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Archiv "Medizinische Ethik — ein Fach wird mündig" (15.11.1979)

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Medizinische Ethik — ein Fach wird mündig

Helmut Piechowiak und Hans Georg von Manz

In einem Aufsatz über die

„Schaffung ethischer Prioritä- ten in der Medizin spricht A. V. Campbell davon, daß die medizinische Ethik in der jüngsten Zeit „mündig gewor- den sei" oder aber wenigstens

„die Phase der Adoleszenz"

erreicht habe (1). Nach einer jahrhundertelangen Phase der Tradierung der hippokrati- schen Ethik, die die „Priorität des Nutzens des Patienten vor allen anderen Erwägungen betont", sei nun eine „neue Bereitschaft zur Selbstkritik in der medizinischen Profes- sion" festzustellen. Die zahllo- sen technischen Neuerungen der Medizin, aber auch der ge- änderte soziale Kontext, in dem sich heute ärztliches Hel- fen und Heilen vollziehen, stellen den Ärzten — aber mit ihnen auch den anderen Beru- fen im Gesundheitswesen — neu die Frage nach der Ethik ihrer beruflichen Tätigkeit.

Der Beginn und die Themen Es ist schwierig, retrospektiv den genauen Beginn einer Entwicklung zu definieren. Zu sagen, dieses oder jenes Ereignis sei die „Geburtsstun- de" der medizinischen Ethik als wis- senschaftlicher Disziplin gewesen, ist fast unmöglich. Man kann aber sagen, daß auch für die medizini- sche Ethik die Zeit nach dem Zwei- ten Weltkrieg zu einer Zeit des Neu- anfangs und der Neubesinnung ge- worden ist. Die Verbrechen der Nazi- machthaber in Deutschland und die zahllosen Toten des Zweiten Welt- krieges haben nicht nur die allge- meine Rückfrage nach den morali- schen Normen einer Gesellschaft laut werden lassen, sondern auch auf die ethischen Standards der Ärz- te als besonderer Berufsgruppe Ein- fluß genommen.

Mit dem „Genfer Gelöbnis" (2) und dem „Internationalen Code der ärzt- lichen Ethik" (3) hat sich die Ärzte- schaft auf der 2. und 3. Generalver- sammlung des Weltärztebundes in den Jahren 1948 und 1949 auf neue ethische Codes — wenngleich deut- lich in hippokratischer Tradition — verpflichtet, die in den meisten Län- dern, so auch in der Bundesrepublik Deutschland, noch heute als Be- standteil der Berufsordnungen Gül- tigkeit haben.

Zugleich wurden im Zusammenhang mit den Nürnberger Kriegsverbre- cher-Prozessen gegen KZ-Ärzte, die unmenschliche Versuche mit Kran- ken und Lagerinsassen durchge- führt hatten (4), Regeln über wissen- schaftliche Versuche mit und an Menschen formuliert, die als „Nürn-

berger Code" bekannt geworden sind und heute zu den maßgebli- chen Dokumenten über das Teilge- biet der „Experimente am Men- schen" gehören.

Das Feld medizinischer Ethik erwei- terte sich durch den Zufluß zahlrei- cher Probleme, die direkt oder indi- rekt durch den medizinischen Fort- schritt gestellt oder verschärft wur- den: die Organtransplantation paari- ger und später auch unpaarer Orga- ne, die künstliche Insemination, die artefizielle Fertilisation, die Proble- matik des Behandlungsabbruchs in der Intensivmedizin, die Frage der aktiven Euthanasie, die Amniozente- se, die genetische Beratung, die De- batte über die Gefährlichkeit (oder Ungefährlichkeit) der genetischen Grundlagenforschung, die Kommu- nikation von Arzt und Patient, die medizinische Datenspeicherung in Großcomputern — um nur die wich- tigsten Teilgebiete zu nennen.

Die wohl nachhaltigste Beeinflus- sung der Diskussion ethischer Fra- gen des Gesundheitswesens ging je- doch von gesetzgeberischen Aktivi- täten aus: die Reform des Sexual- strafrechts, die Neuregelung der Strafbarkeit des Schwangerschafts- abbruches, die zur Zeit in Deutsch- land noch in der Diskussion stehen- de Organtransplantations-Gesetz- gebung, das neue Arzneimittelge- setz sowie die Ausweitung des Lei- stungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherungen und die da- mit zum Teil in Zusammenhang ste- hende „Kostenexplosion" im Ge- sundheitswesen, die die Frage nach der gerechten Verteilung begrenzter Ressourcen aufwarf.

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Medizinische Ethik

Zu etlichen der angesprochenen Probleme sind Verlautbarungen bzw. Richtlinien des Weltärztebun- des ergangen, die sinngemäß das

„Genfer Gelöbnis" und den „Inter- nationalen Code ärztlicher Ethik"

ergänzen sollen und die wegen ihrer Bedeutung für die medizinisch-ethi- sche Diskussion hier kurz miter- wähnt seien. Am bekanntesten ist wohl die „Deklaration von Helsinki für die Durchführung wissenschaft- licher Versuche am Menschen"

(1964), die die bis dahin geltende Richtlinie „Prinzipien für in For- schung und Experiment engagierte Personen" aus dem Jahr 1954 ablö- ste. Die „Deklaration von Helsinki"

wurde 1975 in Tokio revidiert und fand als „Empfehlung für Ärzte, die in der biomedizinischen Forschung am Menschen tätig sind", weite Ver- breitung.

Ebenfalls wichtig waren die „Dekla- ration von Sydney zur Bestimmung des Todeszeitpunktes" (1968) — im Anschluß an die ersten klinischen Herztransplantationen — sowie die

„Deklaration von Oslo zum thera- peutischen Schwangerschaftsab- bruch" (1970). Auch zwei weitere in Tokio (1975) verabschiedete Erklä- rungen seien noch aufgeführt: die

„Erklärung über ärztliches Verhal- ten gegenüber Gefangenen" sowie die über „Gebrauch und Mißbrauch psychotroper Drogen". Im Jahr 1978 erschienen schließlich — unter der Federführung von Dr. Schlögell —

„Richtlinien über den Einsatz von Computern in der Medizin", die nicht zuletzt der Wahrung des ärztli- chen Berufsgeheimnisses unter den neuen technologischen Bedingun- gen dienen wollen. Die Erklärungen des Weltärztebundes wurden in deutscher Übersetzung jeweils im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT veröf- fentlicht.

Dynamische Entwicklung der ethischen Probleme

Die dynamische Entwicklung der ethischen Probleme der Medizin dauert zweifellos noch an. Sie hat

„alte" Probleme wie die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit kosmetischer Operationen, die Frage nach dem

Lebensrecht von Mutter und Kind in gynäkologisch-geburtshilflichen Krisensituationen oder die Frage nach Recht und Sittlichkeit mensch- licher Sektionen längst in den Hin- tergrund treten lassen, obwohl die ethische Problematik dieser Fragen manches mit den heute vorrangig zur Lösung anstehenden Fragen ge- mein hat.

Neue, zum Teil kuriose oder schok- kierende Anfragen werden in den medizinisch-ethischen Fachzeit- schriften diskutiert: Soll es lesbi- schen Paaren erlaubt sein, via artefi- zieller Insemination und /oder Ferti- lisation „gemeinsame" Kinder zu bekommen, haben genetisch ge- schädigte Kinder ein Klagerecht ge- gen die Eltern oder den behandeln- den Arzt, ist es „ethischer", den Ver- kauf von körpereigenen Organen zu Transplantationszwecken zu propa- gieren (wenn dies mehr Organe ver- fügbar macht) oder soll man auf der altruistischen Organ-„Spende" be- harren, können Eltern bei wissen- schaftlichen Versuchen an ihren Kindern wirksame stellvertretende Zustimmung geben, und wenn ja, unter welchen Bedingungen, welche Persönlichkeitsrechte haben kör- perlich und besonders geistig be- hinderte Personen, dürfen bei indu- striell durchgeführten Autounfall- Experimenten zur Verbesserung der Sicherheitsvorkehrungen (echte) menschliche Leichen verwendet werden oder muß man dies ab- lehnen?

In den zahlreichen Anfragen an Me- dizin und Gesundheitswesen haben sich in der letzten Zeit vor allem die Ambivalenz des Fortschritts (was ist

„wirklich" Fortschritt?), besonders auch der medizinisch-naturwissen- schaftlichen Forschung, und die Struktur der Entscheidungsprozes- se in Medizin, Öffentlichkeit und Po- litik herauskristallisiert.

Die Problematik des Fortschritts für die Zahl der ethischen Probleme hatte Wilhelm Wundt schon vor etwa 100 Jahren als ein „Gesetz" erkannt (5). Da jedes neue „Mittel" nicht mehr nur als Mittel zum ursprüng- lich intendierten Zweck gebraucht werden kann, sondern sowohl als

eigenständiges Ziel in sich selbst gewollt werden als auch neu eröff- neten anderen Zielen dienen kann, müssen sich die ethischen Probleme notwendig vervielfachen. Amniozen- tese z. B. — als Mittel zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bei ge- fährdeten Schwangerschaften — kann ja auch um ihrer selbst willen gewünscht werden (gewissermaßen um ganz sicher zu sein, daß auch der nicht besonders gefährdete Nachwuchs nicht erbkrank ist — Aus- schluß des Zufalls durch ein Eltern- paar oder die Gesellschaft) als auch zu völlig anderen Zielen, wie z. B.

zur Geschlechtsbestimmung des Kindes. Mit der Amniozentese — und natürlich auch mit vielen anderen Fortschritten — sind also wirklich neue, qualitativ verschiedene, in die- ser Art bisher nicht existente ethi- sche Entscheidungssituationen ge- schaffen worden, die sehr exakt und voneinander getrennt bedacht sein wollen.

Neben den genannten inhaltlichen Fragen geht es in der medizinischen Ethik aber auch darum, Entschei- dungsprozesse, die ja bisher kaum reflektiert worden sind (und die heutzutage ja auch weit komplexer und damit undurchsichtiger gewor- den sind), in ihrer Struktur und in ihrem Ablauf zu untersuchen. So gilt es zu analysieren, wer tatsächlich die Entscheidungen trifft und auf Grund welcher Legitimation, wer die Verantwortung trägt, wie das Ver- hältnis der Verantwortlichen zu de- nen, für die sie verantwortlich sind, aussieht, welche expliziten und (be- sonders welche) impliziten Wertvor- stellungen dabei im Spiel sind und wie diese Wertvorstellungen zum Tragen kommen — ob auf Grund von Rechtsprechung, von Autorität oder über Konsens, oder gar über völlig andere Wege.

Medizinische Ethik

und kirchliche Stellungnahmen In der römisch-katholischen Kirche besteht sei langem ein dezidiertes Interesse an medizinisch-ethischen Fragen. Bekannt geworden sind vor allem die zahlreichen Ansprachen Papst Pius' XII. zu Fragen der ärztli-

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chen Ethik, die noch heute Gewicht haben (6). Die kirchliche Moralpoli- tik in diesen Dingen spricht sich dar- über hinaus in den großen Sozialen- zykliken der letzten Päpste aus, von denen die sog. „Pillenenzyklika"

„Humanae vitae" Papst Pauls Vl. die weiteste Bekanntheit erlangt hat (7).

Außerdem existieren von zahlrei- chen nationalen Bischofskonferen- zen autorisierte Hirtenworte. Hier sind es insbesondere die amerikani- schen Katholiken, die — außer zur Abortfrage — auch zu den anderen Themenkomplexen öffentlich und zum Teil detailliert Stellung genom- men haben.

Nicht weniger aktiv war in der Ver- gangenheit und ist in der Gegenwart die anglikanische Kirche. Sie publi- zierte Stellungnahmen zur Abortfra- ge, zur Sterilisation, zur Vasektomie sowie zwei ausführliche Bändchen zur Euthanasie und Sterbehilfe.

Von nichtkatholischer Seite sind nennenswerte Beiträge zu medizi- nisch-ethischen Fragen besonders von der Christian Medical Commis- sion des Weltkirchenrates in Genf gekommen („Experiments with Man", 1969; „Genetics and the Quality of Life", 1975). Darüber hin- aus ist diese Arbeitsgruppe beson- ders an Gesundheits- und Kranken- versorgungsproblemen in den Län- dern der Dritten Welt interessiert, wovon die Artikel ihrer Zeitschrift

„Contact" beredtes Zeugnis ablegen.

Von zahlreichen protestantischen Denominationen in Amerika liegen ebenfalls Verlautbarungen zur Mo- ralpolitik auf dem Gesundheits- und Sozialsektor vor, doch haben sie nur bei einigen größeren Gemeinschaf- ten einen so nennenswerten Um- fang, daß zugleich der Begrün- dungszusammenhang deutlich zu werden vermag.

„Ethical and Policy Guidelines for a Lutheran Hospital", 1973; National Council of Churches: „Human Life and the New Genetics", 1978;

„A Methodist Statement on Euthanasia", 1974 — um nur einige zu nennen (8).

Medizinische Ethik außerhalb

Deutschlands

Die weiteste Ausdifferenzierung hat das Gebiet der medizinischen Ethik bisher in Amerika gefunden. Dort war nicht nur die medizinisch-ethi- sche Debatte schon in den vergan- genen 150 Jahren intensiver als auf dem europäischen Kontinent, son- dern dort haben sich manche der heutigen Probleme auch zuerst oder in besonderer Zuspitzung geboten, was sowohl mit dem technologi- schen Vorsprung als auch mit dem System der medizinischen Versor- gung zusammenhängen dürfte.

Die führenden medizinisch-ethi- schen Journale sind englischspra- chig, mit wenigen Ausnahmen sind sie amerikanischer Herkunft. Sie sind alle erst Anfang der 70er Jahre herausgekommen und erscheinen meist vierteljährlich oder (zwei-)mo- natlich. Einige seien kurz genannt:

„Ethics in Science and Medicine"

mit einem internationalen Herausge- berkollegium und Beirat, „Journal of Medicine and Philosophy" — herausgegeben von der „Society for Health and Human Values" in Phila- delphia (Präsident: Dr. Ron McNeur), der „Hastings Center Re- port" — herausgegeben vom „Ha- stings Center, Institute of Society, Ethics and the Life Sciences" in Hastings on Hudson, die vom

„Northwest Institute of Ethics and the Life Sciences" herausgegebene Zeitschrift „Bioethics Northwest"

sowie das aus Großbritannien stam- mende „Journal of Medical Ethics"

— herausgegeben von der „Society for the Study of Medical Ethics".

Daneben gibt es noch eine Reihe von Zeitschriften, die sich auch — aber nicht ausschließlich — mit medi- zinisch-ethischen Fragen befassen:

„American Journal of Law and Medicine", „Linacre Quarterly" (Na- tional Federation of Catholic Physi- cians' Guilds), „Man and Medicine — The Journal of Values and Ethics in Health Care", „Philosophy and Pub- lic Affairs", „Perspectives in Biology and Medicine" und „Hospital Pro- gress".

Erstaunlich hoch ist auch der Anteil der (rein) medizinischen Zeitschrif- ten, die nahezu regelmäßig der Be- handlung der ethischen Fragen der modernen Medizin Raum geben.

Hier sind in erster Linie zu nennen:

„Journal of the American Medical Association", „The New England Journal of Medicine" sowie die Zeit- schrift der britischen Ärztescl.aft

„British Medical Journal".

Die große Breitenwirkung der medi- zinischen Ethik in den Vereinigten Staaten ist jedoch nicht ohne die Tatsache verständlich, daß dort seit geraumer Zeit innerhalb der Medical Schools Lehrveranstaltungen zur Medizinischen Ethik und zum Teil sogar Lehrstühle für dieses Fachge- biet bestehen. So existiert z. B. mit- ten im weltberühmten „Texas Medi- cal Center" in Houston ein ansehnli- ches „Institute of Religion", dessen Wissenschaftler einerseits für das Lehrangebot in medizinischer Ethik am Baylor College verantwortlich sind und andererseits in einer inten- siven Weiterbildung der Klinikseel- sorger engagiert sind.

Die wohl wichtigsten Impulse gehen aber von den beiden Forschungsin- stituten für Bioethik in Hastings on Hudson (Direktor: Daniel Callahan Ph. D.) und Washington (komm. Di- rektor: P. Richard McCormick S. T.

D., S. J.) aus. Das Hastings Center wie das Kennedy-Center in Wa- shington vereinigen einen beträcht- lichen Stab von Wissenschaftlern aus den verschiedensten Disziplinen

— Theologie, Medizin, Soziologie, Psychologie, Jura, Philosophie —, die neben der Forschungs- und Lehrtätigkeit auch eine intensive Fortbildungstätigkeit unter Ärzten, Schwestern und anderen Gesund- heits- und Sozialberufen leisten.

Über Stipendien und Fellowships besteht die Möglichkeit zu kurz- und längerfristigen Forschungsaufent- halten an diesen Instituten oder an medizinisch-ethischen Lehrpro- grammen anderer Universitäten, wie z. B. am Harvard Interfaculty Pro- gram in Boston, das finanziell we- sentlich von der Kennedy-Founda- tion mitgetragen wird.

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Medizinische Ethik

Von den genannten Instituten wer- den jährlich beziehungsweise zwei- jährlich umfangreiche Bibliogra- phien zur medizinischen Ethik her- ausgegeben. Am Kennedy-Institut besteht zusätzlich die Möglichkeit, über die „bioethics-line" computer- gespeicherte Spezialliteratur zu ein- zelnen Themen abzufragen. Mit der vierbändigen „Encyclopedia of Bio- ethics" (1978), hrsg. von Warren T.

Reich vom Kennedy-Institut, besteht nun auch das erste wirklich umfas- sende Standardwerk zur Bioethik, das die Geschichte der medizini- schen Ethik ebenso behandelt wie die standesethischen Verpflichtun- gen und die zahlreichen zeitgenös- sischen Einzelprobleme des Fach- gebietes von „abortion" bis „zygote banking".

Hinter der Bedeutung dieser Institu- te treten die etwa zwölf weiteren Zentren für biomedizinische Ethik auf dem nordamerikanischen Konti- nent etwas zurück, doch seien eini- ge von ihnen wenigstens kurz er- wähnt: In San Francisco steht die Medizinische Ethik unter der Lei- tung von Prof. Al. Jonsen, in Los Angeles unter der von Prof. Bernard Towers. Das „Pope John XXIII Cen- ter" in St. Louis wird von Pater Dr.

Albert Moraczewski geleitet, am Me- dical College der University of Virgi- nia in Charlottesville lehrt Dr. J. Flet- cher und am University of Illinois Medical Center in Chicago Dr. Ken- neth Vaux,

Die medizinische Ethik in England ist — anders als in Amerika — mehr aus der Praxis heraus gewachsen und an ihr orientiert geblieben. Die

„London Medical Group" ist eine unabhängige Gruppe von Studen- ten, die sich besonders den Grenz- fragen zwischen der Medizin und anderen Disziplinen widmet. Ein multidisziplinär bestelltes „Consul- tative Council" koordiniert das Lehr- angebot, das an zwölf Londoner Universitätskliniken angeboten wird.

Neben den medizinisch-ethischen Fragen im engeren Sinne werden aber auch folgende Themen mitan- geschnitten: „Ärzte, Häftlinge und der Staat", „Legalisierung von Ha- schisch?", „Intelligenz und Gene-

tik", „Die Alten — Bettenblocker?",

„Sind Hospitäler nicht zu wichtig, als daß man sie den Architekten überlassen dürfte?" usw. 1972 grün- deten ehemalige Mitglieder der

„London Medical Group" die schon genannte „Society for the Study of Medical Ethics", deren Präsident Lord Amulree ist. Ähnliche „Medical Groups" haben sich in den 60er und 70er Jahren auch in einer Reihe an- derer Universitätsstädte gebildet, u. a. in Edinburgh, Sheffield, Glas- gow, Manchester, Liverpool, Cam- bridge und Bristol.

In Holland gibt es mit dem durch seine Bücher auch in Deutschland bekannt gewordenen Theologen Paul Sporken ebenfalls bereits eine feste Etablierung der ärztlichen Ethik im Ausbildungsgang der Stu- denten. Sporken lehrt an der medizi- nischen Fakultät der Universität Maastricht.

Medizinische Ethik in Deutschland

Auch wenn das Interesse an der Behandlung medizinisch-ethischer Fragen in Deutschland in den ver- gangenen Jahren deutlich gewach- sen ist, so hat dieses Fach doch noch keine allgemeine Anerken- nung gefunden. Die meisten Impulse innerhalb der Medizin kommen zur Zeit noch von einigen Lehrstuhlin- habern für das Fach „Geschichte der Medizin", so besonders von H.

Schipperges in Heidelberg und E.

Seidler in Freiburg. Von den klini- schen Universitätslehrern ist zwar eine größere Zahl mit eigenen Re- flektionen zu medizinisch-ethischen oder anthropologischen Fragen her- vorgetreten (R. Kautzky, F. Hart- mann, R. Gross, J. Zander — um nur einige zu nennen), doch existieren nur an weniger als 50 Prozent der deutschen medizinischen Fakultä- ten — freilich sehr unterschiedliche — Lehrangebote zu den ethischen Fra- gen der Medizin (9). Forschungsar- beit wird nur an einigen wenigen Universitäten auf diesem Gebiet ge- leistet.

Zahlreiche Probleme der medizini- schen Ethik werden heute auch von

Moraltheologen und Dogmatikern in den theologischen Fakultäten mit- bearbeitet und zum Teil auch in der Lehre behandelt. Auf katholischer Seite sind hier die Professoren Auer, Böckle, Gründel, Kerber, Rahner und Ziegler zu nennen, auf evangeli- scher Seite die Professoren Altner, Honecker, Hübner, Ritschl, Rössler und Thielicke.

Wichtige Initativen zur Bewußtma- chung der ethischen Dimension des industrialisierten Medizinbetriebes gingen in den vergangenen Jahren auch vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission in Tübingen aus, das eng mit der Christian Medical Commission beim Weltkirchenrat zusammenarbeitet. Schon in frühe- ren Konsultationen hatte dieses In- stitut den „Auftrag zu heilen" und das Thema „Gesundheit und Heil"

ausgiebig behandelt. Dabei geht es nicht so sehr um die Behandlung einzelner ethischer Fragen als viel- mehr um eine umfassende Kritik am medizinischen System aus theologi- scher Perspektive (10).

Seit zwei Jahren besteht außerdem im Raum der Evangelischen Kirche eine von W. Becher ins Leben geru- fene Arbeitsgemeinschaft für medi- zinische Ethik, in der die Studienlei- ter der Evangelischen Akademien in Deutschland mit Universitätstheolo- gen und Ärzten über medizinisch- ethische Probleme nachdenken (11).

Die einzige deutschsprachige Zeit- schrift, die sich seit über 20 Jahren intensiv mit Fragen der medizini- schen Ethik beschäftigt, ist die von G. Roth betreute Zeitschrift „Arzt und Christ". Themenhefte zu den ethischen Fragen der Medizin sind aber u. a. auch erschienen in den Zeitschriften „Wege zum Men- schen", „Theologische Quartal- schrift" und „Diakonie". Ausführ- lichere Behandlung finden ethische Fragen auch im „DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATT", „Medizinische Klinik",

„Medizinische Welt", „Zeitschrift für Evangelische Ethik" und „Stimmen der Zeit".

Trotz des steigenden Interesses für medizinisch-ethische Fragestellun-

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Soziale Verpflichtung zur Prävention und Rehabilitation

Eugen Wannenwetsch

Prävention und Rehabilitation — neben der Rentenzahlung — wichtig- ste Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung — können die in sie gestellten Erwartungen nur erfüllen, wenn alle am Geschehen Betei- ligten (Staat, Versicherung, Bäderwesen, Ärzte und Patienten) ihrer sozialen Verpflichtung tatsächlich nachkommen. Auch wenn manche Wünsche offenbleiben, so zeigen doch Neuerungen, wie die Anschlußheilbehandlung und die Installierung von Nachsorgegrup- pen (Koronarclubs usw.) hoffnungsvolle Ansätze einer positiven Wei- terentwicklung.

Prävention und Rehabilitation, seit Jahrtausenden fester Bestandteil ärztlicher Behandlung, waren in den vergangenen Jahrhunderten etwas in Vergessenheit geraten. Dabei wurde Prävention bereits im alten China praktiziert. Dort bekam näm- lich der Hausarzt ein um so höheres Honorar, je weniger Krankheitsfälle in den von ihm betreuten Familien vorkamen. Er war also durch diese kluge Regelung gezwungen, echte und wirksame Prävention zu betrei- ben. Den Begriff der Rehabilitation, für den es übrigens bis heute keinen gleichwertigen deutschen Ausdruck gibt, hat der badische Staatsrechtler Ritter von Buss erst 1836 in den deutschen Sprachgebrauch einge- führt. Er kreierte eine so exakte De- finition, daß diese noch heute unver- ändert gültig ist. Aber es hat gut hundert Jahre gedauert, bis die

„große Rentenreform" von 1957 die- se Begriffe populär machte. Aller- dings ist der breiten Bevölkerung der eigentliche, tiefere Sinn dieser Institutionen bis heute noch nicht klar geworden, wie wir auch leider bei manchen Ärzten vergeblich nach Wissen und Verständnis um sie su- chen. Mit Schuld daran ist die Tatsa- che, daß der angehende und der junge Arzt der vergangenen zwei Dekaden weder in Vorlesung noch im Fortbildungskurs darüber etwas zu hören bekam.

Heute hat jeder namhafte Sozialme- diziner seine eigene Definition der Rehabilitation. Die derzeit gültige offizielle Version der Weltgesund- heitsorganisation (WHO) lautet:

„Aufgabe der Rehabilitation ist es, Menschen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind und die ihre Behinderung oder deren Folgen nicht selbst überwinden können, und Menschen, denen eine Behin- derung droht, zu helfen, ihre Fähig- keiten und Kräfte zu entfalten, um einen entsprechenden Platz in der Gemeinschaft zu finden. Dazu ge- hört vor allem auch die Teilnahme am Arbeitsleben."

Der volkswirtschaftliche Aspekt der Rehabilitation ist für alle von großer Bedeutung. Es ist wirtschaftlich ver- nünftiger — und zwar ebenso für den Betroffenen wie für den Staat —, wenn sich die Behinderten und de- ren Familie selbst unterhalten kön- nen, als wenn die Allgemeinheit ali- mentieren muß. Die ärztliche Ausbil- dung beschränkt sich fast aus- schließlich auf die Behandlung aku- ter und chronischer Krankheiten, vorbeugende Maßnahmen werden kaum gelehrt. Hier hat sich bis zum heutigen Tage nur wenig geändert — lediglich die noch immer recht stief- mütterlich behandelte Sozialmedi- zin berücksichtigt diese Problematik in angemessener Form.

gen steht eine Integration solcher Lehrveranstaltungen in die ärztliche Ausbildung noch aus. Das Bewußt- sein der Wichtigkeit dieses Gebietes wächst jedoch. So liegen inzwi- schen von allen Parteien Äußerun- gen vor, die ein Lehrangebot in me- dizinischer Ethik begrüßen würden oder gar fordern. Erst vor kurzer Zeit setzte sich Dr. Norbert Blüm in sei- nem Problempapier „Mehr Humani- tät im Krankenhaus" in diesem Sin- ne ein (12).

Zielvorstellungen als Ordnungsfaktor

Ethische Fragen — obwohl schwer- lich ausdiskutierbar — sind keine un- nützen Fragen. In einer Zeit immer perfekterer Mittel und immer ver- worrenerer Ziele kommt der Frage nach den eigentlich motivierenden Zielvorstellungen ärztlichen Han- delns die Bedeutung eines Ord- nungsfaktors zu. Als gesamtgesell- schaftliches Unternehmen ist die Rückfrage nach neuen Handlungs- orientierungen immer Ausdruck ei- ner allgemeinen Verunsicherung, ei- ner Konfusion über bisher unbef ragt gültige Normen, die plötzlich nicht mehr auszureichen scheinen.

Die Etablierung neuer Handlungs- prinzipien macht eine umfassende Reflektion der normativen Grundla- gen gesellschaftlichen Handelns notwendig. Dies setzt die Bereit- schaft voraus, an der ethischen Pro- blematik partizipieren zu wollen und zu können. Dieser Bereitschaft, sich affizieren zu lassen, und die Fähig- keit zur intellektuellen Bewältigung sind die einzigen Voraussetzungen zum Einstieg in die Ethik, die eben nicht ein „Fach" ist wie jedes ande- re, sondern offen für jeden, der für die Probleme sensibilisiert ist sowie Alternativsichten entwerfen und de- ren Realisierung „vordenken" kann (13).

Literatur im Sonderdruck

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Helmut Piechowiak Eduard-Schmid-Straße 29 8000 München 90

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