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Archiv "Entschliessungen zum Tagesordnungspunkt II: Prävention" (09.06.2014)

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A 1088 Deutsches Ärzteblatt

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9. Juni 2014 renordnung für Ärzte (GOÄ). Wechselnde Bundesre-

gierungen haben eine Einigung zur Vorbedingung für die Aufnahme eines entsprechenden Gesetz - gebungs- bzw. Verordnungsverfahrens erklärt. Die amtliche Gebührenordnung legt Höchstsätze fest, um Patienten vor finanzieller Überforderung zu schützen und bestimmt Mindestsätze, um die not- wendigen Voraussetzungen einer qualitätsgesicher- ten Patientenversorgung zu gewährleisten. Die letz- te Gesamtrevision des Regelwerks fand im Jahr 1982 statt. Die Novellierung ist dringend notwendig, um die GOÄ auf den aktuellen Stand der Wissen- schaft zu bringen.

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 appelliert an die Bundesregierung, nun ihren Teil der Vereinba- rung zu erfüllen und für eine zügige rechtliche Um- setzung der GOÄ zu sorgen. Es muss ein Inflations- ausgleich für die Vergangenheit geschaffen werden.

Für die Zukunft ist ein regelmäßiger automatischer Inflationsausgleich durch die Einfügung einer Index- klausel vorzusehen. Seit 1996 beträgt die Inflation in Deutschland knapp 30 Prozent der Punktwert der GOÄ ist hingegen gleich geblieben.

Für ein Europa der individuellen Gesundheits- systeme

Die Ärzteschaft beobachtet mit großer Sorge Be- strebungen auf europäischer Ebene, medizinische Verfahren mit Hilfe privatwirtschaftlicher Normungs-

institute europaweit zu vereinheitlichen. Damit wird das vertraglich vereinbarte Recht der Mitgliedstaa- ten verletzt, die Organisation ihres Gesundheitswe- sens und die Patientenversorgung eigenverantwort- lich zu regeln. Ein solcher Eingriff konterkariert darüber hinaus das bewährte System einer fachlich fundierten und demokratisch gewählten ärztlichen Selbstverwaltung und bedroht die qualitativ hoch- wertige Patientenversorgung in Deutschland.

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 plädiert für ein Europa der individuellen Gesundheitssysteme und fordert die Bundesregierung auf, sich auf euro- päischer Ebene energisch für den Subsidiaritätsge- danken einzusetzen. Die Europäische Kommission muss die Souveränität der Mitgliedstaaten im Ge- sundheitsbereich respektieren und jede unzulässige Einmischung unterlassen.

Die Europäische Union muss sich stärker bemü- hen, Bürokratie abzubauen und gute Rechtsetzung da zu gewährleisten, wo Europa tatsächlich als Gan- zes gefordert ist. Insbesondere müssen die poli - tischen Prozesse und Entscheidungen der EU zur Gesundheit für die Beteiligten wie die Betroffenen transparenter und verständlicher gestaltet werden.

Eine Normierung der Gesundheitsversorgung über Dienstleistungsrichtlinien der EU und Normungsak- tivitäten des europäischen Normungsinstituts CEN auf ein einheitliches Minimalniveau kann und darf nicht stattfinden.

Prävention – integraler Bestand- teil ärztlicher Tätigkeit

Prävention als integraler Bestandteil ärztlicher Tätigkeit

Ärztliche Gesundheitsberatung, das frühzeitige Er- kennen von Risikofaktoren für die gesundheitliche Entwicklung sowie die Früherkennung von Krankhei- ten gehören zu allen ärztlichen Fachdisziplinen mit Patientenkontakt. Prävention ist somit keine eigene medizinische Disziplin, sondern ein integraler Be- standteil ärztlicher Tätigkeit. Bei einer steigenden Le- benserwartung der Bevölkerung besitzt Prävention das Potenzial, frühe Sterblichkeit zu verringern und die Lebensqualität bis ins hohe Alter zu verbessern.

In Anbetracht der heute vorherrschenden chro- nischen Erkrankungen, denen in der Regel eine multifaktorielle Genese zugrunde liegt, fällt der frühzeitigen Beratung über gesundheitliche Risi- ken sowie der Identifizierung und Aktivierung von Ressourcen durch den Arzt eine zunehmende Be- deutung zu.

Je früher im Verlauf des Lebens präventive Maßnahmen einsetzen, umso größer sind die Chancen, nachhaltige Wirksamkeit zu zeigen. Die Beratung und Betreuung angehender Mütter, die Bereitstellung früher Hilfen für Eltern und Neuge- borene sowie die Gesundheitsförderung bei Kin- dern und Jugendlichen sind deshalb von besonde- rer Bedeutung.

Dabei bedarf die Beratung und Motivierung zur Verhaltensänderung immer auch geeigneter Rah- menbedingungen und gesellschaftlicher Ressour- cen, durch die Änderungen ermöglicht und stabili- siert werden können.

Die besondere Bedeutung von Ärztinnen und Ärzten in der Prävention

Ärztinnen und Ärzte nehmen in der Gesundheitsför- derung und Prävention eine zentrale Position ein:

Durch einen kontinuierlichen Patientenkontakt kön- nen sie gesundheitliche Belastungen früh erkennen, Patienten frühzeitig auf diese ansprechen und sie motivieren, ihre Lebensweise zu verändern und

Ressourcen für eine Verbesserung ihrer Lebensbe- dingungen zu aktivieren.

Ärztinnen und Ärzte werden von Patienten als Ge- sundheitsexperten aufgesucht und anerkannt. Eine ärztliche Präventionsberatung ist nachhaltig wirksam.

Hierfür liegen vielfältige wissenschaftliche Belege vor, zum Beispiel zur Raucherberatung, zur Bewegungsbe- ratung, zur Verhütung von Unfällen sowie zur Reduktion des Suchtmittelkonsums. Zudem sind die Erfolge ärztli- cher Impfberatung und Impfprophylaxe unbestritten.

Zur Darstellung des aktuellen Forschungsstan- des zur Wirksamkeit bestehender Präventionspro- gramme und zur Relevanz biologischer, psychischer und sozialer Einflussfaktoren auf die Entstehung exemplarisch dargestellter chronischer Erkrankun- gen hat die Bundesärztekammer (BÄK) im Oktober 2013 ein Symposium durchgeführt, dessen Ergeb- nisse in dem vorliegenden Band „Prävention: Wirk- samkeit und Stellenwert“ der Reihe Report Versor- gungsforschung zusammengetragen wurden.

Gesundheitliche Belastungen und Lebenserwar- tung korrelieren in hohem Maße mit der sozialen Schichtzugehörigkeit. Der Vorteil von Ärztinnen und Ärzten liegt darin, dass sie alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen erreichen und somit auch über einen besonders guten Zugang zu gesundheitlich beson- ders belasteten Bevölkerungsgruppen verfügen.

Dies trifft auch für Betriebsärztinnen und Be- triebsärzte zu, die in der Arbeitswelt auch diejenigen Menschen erreichen können, die aus eigener Initia- tive sonst keine präventiven und gesundheitsförder- lichen Maßnahmen in Anspruch nehmen. Sie haben als ärztliche Berater von Beschäftigten und Unter- nehmen eine Schlüsselstellung in allen Fragen von Arbeit und Gesundheit und nehmen im Unterneh- men eine wichtige Lotsenfunktion zwischen präven- tiver und kurativer Medizin wahr.

Bestehende Hindernisse sind zu überwinden Daraus folgt, dass der Prävention neben Diagnostik und Therapie im ärztlichen Handeln ein größerer Stellenwert eingeräumt werden muss. Bislang be- stehen hierfür jedoch vielfältige Hindernisse:

Ärztinnen und Ärzten fehlt es bislang

am gesetzlichen Auftrag zur Durchführung einer primärpräventiven Beurteilung und Be- ratung. Die bestehenden Früherkennungsun- tersuchungen sind bislang vor allem auf eine frühe Erkennung von Krankheiten, nicht aber von gesundheitlichen Risiken, Belastungen und Ressourcen ausgerichtet. Bislang liegt Primärprävention auf der Grundlage des § 20 SGB V fast ausschließlich in der Verantwor- tung der Krankenkassen, ärztliche Primärprä- vention beschränkt sich auf die Durchfüh- rung von Schutzimpfungen nach § 20 d;

an ausreichender Zeit für eine eingehende präventive Beratung. Für diese sieht der Ein- heitliche Bewertungsmaßstab (EBM) bislang keine eigene Abrechnungsziffer vor;

ENTSCHLIESSUNGEN ZUM TAGESORDNUNGSPUNKT II

Prävention

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an erforderlichen Zuständigkeiten, um eine präventive Beratung, Motivierung und Akti- vierung von Ressourcen ökonomisch und pa- tientengerecht zu gestalten;

an geeigneten Strukturen, Instrumenten und Vernetzungen mit anderen Einrichtun- gen auch außerhalb des Gesundheitswe- sens, um Prävention auch im Alltag der vertragsärztlichen Praxis leichter zu er- möglichen.

Deshalb fordert der 117. Deutsche Ärztetag 2014:

Eine Stärkung ärztlicher Zuständigkeiten zur Erkennung von Risikofaktoren und Ressour- cen, zur Gesundheitsberatung und motivie- renden Gesprächsführung sowie der Vernet- zung mit anderen präventionsrelevanten An- geboten und Einrichtungen.

Zur Stärkung entsprechender Kompetenzen soll die bestehende strukturierte curriculare Fortbildung „Gesundheitsförderung und Prä- vention“ der Bundesärztekammer möglichst flächendeckend angeboten werden.

Zudem soll Prävention in der Ärztlichen Ap- probationsordnung (ÄAppO) und in der Wei- terbildungsordnung weiter konkretisiert und in den entsprechenden Prüfungen stärker berücksichtigt werden.

Es sind Instrumente für die Praxis zu imple- mentieren, die Ärztinnen und Ärzten die Er- fassung gesundheitlicher Risiken und die Erschließung von Ressourcen zur Stärkung der Gesundheit und Bewältigung von Belas- tungen erleichtern. Hierzu stehen bereits verschiedene Management-Tools zur Ver - fügung, die sich auch in die Praxissoftware integrieren lassen. Dazu gehören die Erfas- sung des Ernährungs- und Bewegungssta- tus, des Suchtmittelkonsums, psychischer und sozialer Belastungsfaktoren, die Erfas- sung der subjektiven Risikobewertung und Änderungsmotivation aufseiten des Patien- ten sowie strukturierte Informationen über qualifizierte Beratungs- oder Kursangebote und frühe Hilfen. Auf dieser Basis lassen sich mit dem Patienten präventionsbezoge- ne Zielvereinbarungen treffen. Das bereits in vielen Ärztekammern etablierte Rezept für Bewegung kann in diesem Kontext genutzt werden.

Darüber hinaus sind Vergütungsstrukturen über die Versorgungssektoren hinweg zu schaffen, die die Durchführung der Primär- prävention und die Vernetzung mit anderen Angeboten und Einrichtungen angemessen fördern.

Den Medizinischen Fachangestellten (MFA) muss die Möglichkeit gegeben werden, sich in der Prävention zu qualifizieren und vom Arzt delegierte Aufgaben zu übernehmen.

Dies muss in der ärztlichen Vergütung be- rücksichtigt werden.

Die Qualitätssicherung und begleitende Eva- luation von Präventionsmaßnahmen sowie die Präventionsforschung müssen ausgebaut werden.

Zudem sollen wissenschaftlich begründete, evidenzbasierte Präventionsprogramme für besonders belastete Patienten mit definierten Risiken entwickelt und angeboten werden, um diese intensiver begleiten, beraten und schulen zu können.

Durch die aufgeführten Rahmenbedingungen und Maßnahmen kann der Arzt zu einem Präventi- onslotsen für seine Patienten werden.

Prinzipien guter Prävention und Gesund- heitsförderung

Gesundheit als soziale Ressource

Gesundheit beeinflusst die Möglichkeiten eines Menschen zur gesellschaftlichen Teilhabe. Um die Gesundheit und die Lebensqualität aller Mitglieder der Gesellschaft zu verbessern, sind Prävention und Gesundheitsförderung unverzichtbar. Gesundheit ist damit nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftliches Potenzial, das es zu stärken gilt.

Unstrittig ist auch, dass Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung qualitätsgesichert sein sollen, um nachhaltig die erwünschten Veränderun- gen herbeizuführen.

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 unterstützt daher die grundlegenden Prinzipien der Bundesver- einigung Prävention und Gesundheitsförderung e.V.

(BVPG) und empfiehlt ihre Berücksichtigung bei der praktischen Umsetzung von entsprechenden Maß- nahmen.

1. Autonomie und Empowerment

Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsför- derung respektieren die Autonomie jedes Men- schen. Die Maßnahmen sollen deshalb eine infor- mationsbasierte, selbstbestimmte Entscheidung in allen Bereichen fördern, die Einfluss auf die eigene Gesundheit haben. Personen und Gruppen sollen befähigt werden, selbstbestimmt ihr Leben und ihre Gesundheit sowie die Gesundheit anderer zu gestal- ten. Dies setzt unter anderem auch voraus, dass sich die Durchführenden von Maßnahmen der Prä- vention und Gesundheitsförderung gegenüber der Zielgruppe aufrichtig und ehrlich verhalten. Die psy- chischen, physischen und sozialen Ressourcen des Einzelnen müssen gestärkt und durch seine Le- benswelt gefördert, Risiken für Erkrankungen und Unfälle müssen abgebaut werden.

2. Partizipation

Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Ziel- gruppe sollen – soweit dies die Rahmenbedingun- gen zulassen – alle Phasen einer Maßnahme aktiv mitgestalten und mitentscheiden. Dies umfasst die

Bedarfsanalyse, die Planung, die Durchführung und die Bewertung. Partizipation ermöglicht die Ausrich- tung von Maßnahmen am Bedarf der Zielgruppen und erhöht damit die Wirksamkeit der Maßnahmen.

Partizipative Prozesse tragen zum Empowerment der Zielgruppe bei und sind ein Ausdruck des Res- pekts vor deren Autonomie.

3. Lebenswelt- und Lebensstilbezug Die Gesundheit eines Menschen wird maßgeb- lich durch seine soziale Lage, durch seine ökono- mischen, ökologischen Lebensbedingungen, durch individuelle, auch kulturell geprägte Lebensstile sowie durch politische Rahmenbedingungen be- einflusst. Maßnahmen der Prävention und Ge- sundheitsförderung sollen daher in den Lebens- welten der Zielgruppe verankert werden. Sie sollen für die Zielgruppe relevant sein und deren Mög- lichkeiten und Restriktionen, ihren Lebensstil und ihren sozialen und kulturellen Kontext angemessen berücksichtigen. Lebenswelten, die für Maßnah- men der Prävention und Gesundheitsförderung besonders wichtig sind, sind Familien, Kinder - tagesstätten, Bildungseinrichtungen, Betriebe, Vereine, Senioreneinrichtungen sowie Stadtteile. In bestimmten Fällen kann allerdings der Individual- ansatz geeigneter sein, um die Gesundheit einer Person zu fördern.

4. Gesundheitliche Chancengleichheit Alle Menschen haben einen gleichberechtigten Anspruch auf ein gesundes Leben. Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung dürfen keine Person bzw. keine Personengruppe diskriminieren.

Ein besonderes Augenmerk soll jedoch den sozial Benachteiligten gelten. Da mit einer sozialen Be- nachteiligung häufig auch eine gesundheitliche Be- nachteiligung in Form einer gesteigerten Krank- heitslast einhergeht, muss dieser mit besonderer Beachtung entgegengewirkt und es müssen ge- sundheitliche Chancen eröffnet werden.

5. Konzeptbasierung

Für Maßnahmen der Prävention und Gesund- heitsförderung muss ein praktikables Konzept vor- liegen. Dieses Konzept

berücksichtigt aktuelle wissenschaftliche Er- kenntnisse und bereits qualitätsgesicherte Interventionsansätze,

achtet auf eine ausreichende Ressourcen- ausstattung (hierzu zählen unter anderem fi- nanzielle Mittel, eine angemessene Laufzeit sowie die Planung und Umsetzung durch qualifiziertes und informiertes Personal),

beinhaltet eine Bedarfs- und Bestandsanaly- se,

beschreibt das zugrunde gelegte Wirkungs- modell,

setzt „smarte“ Ziele (die Ziele sollen spezi- fisch, messbar, angemessen, realistisch, zeit-

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9. Juni 2014 lich terminiert und ethisch vertretbar/reflek-

tiert/begründet sein),

bestimmt die Zielgruppe/n sowie geeignete Vermittlungswege, dokumentiert den ange- strebten Grad der Zielerreichung und die Art seines Nachweises und

zeigt auf, wie eine Verstetigung der Maßnah- me erfolgen soll.

6. Evaluation

Neu entwickelte Interventionsansätze sollen immer evaluiert werden. Doch auch etablierte In- terventionen sollen durch regelmäßige Prozesse der Qualitätssicherung eine hohe Qualität ihres Handelns gewährleisten. Auf diese Weise wird die Wahrscheinlichkeit, dass eine Maßnahme ihre an- gestrebte Wirksamkeit entfaltet, erhöht werden.

Die Art und der Umfang einer Evaluation sind dabei dem Umfang und der Bedeutung einer Maßnahme, dem jeweiligen Erkenntnisinteresse und den Res- sourcen der durchführenden Organisation anzu- passen. Evaluations- und Forschungsergebnisse zu Maßnahmen der Prävention und Gesundheits- förderung sollen veröffentlicht werden, um auch andere von den eigenen Erfahrungen profitieren zu lassen.

7. Nachhaltigkeit

Maßnahmen der Prävention und Gesundheits - förderung sollen nachhaltig ausgerichtet sein. Mög- liche unbeabsichtigte Wirkungen und negative (Spät-)Folgen – etwa für einzelne Bevölkerungs- gruppen und/oder künftige Generationen – sollen frühzeitig berücksichtigt und gegebenenfalls beho- ben werden. Maßnahmen nachhaltig umzusetzen bedeutet aber auch, möglichst langfristige, über das Ende der Maßnahme hinausreichende Wirkungen zu erzeugen. Dafür sind ein gesicherter finanzieller Rahmen und der Aufbau stabiler Strukturen die Voraussetzung. Nachhaltigkeit in diesem Sinne setzt zudem eine starke Vernetzung aller beteiligten ge- sellschaftlichen Akteurinnen und Akteure unter - einander voraus. Dies schließt die staatlichen Ak- teurinnen und Akteure ein und erfordert eine enge Abstimmung der unterschiedlichen Politikressorts untereinander. Nur auf diese Weise können Syner- gien genutzt und unerwünschte Parallelentwicklun- gen vermieden werden.

Stärkung der ärztlichen Prävention durch ein Präventionsgesetz

Die deutsche Ärzteschaft fordert den Gesetzge- ber auf, mit dem im Koalitionsvertrag geplanten Präventionsgesetz die ärztliche Prävention zu stärken. Denn Ärzte sind für ihre Patienten wich- tige Ansprechpartner nicht nur in Krankheits- sondern auch in Gesundheitsfragen, sie können alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen gut er- reichen und ihre Beratung ist nachhaltig wirk- sam.

Deshalb soll das geplante Präventionsgesetz aus Sicht der Ärzteschaft folgende Elemente enthalten:

Neben der geplanten Stärkung der Präven - tion und Gesundheitsförderung in Lebens- welten muss es eine Stärkung der Verhal - tensprävention durch den Arzt sowie eine bessere Verzahnung verhältnis- und verhal- tenspräventiver Maßnahmen im Sinne eines Policy-Mixes vorsehen.

Die bestehenden Früherkennungsuntersu- chungen für Kinder, Jugendliche und Er- wachsene sollen erweitert und die Erkennung und Bewertung von Risiko- und Belastungs- faktoren sowie eine darauf ausgerichtete ärztliche Beratung zu ihren festen Bestand- teilen werden. Dazu gehört auch eine Infor- mation über frühe Hilfen und eine Vermittlung in entsprechende Unterstützungsangebote.

Hierfür müssen die erforderlichen gesetzli- chen Grundlagen geschaffen werden.

Die bestehenden Untersuchungslücken im Kindes- und Jugendalter – insbesondere zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr sowie nach dem 15. bis zum 18. Lebensjahr – sind zu schließen und die Ergebnisse der Unter - suchungen begleitend zu evaluieren, um sie besser bevölkerungsmedizinisch nutzen und die Untersuchungsinhalte weiterentwickeln zu können.

Die Gesundheitsuntersuchung nach § 25 Abs. 1 SGB V soll als primärpräventive Unter- suchung und zeitlich flexibler ausgestaltet werden.

Das bereits im letzten Entwurf für ein Präven- tionsgesetz enthaltene Konzept für eine Ärzt- liche Präventionsempfehlung soll im geplan- ten Gesetz grundsätzlich wieder aufgenom- men und im Sinne einer freiwilligen Präventi- onsvereinbarung weiterentwickelt werden.

Diese kann auf die ärztliche Beratung zu ge- sundheitlichen Risiken und Ressourcen und der Erfassung der Motivationslage des Pa- tienten aufsetzen und an andere, qualitätsge- sicherte Präventionsangebote weitervermit- teln. Für den Bereich Bewegungsförderung liegen mit dem Rezept für Bewegung bereits entsprechende Erfahrungen vor.

Der mit einer stärker primärpräventiven Aus- richtung der Vorsorgeuntersuchungen ver- bundene Mehraufwand muss auch in einer entsprechenden Vergütung der zusätzlichen Leistungen abgebildet werden.

Die Rolle des Betriebsarztes im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Pri- märprävention und der Prävention arbeitsbe- dingter Gesundheitsgefahren ist zu stärken.

Die Potenziale des öffentlichen Gesundheits- dienstes (ÖGD) in der Prävention sind zu nut- zen und weiter auszubauen. Hierfür sind die erforderlichen Mittel bereit zu stellen.

Einbeziehung von Ärzten bei Präventionsmaßnahmen

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 fordert im Zu- sammenhang mit dem angekündigten Präventions- gesetz die verstärkte Einbeziehung der Ärzte bei der Auswahl der Präventionsmaßnahmen.

Begründung:

Ärztlicher Sachverstand ist bei der Auswahl der Prä- ventionsmaßnahmen unverzichtbar und daher drin- gend einzufordern.

Prävention und öffentliche Daseinsvorsorge

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 begrüßt die An- kündigung der Bundesregierung, in diesem Jahr ein Präventionsgesetz zu verabschieden. Dafür sollen alle Sozialversicherungen einen Beitrag leis- ten. Es zeichnet sich ab, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einer der größten Geldgeber für Präventionsleistungen bleibt.

Als unerlässlich für ein sinnvolles Präventions- gesetz sieht der 117. Deutsche Ärztetag 2014 fol- gende Bestandteile:

Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht auf die Sozialversi- cherungsträger und den Verband der priva- ten Krankenversicherungen e.V. (PKV) be- grenzt werden. Vielmehr sind die staatlichen Akteure auf allen Ebenen verbindlich in die Verantwortung zu nehmen. Es muss verhin- dert werden, dass sich die öffentlichen Haushalte auf kommunaler, Landes- und Bundesebene zulasten der Sozialversiche- rungsträger aus der Finanzierung der Prä- vention zurückziehen.

Die Ausgaben aller Verantwortlichen in der Prävention und Gesundheitsförderung sind offenzulegen und im gleichen Verhältnis weiterzuentwickeln.

Das Präventionsgesetz darf zu keiner Ein- schränkung etablierter Präventionsaktivitä- ten führen, insbesondere sind ärztliche Prä- ventionsleistungen zu stärken.

Bei klaren Verantwortlichkeiten muss es zu einer besseren Koordination, insbesondere bei der lebensweltbezogenen Prävention und Gesundheitsförderung kommen. Flä- chendeckung, Transparenz und Qualitäts- standards sollen gemeinsam hergestellt werden.

Der Aufbau neuer bürokratischer Strukturen ist zu verhindern. Vielmehr sollen etablierte Strukturen genutzt werden, um die gesamt- gesellschaftliche Verankerung der Präventi- on zu sichern.

Begründung:

Prävention und Gesundheitsförderung sind nur zu einem Teil medizinisch zu beeinflussen. In weiten

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9. Juni 2014 A 1091 Bereichen kann der Gesundheitszustand der Be-

völkerung nur verbessert werden, wenn an den Lebensumständen der Betroffenen gearbeitet wird. Insbesondere in den Kommunen werden die Mittel der Kinder – und Jugendhilfe immer weiter zusammengestrichen, Bildungs- und Betreu- ungseinrichtungen unterfinanziert und Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) einge- spart. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens muss der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass bestehende Leistungen der Prävention der öf- fentlichen Hand erhalten beziehungsweise aus- gebaut werden.

Prävention in der Arbeitswelt – Stärkung der gesundheitlichen Vorsorge durch ein

„Gesetz zur Förderung der Prävention“

Die deutsche Ärzteschaft fordert von der Bundes- regierung, dass die jahrelange Diskussion beendet wird und – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – ein Präventionsgesetz noch in dieser Legislaturpe- riode verabschiedet wird.

Die Arbeitsmedizin und die betriebliche Ver- sorgung sollen als zentrale Säule der Gesund- heitsvorsorge in Deutschland erhalten und aus- gebaut werden.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von kurativer und präventiver Medizin wird dabei immer wichtiger.

Dabei kommt der/dem präventiv tätigen Arbeitsmedizinerin/Arbeitsmediziner eine wichtige Lotsenfunktion zu (siehe auch Ent- schließung des 115. Deutschen Ärztetages 2013 in Nürnberg).

Neben der fachlichen Kooperation erfordert eine erfolgreiche Prävention in Deutschland die zielgerichtete institutionelle Zusammen- arbeit mit den Sozialversicherungsträgern, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, Wissenschaft und Praxis sowie sämtlicher an der Prävention beteiligten Gruppierungen unserer Gesellschaft.

Als Grundlage hierfür sind ein Präventions- gesetz und gemeinsame Präventionsziele unverzichtbar.

Krebsfrüherkennungsprogramme über- prüfen

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 begrüßt und un- terstützt ausdrücklich die öffentliche Aufforderung des Präsidenten der Bundesärztekammer, Prof. Dr.

Frank Ulrich Montgomery, bestehende Programme zur Krebsfrüherkennung wissenschaftlich auf ihren Nutzen und ihr Risiko zu überprüfen und zu analy- sieren.

Mammographie-Screening – Befundmitteilung

Die am Mammographie-Screening teilnehmenden programmverantwortlichen Ärztinnen/Ärzte wer-

den aufgefordert, die Mammographie nach dem ärztlichen Standard zu erbringen und den betreu- enden Ärztinnen/Ärzten den vollständigen Befund mitzuteilen.

Begründung:

Den die Frauen betreuenden Ärztinnen und Ärz- ten werden derzeit keine mammographischen Befunde mitgeteilt. Die betreuenden Ärztinnen und Ärzte erhalten lediglich eine Mitteilung darüber, ob die Mammographie auffällig war oder nicht. Die Mitteilung des vollständigen Befunds ist zwingend notwendig, um eine sorgfältige Weiterbetreuung der Patientin zu gewährleis- ten, zumal die Regelungen des Patientenrechts- gesetzes dies erfordern und diese einzuhalten sind.

Schutzimpfungen konsequent fördern

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 fordert Bund und Länder auf, den öffentlichen Gesund- heitsdienst (ÖGD) und geeignete öffentliche Ein- richtungen in die Lage zu versetzen, flächen - deckend die Impfung von Kindern gegen von Mensch zu Mensch übertragbare Krankheiten entsprechend der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission durchzuführen zu können. Ent- sprechende Maßnahmen sind zu fördern und zu bewerben.

Begründung:

Schutzimpfungen gehören zu den wirksamsten Maßnahmen der Prävention gegen Infektions- krankheiten. Eine sich ständig verringernde Durch- impfungsrate führt deshalb zu erheblichen Ge- sundheitsrisiken für die Bevölkerung. Insofern stellt die Pflicht zur Impfung einen Schutz für die- jenigen Kinder dar, die bisher „schutzlos“ dem Kontakt mit nicht geimpften Kindern ausgesetzt sind.

Ausschreibung von Impfstoffen

Die deutsche Ärzteschaft lehnt die Ausschreibun- gen von Impfstoffen ab, da diese zu unverantwort- lichen Lieferschwierigkeiten geführt haben. Damit wird die Primärprävention der Patienten in Deutschland gefährdet und die ohnehin vorhande- ne Impfmüdigkeit zusätzlich begünstigt. Vorgege- bene Impfziele (zum Beispiel Elimination der Ma- sern in Deutschland bis 2015 – Ziel der WHO) können unter diesen Rahmenbedingungen nicht erreicht werden.

Kinder und Jugendliche in Pkw vor Passivrauchen schützen

Der 117. Deutsche Ärztetag 2014 hält es für drin- gend geboten, Kinder und Jugendliche, die in Pkw mitfahren, wirksam vor Passivrauchen zu schüt- zen. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, hierfür wirksame Regelungen zu treffen.

Begründung:

Passivrauchen erhöht nachweislich das Krank- heitsrisiko und führt zu vorzeitiger Sterblichkeit.

Passivrauchen führt insbesondere bei Kindern zu akuten und chronischen Atemwegserkrankungen, verschlimmert ein bereits vorhandenes Asthma und erhöht den Blutdruck sowie das Risiko einer Mittelohrentzündung und bakteriellen Meningitis.

Bei Kleinstkindern stellt Passivrauchen zudem ei- nen Hauptrisikofaktor für einen plötzlichen Kinds- tod dar.

Obwohl viele rauchende Eltern in Innenräumen bereits Rücksicht auf ihre Kinder nehmen, ist nach einer Erhebung des Deutschen Krebsforschungs- zentrums (DKFZ) weiterhin etwa die Hälfte der Kin- der und Jugendlichen aus Raucherhaushalten ge- zwungen, bei Autofahrten passiv mitzurauchen (DKFZ 2013, ITC Project – International Tobacco Control Policy Evaluation Project). In der eng um- grenzten Fahrgastzelle eines Pkw ist die tabak- rauchbedingte Luftpartikelkonzentration gegen- über geschlossenen Innenräumen deutlich erhöht, selbst bei eingeschalteter Lüftung übertreffen die Werte noch die einer durchschnittlich verrauchten Bar.

In vielen Ländern hat der Gesetzgeber hieraus bereits Konsequenzen gezogen: In mehreren US- amerikanischen und australischen Bundesstaaten sowie in verschiedenen kanadischen Provinzen besteht bereits ein Rauchverbot in Fahrzeugen. In verschiedenen europäischen Ländern werden der- zeit vergleichbare Verbote diskutiert (zum Beispiel in Finnland, Italien, Polen, England, Irland und den Niederlanden), in Griechenland und Zypern ist ein solches Verbot bei mitfahrenden Kindern unter zwölf Jahren bereits in Kraft.

Auch in Deutschland stehen dem Gesetzgeber verschiedene Regelungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel über die Nichtraucherschutz-Gesetzge- bung, den Jugendschutz oder die Straßenver- kehrsordnung, zur Verfügung, um den Gesund- heitsschutz von Mitfahrenden in Pkw zu verbes- sern. Darüber hinaus würde ein gesetzliches Ver- bot nicht nur mitfahrende Kinder vor schädlichem Tabakrauch schützen, sondern auch einen allge- meinen Beitrag zu einer erhöhten Verkehrssicher- heit leisten.

Ernährungs- und Gesundheitslehre in Schulen

Prävention und Gesundheitsförderung müssen in den Lebenswelten von Kindern – Kindertagesstät- ten, Schulen – beginnen.

Kinder und Jugendliche sollen im Rahmen des Erwerbs von Lebenskompetenzen in der Schule lernen, im Alltag selbst Verantwortung für den bestmöglichen Erhalt ihrer Gesundheit zu über- nehmen.

Daraus folgt: Ernährungs- und Gesundheitsleh- re in Schulen ist somit zu fördern.

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