• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Lymphdrainage – Eine wenig bekannte physikalische Therapieform" (09.04.1986)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Lymphdrainage – Eine wenig bekannte physikalische Therapieform" (09.04.1986)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

ÜBERSICHTSAUFSATZ

D

as Lymphgefäßsystem ist ein Nebenschluß zum Venensy- stem. Es beginnt blindsackartig im Interstitium und endet im Angulus venosus beidseitig am Hals. Seine Funktion ist:

> Drainagesystem zum Abtrans- port der überschüssigen intersti- tiellen Flüssigkeit sowie der Stof- fe, die wegen ihrer Größe nicht über die venösen Kapillarwände aufgenommen werden können (zum Beispiel Fett, große Eiweiß- moleküle, lebende und tote Zellen, Zelltrümmer, Fremdkörper, Bakte- rien, Stoffwechselprodukte),

> Abwehr- und Filterorgan in den Lymphknoten.

Pathophysiologie der Ödembildung

I> Es liegt eine Erkrankung des Lymphgefäßsystems mit vermin- derter Drainageleistung (lympho- statische Insuffizienz) vor, wie beim

O primären Lymphödem infolge Lymphgefäßhypoplasie, -aplasie, Lymphangiektasien oder primärer Lymphknotenfibrosen, oder beim O sekundären Lymphödem infol- ge zerstörter Lymphknoten oder Lymphbahnen durch Operationen, Bestrahlungen, Verletzungen, Ent- zündungen, Verbrennungen, Tu- moren oder parasitäre Erkrankun- gen.

Das häufigste Lymphödem ist das sekundäre Armlymphödem nach

Brustamputationen mit Achsel- ausräumung und Bestrahlung.

Primäre Lymphödeme treten meist an den unteren Extremitäten auf.

> Es liegt eine Überlastung eines gesunden Lymphsystems vor (lym- phodynamische Insuffizienz), zum Beispiel bei Phlebödem, entzünd- lichen und rheumatischen Öde- men.

Ödemgrade

Die Ödemstärke wird in ödemgra- de eingeteilt (Tabelle). Als Maß dient die prozentuale Volumenzu- nahme gegenüber der gesunden Seite bei einem einseitigen Ödem.

Die Berechnung der prozentualen Volumenzunahme AV ergibt sich aus der folgenden Formel.

D V= — –1) x 100 LJ

Dabei stehen U, und U g für den Umfang der ödematösen bezie- hungsweise der gesunden Extre- mität. Die genaue Volumenbestim- mung geschieht mit der 4-cm-Me- thode nach Kuhnke. Dabei werden die Volumina von Händen und Fü- ßen nach der Verdrängungsme- thode in Wasser ermittelt.

Bei beidseitigen Extremitätenöde- men oder bei Odemen am Kopf, Hals und Rumpf muß die Ödem-

Bei der Lymphdrainage handelt es sich um eine physikalische Thera- pie verschiedener Ödemarten oder Schwellzustände, insbesondere von Extremitätenödemen. Durch- geführt wird sie von Lymphthera- peuten. Der Arzt muß jedoch die In- dikationen und Kontraindikatio- nen kennen. Die Ödembehandlung erfolgt stationär oder ambulant.

stärke subjektiv geschätzt werden, was allerdings einige Erfahrung erfordert.

Lymphdrainagetherapie

Bei der von dem dänischen Philo- logen Dr. Vodder 1932 entwickel- ten Therapieform „Lymphdrai- nage", welche nach 1963 von dem deutschen Arzt Dr. Asdonk we- sentlich modifiziert und um die Ödemtherapie erweitert als „The- rapeutische Lymphdrainage" in die Medizin eingeführt wurde, handelt es sich um ein physikali- sches Behandlungsverfahren, bei dem spezielle manuelle Grifftech- niken angewendet werden. Diese Handgriffe werden großflächig, kreisförmig und gleichzeitig in Richtung der zentripedalwärts ge- richteten Flüssigkeitsströmung der Lymphgefäße so ausgeführt, daß eine langsame, druckarme Gewebsverformung resultiert.

Durch häufige Wiederholung der Griffe während einer Behandlung wird die Muskelautomatie der Lymphgefäße — die Lymphvaso- motorik — so angeregt, daß diese sich noch bis zu Stunden danach verstärkt kontrahieren. Durch mo- natelange Anwendung wird eine deutliche Steigerung der Lymph- gefäßkapazität erreicht und die Ausbildung von funktionsfähigen Lymphkollateralen verstärkt.

Wichtig ist die abschnittweise Be- handlung des Lymphgefäßsy- stems, wobei immer zuerst das Mündungsgebiet und dann der je- weils peripher davon gelegene

Lymphdrainage

Eine wenig bekannte physikalische Therapieform

Ulrich Herpertz

Aus der Feldbergklinik Dr. Asdonk (Chefarzt: Dr. med. Johannes Asdonk) St. Blasien und Feldberg-Falkau

1032 (48) Heft 15 vom 9. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

(2)

0 1 2 3 4 5 6

bis 10%

bis 20%

bis 40%

bis 80%

bis 160%

über 160%

latent gering mäßig stark massiv elephantiastisch

monströs

Tabelle: Ödemgrade als Maß für die Volumenzunahme gegen- über der gesunden Seite bei einseitigen Ödemen oder im Ver- gleich zu einer Normalextremität bei beidseitigen Ödemen

Bezeichnung Volumenzunahme A V Grad

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Lymphdrainage

Teil behandelt wird (zum Beispiel bei der Armbehandlung: zuerst Halslymphgefäße, dann Armwur- zel, dann Oberarm, dann Unterarm und Hand). Innerhalb eines Lymphgefäßabschnittes wird von peripher nach zentral gearbeitet.

Bei Ödemen werden zusätzlich so- genannte Ödemgriffe angewen- det, die eine verstärkte Flüssig- keitsaufnahme durch die Lymph- kapillaren und die venösen Blutka- pillaren bewirken. Der erforder- liche Druck ist entsprechend der Ödemkonsistenz sehr unter- schiedlich. Vor und nach Anwen- dung der Ödemgriffe werden je-

weils die Lymphdrainagegriffe durchgeführt. Im Anschluß an die Behandlung muß eine Kompres- sionsbandagierung oder -be- strumpfung angelegt werden, um ein Nachlaufen des Ödems in das durch Lymphdrainage weich ge- wordene Gewebe zu verhindern.

In der Bestrumpfung soll ein lym- phokinetisch wirksames, ganztä- giges, nicht ermüdendes muskulä- res Intervalltraining durchgeführt werden. Das nächtliche Tragen der Bandagen ist meistens nicht notwendig.

Im Gegensatz zur Lymphdrainage werden bei der klassischen Mas- sage kräftigere und hyperämi- sierende Gewebsverformungen durchgeführt, welche ödemver- schlimmernd wirken können.

Die Lymphdrainage wird durch Lymphtherapeuten (speziell wei-

tergebildete und geprüfte Kran- kengymnasten und Masseure) an- gewendet*). Seit 1974 ist die Lymphdrainage bei den Kassen abrechnungsfähig.

Indikationen

Mit der Lymphdrainage können die folgenden Ödeme behandelt werden:

® Lymphödeme: primäre Lymph- ödeme der Beine, der Arme, des Kopfes; sekundäre Lymphödeme der Beine besonders nach inguina- ler oder abdomineller Lymphkno-

tenentfernung oder Lymphknoten- zerstörung durch Bestrahlung wie zum Beispiel nach Krebserkran- kung des inneren oder äußeren Ge- nitale, der Blase, des Dickdarms oder anderer metastasierender Karzinome oder Lymphknotensy- stemerkrankungen; an den Armen insbesondere nach axillärer Lymphknotenausräumung oder Bestrahlung wegen Mammakarzi- nom; am Kopf nach zervikaler Lymphknotenausräumung oder Bestrahlung wegen Mund-, Ra- chen-, Kehlkopfkarzinomen oder maligner Lymphknotensystemer- krankungen; sek. Lymphödeme an- derer Genese.

© Phlebödeme: insbesondere beim zusätzlich vorhandenen UI- cus cruris.

C) Lipödeme: bei Vorhandensein von Schwere-, Spannungsgefühl

oder Schmerzen (schmerzhaftes Fettbein oder Lipodystrophia do- lo rosa).

® Traumatische Ödeme: durch Unfälle mit Weichteilzerreißungen, Frakturen oder Distorsionen, durch Operationen und Verbren- nungen, beim M. Sudeck.

C) Artifizielle Ödeme: zum Bei- spiel durch Selbstabschnürung.

C) Rheumatische Ödeme: sowohl bei degenerativen als auch ent- zündlichen rheumatischen Er- krankungen zur Schmerzlinde- rung.

® Entzündliche Ödeme: zum Bei- spiel beim Ekzem.

® Inaktivitätsödeme: bei Läh- mungen der Beine.

® Idiopathische Ödeme: allge- meine Schwellneigung des ge- samten Körpers, insbesondere bei Frauen in der Menopause.

Qo Zyklisch-prämenstruelle und Schwangerschaftsödeme.

C) Ischämische Ödeme: zum Bei- spiel nach Handoperationen in Blutleere.

Weitere Indikationen für die Lymphdrainage sind Erkrankun- gen mit minimalen exsudativen Schwellungen wie Migräne, Tri- geminusneuralgien, Myogelosen, Tendopathien, Periarthritiden, Pe- riostitiden, Epikondylitiden, Hä- matome, periphere „rheumati- sche" Fazialisparese, degenerati- ve Wirbelsäulen-Syndrome und muskuläre Beschwerden nach Sport.

Besonders wirksam ist die Lymph- drainage in den Frühstadien und akuten Schüben dieser Krank- heitsbilder.

*) Ein ausführliches Odem-Merkblatt und die Lymphtherapeutenliste können bei der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie, 7821 Feldberg-Falkau, Haslachstraße 37 (Telefon 0 76 55/5 90) angefordert werden.

1034 (50) Heft 15 vom 9. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

(3)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Lymphdrainage

Kontraindikationen

Kontraindikationen sind:

C) akute Entzündungen der Ödemextremität (Gefahr der Bak- terienstreuung),

© dekompensierte Herzinsuffi- zienz (Gefahr des Lungenödems),

® lokoregional metastasierende Malignome (Gefahr beschleunig- ter lymphogener Tumorzellaus- saat, daher nur unter Chemo- oder Hormontherapie),

® akute Ekzeme (Gefahr der Ge- neralisierung),

® frische Thrombosen.

Wann stationäre

und wann ambulante Therapie?

Die Lymphdrainage kann entwe- der stationär in lymphologischen Fachkliniken oder ambulant durchgeführt werden.

Die stationäre Behandlung ist sinnvoll bei massiven bis monströ- sen Ödemen sowie bei Phleböde- men mit Ulzerationen, stark schmerzhafen Lipödemen, idio- pathischen Ödemen und bei leich- ten Ödemen, die sich bei ambulan- ter Behandlung nicht genügend bessern, oder aber bei Komplika- tionen wie Erysipele, Lymphbläs- chen, Lymphfisteln, starke Fibro- sen, radiofibrotische Nervenschä- digungen, radiogene Ulzera und starke Schmerzhaftigkeit.

Desgleichen bei schweren allge- meinen Zusatzerkrankungen, offe- nen Hautmetastasen oder aber, wenn Operationen im Ödemgebiet notwendig wurden.

Die stationäre Behandlung ist je nach Schwere des Falles drei bis sechs, eventuell bis acht Wochen lang notwendig. Dabeiwirdzweimal täglich dreiviertel bis eineinhalb Stunden lang die Lymphdrainage angewendet und anschließend eine Kompressionsbandagierung ange-

legt, in der das Intervalltraining ein- geübt und durchgeführt wird. Die Entlassung erfolgt nach der maxi- malen Ödemabnahme, nachdemei- ne Kompressionsbestrumpfung an- gepaßt wurde.

Die übrigen Ödeme sind norma- lerweise ambulant therapiefähig.

Ebenso bedürfen die stationär be- handelten Ödeme einer anschlie- ßenden ambulanten Langzeitbe- handlung über Monate oder Jahre.

Bei schweren Ödemen können er- neute stationäre Behandlungen notwendig werden.

Die ambulanten Behandlungen sollen regelmäßig durchgeführt werden, wobei die Häufigkeit zwi- schen einmal wöchentlich bis ein- mal täglich je nach Ödemstärke variiert. In den meisten Fällen ist die ambulante Anwendung ein- bis zweimal pro Woche durchzufüh- ren (Dauer 30 bis 45 Minuten), ent- sprechend einer Teilbehandlung oder Ganzbehandlung.

Ergänzende

und falsche Therapie

Bei eiweißarmen Ödemen (erkenn- bar an der tiefen Dellenbildung) ist eine Expressionsgerätbehandlung in Verbindung mit einer vorheri- gen und nachfolgenden Lymph- drainagebehandlung möglich, wenn die Anwendungszeiten für die apparative und manuelle The- rapie gleich lang sind.

Eine Extremitätenhochlagerung ist ebenfalls günstig. Operative Verfahren wie Lymphgefäßtrans- plantationen oder lymphovenöse Fisteln sind nur in Ausnahmen in- diziert.

Als falsche Therapie sind die Gabe von Medikamenten wie Diuretika oder die alleinige Expressionsge- rätbehandlung anzusehen, da bei letzterer die Gefahr einer zirkulä- ren Fibrose zentralwärts des Ap- parates besteht. Auch das Auswik- kein mit Gewalt oder in Narkose oder die operative Entfernung von Ödemgewebe ist gefährlich.

Ödemrisiko und Prophylaxe

Unbehandelt besteht das Risiko C) einer Ödemverschlechterung mit Arbeitsunfähigkeit,

© einer Erysipelbildung (je dicker

— desto häufiger: bei elephantiasti- schem Ödem 50 Prozent),

® eines Stewart-Treves-Syndrom (hochmalignes Lymphangio- sarkom, bei 1 Prozent nach 20 Jahren manifestem Ödem) sowie

® einer zunehmenden Gewebs- fibrosierung (Verhärtung) durch Eiweißablagerung und -umbau im lnterstitium mit Beschwerdever- stärkung.

Zur Ödemprophylaxe an der Ödemextremität oder ödemge- fährdeten Extremität ist Vorsicht geboten vor:

• Verletzungen (zum Beispiel In- jektionen, häufige Blutdruckmes- sungen, die außerdem falsche Werte anzeigen können, Mücken- stiche),

I> beruflichen oder sportlichen Überlastungen (Berufswahl, nur Intervalltraining),

• klassischer Massage,

> Überhitzung, Sonnenbrand, Erfrierungen,

> lokalen Infektionen (Erysipel- und Pilzprophylaxe),

> Ekzem,

> Übergewicht bei Beinlymph- ödemen,

> abschnürender Kleidung,

• schwerer Brustprothese bei manifestem Armödem und

• Operationen an der Ödemex- tremität.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Ulrich Herpertz Leitender Oberarzt Feldbergklinik Dr. Asdonk Todtmooser Straße 48 7822 St. Blasien

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 15 vom 9. April 1986 (51) 1035

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Allerdings scheinen nicht alle HLA- Klasse I-Antikörper gleichermaßen eine TRALI-Reaktion auslösen zu können, denn sonst müssten TRALI- Reaktionen wesentlich häufiger be-

Abbildungen 12a (rechts) und 12b (unten): Mit der Demonstration einer Onychodys- trophie vom Typ der Beauschen Linien als Folge einer Vitamin- A-Intoxikation (70 Millionen

Leichte Karbonisation auf dem Kratergrund - Abbildung 3 (links unten): Krater in der Blasenschleimhaut nach Bestrahlung mit dem CO 2 -Laser (Brennfleckdurchmesser 4

viele zwei fleinere Beratungs- oder Schreibftuben enthält, zugleich durch einen malerifch inneren Treppen- aufgang und zierlich fchönes Portal einen würdigen neuen Zugang für

Die Türen öffnen sich langsam, Eine Moskauerin erlebt den Westen, Aus dem Russischen von Hed- dy Pross-Weerth, Vorwort von Carola Stern, Albrecht Knaus Verlag, Hamburg, 1984,

Bitte beantwortet diese Fragen, so gut es geht, aus dem Kopf und notfalls nehmt ihr eure Mitschriften zur Hand. 1) Erkläre den inneren- und äußeren Gasaustausch. 2) Beschreibe den

ciumoxalat erwiesen. Die bei Cort. Terminaliae Ca- tappae und Cort. Terminaliae tomentosae erwähnten Krystalldrüsen sind hier nicht anzutreffen, so dass das Fehlen der

Neben der MLD sind die Kompressionstherapie (Bandagen, massgefertigte Kompressionsstrümpfe für betroffene Körperbereiche), entstauende Gym- nastik und Lagerungen,