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Archiv "Orale Toleranz: Immunologische Mechanismen und potentielle klinische Anwendung" (11.06.1999)

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A-1568

M E D I Z I N EDITORIAL

(52) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 23, 11. Juni 1999

as Immunsystem der gastrointestina- len Mukosa wird ständig mit einer großen Zahl von Antigenen konfron- tiert, die potentiell schädlich für den Gesamtorganismus sein können. Von physiolo- gischer Bedeutung ist, daß in der Regel alle Nahrungsmittelantigene von der Darmmukosa immunologisch toleriert werden (orale Tole- ranz, OT). Auch für die Therapie chronischer Entzündungen hat die Physiologie intestinaler Immunantworten zunehmendes Interesse ge- wonnen. Störungen in diesem System besitzen möglicherweise pathogenetische Bedeutung bei einer Reihe von Erkrankungen. Die Frage, ob eine orale Immuntherapie durch Gabe von Pro- teinen, die eine Suppression systemischer Im- munantworten nach sich zieht, einen Stellen- wert in der Therapie chronischer Entzündungen und Autoimmunkrankheiten erlangen kann, wird derzeit in Studien unter anderem bei Pati- enten mit rheumatoider Arthritis, Diabetes mel- litus und multipler Sklerose überprüft. Im Fol- genden wird ein Abriß über die wissenschaftli- chen Grundlagen der OT und der potentiellen Anwendungen gegeben.

Antigenspezifische Immunantworten im Bereich der Mukosa

An den Grenzflächen der gastrointestinalen Mukosa erfolgt für alle Antigene mit großer Se- lektivität eine Unterscheidung zwischen fremd und körpereigen und zwischen potentiell gefähr- lich und ungefährdend (5, 9). Die Aufnahme von

Antigenen über die gastrointestinale Mukosa kann zum einen zu einer lokalen Abwehr führen (Produktion von sekretorischem IgA) oder in ei- ner systemischen Abwehrantwort resultieren.

Zum anderen kann – und das ist für die meisten aufgenommenen Antigene der Fall – die Induk- tion einer systemischen Immuntoleranz erfolgen (8, 10, 13). Nach oraler Antigengabe erfolgt in der Regel eine längerfristige Suppression syste- mischer Immunantworten auf humoraler und zellulärer Ebene. OT kann für eine Vielzahl von löslichen Antigenen, einschließlich den meisten Proteinen, induziert werden, aber beispielsweise nicht für lebende Pathogene oder für komplexe Antigene (8, 10, 13). Nach heutigem Verständnis wird die oral induzierte Toleranz durch ein kom- plexes Zusammenspiel immunregulatorischer Mechanismen vermittelt, wobei die von T-Lym- phozyten auf mukosaler und peripherer Ebene sezernierten Zytokine eine zentrale Rolle spie- len (5, 8, 10, 13).

Mechanismen der oralen Toleranzinduktion

Im Gegensatz zur systemischen Antigenap- plikation kommt es nach oraler Gabe von Anti- gen zur Generation von antigenspezifischen T- Zellen, die eine gesteigerte Ausschüttung von supprimierenden Zytokinen wie beispielsweise Interleukin-(IL-)4, IL-10 und TGF-β(transfor- ming growth factor-β) aufweisen (aktive Sup- pression). Nach dem heutigen Konzept erfolgt die Generation dieser T-Zellen in den Peyer-

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Orale Toleranz

Immunologische Mechanismen und potentielle klinische Anwendung

Thomas Marth

Martin Zeitz

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schen Plaques, von wo sie in andere Immunor- gane und Orte erhöhter inflammatorischer Ak- tivität auswandern und dort in aktiver Weise die vorgenannten, supprimierenden Zytokine aus- schütten (13).

TGF-βhat dabei wohl eine besondere Be- deutung, denn in verschiedenen Krankheitsmo- dellen ist nach In-vivo-Neutralisation des Zyto- kins keine orale Toleranzinduktion möglich (9, 13) und neuere Arbeiten deuten darauf hin, daß die TGF-βproduzierenden Zellen eine spezifi- sche T-Zellsubklasse darstellen (sogenannte T- Helfer-Typ-3-(Th3-)Zellen), die nur nach ora- ler, aber nicht nach systemischer Antigengabe generiert werden (3, 13). Die Induktion von oraler Toleranz wird weiterhin durch die Im- munmechanismen einer klonalen Deletion (T- Zellapoptose) und einer klonalen T-Zellanergie vermittelt (8, 13). Dabei kann der Beitrag der immunologischen Mechanismen durch Variati- on von oraler Antigendosis moduliert werden:

Hochdosisfütterung führt eher zur klonalen Anergie oder Deletion, wiederholte Niedrigdo- sisfütterung eher zu Induktion einer aktiven Suppression (13).

Modulation oraler Toleranz

In eigenen Studien haben wir die physiolo- gische Regulation intestinaler Immunantworten nach oraler Antigengabe und die immunologi- sche Grundlage der Generation TGF-βprodu- zierender Zellen untersucht.

In einem Mausmodell, in dem antigenspezi- fische T-Zellantworten in optimaler Weise ana- lysiert werden können, das heißt in Mäusen mit einer Transgenität für den Ovalbumin (OVA) spezifischen T-Zellrezeptor (TCR), wurde nach Niedrigdosisfütterung von OVA eine Stimulati- on von systemischen und mukosalen Immunant- worten, insbesondere eine Induktion zellulärer Immunantworten mit assoziierter Interferon- (IFN-)γ-Produktion, beobachtet (6). Erst Hoch- dosisfütterung mit OVA resultierte in einer Sup- pression von Immunantworten (wie T-Zellproli- feration, Zytokinsekretion, kutane Hypersensi- tivitätsreaktion).

Die Induktion einer aktiv supprimierenden TGF-β-Antwort jedoch war nur durch eine Langzeitfütterung mit dem Antigen oder durch eine Modulation der Hochdosistoleranz durch Neutralisation der IFN-γ-Produktion (durch Applikation von Interleukin-12-Antikörpern

[anti-IL-12]) zu erreichen (6, 7). In unserem Sy- stem wurde orale Toleranz also durch Gabe von anti-IL-12 verstärkt; ähnliche Effekte können in einem anderen Modell durch Administration von rekombinanten IL-4 erreicht werden (6, 8, 13).

Diese Arbeiten zeigen eine Regulation von mukosalen Immunantworten durch die orale Antigendosis und das Zytokinmilieu und weisen auf die auch in anderen Experimentalsystemen nachvollziehbare reziproke Regulation von Th1-Immunantworten (IFN-γ und IL-12) und supprimierenden Immunantworten (TGF-β) hin. Als weiterer wesentlicher Aspekt, der zur Verstärkung von OT nach Neutralisation von IL-12 beitrug, konnte die Induktion eines pro- grammierten Zelltodes (Apoptose) von IFN-γ produzierenden Zellen durch Gabe von anti-IL- 12 identifiziert werden (6).

Orale Toleranz bei chronisch- entzündlichen Erkrankungen

Die Ansätze zur Suppression antigenspezi- fischer Immunantworten durch orale Antigen- gabe haben Eingang in die Therapie chroni- scher Entzündungen gefunden. In einer Reihe von Tiermodellen autoimmuner Erkrankungen, wie der kollageninduzierten Arthritis (Modell für rheumatoide Arthritis) (13), der Enzepha- lomyelitis (Modell für multiple Sklerose) (9), der Insulinitis (Diabetesmodell in der NOD- Maus) (13), der Kolitis (induziert durch Tri- nitrochlorbenzolsulfat (11), Modell für Morbus Crohn) und anderen, wurde OT als therapeuti- sche Option untersucht. Dabei hat zum einen die orale Gabe von vermuteten Autoantigenen vor Induktion der Erkrankung den Krankheits- ausbruch verhindert. Zum anderen war die An- tigenfütterung nach Krankheitsinduktion mit einer deutlichen Reduktion der Erkrankungs- aktivität verbunden. In den meisten Modellen war das klinische Ansprechen mit der Suppres- sion von zellulären Th1-Immunantworten asso- ziiert.

Diese Ergebnisse haben dazu geführt, daß OT derzeit auch bei Erkrankungen wie der rheumatoiden Arthritis, der multiplen Sklerose und dem Diabetes mellitus als mögliche Thera- pie in Studien getestet wird (13). Nach den er- sten Ergebnissen kann die orale Gabe von Au- toantigenen beim Menschen zur Hemmung chronischer Entzündungsprozesse führen. Da- bei zeigte sich bei der rheumatoiden Arthritis

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nach Einnahme von niedrigen Kollagendosen eine Tendenz (teilweise auch signifikante Er- gebnisse) hinsichtlich der Abnahme von Ge- lenkschwellungen und des Schmerzmittelver- brauchs; in einigen Fällen wurde auch von klini- scher Remission der Arthritis bei vorher mit Immunsuppressiva behandelten Patienten be- richtet (12, 13). In einer anderen Studie wurden klinische Effekte vorwiegend in einer Niedrig- dosisgruppe (20 µg Kollagen täglich) und nicht in Hochdosisgruppen (bis 2 500 µg pro Tag) ge- funden (1).

Bei der multiplen Sklerose deuteten erste Ergebnisse darauf hin, daß HLA-DR2 negative Männer ein Ansprechen hinsichtlich der Rezi- divfrequenz und der Rezidivschwere zeigten (13); dies ließ sich jedoch in einer größeren, kürzlich abgeschlossenen Studie nicht bestäti- gen. Der mögliche therapeutische Ansatz einer OT beim Menschen wird auch durch Beobach- tungen gestützt, die zeigen, daß ein oral verab- reichtes Antigen (wie KLH) bei gesunden Pro- banden zur spezifischen Suppression systemi- scher Immunantworten führt (4).

Es bedarf weiterer gut definierter und kon- trollierter klinischer Interventionsstudien zur Klärung der Effektivität oraler Toleranzinduk- tion bei autoimmunen Erkrankungen. Unklar- heit besteht insbesondere hinsichtlich der zu applizierenden Dosis und ob genetisch determi- nierbare Patientensubgruppen eine höhere An- sprechrate zeigen. Auch die Sicherheit oraler Toleranzinduktion ist in Tiermodellen noch nicht endgültig geklärt.

Eine kürzlich publizierte Arbeit zeigte in einem genetisch veränderten Mausmodell die Induktion zytotoxischer Immunreaktionen und die Verstärkung eines Diabetes durch orale An- tigenzufuhr (2). Aufgrund der noch offenen Fragen und zur Optimierung systemischer Tole- ranz nach oraler Antigengabe sind weitere tierexperimentelle Studien erforderlich und die im Tiermodell erzielten Befunde sind an- schließend innerhalb klinischer Studien auf Relevanz zu prüfen.

Das verbesserte Verständnis der besonde- ren immunregulatorischen Mechanismen nach oraler Antigengabe beinhaltet verschiedene klinische Perspektiven: Es ist denkbar, bei der oralen Immuntherapie Toleranz durch gleich- zeitige Modulation des Zytokinmilieus zu ver- stärken; erfolgversprechend erscheint bei- spielsweise die Neutralisation von IL-12 oder die Gabe von IL-4. Weiterhin sind Regulations- störungen der oralen Toleranz im Vordergrund

pathogenetischer Überlegungen bei den chro- nisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Mor- bus Crohn und Colitis ulcerosa), bei Nahrungs- mittelallergien und bei der Sprue und ein thera- peutischer Einsatz im Sinne einer verstärkten Toleranzinduktion ist hier zukünftig vorstell- bar.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1568–1570 [Heft 23]

Literatur

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Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Thomas Marth Innere Medizin II

Universitätskliniken des Saarlandes 66421 Homburg/Saar

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