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Archiv "Entschliessungen zum Tagesordnungspunkt II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung" (29.05.2009)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 22⏐⏐29. Mai 2009

D O K U M E N T A T I O N Z U M 1 1 2. D E U T S C H E N Ä R Z T E T A G

gen werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern haben einen berechtigten An- spruch auf angemessene Bezahlung. Personalabbau und übermäßige Leistungskonzentration führen da- zu, dass immer weniger immer mehr leisten müs-

sen. )

Kooperation statt Konfrontation

Der Deutsche Ärztetag fordert Rahmenbedingun- gen, in denen Ärztinnen und Ärzten auf der einen Seite und Krankenkassen auf der anderen Seite wieder eine nachhaltige und menschliche Medizin ermöglicht wird. Durch die gescheiterte Gesund- heitspolitik der letzten Jahre ist ein Klima entstan- den, in dem immer mehr die Konfrontation von Ärz- ten und Krankenkassen im Vordergrund steht. Der Missbrauch des Kassenarztrechts durch Kranken- kassen zur Einschüchterung und/oder Disziplinie- rung von Vertragsärzten wird abgelehnt. Freie Mei- nungsäußerung und Information eines jeden Ver- tragsarztes sind Grundrechte und dürfen nicht zu willkürlichen Disziplinarmaßnahmen durch Kran- kenkassen auf dem Boden des Kassenarztrechts

führen. )

Definition von verlässlichen Gesundheitszielen

Der Deutsche Ärztetag setzt sich für eine dauerhafte Sicherstellung einer solidarisch finanzierten Grund- versorgung für alle gesetzlich krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger ein.

Dazu muss die künftige Politik ihre gesetzgeberi- schen Maßnahmen an Gesundheitszielen ausrichten.

Die wesentlichen Ziele sind:

>Versorgungssicherheit für den Patienten auch im Alter

>Planungssicherheit für den Leistungserbringer

>medizinischer Fortschritt für alle. )

Spaltung der Ärzteschaft verhindern

Der Deutsche Ärztetag fordert alle Mandatsträger der verfassten Ärzteschaft auf, gegen jegliche Tendenzen, die zur Spaltung der Körperschaften der ärztlichen Selbstverwaltung führen, entschieden aufzutreten und ihrem Mandat – erhalten von Kollegen, um in Kas- senärztlichen Vereinigungen und Ärztekammern deren Interessen wahrzunehmen – gerecht zu werden. )

Sektorenübergreifende Versorgung

Krankenhausärztinnen und -ärzte sowie ambulant tätige Fachärztinnen und -ärzte treten bei der Lösung komplexer Patientenprobleme nicht in Kon- kurrenz zueinander, sondern ergänzen sich als gleichberechtigte Partner. Grenzen zwischen am- bulant und stationär sind im Sinne einer patienten- und behandlungszentrierten Sichtweise zu über-

winden. )

Nach Schließung von Krankenhäusern – Gelder in der Versorgung belassen

Der Deutsche Ärztetag fordert die Krankenkassen auf, die durch Schließung von Krankenhäusern ein- gesparten Gelder weiterhin der Patientenversorgung zukommen zu lassen.

Auch bei Schließung von Krankenhäusern oder Bettenabbau müssen Leistungen am Patienten er- bracht werden. Für die Qualität der Patientenversor- gung und zur Abfederung stiller Rationierung ist die Bereitstellung der Mittel zwingend erforderlich. )

Patientenrechte in Zeiten der Rationierung sichern

I.

„Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persön- lichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungs- rechts, zu erfolgen.“ (§ 7 der [Muster-]Berufsordnung).

Eine sogenannte gesonderte Patientenrechtsge- setzgebung ist darüber hinaus nicht erforderlich, da die individuellen Patientenrechte im Behandlungs- vertrag ausreichend gesichert sind.

1. Der ärztliche Behandlungsvertrag ist gesetz- lich und richterrechtlich umfassend definiert. Er hat eine medizinische Leistung durch einen Arzt zum Gegenstand. Dieser Behandlungsvertrag ist auch nach der Schuldrechtsmodernisierung 2002 nicht

als eigenständiger Vertragstyp ausgestaltet und be- sonders kodifiziert worden, obwohl schon damals diese Forderung aufgestellt war.

Es handelt sich hierbei nicht um einen Werkver- trag, der Arzt schuldet kein Ergebnis, sondern eine Leistung. Die herrschende Lehre definiert ihn daher zu Recht als Dienstvertrag höherer Art. Bei ärztlicher Diagnostik und Therapie handelt es sich um per- sonenbezogene, hochindividuelle und gleichzeitig komplexe Dienstleistungen, deren Ergebnis nicht nur von arztseitigen, sondern insbesondere auch von pa- tientenseitigen Faktoren abhängig ist. Medizinische Behandlungsqualität lässt sich deshalb durch geeig- nete Qualitätssicherungsverfahren zwar messen und vergleichen sowie durch ärztliches Qualitätsmanage- ment fördern, aber nicht wie Produktqualität stan- dardisieren und garantieren.

2. Die Ärzteschaft bekennt sich zu einem part- nerschaftlichen Kooperationsmodell zwischen Arzt und Patient. Es ist verfehlt, nur einseitig von Pflichten des Arztes und Rechten des Patienten zu sprechen.

II.

Patientenrechte entfalten eine öffentliche Schutz- funktion. Diese muss die Politik respektieren.

1. Patientenrechte sind in diesem Schutzver- ständnis der Anspruch auf Teilhabe an einer ange- messenen medizinischen Versorgung. Dieser An- spruch richtet sich an den Staat und seine Verant- wortung für die Ausgestaltung des sozialen Versor- gungssystems.

2. Patientenrechte sind nicht durch die Ärzte- schaft, die sie mittelbar durch ihre Pflichten reali- siert, gefährdet, sondern durch die staatliche Ge- sundheitspolitik für die gesetzliche Krankenversi- cherung. Eine forcierte Wettbewerbsorientierung mit Risikoauslese und Gefährdung flächendeckender Versorgung, eine zu wenig patientenorientierte Nut- zenbewertung hinsichtlich der Anwendung von Dia- gnostik und Therapie, eine mittelbare Zugangs- steuerung für die Versicherten durch Zuzahlungen und durch intransparente Inanspruchnahmesteue- rung in bestimmten Versorgungsmodellen gefähr- den den Anspruch auf individuelle Versorgung im Krankheitsfall. Der übermäßige Zugriff mittelbar in die individuelle Arzt-Patient-Beziehung, wie zum Beispiel durch Regelungen des Arzneimittelversor- gungswirtschaftlichkeitsgesetzes oder über Richtli-

ENTSCHLIESSUNGEN ZUM TAGESORDNUNGSPUNKT II

Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 22⏐⏐29. Mai 2009

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nien des Gemeinsamen Bundesausschusses, ver- stärken deren Entwicklungen.

3. Rationierung gefährdet Patientenrechte. Ra- tionierung als implizites Vorenthalten von Versor- gungsnotwendigkeiten und -chancen ist aber inzwi- schen Teil der Versorgungswirklichkeit; dies muss die Politik transparent machen.

III.

Statt eines neuen Gesetzes fordert die Ärzteschaft die Sicherung folgender grundlegender Patienten- rechte in der Gesundheits- und Sozialgesetzgebung:

1. Der Patient hat Anspruch auf eine individuelle, nach seinen Bedürfnissen ausgerichtete Behand- lung und Betreuung. Das setzt die Therapiefreiheit des Arztes ebenso voraus wie die Bereitstellung der notwendigen Mittel. Eine Rationierung medizinischer Leistungen oder auch der Weg in eine Checklisten- medizin führen jedoch zu einer schlechten medizini- schen Versorgung.

2. Der Patient hat Anspruch auf die freie Arzt- wahl. Patientenrechte und Patientenautonomie blei- ben aber hohle Phrasen, wenn dieses Recht auf freie Wahl und damit auf die individuelle Vertrauensbezie- hung zum Patienten aufgehoben wird. Es muss in der Entscheidung des Patienten liegen, auch zusätz- lich Versorgungstarife frei zu wählen.

3. Der Patient hat Anspruch auf Transparenz. Die Ärzteschaft setzt sich deshalb nachdrücklich für eine regelmäßige Information des Patienten über Art, Menge, Umfang und vor allem die Kosten der für ihn erbrachten Leistungen ein. Zugleich aber muss der Patient die Möglichkeit erhalten, zwischen Sachleis- tung und Kostenerstattung auf der Basis einer amtli- chen Gebührenordnung zu wählen.

4. Der Patient hat Anspruch auf Wahrung des Patientengeheimnisses. Grundlage einer freien und vertrauensvollen Beziehung zwischen Patient und Arzt ist deshalb die ärztliche Schweigepflicht. Ge- setzliche Mitteilungspflichten müssen auf das medi- zinisch unerlässlich Notwendige begrenzt bleiben.

Abgelehnt werden alle Versuche, das Patientenge- heimnis im System der gesetzlichen Krankenversi- cherung zu durchbrechen, insbesondere die Absicht, die Behandlung des Patienten gegenüber der Kran- kenkasse offenzulegen. Bei der Erfassung und Ver- wendung von Patientendaten ist in jedem Einzelfall die Zustimmung des Patienten unerlässlich.

5. Der Patient hat Anspruch auf die Solidarität der Versicherten. Solidarität heißt, dass jeder ent- sprechend seiner finanziellen Möglichkeiten einen Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten hat und die gesetzliche Krankenversicherung auch nur nach Maßgabe des Notwendigen in An- spruch nimmt. Über das Notwendige hinausgehende Leistungen gehören in eine Zusatzversicherung und dürfen nicht zulasten der Solidargemeinschaft er- bracht werden. Zugleich muss im Wettbewerb der Krankenversicherung Raum für die private Kranken- versicherung bleiben. Eine Einheitsversicherung wi- derspricht den Prinzipien der Eigenverantwortung

sowie der Patientenautonomie und wird deshalb von der Ärzteschaft abgelehnt.

6. Der Patient hat Anspruch auf eine solidarische Krankenversicherung, die diesen Namen verdient.

Als Versicherter zahlt er Beiträge in die Krankenver- sicherung ein, um im Krankheitsfall notwendige Leistungen zu erhalten. Darauf hat er Anspruch – anders als in steuerfinanzierten Systemen, wie bei- spielsweise in Großbritannien, wo die Aufwendungen für Gesundheit stets in Konkurrenz mit anderen Poli- tikbereichen stehen.

7. Der Patient hat Anspruch auf ein bürgernahes Gesundheitswesen. Dies ist nur durch eine Selbst- verwaltung der Beteiligten und Betroffenen zu ge- währleisten. Wird die Selbstverwaltung jedoch abge- schafft oder wird den Krankenkassen die alleinige Steuerungsmacht über das Gesundheitswesen übertragen, dann sind Anonymisierung, Deprofes- sionalisierung und weitere Mangelverwaltung nicht mehr aufzuhalten. Dann ist die Rationierung als Strukturprinzip unausweichlich. Menschlichkeit und medizinischer Fortschritt sind dann Luxus in einer Zweiklassenmedizin.

8. Der Patient erwartet Fürsorge und Zuwendung von dem im Gesundheitswesen Tätigen. Doch die zunehmende Reglementierung im Gesundheitswe- sen, die zum Teil menschenunwürdigen Arbeitsbe- dingungen und die überbordende Bürokratie führen zu wachsender Demotivation der Gesundheitsberu- fe. Die gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen deshalb endlich so gestaltet werden, dass diese Berufe wieder an At- traktivität gewinnen. Anderenfalls droht ein empfind- licher Personalmangel in der medizinischen Versor- gung.

IV.

Die Ärzteschaft lehnt die rechtlichen Folgen staatlich begründeter Budgetierung und Rationierung für das Behandlungsverhältnis ab.

1. Das ärztliche Haftungsrecht darf nicht miss- braucht werden, um staatlich bedingte Versorgungs- defizite zu kaschieren. Führen solche Versorgungs- defizite zu einer Versorgung unter Standard, dann darf der Arzt die Behandlung des Patienten ableh- nen.

2. Die staatliche Begrenzung finanzieller Mittel für den Aufwand ärztlicher Versorgung begrenzt zu- gleich die Chancen für Heilung und Gesunderhaltung des Patienten. Dieses Risiko bewusst zu machen, liegt in der Verantwortung der Politik.

V.

1. Ein versicherungsrechtliches Wirtschaftlich- keitsgebot findet dort seine Grenzen, wo der Heilauf- trag des Arztes zum Nachteil des Patienten minimiert wird. Die Verantwortung für Leistungsgrenzen in der gesetzlichen Krankenversicherung muss der Ge- setzgeber tragen.

2. Die Ärzteschaft verschließt sich nicht der Mit- wirkung an gesundheitspolitischen Priorisierungs- entscheidungen. Der Ärztetag bekräftigt die schon im Ulmer Papier geforderte Einrichtung eines Ge-

sundheitsrats. )

Kein Mitteleinsatz für Maßnahmen mit Wellness-Charakter durch die Kostenträger

Angesichts der immer unzureichenderen Finanzmit- tel für die medizinische Versorgung fordert der Deut- sche Ärztetag die Kostenträger auf, alle Maßnah- men, die Wellness-Charakter haben oder nicht me- dizinisch indizierten ästhetischen Maßnahmen die- nen, unverzüglich aus dem Leistungskatalog zu streichen.

Das Gleiche gilt für kostenträchtige Werbekam- pagnen.

Stattdessen sind die dadurch frei werdenden Mit- tel dem Kernbereich der ärztlichen Versorgung zu-

zuführen. )

Förderung von Eigenverantwortung bei den Themen Rationierung und Patientenschutz

Der Vorstand der Bundesärztekammer wird aufge- fordert, bei den Überlegungen und Ausarbeitungen zum Thema Rationierung und vor allem Patienten- schutz dem Aspekt Eigenverantwortung der Versi- cherten sich selbst und der Gesellschaft gegenüber deutlich mehr Gewicht zu geben. )

Keine Priorisierung in einem privatisierten Gesundheitswesen

In Zeiten von Priorisierung im Gesundheitswesen ist eine Privatisierung öffentlicher Versorgungseinrich- tungen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung von den Ärzten in Deutschland nicht mehr zu dulden.

Die Ärzte in Deutschland fordern eine Korrektur

dieser Fehlentwicklung. )

Konzept eines Gesundheitsrats entwickeln

Der 112. Deutsche Ärztetag bittet den Vorstand der Bundesärztekammer, das Konzept zur Etablierung eines Gesundheitsrats zu entwickeln und der Politik vorzutragen.

Zur Struktur dieses Rats sollten Vorschläge zur Zusammensetzung gemacht und bzgl. seiner Aufga- ben Aussagen zu einer notwendigen künftigen Strukturierung des Gesundheitswesens sowie zu Kriterien der gerechten Verteilung von Leistungen

getroffen werden. )

Referenzen

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