ein Beispiel für Multiperspektivität.

M7 Reichsaußenminister Gustav Stresemann bei einer Sitzung des Zentralvorstandes der DVP am 22. November 1925 zum Locarno-Vertrag (Auszug)

[...] Daß die ganzen Verhältnisse bei uns unschön, widerwärtig sind, daß wir Ketten tragen müssen, darüber klagen, das ist furchtbar leicht. Es handelt sich darum, die Schwere der Ketten zu mildern und zu versuchen, wie wir allmählich aus dieser Fesselung in eine leichtere Fesselung kommen. Mehr Ihnen irgendwie zu versprechen, kann niemand, der 5 die Machtverhältnisse richtig einschätzt. Und darum handelt es sich bei dieser Initiative. Nicht darum, den Versailler Vertrag aufzuheben. Ich wäre so dankbar, wenn die, die das in Resolutionen fordern, auch die nötigen Mittel dazu angeben würden.

Das Ergebnis des ersten Arbeitsschrittes, der Materialanalyse, lässt sich bei dieser kurzen Quelle schnell angeben:

allgemeine Merkmale

Autor: Stresemann

Art des Materials: Quelle, Überrest

Anlass: Sitzung des Zentralvorstandes der DVP Zeit: 22.11.1925

Thema: Locarno-Vertrag

Adressat: Zentralvorstand der DVP

Intention: Rechtfertigung der Friedensinitiative

Inhalt

• Last des Versailler Vertrages

• Locarno-Vertrag als Verbesserung dieser Verhältnisse

• die gegenwärtigen Machtverhältnisse machen eine Revidierung des Versailler Vertrages aussichtslos

• Gegner von Konzessionen haben keine plausible Position

Stresemann begründet in diesem Redeausschnitt seine Entscheidung für eine Friedensinitiative - den Locarno-Vertrag. Der Vertrag legte die deutsch-französische bzw. deutsch-belgische Westgrenze fest und garantierte beiden Seiten bei Missachtung die militärische Unterstützung durch Großbritannien und Italien. Deutschland wurde durch diesen Vertrag zudem in den Völkerbund aufgenommen.

Stresemann entschließt sich für diesen Vertrag auf Grund einer bestimmten politischen Konstellation mit verschiedenen Akteuren, die unterschiedliche Positionen vertreten und Ziele verfolgen und je nach Entscheidung unterschiedlich reagieren werden. Den Siegermächten, die mit den „Machtver- hältnissen" angesprochen sind, aber auch den Akteuren im eigenen Land, den politischen Parteien und die Bevölkerung, die z.T. fordern, den „Versailler Vertag aufzuheben". In einem solchen Fall ist es hilfreich, sich die politische Konstellation graphisch zu veranschaulichen (siehe Schaubild).

(20)

Überblick:

Politische Konstellation vor Gustav Stresemanns Entscheidung für den Locarno-Vertrag Stresemann

Ziele der Außenpolitik:

 Gleichberechtigung Deutschlands als Großmacht

 Ausgleich mit Frankreich

 Revision des Versailler Vertrages, aber: Realpolitiker

Ein solcher Überblick kann eine Hilfe sein, sich in die Lage Stresemanns hineinzuversetzen, die Handlungsmöglichkeiten, die er hatte, genauer nachzuvollziehen und schließlich ein differenziertes Bild des historischen Kontexts seiner Rede zu zeichnen.

Hinsichtlich der darstellerischen Leistung kommt bei diesem Arbeitsschritt die Anforderung einer angemessenen Verknüpfung mit dem vorigen Arbeitsschritt hinzu. Dies bedeutet auf der einen Seite,

Siegermächte

-militärische Überlegenheit -Festhalten am Versailler Vertrag

England

-Politik der Normalisierung (Dawes-Plan)

Frankreich

-sieht in Deutschland die größte Bedrohung Westgrenze

-vor 1924 antideutsche Politik Poincares (Besetzung

des Ruhrgebiets), ab 1924 Kurswechsel (Briand Außenminister)

Friedensinitiative/ Locarno-Vertrag

Gesichtspunkte:

-Beendigung der deutschen Isolation, da Gegenseitigkeits- vertrag und Aufnahme in den Völkerbund

-durch gegenseitigen Gewalt- verzicht Schwächung der französischen Vertreter einer „Gewaltpolitik“ und Sicherung des Rheinlandes

-günstige außenpol. „Wetterlage“, vor allem in Frankreich

-innenpol. heftige Opposition zu erwarten, aber: langfristig positive Auswirkung können zur Akzeptanz führen

politische Gruppen in Deutschland

Bevölkerung allg.

-Versailler Vertrag als Demütigung und Last -Empörung über die franz. Ruhrbesetzung -Locarno als „zweiter Versailler Vertag“

politische Rechte -entschiedene Gegner von Konzessionen -beharrt auf „deutsches Land und Volkstum“

-Gefahr der Extremi- sierung (Hitler-Putsch) eigene Partei

-teilweise Widerstand gegen den Vertrag

(21)

dass die Ausführungen der Inhaltsangabe nicht noch einmal wiederholt werden. Auf der anderen Seite sollte aber erkennbar sein, wo sich die Erläuterung auf konkrete Inhalte des Materials bezieht.

Dies kann durch die Verwendung von Stichworten erreicht werden - entweder aus dem Text selbst (dann in Anführungszeichen!) oder aus der eigenen Darstellung. In der folgenden Darstellung wird dies am Rand verdeutlicht.

Autor

Stresemann strebte als Nationalliberaler nach dem Krieg in der Außenpolitik die Gleichberechtigung Deutschlands als Großmacht und die Revision des Versailler Vertrages an. Als Realpolitiker sah er jedoch nur in einer Politik des Ausgleichs, vor allem mit Frankreich, eine Chance, langfristig die Vertragsbedingungen zu revidieren.

Inhalt (siehe S. 19)

Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland außenpolitisch isoliert und hatte seine vormalige Stellung als Großmacht eingebüßt. Der Versailler Vertrag war ohne deutsche Beteiligung ausgehandelt worden und sah militärisch eine dauerhafte Schwächung Deutschlands vor. Zu diesen als „unschön" und als „Fesseln" angesprochenen Verhältnissen gehörten zudem die erheblichen Gebietsverluste und Reparationszahlungen sowie die Zuschreibung der alleinigen Kriegsschuld. Auf Grund der gegenwärtigen Machtverhältnisse, der militärischen Unterlegenheit gegenüber den Siegermächte und ihrem grundsätzlichen Festhalten an den Vertragsbedingungen sah es Stresemann als aussichtslos an, einen Fortschritt durch eine Politik der Konfrontation zu erreichen. Der internationale Status Deutschlands konnte nur durch ein Entgegenkommen, insbesondere hinsichtlich der Sicherheitsinteressen Frankreichs, das in Deutschland nach wie vor die größte Bedrohung sah, verbessert werden. Dies bedeutete eine Anerkennung der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Westgrenze und die Garantie eines entmilitarisierten Rheinlandes. Diese Klauseln, welche Bestimmungen von Versailles sanktionierten, waren in Stresemanns Worten insofern aber eine „leichtere Fesselung", als es sich bei diesem Vertrag um einen Gegenseitigkeitsvertrag handelte, der Deutschland in gleicher Weise wie Frankreich militärische Unterstützung bei Missachtung der Grenzregelung zusicherte und die Aufnahme in den Völkerbund gewährte. Durch die Grenzregelung konnte zudem die Strömung antideutscher Politik in Frankreich, die unter Poincare zur Besetzung des Ruhrgebietes geführt hatte, geschwächt und die Sicherung des Rheinlandes erreicht werden.

Außenpolitisch war die „Wetterlage" für diese Initiative günstig -Großbritannien führte eine Politik der Normalisierung, insbesondere aber ergab sich durch Briands neuen Kurs eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich. Innenpolitisch dagegen musste Stresemann mit heftiger Opposition rechnen. Der Versailler Vertrag war in der Bevölkerung verhasst, besonders die politische Rechte beharrte darauf, keine Konzessionen zu machen. Die Festschreibung des Verlusts von Elsass- Lothringen, Eupen-Malmedy und der dort ansässigen deutschen Bevölkerung bot in der angeheizten Stimmungslage (Hitler-Putsch) gefährliches Konfliktpotential. Hier konnte Stresemann auf positive Auswirkungen des Vertrages wie die baldige Räumung des Rheinlandes setzen.

Anlass, Adressat und Intention

Auch in der eigenen Partei sah sich Stresemann mit der Friedensinitiative der Kritik ausgesetzt. Die Sitzung des Zentralvorstandes bot ihm hier die Möglichkeit, seine Position vor der Parteispitze zu erläutern und zu rechtfertigen.

(22)

Sach- und Werturteil

Nun geht es darum, eine Argumentation zu entwickeln. Hier sind zwei Formen zu unterscheiden: das Sachurteil und das Werturteil.

In den meisten Fällen ist beim Sachurteil zu prüfen, ob eine These bzw. die zugehörige Argumentation zutreffend ist. Als Beispiel dazu die folgenden beiden Thesen:

1. Hitler war Mitglied der NSDAP.

2. Hitler war Vollender und Zerstörer von hundert Jahren Nationalgeschichte. (Karl Heinz Janßen)

Die Frage nach dem Zutreffen der ersten These ist einfach und mit einem klaren ]a zu beantworten.

Bei der zweiten These sieht dies anders aus: Inwiefern kann davon gesprochen werden, dass Hitler

„Vollender" der deutschen Nationalgeschichte war? Zwar lassen sich wohl Gemeinsamkeiten mit der imperialistischen Ideologie des Kaiserreiches erkennen, Deutschland zur „Weltgeltung" zu führen, aber zeigt die Diktatur des Nationalsozialismus mit ihrer Rassenpolitik nicht ein ganz anderes Gesicht? Bei der Beurteilung dieser These müssen also die Nationalismen dieser Zeit in ihren charakteristischen Zügen miteinander verglichen werden. Daraufhin muss auf Grund von Argumenten abgewogen werden, ob genügend Gemeinsamkeiten vorhanden sind, um eine solche Kontinuität zu behaupten - möglicherweise fällt die Antwort nicht eindeutig, sondern relativierend aus: teils ]a, teils Nein.

Der Vergleich der beiden Thesen verdeutlicht die Anforderungen:

1. Die zu beurteilenden Thesen beziehen sich nicht auf einfache Fakten, sondern auf vielschichtige

Zusammenhänge und teilweise auf große Zeiträume. Auch hier gilt wie beim Erläutern des historischen Kontexts: Wer geübt darin ist, in der Geschichte Zusammenhänge zu erkennen

und dies

beim Lernen des Stoffs beachtet hat, ist im Vorteil!

2. Um die These zu beurteilen, muss eine Argumentation entwickelt werden. Dies erfordert noch stärker als in den anderen Prüfungsteilen selbständiges Nachdenken und strukturiertes Arbeiten.

Folgende Schritte sind bei der Entwicklung einer Argumentation hilfreich:

Arbeitsschritte Erläuterung zu Janßens These

1. Die These präzisieren

Dieser Schritt ist entscheidend für die gesamte Argumentation. Die Bedeutung sollte korrekt und in allen Bestandteilen erfasst werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass die Argumentation an der These vorbeigeht oder nur eine Teilaussage behandelt. Es empfiehlt sich häufig, die These in mehrere Teilthesen aufzuteilen.

Gehört zu einer These die Argumentation eines Textes, wird belohnt, wer diese in den vorigen Arbeitsschritten gründlich strukturiert und erläutert hat.

Neben der Bestimmung der zeitlichen Phasen der hundertjährigen Geschichte sind besonders die Begriffe „Vollender" bzw.

„Zerstörer" und „Nationalgeschichte"

präzisierungsbedürftig. Auch hier lohnt es sich, die These in Teilthesen aufzuteilen:

(1) Es gibt seit Mitte des 19. Jh. eine kontinuierliche Tradition des deutschen Nationalismus.

(2) Hitler vertritt einen Nationalismus dieser Tradition.

(3) Hitler hat dessen Ziele zeitweise verwirklicht, letztendlich aber die Tradition ausgelöscht.

(23)

2. Die These (möglichst) plausibel machen

Auch wenn eine These wenig plausibel erscheint, sollten zunächst Pro-Argumente beachtet bzw. gesucht werden, denn der Autor hat sich bei seiner Behauptung immer etwas gedacht! Wer sich sofort auf die Kontra-Seite stürzt, übersieht leicht wichtige Aspekte. Wenn man Teilthesen formuliert hat, sollten diese einzeln berücksichtigt werden.

Gesichtspunkte z.B.:

zu (1): Fortführung von nationalistischem Gedankengut der dt. Romantik

zu (2): Gedanke der „Weltgeltung" im Imperialismus und Nationalsozialismus zentral

zu (3): Eroberungen Hitlers, neue Ära nach dem Zweiten Weltkrieg

3. Argumente gegen die These untersuchen

Auch hier sollten Teilthesen einzeln behandelt werden.

Gesichtspunkte z.B.:

zu (1): Die konkreten Nationalismen unterscheiden sich zu stark für eine kontinuierliche Traditionslinie, zu (2): totalitärer Charakter des nationalsozialistischen Systems

zu (3): Kaiserreich: Kolonien in Übersee;

Hitler: Lebensraum im Osten

4. Abwägen und Urteil finden

Es ist hier nicht notwendig, sich auf eine Seite zu stellen, das Schlussurteil kann auch relativierend ausfallen. Wichtig ist es, ein Urteil zu formulieren und die Gewichtung beider Seiten zu begründen.

Beispiel:

Es lassen sich sowohl Traditionslinien als auch Brüche erkennen, weshalb die These in dieser überspitzten Formulierung relativiert werden muss.

5. Gliederung erstellen

Die Gliederung bereitet die ausformulierte Darstellung vor. Die Erläuterung der These, sofern nicht bereits im vorigen Arbeitsschritt erfolgt, steht am Anfang, die Argumente können aber noch einmal neu gruppiert werden.

mögliche Gliederung:

1. Präzisierung der These

2. Pro- und Kontra-Argumente zu (1) 3. Pro- und Kontra-Argumente zu (2) 4. Pro- und Kontra-Argumente zu (3) 5. Abwägung und Urteil

Das Werturteil geht über das Sachurteil hinaus: Die Ansichten eines Autors können nicht nur auf ihr Zutreffen hin überprüft werden, sie lassen sich auch an ethischen Maßstäben messen. Die Annahme, dass die Juden eine niedere Rasse darstellen, ist nicht nur falsch, sondern ethisch höchst fragwürdig.

Der Sinn dieser Unterscheidung von Sach- und Werturteil betrifft das Ziel des Fachs GMG: Wir sollen GMG nicht nur als neutrale Beobachter verstehen, sondern auch wertend Stellung beziehen zu ethisch problematischen, aber auch wünschenswerten Positionen und Entwicklungen. Die Wertmaßstäbe, die hier zur Anwendung kommen können, sind die Menschenrechte, wie die Achtung der Menschenwürde, freie Entfaltung der Persönlichkeit, freie Meinungsäußerung, aber auch rechts- staatliche Prinzipien und soziale Gerechtigkeit.

(24)

Beispiel:

Bewerten Sie folgende These: Die Weimarer Republik war ein Misserfolg.

Die erste Reaktion auf diese These liegt nahe: Die Weimarer Republik war ein Misserfolg, weil ihre demokratische Staatsform gescheitert ist und in einer der schrecklichsten Diktaturen der Geschichte mündete. Damit wird der Erfolg der Weimarer Republik an ethischen Kriterien gemessen: die Miss- achtung der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit im Hinblick auf die ethnische Diskriminie- rung und der Untergang des Rechtsstaates im Dritten Reich. Das ist das Hauptargument, das sich zu Gunsten dieser These anführen lässt. Doch diese Antwort wäre allerdings zu einfach. Denn: Wo genau hat die Weimarer Republik versagt? Und: Hat der Versuch einer staatlichen Neuordnung in Deutschland nicht auch Positives bewirkt? Die positive oder negative Wirkung eines solchen Neuanfangs kann sich in ganz unterschiedlichen Bereichen auffinden lassen: in der Politik, der Gesellschaft, der Wirtschaft oder der Kultur. Die These sollte also mit einem Gesamtbild der Weimarer Republik verglichen werden. Auch hier lohnt es sich, wie bei der behandelten politischen Konstellation, sich einen Überblick zu verschaffen

.

Neben Misserfolgen wie der andauernden Spaltung der Gesellschaft lassen sich auch einige ethisch wünschenswerte Wirkungen aufzeigen, auf die die Bundesrepublik aufbauen konnte: die Einführung rechtsstaatlicher Prinzipien, die verbesserte Stellung der Frau, die Sozialverfassung oder die kulturellen Errungenschaften, ermöglicht durch die neue staatliche Toleranz. Auch die Wirtschaft lässt sich auf ethische Kriterien beziehen: Eine Wirtschaftskrise trägt die Gefahr gesellschaftlicher Radikalisierung in sich, wirtschaftlicher Aufschwung kann dazu beitragen, solches zu verhindern.

(25)

Klausur

Die Industrialisierung in Deutschland und Großbritannien

M1 Der englische Wirtschaftshistoriker Eric J. Hobsbawm erläutert die britische Industrialisierung an einem Beispiel

Der größte der ersten Baumwollfabrikanten war Sir Robert Peel (1750-1839), ein Mann der bei seinem Tod fast anderthalb Millionen Pfund (für die damalige Zeit eine ungeheure Summe) hinterließ - sowie einen Sohn, der sich gerade anschickte, Premierminister von Großbritannien zu werden. Die Peels waren eine mittelständische Freibauernfamilie, die wie andere, in den Hügeln von Lancashire die Landwirtschaft mit häuslicher Textilherstellung verbanden; jedenfalls seit der Mitte des 17.

Jahrhunderts. Sir Roberts Vater (1723 -1795) ging noch mit seinen Waren über Land hausieren und zog erst 1750 in die Stadt Blackburn. Selbst zu dieser Zeit hatte er die Landwirtschaft noch nicht ganz aufgegeben. Er besaß wenig - nichttechnische - Bildung, ein wenig Begabung für einfache Erfindungen, [...] sowie Land im Wert von vielleicht 2 000 bis 4000 Pfund, auf das er zu Beginn der 1760er Jahre eine Hypothek aufnahm.

Damit gründete er eine Baumwolldruckereifirma, zusammen mit seinem Schwager Haworth und einem gewissen Yates, der die gesamten Ersparnisse seiner Familie aus der Gastwirtschaft im

„Schwarzen Stier" ins Geschäft einbrachte. Die Familie Peel besaß einige Erfahrung in Geschäften:

mehrere ihrer Mitglieder arbeiteten in der Textilbranche, und die Aussichten für Baumwolldruckerei, bis dahin hauptsächlich eine Londoner Besonderheit, schienen ausgezeichnet. Sie waren es auch. Drei Jahre später - Mitte der sechziger Jahre - war der Bedarf der Firma an unbedruckter Baumwolle so gestiegen, daß sie auch mit der Herstellung von Stoffen begann, ein Umstand, der, wie ein Lokalhistoriker später feststellte, den Beweis erbringt für die Leichtigkeit, mit der damals Geld zu machen war. Das Geschäft gedieh und wurde geteilt: Peel blieb in Blackburn, während seinen beiden Teilhaber nach Bury gingen, wo sich ihnen 1772 der künftige Sir Robert als Teilhaber anschloß, zu Beginn mit beträchtlicher, später mit nur noch geringfügiger finanzieller Unterstützung seines Vaters.

Die wurde auch kaum gebraucht. Da der Druckereibetrieb der Firma allein regelmäßige Gewinne von 70 000 Pfund pro Jahr über längere Zeit erbrachte, gab es keinen Kapitalmangel. Um die Mitte der 1780er Jahre hatte er ein äußerst ansehnliches Geschäft, das sich die Anschaffung aller neuen, nütz- lichen und arbeitssparenden Geräte wie beispielsweise Dampfmaschinen leisten konnte. 1790 - im Alter von 40 Jahren und erst 18 Jahre, nachdem er selbst ins Geschäft eingetreten war - war Robert Peel zum Baronet ernannt, Parlamentsmitglied und anerkannter Vertreter der neuen Klasse der Industriellen. Von anderen nüchternen Unternehmern seiner Art in Lancashire, einige seiner Geschäftspartner eingeschlossen, unterschied er sich dadurch, daß er sich nicht mit Reichtum und Bequemlichkeit begnügte und zur Ruhe setzte - was er spätestens 1785 hätte tun können -, sondern daß er mit seinen Möglichkeiten und Talenten wucherte.

Hobsbawn, Eric J.: Industrie und Empire. Britische Wirtschaftsgeschichte seit 1750. Übersetzung von Ursula Heidul, Bd. 1 edition suhrkamp 1969 (10. Aufl. 1982), S. 61 ff.

(26)

M2 Vergleich: Industrialisierung in Deutschland und England von 1750 bis 1850

Bevölkerung in Millionen Roheisen, durchschnittliche Jahresproduktion in 1000t

Baumwolle, durchschnittliche Jahresverbrauch in 1000t Großbritannien Deutschland Großbritannien Deutschland Großbritannien Deutschland

1750 7,4 - 69 - 8,1 -

1800 10,5 23,0 248 - 31,8 -

1820 14,1 25,0 418 75 54,8 -

1830 16,3 28,2 700 111 105,6 3,9

1840 18,0 31,4 1465 160 191,6 11,1

1850 20,8 34,0 2716 345 290,0 21,1

Bruch, Rüdiger vom: Von der französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg, bsv Geschichte 3 BW, Bayerischer Schulbuchverlag 1998, S. 70.

M3 Der Nationalökonom Bruno Hildebrand zur Industrialisierung (1848)

Es ist gerade die größte Errungenschaft der heutigen Zivilisation, daß sie das Mitgefühl der gebildeten Klassen an dem Geschicke der Millionen geweckt hat, die bisher in der Geschichte nur als bewußtlose Werkzeuge den bevorzugten Ständen gedient haben, gerade der größte Triumph der Kultur, daß sich endlich auch diese Millionen als bewußtvolle Glieder der menschlichen Gesellschaft zu fühlen beginnen.

Darin besteht die nächste weltgeschichtliche Bedeutung der Maschinen, daß sie die arbeitenden Klassen aus der Trägheit und Unwissenheit, aus dem dumpfen und gedankenlosen Hinbrüten herausgerissen und in ihnen mit dem Kraftbewußtsein, mit der Beharrlichkeit in der Arbeit und mit dem Unternehmungsgeiste auf das Streben einem menschlicheren und würdigeren Lose in der Geschichte erzeugt haben, daß sie den arbeitenden Klassen erst die geistigen und moralischen Eigenschaften verliehen haben, ohne welche eine gründliche und dauernde Verbesserung ihrer sozialen Lage unmöglich ist. Während der Arbeiter der Vergangenheit in einem halbtierischen Zustand träge und arbeitsscheu hinvegetierte und niemals über den nächsten Gesichtskreis hinaus seine Gedanken erweiterte, fühlte der Arbeiter der Gegenwart, der im Verkehr mit den Maschinen aufgewachsen ist, daß er mit den Fähigkeiten seines Kopfes und seines Armes auch an dem großen Baue der Geschichte mitarbeitet.

Hildebrand, Bruno: Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft (1848) und andere gesammelte Schriften. Hg. von H. Fehrig, Jena 1922, S. 184 ff.

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