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Archiv "Transplantationsmedizin: Chance des heilsamen Schocks" (26.10.2012)

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A 2116 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 43

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26. Oktober 2012

KOMMENTAR

Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze, Medizinjournalistin

E

rst Göttingen und Regensburg, dann München. Die Zahl der Lebertransplantationen, bei denen der Verdacht besteht, dass Daten oder An- gaben zu Patienten, die auf ein Organ warten, bewusst manipuliert worden sein könnten, um einen Vorteil bei der Organverteilung zu erzielen, hat sich seit den ersten Veröffentlichungen im Juli stetig erhöht. Dabei haben die kürzlich beschlossenen flächendecken- den Prüfungen aller 47 Transplanta - tionszentren erst begonnen.

Nach den Verdachtsfällen am Klini- kum rechts der Isar jedenfalls haben sich die Forderungen danach, was sich ändern muss bei der Organtransplanta- tion, deutlich verschärft: Schwere, ab- sichtliche Regelverstöße sollen berufs- und strafrechtliche Konsequenzen ha- ben. Einige Politiker haben vorgeschla- gen, je nach den Ergebnissen der noch laufenden Ermittlungen das erst kürz- lich novellierte Transplantationsgesetz noch einmal zu ändern.

Bewusste Fehlinformationen oder Datenmanipulation bei Organtransplan- tationen beschädigen nicht nur das An- sehen der Medizin nach außen und be- nachteiligen Patienten. Sie erodieren auch die innere Kultur dieses Fachge- biets. Deshalb verbindet sich mit der Tatsache, dass nun mehr von internen Problemen in die Öffentlichkeit gelangt ist als in den Jahren zuvor, eine große Hoffnung: Der Nutzen der Veränderun- gen, die durch den Schock angestoßen werden, möge den Schaden des – vorübergehenden – Ansehensverlusts überwiegen.

In der aktuellen Diskussion wird häufig darauf verwiesen, dass Ärzte sich in einem kaum zu bewältigenden Spagat zwischen ärztlichem Auftrag und Ressourcenrationierung durch den großen Mangel an Organen sehen. So schreibt auch ein Leser des Deutschen

Ärzteblatts, es sei leider nicht die Fra- ge, ob ein Patient auf der Warteliste sterbe, sondern wer (DÄ, Heft 41/2012).

Tatsächlich hängt die Sterblichkeit auf der Warteliste wesentlich von der Anzahl der verfügbaren Organe ab.

Aber nicht nur. Mit den Richtlinien zur Verteilung der Organe wird im Sinne ei- ner optimalen Nutzung der Organe (Er- folgsaussicht und Dringlichkeit) auch die Senkung der Mortalität auf der Warteliste angestrebt. Beispiele dafür sind der 2006 implementierte MELD-

Score (Model of end-stage liver dis - ease) für die Leber und der erst Ende letzten Jahres eingeführte Lungenallo- kations-Score. Die Wartezeit – bislang ein Strohhalm für den Patienten, denn man rückte wenigstens langsam vor – tritt als nicht medizinisches Kriterium zurück. Der „Verzicht“ dient der Sen- kung der Mortalität in der Gruppe. Das lässt sich dem einzelnen Kranken nur vermitteln, wenn es Chancengleichheit gibt. Die Richtlinien selbst müssen im- mer wieder daraufhin geprüft werden, ob Wartelistensterblichkeit und Trans- plantationsüberleben im angemesse- nen Verhältnis zueinander stehen.

Es gibt derzeit viele Vorschläge für Kursänderungen in der Transplanta - tionsmedizin, zum Beispiel, die Zahl der Zentren zu verringern: Die für Trans- plantationen notwendige, kosteninten- sive Infrastruktur zu rechtfertigen, setzt Kliniken stark unter Druck und erhöht die Konkurrenz um die knappen Orga- ne. Ein weiterer Vorschlag ist, Trans- plantationen nicht mehr über Fallpau- schalen zu finanzieren, weil dies Fehl- anreize setzen kann, sondern die Fi- nanzierung vom Einzelfall zu entkop- peln. Schließlich wurde in jüngster Ver- gangenheit stärker hinterfragt, ob Ärzte Ärzte wirksam kontrollieren können.

Zum Sachverstand der medizinischen Experten aber bei der Prüfung auf

richtlinienkonformes Verhalten gibt es keine Alternative. In den Prüfungs - kommissionen arbeiten deshalb unab- hängige Ärzte mit, um Interessen- und Loyalitätskonflikte zu vermeiden.

Seit längerem wird ein flächende- ckendes Transplantationsregister ange- mahnt: Es soll Ergebnisse der einzel- nen Zentren transparent machen und ermöglichen, Spender- und Empfänger- risiken realistisch abschätzen und Richtlinien auf der Basis nationaler Da- ten anpassen zu können. Man muss

dazu das Rad nicht komplett neu erfin- den und hohen finanziellen Aufwand treiben. Andere Länder wie die USA ha- ben es vorgemacht. Dort haben Ärzte und Patienten über das Internet Zu- gang zu solchen Daten. Ein Register würde auch den positiven Anreiz set- zen, die Langzeitergebnisse durch gute Nachsorge zu optimieren und Retrans- plantationen zu vermeiden.

Die gegenwärtige Krise verunsichere Ärzte, zum Beispiel bei der Frage, wel- che Entscheidungsspielräume sie bei der Indikationsstellung zur Organtrans- plantation hätten, berichtete Prof. Dr.

med. Hartmut Schmidt, Direktor der Klinik für Transplantationsmedizin an der Universität Münster, dem Deut- schen Ärzteblatt. Dies lähme im Alltag.

„Wie immer nun die Verdachtsfälle ge- klärt werden – für uns bleibt die Aufga- be, die aktuelle Krise langfristig für eine bessere Gestaltung der Transplanta - tionsmedizin zu nutzen“, hofft Schmidt.

„Das ist unsere Perspektive.“

Der Bayerische Ärztetag hat vor kur- zem an Krankenkassen und andere für die Aufklärung der Bevölkerung zustän- dige Institutionen appelliert, die im No- vember in Kraft tretende gesetzliche Entscheidungslösung umzusetzen und Menschen über Organspende zu infor- mieren. Genau das muss geschehen, damit der Schock heilsam werden kann.

TRANSPLANTATIONSMEDIZIN

Chance des heilsamen Schocks

P O L I T I K

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