• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Das Koalitionspapier — Was die Bundesregierung vor hat: Dritte Etappe zur Strukturreform" (25.11.1994)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Das Koalitionspapier — Was die Bundesregierung vor hat: Dritte Etappe zur Strukturreform" (25.11.1994)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

POLITIK LEITARTIKEL

Das Koalitionspapier — Was die Bundesregierung vor hat

Dritte Etappe zur Strukturreform

Fast drei Wochen lang und in mehreren „Elefanten"-Runden zogen sich die Verhand- lungen der Unterhändler von CDU/CSU und FDP hin, bis das 49 Seiten umfassende Koalitionspapier am 14. November in Bonn publik wurde. Zählte das Papier der Koali- tionsvereinbarung der alten-neuen Bonner Koalition von 1991 noch 78 Seiten, so ist das Koalitionsprogramm für die nächsten vier Jahre nicht mehr so detailliert und klein-klein ausformuliert worden. Allerdings auffallend ist der differenzierte Katalog der Forderungen und Wünsche zu Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. In der Prä- ambel wird die Priorität auf die Vollendung der Einheit Deutschlands gesetzt. Weitere Ziele sind, Deutschland „für das Jahr 2000 fit zu machen", die innere Sicherheit zu stärken und die europäische Integration voranzutreiben. Die Auslassungen zur Gesund- heitspolitik sind eher „stromlinienförmig", sind wenig detalliert und kaum konkret.

D

ie konservativ-liberale Bun- desregierung will endlich Ernst machen mit dem Ver- sprechen, die Staatsverwal- tung zu straffen, einige Gesell- schaftsbereiche zu entbürokratisie- ren und der Eigeninitiative mehr Vorfahrt einzuräumen. Der Perso- nalbestand bei den Bundesbehör- den soll in den nächsten vier Jahren um ein Prozent jährlich reduziert werden. Das Steuerrecht soll spür- bar vereinfacht werden, zum Bei- spiel durch Streichung oder Pau- schalierung der Absetzungsmög- lichkeiten und der wahlweisen Kurzveranlagung. Dabei soll sich die Steuerbelastung insgesamt nicht ändern.

Staatsquote soll sinken

Die Staatsquote soll bis zur Jahrtausenwende von heute rund 50 Prozent auf das Niveau von 1989 von 46 Prozent zurückgeführt wer- den. Die Koalition will den Anstieg der Bundesausgaben deutlich unter der Zuwachsrate des Sozialpro- dukts halten, die Defizite zurück- führen und Steuer- und Abgaben- belastung schrittweise senken.

Zur Freistellung des Existenz- minimums soll 1996 ein leistungsge- rechter Steuertarif eingeführt wer- den, der Steuerverschärfungen ver- meidet. Der linear ansteigende

Steuertarif soll erhalten bleiben.

Die finanzielle Entlastung soll ins- gesamt 15 Milliarden DM nicht übersteigen.

Priorität soll der Schaffung neuer zukunftssicherer Arbeitsplät- ze und Flexibilisierung des Arbeits- platzangebotes eingeräumt werden.

Als Wachstumsfelder werden der Bereich Kommunikation, Finanz- dienste, Umweltschutz, Gesund- heitswesen und Pflege (Stichwort:

neue gesetzliche Pflegeversiche- rung), künftig auch Biotechnologie, Gentechnik, neue Werkstoffe und Raumfahrt genannt.

Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollen, so ein weiteres Postulat der Bonner Regierung, stärker aufein- ander abgestimmt, in beiden Fällen Anreize zur Aufnahme einer dauer- haften Beschäftigung verstärkt wer- den.

Versprochen werden auch neue, unkonventionelle Initiativen zur Eigentumsbildung. Dabei sollen die Schaffung von Wohneigentum (verbesserte Bausparförderung) und die Beteiligung am Produktiv- kapital im Vordergrund stehen: Die Einkommensgrenzen sollen erhöht werden.

Angestrebt wird, den Anteil der Sozialausgaben am Bruttosozi- alprodukt — zur Zeit mehr als ein Drittel — nicht weiter zu erhöhen.

Erforderlich sei aber ein konse- quenter und kontinuierlicher Um- bau des Sozialstaats und der Ein-

richtungen der sozialen Sicherung.

Insgesamt sollen der Staat und die parafiskalischen Einrichtungen (So- zialversicherungen u. a.) „schlan- ker" werden. Der Familienlasten- ausgleich soll zu einem Familienlei- stungsausgleich weiterentwickelt, preiswerter Wohnraum geschaffen und die Strukturreform im Gesund- heitswesen, aufbauend auf den bei- den vorangegangenen Etappen, zielstrebig fortgesetzt werden. Eine Regierungskommission soll mit Ex- perten alle sozialen Transferleistun- gen durchleuchten.

Gutachten abwarten!

Zunächst will man den Schluß- bericht mit den Empfehlungen und Reformoptionen des Sachverständi- genrates für die Konzertierte Akti- on im Gesundheitswesen abwarten (der Bericht wurde für Februar 1995 avisiert), ehe mit allen Betei- ligten ein vorbehaltloser intensiver Meinungsaustausch stattfindet. Das Machbare soll konkretisiert und in die parlamentarische Beratung ge- bracht werden. Bereits bei Vorlage des „Sachstandsberichts" des Sach- verständigenrats (Februar 1994) hatte der alte wie neue Bundesge- sundheitsminister Horst Seehofer (CSU) die Spitzenverbände und die am Gesundheitswesen beteiligten Organisationen zu einem Ideen- wettbewerb aufgerufen und deren Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994 (17) A-3241

(2)

POLITIK

programmatische Vorstellungen eingeholt (auch die Ärzteschaft, Verbände wie Körperschaften, ha- ben inzwischen „Vollzug" in diesem Punkt gemeldet).

Während die SPD keine Nach- besserungen am Gesundheitsstruk- turgesetz und ein Abweichen von den Lahnstein-Beschlüssen (Okto- ber 1992) zulassen und allenfalls langfristig bis zur Jahrtausendwen- de eine größere Reform anpeilen will, will Seehofer „durchstarten"

und weitere strukturelle „Neuerun- gen" im Gesundheitswesen durch- setzen und die Organisationsre- form in der gesetzlichen Kranken- versicherung vollenden (auch im Hinblick auf den intensivierten Kassenwettbewerb und die Wahl- freiheit der Versicherten ab 1996).

Es bleibt abzuwarten, ob die Kärrnerarbeit des Sachverständi- genrates nicht umsonst war oder

Bleibt im Amt und kann die dritte Stufe der „Gesund- heitsreform" angehen: Ge- sundheitsminister Horst Seehofer.

Foto: Eifrig, Bonn

realisierbare Anstöße liefert und Papier produziert wurde oder aber- mals in einer Art Alibi-Funktion für die Politik eingespannt wird. In früheren Äußerungen hat sich Bun- desgesundheitsminister Horst See- hofer in einzelnen Punkten bereits für die weiteren Reformschritte präzise festgelegt (obwohl er Ge- dankenfreiheit einräumen und nicht präjudizieren wollte). Auch das Bonner Koalitionspapier nennt ei- nige Essentials, bei denen die FDP kräftig zurückstecken mußte, von denen aber anzunehmen ist, daß sie auch mit den Oppositionsparteien konsensfähig sind, also auch einen Multi-Kompromiß erwarten lassen.

LEITARTIKEL

Essentials für die GKV-Reform

Als Orientierungen werden vorgegeben:

—Die gesetzliche Krankenver- sicherung soll dem Grundsatz der Solidarität und den tragenden Ge- staltungs- und Strukturprinzipien verpflichtet bleiben (also konse- quente Beibehaltung des geltenden Sachleistungs- und Naturalprinzips;

Beibehaltung des Solidaritäts- prinzips und des Prinzips des sozia- len Ausgleichs?).

—Eigenverantwortung und Ei- genvorsorge sollen, so das Papier, ebenso wie der Wettbewerb im Ge- sundheitswesen (Leistungs- und Qualitätswettbewerb der Kranken- kassen, vor allem aber auch Ver- tragswettbewerb) verstärkt und die Kosten- und Leistungstransparenz weiter verbessert werden. (Dazu

gibt es allerdings bereits seit lan- gem einschlägige Gesetzesvorga- ben, die nicht immer konsequent und zielgerecht ausgeschöpft wur- den).

— Die Ausgabenentwicklung und der Ausgabenumfang der Krankenversicherung sollen ein- nahmenorientiert bleiben (also kei- ne Umbasierung der ausschließlich lohnbezogenen Krankenversiche- rungsbeiträge).

— Es soll bei einem pluralistisch organisierten Gesundheitssiche- rungssystem bleiben. Die Thera- piefreiheit und freie Arztwahl sol- len uneingeschränkt aufrechterhal- ten werden.

—Die selbstverwalteten gesetz- lichen Krankenkassen sollen in die Lage versetzt werden, innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen flexible Vertragsgestaltungen vor- zunehmen.

—Die zeitliche Befristung (bis Ende 1995) der globalen und sekto- ralen Budgetierung soll strikt einge- halten werden (darauf drängte ins- besondere die FDP; auch gibt es konkrete Zusagen der Seehofer- Administration in diesem Punkt zur Auslauffrist).

—Eine weitere Ausweitung und eine Erhöhung der Versicherungs- pflicht in der GKV ist nicht beab- sichtigt.

—Den Erfordernissen und Be- langen sogenannter besonderer Therapierichtungen soll Rechnung getragen werden.

—Die Grundlagen für die phar- mazeutische Forschung in Deutsch- land sind zu stärken, heißt es lapi- dar in einem weiteren Punkt.

Transplantations- Gesetz

Die Bundesregierung beabsich- tigt, noch in diesem Jahr eine bun- desgesetzliche Regelung zur Organ- transplantation („Transplantations- gesetz") in die parlamentarische Be- ratung einzubringen. Parallel zum Bund bearbeitet auch der Bundesrat unter Federführung von Hessen, Bremen und Hamburg einen Ent- wurf eines Transplantationsgesetzes (der Bundesrat hat den vom Bundes- gesundheitsministerium vorgelegten Gesetzentwurf zum Verbot des kom- merziellen Organ-Handels als „nicht sachgemäße Aufsplitterung" rechtli- cher Normen inzwischen abgelehnt).

Mit der Gesetzesinitiative sollen vor allem die Bereitschaft zur Organ- spende gestärkt und Fehlmeinungen sowie Irritationen abgebaut werden.

Angestrebt wird eine erweiterte Zustimmungslösung. Die Würde und das Selbstbestimmungsrecht des Organspenders und seiner An- gehörigen soll beachten werden.

Postuliert wird, daß die Auswahl der Organempfänger ausschließlich nach medizinischen Gesichtspunkten zu treffen ist . . . Dr. Harald Clade A-3242 (18) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 47, 25. November 1994

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Zudem bräch- te eine solche Drittfinanzie- rung und Defi- zitabdeckung vor allem auch die freige- meinnützigen und privaten Krankenhaus- träger in einen kaum überwindbaren

Denn die hätten bei dem Lahnsteiner Kompromiß über das Gesundheitsstrukturgesetz der Liste zugestimmt Dreßler stellte die Vertrauenswürdigkeit seiner Verhandlungspartner in

Leistungsträger (Ärzteschaft u. a.) zur Einhaltung der Ausgabengrenzen eine Ersatzlösung für die globale Budgetierung oder eine kongeniale, noch drakonischer wirkende

Die Repräsentanten der Ärzte- schaft registrierten: Trotz der von Seehofer zugesicherten Gedanken- vielfalt und -freiheit deuteten viele Anzeichen darauf hin, daß der Re-

Konkrete Vorschläge Die Ärzteschaft spricht sich für eine leistungsorientierte Ausgaben- struktur und eine darauf abgestellte Beitragsgestaltung aus. Die rechtli- chen

Im Bereich der Arzneimittel soll generell zwischen Regel- und Wahl- leistungen unterschieden werden, nicht hingegen im Bereich der ambu- lanten ärztlichen Versorgung, da dies

Oktober spricht sich für Leistungsorientierung, Toleranz und eine sozial austarierte Finan- zierung der sozialen Sicherungssysteme aus. Es müsse von der bisherigen Politik der

Irgendwo lächelt ein junger Kan- didat Helmut Kohl von 1976 („Kanzler für Deutschland"), an anderer Stelle blickt Erich Honecker schon damals mürrisch. A n einem