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Archiv "Der arteriovenöse Kurzschluss in der Dura mater des Spinalkanals: Eine behandelbare, wenig bekannte Ursache einer Querschnittlähmung des älteren Patienten" (25.04.2003)

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A1132 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1725. April 2003

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iese Arbeit richtet sich in erster Linie an Ärzte der Allgemeinver- sorgung und in der Rehabilitation tätige Fachkollegen, die mit der Dia- gnostik oder Behandlung von Patienten mit Rückenproblemen und Gang- störungen befasst sind. Angesichts der häufig unspezifischen Frühsymptome einer spinalen duralen arteriovenösen Fistel (AV-Fistel) erscheint es den Au- toren um so vordringlicher, auf ein Krankheitsbild zu verweisen, das in den vergangenen 20 Jahren durch klinische Neuroradiologen intensiv bearbeitet und Neurologen und Neurochirurgen vertraut gemacht worden ist.Trotz zahl- reicher fachspezifischer Publikationen (4, 5, 8, 9, 11, 12, 16, 18) muss immer wie- der festgestellt werden, dass weiterhin mit Diagnosen wie Polyneuropathie, multiple Sklerose, Bandscheibenvor- fall, enger Spinalkanal, Claudicatio in-

termittens, Cox- oder Gonarthrose oder gar Herzinsuffizienz ein Krankheitsbild beim älteren Patienten verschleppt wird, das unbehandelt über Monate bis wenige Jahre zur Gehunfähigkeit und zur Blasen-Mastdarm-Lähmung führt.

Krankheitsbild und Verlauf

Die Erstsymptome der Erkrankung sind unspezifisch. Sie bestehen in Muskel- schwäche mit Um- oder Einknicken der Beine (30 Prozent), in Gefühlsstörungen mit Taubheit und Thermdysästhesien (35

Prozent). Seltener stehen Schmerzen des Rückens (20 Prozent), der Beine (5 Pro- zent) oder einzelner Muskeln (10 Pro- zent) zu Beginn der Erkrankung im Vor- dergrund (9). In diesem frühen Stadium ist die Erkrankung klinisch schwer ein- zuordnen, da objektivierbare neurologi- sche Befunde fehlen können, sodass nicht selten auch an eine psychogene Störung gedacht wird (Textkasten 1).

Nach anfänglich noch passageren neuro- logischen Ausfällen tritt im Verlauf von Monaten oder wenigen Jahren ein lang- sam zunehmendes sensomotorisches Querschnittsyndrom auf, das auch Po- tenz- und Sphinkterstörungen umfasst (4, 9). Die Patienten berichten über wechselnde, insgesamt aber zunehmen- de Taubheitsgefühle und schmerzhafte Dysästhesien in den Beinen, über eine Verkürzung der Gehstrecke, über er- schwertes Treppensteigen, häufigeres

Der arteriovenöse

Kurzschluss in der Dura mater des Spinalkanals

Eine behandelbare, wenig bekannte Ursache einer Querschnittlähmung des älteren Patienten

Zusammenfassung

Ein arteriovenöser Kurzschluss in der Dura ma- ter des Spinalkanals (so genannte spinale durale AV-Fistel) ist eine wichtige Ursache für eine sich meist langsam, aber immer progredient ent- wickelnde sensomotorische Querschnittläh- mung. Unbehandelt mündet die Erkrankung in eine Paraplegie mit Blasen-und Mastdarmläh- mung. Bei einem Durchschnittsalter von 60 Jah- ren sind Männer viermal häufiger betroffen als Frauen. Die Erkrankung ist mit fünf bis zehn Neuerkrankungen pro eine Million Einwohner pro Jahr selten, aufgrund der ernsten Prognose aber wichtig. Der Behandlungserfolg hängt von einer möglichst frühzeitigen Diagnosestellung ab. Ursächlich liegt eine vermutlich erworbene Fehlverbindung zwischen kleinen Arterien der harten Rückenmarkhaut und einer Oberflächen- vene des Rückenmarks vor. Die daraus resultie- rende Arterialisierung der Rückenmarkvenen führt über eine kongestive Myelopathie zu ei- nem chronisch venösen Stauungsinfarkt. Eine multisegmentale Rückenmarkläsion sowie er- weiterte Oberflächengefäße des Rückenmarks

in der Magnetresonanztomographie sind dia- gnostisch wegweisend. Die selektive spinale Angiographie muss die sehr kleine arteriovenö- se Fehlverbindung im Spinalkanal lokalisieren, was Technik und Erfahrung eines spezialisierten Zentrums erfordert. Therapeutische Alternati- ven sind die mikrochirurgische Ausschaltung oder die endovaskuläre Embolisation des Fistel- punktes. Die prognostisch wichtige Frühdiagno- se dieser Erkrankung wird durch das noch immer mangelnde Wissen bei Radiologen wie bei an- deren in der Allgemeinversorgung tätigen Ärz- ten erschwert.

Schlüsselwörter: Myelopathie, Querschnittläh- mung, Angiographie, spinale durale arterio- venöse Fistel

Summary

Arteriovenous Fistula of the Spinal Dura – a Rare Albeit Treatable Cause of Paraplegia The spinal dural arteriovenous fistula is an im- portant cause of a slowly progressive transverse

lesion of the spinal cord mostly in elderly pa- tients. The disease affects men in 80 per cent of the cases with an average age of 60 years. Only 5 to 10 new cases per year and per 1 million inhabitants have to be expected. Although rare, the serious disease should not be missed.

Diagnosis can be made by MRI and spinal angio- graphy. The result of treatment depends on early diagnosis. The arteriovenous shunt is located within the dural layer of the spinal canal. It connects branches of a radiculomeningeal artery with the veins of the spinal cord. Spinal cord supplying vessels are not primarily involved.

Arterialization of the venous part of the spinal cord circulation results in a chronic congestive myelopathy or a venous infarction which can well be demonstrated by MR imaging. The role of selective spinal angiography is to detect and exactly localize the site of the av-shunt which is rather difficult in some cases. Therapeutic alter- natives are effective embolization of the fistula with liquid agents or surgical disconnection.

Key words: myelopathy, paraplegia, angiogra- phy, spinal dural arteriovenous fistula

1Abteilung Neuroradiologie (Leiter: Prof. Dr. med. Armin Thron), Klinik für Radiologische Diagnostik, Universitäts- klinikum, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen

2Neurochirurgische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Jo- achim Gilsbach), Universitätsklinikum, Rheinisch-Westfä- lische Technische Hochschule, Aachen

Armin Thron

1

Michael Mull

1

Joachim Gilsbach

2

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Stolpern und Umknicken. Blasenentlee- rungsstörungen treten hinzu oder wer- den als deutlich zunehmend berichtet.

Zum Zeitpunkt der Diagnose bestehen bei allen Patienten Paresen unterschied- licher Schwere (100 Prozent), bei fast al- len Sensibilitätsstörungen (90 Prozent) sowie Störungen der Blasen-Mastdarm- Funktion (75 Prozent) und bei jedem zweiten Rückenschmerzen (9). Neben der langsamen Progression gibt es Ver- läufe mit intermittierender und akuter Verschlechterung, bis hin zur plötzlichen Paraplegie. In den sehr viel selteneren Fällen, in denen die Erkrankung das zer- vikale Rückenmark betrifft, entwickeln sich eine Tetraparese und gegebenenfalls Atemstörungen (12).

Ätiologie und Pathogenese

Die arteriovenösen Fisteln der harten Rückenmarkhaut sind die häufigste Form einer arteriovenösen Fehlver- bindung am Spinalkanal. Sie macht et- wa 70 Prozent der Befunde aus, die früher als spinale Angiome zusam- mengefasst und sämtlich als angebore-

ne Gefäßmissbildungen eingeschätzt wurden. Nach heutiger Kenntnis sind die angeborenen arteriovenösen Mal- formationen (AVM) aber sehr viel sel- tener und werden in der Regel bereits im Jugend- oder frühen Erwachsenen- alter klinisch manifest. Im Gegensatz zu den duralen AV-Fisteln sind die Zu- flüsse zu den angeborenen AVMs rückenmarkversorgende Arterien, ih- re klinische Manifestation erfolgt in erster Linie als spinale Blutung (17).

Die nach heutiger Einschätzung er- worbene spinale durale AV-Fistel ist erst durch eine Untersuchung von Kendall und Logue aus dem Jahre 1977 (7) und etwas später von Merland et al. (10) als eigene Entität erkannt und mit ihren pathogenetischen Be- sonderheiten genauer beschrieben worden. Auch pathologisch-anato- misch konnte das Krankheitsbild, erst- mals 1927 von Foix und Alajouanine (3) klinisch und histologisch beschrie- ben, lange Zeit nicht richtig eingeord- net werden, weil der Zusammenhang mit einem kleinen AV-Shunt in der Dura mater unentdeckt blieb. Dem- entsprechend wurde das Foix-Ala-

jouanine-Syndrom zuletzt als angio- dysgenetische nekrotisierende Myelo- pathie bezeichnet (6, 19). Die Autoren haben 1987 erstmals darauf hingewie- sen (18), dass die von Foix und Ala- jouanine beschriebene Erkrankung klinisch und pathologisch-anatomisch deckungsgleich ist mit den Auswirkun- gen und Folgen von spinalen duralen AV-Fisteln.

Wie bei den schon länger in der neuroradiologischen Literatur be- kannten duralen AV-Fisteln des Schä- dels bilden auch am Spinalkanal klei- ne Dura-Arterien die arterielle Seite des AV-Shunts. Während am Schädel die Einmündung überwiegend in die Sinus durae matris erfolgt, wird am Spinalkanal eine Rückenmarkvene an der Stelle durch den AV-Kurzschluss arterialisiert, wo sie die Dura durch- quert, um (normalerweise) ihr Blut in den epiduralen Venenplexus weiterzu- geben. Die Fehlverbindung ist also auf eine sehr kleine Stelle beschränkt und liegt in Nachbarschaft einer Wurzelta- sche. Die Arterialisierung der Vene er- folgt entgegen der normalen venösen Stromrichtung rückenmarkwärts. Die

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MRT-Befundkonstellationen Häufig:

>multisegmentale Hyperintensität (T2w) des Myelons

>auffällige perimedulläre Gefäßstrukturen (T2w und T1w mit Kontrastmittel)

>keine Kontrastmittelanreicherung des Rückenmarks

Selten:

>nur Hyperintensität in T2w

>Kontrastmittelanreicherung innerhalb des Myelons

Sehr selten:

>nur auffällige perimedulläre Gefäßstrukturen (T2w und T1w mit Kontrastmittel) Textkasten 2

Grafik

Lokalisation (spinale Segmenthöhe und Seite) von 122 fortlaufend diagnostiziert spinalen du- ralen AV-Fisteln im eigenen Krankenkollektiv (121 Patienten).

Frühsymptome

>Gefühlsstörungen in den Beinen

>Muskelschwäche der unteren Extremitäten (initial gelegentlich spastische, später immer schlaffe Paraparese)

>Rückenschmerzen, gelegentlich radikulär

>Muskelschmerzen Textkasten 1

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Erhöhung des Venendrucks behin- dert die Drainage des Rückenmarks und vermindert den arteriovenösen Druckgradienten (4). Nach angiogra- phischen Befunden ist für die Druck- steigerung im spinalen Venensystem neben dem Einstrom von arteriellem Blut auch eine zusätzliche venöse Aus- flussstörungen am Duralschlauch ver- antwortlich zu machen, da das Blut meist erst im Becken- oder Halsbe- reich Anschluss an den epiduralen Ve- nenplexus gewinnt (10, 15). Beides führt über eine multisegmentale venö- se Kongestion und chronische Hyp- oxie zu einer Stauungsmyelopathie.

Im Langzeitverlauf kommt es zur sub- akut/chronischen Infarzierung des Rückenmarks.

Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt. Sie kann in allen Seg- menthöhen auftreten, spart aber die mittlere und untere Zervikalregion

meist aus (Grafik). Fisteln in Höhe des Foramen magnum beeinträchtigen die Drainage des Halsmarks (12). Glei- ches wird bei duralen AV-Fisteln der hinteren Schädelgrube beobachtet, de- ren Blutfluss abwärts in die Rücken- markvenen verläuft (20, 21).

Epidemiologie, Alters- und Geschlechtsverteilung

Genaue Zahlen über die Häufigkeit dieser Erkrankung gibt es nicht.

Nach der mehr als zwanzigjährigen Erfahrung der Autoren kann bei sehr sorgfältiger Berücksichtigung der spi- nalen duralen AV-Fistel in der Diffe- renzialdiagnose langsam progredien- ter Querschnittsyndrome mit 5 bis 10 neu diagnostizierten Fällen pro 1 Million Einwohner pro Jahr gerechnet werden.

In den 122 fortlaufend erfassten Fällen des Krankenkollektivs der Au- toren überwiegen die Männer gegen- über den Frauen im Verhältnis von 5 : 1, das Durchschnittsalter beträgt 60 Jahre. Die Grafik zeigt die topogra- phische Verteilung der spinalangio- graphisch nachgewiesenen Fälle. Die diagnostisch größten Schwierigkeiten bereitet der Nachweis von Kurzschlüs- sen, die im unteren Lumbal- und im Sakralbereich lokalisiert sind und die in den diagnostischen Angiographien der 80er-Jahre noch größtenteils un- entdeckt blieben. Auch an eine Fistellokalisation in Höhe des kranio- zervikalen Übergangs muss gedacht werden. Das sehr seltene multiple Auftreten spinaler duraler AV-Fisteln wurde von den Autoren nur einmal und in der Literatur nur in wenigen Fällen beobachtet.

Diagnostik

Die wichtigste Rolle in der Vorfelddia- gnostik kommt heute unzweifelhaft der MRT zu (14). Die Indikation zur spinalen MRT ist bei klinischem Ver- dacht – auch bei zunehmendem Ko- stendruck – großzügig zu stellen, da sie nach der Erfahrung der Autoren in al- len symptomatischen Fällen wegwei- send ist. Eine Myelographie ist mit

dieser Fragestellung nur noch in Aus- nahmefällen indiziert, zum Beispiel bei Kontraindikationen für die MRT.

Bei einer aus differenzialdiagnosti- schen Erwägungen durchgeführten Li- quorpunktion ist bei Vorliegen einer spinalen duralen AV-Fistel mit einer allenfalls leichten Pleozytose und mo- deraten Eiweißerhöhung zu rechnen (8, 9). An die MRT schließt sich bei entsprechendem Verdacht die selekti- ve spinale Angiographie an. Wegen der bisweilen plötzlichen Befundver- schlechterung sollte auch diese Dia- gnostik ohne unnötigen Zeitverzug er- folgen.

Magnetresonanztomographie

Zu beachten sind Veränderungen am Rückenmark und an den an seiner Oberfläche und im Liquorraum ver- laufenden Blutgefäßen. Beides ist fast immer gleichzeitig vorhanden (Abbil- dung 1a, b)

>Der innere Bereich des Rücken- marks ist in T1-Wichtung leicht hypo-, in T2-Wichtung deutlich hyperintens als Ausdruck eines zentromedullären Ödems beziehungsweise einer Mi- schung von Ödem und Nekrose. Es be- steht aber kein liquorisointenses Sig- nal wie bei einer Syringomyelie. Dem Ödem entsprechend zeigt sich in den früheren Erkankungsstadien auch ei- ne Schwellung (Abbildung 1b). Eine irreguläre Kontrastanhebung in T1- Wichtung kann vorkommen (14) (Ab-

a b

Abbildung 1: Typischer Befund einer spinalen duralen AV-Fistel in der MR-Tomographie. a) Im T1-gewichteten sagittalen Bild des thorakalen Spinalkanals sind nach Kontrastmittelappli- kation deutlich erweiterte perimedulläre Ge- fäßstrukturen erkennbar (weiße Pfeile). Vor al- lem innerhalb der thorakolumbalen Intumes- zenz besteht eine pathologische Kontrastmit- telanreicherung, die Ausdruck eines subakut/

chronischen Stauungsinfarkts ist (schwarzer Pfeil). b) Im T2-gewichteten Bild ist die multi- segmentale medulläre Signalanhebung und Volumenvermehrung Ausdruck des kongesti- ven Rückenmarködems (schwarzer Pfeil). Die erweiterten Gefäßstrukturen (weiße Pfeile) werden in dieser Wichtung als signalleere tu- buläre Aussparungen im Liquorraum darge- stellt.

Klinische Differenzialdia- gnosen

>Polyneuropathie

>Bandscheibenvorfall

>Enger Spinalkanal

>Multiple Sklerose Textkasten 3

Radiologische Differenzialdiagnosen der Rückenmarksläsion

>Myelitis

>Arteriovenöses Angiom

>Rückenmarkinfarkt (arteriell)

>Rückenmarktumor: Stiftgliom oder Glioblastom

>Syringomyelie Textkasten 4

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bildung 1a). Sie sollte nicht sofort als Hinweis auf einen malignen Prozess fehlgedeutet werden, sondern bedeu- tet im Falle der spinalen duralen AV- Fistel das Vorliegen einer subakuten Infarzierung (Abbildung 1a). In fort- geschrittenen Stadien sowie als Thera- piefolge nimmt die Schwellung wieder ab, und es resultiert ein atrophisches Mark.

>Die erweiterten Venen an der Rückenmarkoberfläche und im Li- quor sind oft schon in den T2-Wich- tungen als signalleere lineare oder ge- schlängelte Strukturen zu erkennen.

Deutlicher stellen sie sich aber signal- reich auf den kontrastangehobenen T1-gewichteten Aufnahmen dar, ins- besondere wenn neuere Kontrast- mittel in höherer Konzentration ver- wendet werden (Abbildung 1 a, Text- kasten 2).

Angiographische Diagnostik und Lokalisation

Die endgültige Diagnose dieses Typs der spinalen Gefäßfehlbildung wird durch eine selektive spinale Angiogra- phie (Abbildung 2) gestellt. Üblicher- weise wird sie mit dem Nachweis der die Fehlverbindung versorgenden Ar- terie und der Darstellung der Nach- barsegmente beendet, da multiple Fi- steln am Spinalkanal Raritäten sind.

Übersichtsangiographien der Aorta sind häufig negativ, da nicht genügend Kontrastmittel in die kleinen spinalen Äste der Interkostal- und Lumbalar- teien gelangt. Mittels MR-Angiogra- phie können gelegentlich die arteriali- sierten Rückenmarkvenen erkannt werden. Sowohl die Position des du- ralen AV-Shunts als auch die Ab- grenzung spezieller Formen von Rückenmarkangiomen gelingt aber nicht mit ausreichender Sicherheit.

Die Zuflüsse zu solchen arteriovenö- sen Angiomen (Malformationen) sind rückenmarkversorgende Arterien. Es handelt sich dann um eine andere Dia- gnose, die eine gesonderte Behand- lung erfordert.

Nach der Erfahrung der Autoren kann die Unterscheidung zwischen ei- ner spinalen duralen AV-Fistel und dem fistulösen Typ eines AV-Angioms auf der Rückenmarkoberfläche selbst

für einen mit der Interpretation selek- tiver spinaler Angiographien vertrau- ten Untersucher gelegentlich schwie- rig sein. Die AV-Fehlverbindung in der Dura ist nicht immer als Übergang von Arterie zu Vene erkennbar, und der erste arterialisierte Venenabschnitt in- nerhalb des Duraschlauchs kann sehr dünn sein. Da die radikulären Venen einen gleichartigen Haarnadelverlauf aufweisen, wie die radikulären Arteri- en (15), wird unter diesen Bedingun- gen das intradural zur Rückenmark- oberfläche verlaufende Gefäß leicht als Arterie missgedeutet und die ge- samte Fehlbildung als perimedulläre fistulöse AVM verkannt.

Die Grafik zeigt die Höhen- und Seitenverteilung der 122 spinalen du-

ralen AV-Fisteln bei 121 Patienten des von den Autoren beobach- teten Krankenkollek- tivs. Mehr als 75 Pro- zent der Fälle liegen im diagnostisch einfacher zugänglichen mittleren Thorakal- und oberen Lumbalbereich. Mit zunehmender spinal- angiographischer Er- fahrung innerhalb der letzten 15 Jahre wurde deutlich, dass die in den 80er-Jahren (15) noch zu circa 20 Pro- zent negative angiogra- phische Suche nach der Fistelstelle vor allem auf Fisteln in angiogra- phisch unerwarteten oder schwer darstellba- ren Regionen zurückzuführen war.

Das sind neben dem kraniozervikalen Übergang die oberen thorakalen Seg- mente (T3–5) und insbesondere die Segmente von L5 kaudalwärts, die von Ästen der Arteria iliaca interna (vor allem der Aa. iliolumbalis und sacralis) versorgt werden. Hier erfordert ein häufig geringer Fistelfluss eine mög- lichst selektive Sondierung der infrage kommenden Zuflüsse sowie eine aus- reichend lange Angiographiesequenz.

Die zusätzlich störende Darminhalts- überlagerung kann durch eine gute Vorbereitung des Patienten sowie die primäre Anfertigung auch einer seitli- chen Projektion vermieden werden.

Unter diesen Bedingungen hat sich in den vergangenen 15 Jahren

der Nachweis einer spinalen duralen AV- Fistel in den klinisch und MR-tomographisch eindeutigen Fällen des Patientenkollektivs der Autoren auf 100 Pro- zent erhöhen lassen. Die aufwendige Suche in den Problemregionen erfordert allerdings oft eine zweite oder auch dritte Angiographiesit- zung. Aus allem Ge- sagten wird deutlich, dass sowohl die Suche A

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Abbildung 2: Selektive spinale Angiographie einer spinalen du- ralen AV-Fistel. a) Unsubtrahiertes Bild bei Injektion in die erste lumbale Segmentarterie rechts. Der abnorme arteriovenöse Kurzschluss (schwarzer Pfeil) liegt im Bereich der Wurzeltasche L1 unterhalb der rechten Bogenwurzel. Vor dem Fistelpunkt liegt die versorgende Radikulomenigealarterie, dahinter, krani- alwärts drainierend, die arterialisierte Rückenmarkvene (weiße Pfeile). b) Subtraktionsangiographisches Bild mit Fistelpunkt (schwarzer Pfeil) und Darstellung der schon in der früharteriel- len Phase kontrastierten perimedullären Venen (weiße Pfeile).

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Abbildung 3: Intraoperativer Aspekt einer spinalen duralen AV-Fistel nach Duraeröffnung.

Der Blick auf die Dorsalseite des Rückenmarks zeigt eine ver- mehrt geschlängelte und erwei- terte Oberflächenvene (weiße Pfeile), an deren Duradurchtritt (schwarzer Pfeil) sich die arterio- venöse Fehlverbindung befin- det. In Duranähe besteht arteri- eller Druck, der sich erst in größerer Entfernung auf norma- len Venendruck reduziert.

(5)

nach einer AV-Fistel als auch deren richtige Einordnung und Interpretati- on in dazu qualifizierten Zentren er- folgen sollte.

Die häufigsten Fehler in der klinischen Vorfelddiagnostik

>In einigen Fällen wird angenom- men, dass die Beschwerden im Zusam- menhang mit einer Polyneuropathie stehen. Da es sich ganz überwiegend um 50- bis 70-jährige Patienten han- delt, werden die Gang- und Gefühls- störungen häufig auf eine Polyneuro- pathie zurückgeführt, eine Diagnose, die bei den alten Patienten auch von elektrophysiologischen Befunden ge- stützt erscheint. Die Verlangsamung der sensiblen und motorischen Ner- venleitgeschwindigkeiten ist aber fast nie so ausgeprägt, dass sie die gravie- renden und zunehmenden neurologi- schen Störungen erklären könnte.

>Auch die bei älteren Patienten häufige spinale Stenose oder ein Bandscheibenvorfall werden als ver- mutete Ursache der neurologischen Störungen immer wieder fehlgedeu- tet. Eine sorgfältige Anamnese und Symptombewertung muss frühzeitig Zweifel an diesen Diagnosen er- wecken (Textkasten 3).

Leider verzögern diese Fehlein- schätzungen und Nebendiagnosen die weitergehende MRT-Diagnostik häu- fig über einen langen Zeitraum. Bei ei- nigen Patienten sind zum Zeitpunkt der richtigen Diagnose die Nebenbe- funde bereits ein- oder mehrfach ope- rativ angegangen worden.

Die häufigsten radiologischen MRT-Fehlinterpretationen

Ist die Krankheit nicht bekannt, wer- den auch die beschriebenen MRT- Befunde (Abbildungen 1 und 2, Text- kasten 2) oft fehlgedeutet. Wenn die Erweiterung der auf der Oberfläche des Rückenmarks verlaufenden Ve- nen nicht sehr ausgeprägt ist, wird eine Gefäßmissbildung beziehungs- weise eine erworbene arteriovenöse Fehlverbindung erst gar nicht in Be- tracht gezogen.

Besteht in diesem Fall in der MRT (T2-Wichtung) nur eine Signalanhe- bung im Rückenmark ohne pathologi- sche Kontrastmittelaufnahme, sind die Syringomyelie, der Rückenmarkin- farkt, die Querschnittmyelitis und das Stiftgliom die wichtigsten Differenzi- aldiagnosen und häufigsten Fehldeu- tungen. Allerdings scheidet die Syrin- gomyelie aus, da sie als wassergefüllter Raum ein anderes Signalverhalten in T1-Wichtung hat. Der Rückenmark- infarkt unterscheidet sich durch das perakute bis subakute Auftreten der Symptome. Problematischer kann die Abgrenzung zwischen spinaler dura- ler AV-Fistel und Querschnittmyeli- tis oder Stiftgliom sein. Falls die Li- quordiagnostik keine Klärung bringt, muss die Verdachtsdiagnose AV-Fistel durch Angiographie bestätigt oder ausgeräumt werden.

Besteht neben der Signalanhebung in T2-Wichtung auch eine Schranken- störung mit Kontrastmittelaufnahme im T1-gewichteten Bild, dann wird häufig in erster Linie das spinale Glio- blastom in Betracht gezogen. Unter dieser Annahme sind einige Patienten einer bioptischen Klärung zugeführt worden (Textkasten 4).

Behandlung

Eine konservative Behandlung gibt es nicht. Alternativen sind die Embolisa- tion der Fehlverbindung oder die ope- rative Ausschaltung. Vor einer Embo- lisation ist zu gewährleisten, dass der zu sondierende Ramus spinalis nicht auch einen Zufluss zum Rücken- mark abgibt. Die Embolisation ist nur erfolgreich, wenn es gelingt, mit flüssi- gem Embolisat (zum Beispiel Histo- acryl) den ganzen Fistelbereich oder das sich an die Fistel intradural ansch- ließende proximale Venensegment zu verschließen. Literaturangaben über die technische und klinische Erfolgs- rate der Embolisation reichen von 25 Prozent (2) bis zu 66 Prozent der be- handelten Fälle (13). Die Autoren der letztgenannten neueren Arbeit kom- men bei 27 Fällen und unsystemati- scher Nachbeobachtung auf eine tech- nische Durchführbarkeit von 75 Pro- zent. Davon schienen 90 Prozent initi-

al erfolgreich zu sein, was sich jedoch durch 15 Prozent Rezidive weiter re- duzierte. Deshalb sind angiographi- sche Kontrollen zur Sicherung des Be- handlungserfolges nach Embolisation zwingend. Aus den genannten Grün- den halten die Autoren die operative Diskonnektion für das häufig einfa- chere und vor allem zuverlässigere Verfahren (4, 5). Hierbei können die Zuflüsse unberührt bleiben, es genügt die Unterbindung der das Fistelblut aufnehmenden Vene an der Innenseite der Dura. (Abbildung 3) Sie ist, mit Ausnahme des Sakralbereichs, bei gut- er angiographischer Dokumentation problemlos zu identifizieren.

Prognose

Unbehandelt ist die Prognose schlecht (1, 8, 15, 16). Die Erkrankung mündet fast immer in eine irreversible Para- plegie, bei den sehr seltenen zervika- len Stauungsmyelopathien in eine Te- traplegie (12).

Nach Ausschaltung der Fistel kann zumindest mit einer Stabilisierung des klinischen Befundes gerechnet wer- den. Die motorischen Lähmungen zei- gen die beste Rückbildungstendenz mit deutlicher Besserung bei 66 Pro- zent der Patienten nach einem Jahr (1). Demgegenüber sind Verbesserun- gen der Sensibilität nur bei etwa 33 Prozent der Patienten zu beobachten, in Einzelfällen getrübt durch neu auf- tretende unangenehme Dysästhesien.

Die schlechteste Prognose haben auch nach erfolgreicher Behandlung bereits bestehende Potenz- und Sphinkter- störungen.

Manuskript eingereicht: 5. 12. 2002, revidierte Fassung angenommen: 28. 1. 2003

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1132–1137 [Heft 17]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1703 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Armin Thron Abteilung Neuroradiologie Klinik für Radiologische Diagnostik Universitätsklinikum

Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen E-Mail: thron@rad.rwth-aachen.de

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