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Archiv "Versorgungsforschung: Innovationen sollen Kranke rascher erreichen – nach kritischer Prüfung" (12.12.2008)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008 A2689

M E D I Z I N R E P O R T

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ur wenige neue Diagnose- und Therapieverfahren errei- chen den Patienten: Von 101 Inter- ventionen, die in renommierten wis- senschaftlichen Zeitschriften als vielversprechend dargestellt wor- den sind, schafft es durchschnittlich eine in die klinische Routine. Eine Studie, die dies belegt, zitierte Prof.

Dr. rer. nat. Christian Ohmann (Ko- ordinierungszentrum für klinische Studien, Düsseldorf) beim Deut-

schen Kongress für Versorgungsfor- schung in Köln. Die Bilanz der Un- tersuchung: Nur 27 der 101 Innova- tionen waren in randomisierten kli- nischen Studien geprüft worden, und davon wiesen 19 ein positives Ergebnis auf. Lediglich fünf Verfah- ren wurden aktuell angewandt, nur eins in der täglichen Praxis (Am J Med 2003: 114[6]: 503–5).

Zwar unterstützten die Gesetzes- regelungen in Deutschland den Inno- vationstransfer, aber es gebe noch er-

heblichen Optimierungsbedarf beim Umgang mit Innovationen, so der Versorgungsforscher. „Echte Neue- rungen mit nachgewiesenem Zu- satznutzen erreichen oft nur ver- spätet den Zugang in die Kran- kenversorgung, vor allem im am- bulanten Bereich“, sagte Ohmann.

Auf der anderen Seite verbreiteten sich gelegentlich Scheininnovatio- nen bis hin zu riskanten Therapien zügig, insbesondere im stationären

Bereich. Ein Beispiel sei das Ro- bodoc(-System), ein roboterunter- stütztes Fräsverfahren, eingesetzt bei der Implantation von Hüftgelenk- endoprothesen. Laut Ohmann wur- de das Verfahren bei mehr als 5 000 Patienten angewandt. Aber das Er- reichen des methodenimmanenten Ziels, und zwar das passgenaue Fräsen, habe bei der Bewertung des Nutzens zu stark im Vordergrund gestanden, unerwünschte Wirkun- gen, zum Beispiel durch Extrem-

luxationen während der Operation, seien nicht frühzeitig systematisch erfasst, bewertet und berücksichtigt worden. Ein Grundsatzgutachten habe dann das Robodoc-Verfahren als experimentell eingestuft.

Auf der anderen Seite sei belegt, dass die Eradikation von Helicobac- ter pylori eine dauerhafte medika- mentöse Therapie und stationäre Behandlung bei Patienten vermei- den helfe, deren Magen-Darm- Ulzerationen auf eine Besiedelung mit dem Bakterium zurückzuführen sei, betonte Ohmann. „Es ist überra- schend, dass sich der Therapiean- satz der Keimeradikation nur all- mählich in der Routine durchsetzt“, so der Forscher.

Im komplexen Beziehungsgefüge zwischen experimentellen Entwick- lungen, der Zulassung von Arznei- mitteln und Medizinprodukten auf der Basis klinischer Studien, der Be- wertung von Nutzen und Wirtschaft- lichkeit einer Methode, der Erstat- tungsfähigkeit eines Verfahrens bis hin zur Frage, wie der Patient in die Entscheidung einzubinden sei, habe die Versorgungsforschung Aufgaben, die bislang nicht ausreichend wahr- genommen und gefördert würden.

Es fehlten große, pragmatische, ver- sorgungsnahe klinische Studien, die nicht von kommerziellen Interessen geleitet seien. „Trotz Förderung, et- wa durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, ist der Bedarf an Versorgungsforschung längst nicht gedeckt“, erklärte Oh- mann.

Um die Versorgungsforschung zu verbessern, müssten künftig auch In- dustrie und Krankenkassen finanzi- ell beteiligt werden können. Vorbild könne Italien sein. Dort zahlten die

VERSORGUNGSFORSCHUNG

Innovationen sollen Kranke rascher erreichen – nach kritischer Prüfung

Viele Diagnose- und Therapieverfahren etablieren sich zu langsam, einige aber auch zu schnell. Versorgungsforschung kann solche Entwicklungen erkennbar machen. Aber sie muss finanziert werden, auch von den Krankenkassen.

Minimalinvasive Operationstechni- ken,wie hier am Magen-Darm-Trakt, haben sich etabliert.

Anfangs boomte die Technik: Ungenü- gende Erfahrung und Übung führten zu teilweise hohen Komplikationsraten.

Hier setzt Versor- gungsforschung an.

Foto:Vario Images

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A2690 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 50⏐⏐12. Dezember 2008

M E D I Z I N R E P O R T

Pharmafirmen fünf Prozent ihres Marketingbudgets in einen Fonds für industrieunabhängige, versorgungs- nahe Forschung ein. Daraus seien im vorvergangenen Jahr 35 Millionen Euro für 54 wissenschaftliche Studi- en entnommen worden.

In der Chirurgie mangele es an evidenzbasierter Medizin, teilweise auch am Bewusstsein, dass diese keine „Zwangsjacke“, sondern eine Chance sei, Patienten entsprechend dem medizinischen Wissen nach der bestmöglichen Methode zu versor- gen, sagte Prof. Dr. med. Hartwig Bauer (Generalsekretär der Deut- schen Gesellschaft für Chirurgie, Berlin). 15 bis 20 Prozent der chirur- gischen Verfahren gelten nach Aus- kunft von Bauer als evidenzbasiert.

Zwar gebe es bei zahlreichen Er- krankungen, die chirurgisch behan- delt würden, keine andere Möglich- keit, als zu operieren, wenngleich oft verschiedene Methoden zur Aus- wahl stünden.

„Auch in der Chirurgie sind kon- trollierte, klinische Studien das In- strument, um die Wirksamkeit einer Intervention oder die Überlegenheit gegenüber einem etablierten Verfah- ren zu belegen, und sie sind in der Chirurgie noch viel zu selten“, so Bauer. Ein Grund: Die Standardisie- rung der technischen Ausführung ei- nes Eingriffs sei extrem aufwendig und in der Praxis oft nicht umsetzbar.

Ein weiterer Grund: Bei der Ergeb- nisbewertung komme es nicht nur auf die Operation an, sondern auch auf einen vergleichbaren Ausgangs- befund und Operationssitus, auf die perioperative Behandlung und die Nachsorge.

Studienzentren und Register ein- zurichten für spezielle Fragestellun- gen sei eine Möglichkeit der sinn- vollen Erprobung neuer Verfahren, meinte Bauer. Dabei gehöre es zu den umstrittensten Fragen des Fachs, ob es ethisch vertretbar sei, Ver- gleichsgruppen im Rahmen kontrol- lierter Studien zum Schein zu ope- rieren. Dass es Placeboeffekte in der Chirurgie gebe, sei dagegen un- strittig: Das Umfeld der Operation, Erwartungshaltungen, die an Art und Intensität des geplanten Ein- griffs geknüpft seien – all dies habe Bedeutung für den Patienten und

könne Effekte hervorrufen. Welt- weit gebe es circa 20 klinische Stu- dien in der Chirurgie, bei denen die Kontrollgruppen eine Schein- behandlung erhalten hätten. Seines Wissens sei darunter keine aus Deutschland, sie stammten haupt- sächlich aus dem angloamerikani- schen Raum.

Placebochirurgie: Wann ist sie sinnvoll, wann akzeptabel?

Als klassisches Beispiel für die Wir- kung der Placebochirurgie gelte eine Untersuchung aus dem Jahr 1959.

Bei Patienten mit Angina pectoris nahmen Ärzte entweder linksseitig eine Ligatur der Brustwandarterie vor oder unterbanden den Blutfluss nur zum Schein. Die Symptome ver- besserten sich bei 80 Prozent der Pa- tienten, und zwar sowohl in der Ver- um- als auch in der Placebogruppe (NEJM 1959; 260: 1115–6). Ein wei- teres Beispiel betrifft Patienten mit Arthrose in den Kniegelenken: Im Jahr 2002 wiesen US-amerikanische Forscher nach, dass die arthrosko- pische Gelenkspülung oder das ar- throskopische Débridement bei Pa- tienten mit Kniegelenkarthrose über einen Beobachtungszeitraum von 24 Monaten keinen größeren Effekt auf Schmerzsymptome und Funk- tion hatten als eine Placeboinzision (NEJM 2002; 347: 81–8).

„Es ist natürlich ein großer Un- terschied, ob der Arzt einen kleinen Hautschnitt macht wie in der Ar- throskopiestudie bei Patienten mit Kniegelenkarthrose oder ob Bauch, Brustkorb oder Schädel eröffnet werden“, sagte Bauer. „Placebochir- urgie ist nur dann vertretbar, wenn die Risiken des Placeboeingriffs vernachlässigbar klein sind, der Patient über Risiken sorgfältig auf- geklärt ist und keine Alternative besteht, mit der sich die Frage der Untersuchung klären lässt.“ Von Ethikkommissionen würden Kon- trollen mit Scheinoperationen außer- ordentlich kritisch bewertet. Aber selbst wenn diese im Einzelfall sinnvoll sein könnten und geneh- migt würden, „in den Versorgungs- alltag lassen sich Ergebnisse, die unter Idealbedingungen einer klini- schen Studien gewonnen worden sind, oft nur schwer übertragen“, er-

läuterte Bauer. Hier habe die Versor- gungsforschung anzusetzen.

Sie orientiere sich methodisch an den Qualitätsmerkmalen der evi- denzbasierten Medizin. Um dies auch zu dokumentieren, sei das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) als korrespon- dierendes Mitglied in das Deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung (DNVF) aufgenommen worden, so Prof. Dr. med. Edmund Neugebauer (Köln, Vorsitzender des DNEbM).

Eines der gemeinsamen Projekte be- trifft die Vakuumversiegelungsthe- rapie zur Behandlung akuter und chronischer Wunden, deren Wirk- samkeit und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen der Gemeinsame Bun- desausschuss im vergangenen Jahr beschlossen hat. Im Rahmen eines dreijährigen Modellvorhabens soll es jeweils eine randomisierte kontrol- lierte Studie zur Vakuumversiege- lungstherapie bei diabetischem Fuß (chronische Wunde) und bei Sinus pilonidalis (akute Wunde) geben.

Auf der Basis der Studienergebnisse sowie eines Wundregisters, welches die Versorgungsrealität erfassen soll, und einer Metaanalyse kontrollierter Studien soll unter anderem geklärt werden, wie die Überleitung der Pa- tienten von der stationären in die ambulante Versorgung von Wunden optimiert werden kann.

Wie Leitlinien gut vermittelt werden können, ist unklar

Selbst wenn über den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Behandlung ein gewisser Konsens bestehe und in Leitlinien festgestellt würde, würden diese von der Ärzte- schaft ganz unterschiedlich umge- setzt, meinte Prof. Dr. phil. Holger Pfaff, Vorsitzender des DNVF (Köln). Die einfache Verbreitung von Leitlinien in Form einer Zusen- dung reiche nicht aus, um das Wissen zu verbessern, hätten Versorgungs- forschungsstudien ergeben. „Wir ver- suchen zu klären, wie Leitlinienwis- sen effektiv vermittelt werden kann“, so Pfaff. „Von den Methoden, die wir bislang getestet haben, hat noch kei-

ne funktioniert.“ n

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Deutscher Kongress für Versorgungsforschung, Pressekonferenz am 16. Oktober 2008 in Köln

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