A 58 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 3|
18. Januar 2013DEUTSCHE STIFTUNG ORGANTRANSPLANTATION
Im Schicksalsjahr
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation soll neu strukturiert werden: mehr staatliche Kontrolle, ohne die Selbstverwaltung aufzugeben. Ein Balanceakt für den Interimsvorstand Rainer Hess.
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as neue Jahr begann für Rai- ner Hess mit unerwarteten Turbulenzen. Der ehemalige, lang- jährige Vorsitzende des Gemeinsa- men Bundesausschusses (G-BA) ist seit dem 1. Januar Interimsvorstand der Deutschen Stiftung Organtrans- plantation (DSO). Am selben Tag berichteten die Medien über soeben bekanntgewordene Vorgän- ge am Universitätsklini- kum Leipzig, wonach bei zahlreichen Patienten auf der Warteliste für eine Le- ber falsche Angaben zum Gesundheitsstatus gemacht worden seien. Durch diese Manipulationen sollten die Patienten auf der Warteliste nach vorn rücken. Gemel- det hatte dies die bei der Bundesärztekammer ange- siedelte Prüfungs- und Überwachungskommission.Die Organspendeskan- dale haben offenbar kon- krete Auswirkungen auf das Spendeverhalten der Bundesbürger. Nach Anga-
ben der DSO sank die Zahl der Spenden im vergangenen Jahr dra- matisch um 12,8 Prozent und er- reichte damit den niedrigsten Stand seit 2002. Laut DSO spendeten 1 046 Menschen in Deutschland 2012 nach ihrem Tod Organe. 2011 waren es noch 1 200. Rainer Hess soll nun Antworten auf die Frage geben, wie sich dem entgegenwir- ken lässt. „Ich habe mich darauf eingestellt, dass mich in meinem neuen Amt bei der DSO auch Alt- lasten erwarten“, sagte Hess dem Deutschen Ärzteblatt. Wenngleich die DSO für den Bereich, in dem die Richtlinienverstöße festgestellt wurden, nicht zuständig ist, steht sie dennoch in der Kritik: Es fehle an Strategien, die Organspende zu
verbessern, der Führungsstil demo- tiviere Mitarbeiter, es mangele an Transparenz und effektiver Kon- trolle, auch über den Umgang mit den Geldern der Krankenversicher- ten, aus denen sich die DSO finan- ziert. Der kaufmännische Vorstand war im April 2012 zurückgetreten, die Stelle des medizinischen Vor-
stands wird Ende Januar vakant.
Die DSO, gegründet 1984, ist eine gemeinnützi- ge Stiftung bür gerlichen Rechts. Ihre Aufgaben re- gelt ein Vertrag mit der Bundes ärztekammer, dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Kranken- hausgesellschaft. Die Auf- traggeber sind im Stiftungs - rat vertreten, außerdem die Deutsche Transplantations- gesellschaft. Oppositions-
parteien im Deutschen Bundestag fordern seit längerem, die Aufga- ben der DSO komplett in staatliche Hand zu legen. Die Regierungs - koalition hat sich gegen diese For - derung entschieden: Die DSO soll zwar neu strukturiert werden, das Prinzip der Selbstverwaltung im Rahmen einer Stiftung aber soll erhalten bleiben – allerdings mit einem stärker öffentlich-rechtli- chen Charakter.
So sollen Bund und Länder künf- tig nicht mehr nur als ständige Gäs- te, sondern als ordentliche Mitglie- der im Stiftungsrat vertreten sein.
Außerdem ist seit kurzem auch ein Patientenvertreter im Stiftungsrat.
Der Stiftungsrat bestellt den Vor- stand und überwacht dessen Tätig-
keit. „Eine meiner Aufgaben ist es, Änderungen der Satzung vorzube- reiten, so dass Repräsentanten von Bund und Ländern als stimmbe- rechtigte Mitglieder vertreten sind“, sagte Hess. Die Satzungsänderung müsse mit dem Stifter, dem Kurato- rium für Heimdialyse, und mit der Stiftungsaufsicht abgestimmt wer- den. „Die Frage, wie die Mitspra- che der Bundes- und Ländervertre- tungen im Verhältnis zu den übri- gen Stiftungsratsmitgliedern dann genau gewichtet wird, müssen wir ebenfalls noch klären.“
Weil mit der Novellierung des Transplantationsgesetzes die Or- ganspende gefördert werden und der DSO dabei eine stärkere Rolle zukommen soll, scheint eine Re- form der Organisation umso dring- licher. So wird die gesetzlich be- schlossene Einführung der Trans- plantationsbeauftragten an den Kli- niken nur dann das Ziel erreichen, das Potenzial der Organspender besser auszuschöpfen, wenn die Unterstützung durch die DSO- Koordinatoren in den sieben DSO- Regionen vor Ort gut funktioniert.
Für die DSO könnte 2013 ein Schicksalsjahr werden. Rainer Hess sei geradezu ein Glücksgriff, um der Institution eine Perspektive zu geben, meinen Insider. Mehr als
30 Jahre hatte der promovierte Jurist im Dienst der Kassenärzte gestanden, bis er im Januar 2004 unparteiischer Vorsitzender des G-BA wurde. Ende Juni vergange- nen Jahres hat er dieses Amt nieder- gelegt. Hess gilt als ein engagierter Vermittler zwischen gegenläufigen Interessen im Gesundheitswesen, als einer, der in der gemeinsamen Selbstverwaltung die Chance sieht, auch für unangenehme Entschei- dungen Akzeptanz zu erzielen.
Konkrete Konzepte für Struktur- veränderungen der DSO will Hess nun auch gemeinsam mit dem neu- en kaufmännischen Vorstand, dem Medizinökonomen Thomas Biet,
entwickeln.
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Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
„ Ich habe mich darauf eingestellt, dass mich in meinem neuen Amt bei der DSO auch Altlasten erwarten. “
Rainer Hess, DSOFoto: Jürgen Gebhardt