Versuch Radioaktivit¨ at
Beschafft aus Studiengeb¨uhren
Vorbereitung: Radioaktiver Zerfall, Wechselwirkung von Strahlung mit Materie, Bethe-Bloch-Formel,226Ra-Zerfallskette, Strahlenschutzgr¨oßen: Ak- tivit¨at, Energiedosis, ¨Aquivalentdosis; zus¨atzlich Physiker/ Mathematiker:
Theorie des Alpha-Zerfalls, Wirkungsquerschnitt, Rutherford-Streuung.
Literatur:
• T. Mayer-Kuckuk: Kernphysik (Kap. 1.2/1.3, 3.1-3.3), Teubner-Verlag
• K. S. Krane: Introductory Nuclear Physics (Kapitel 6.1, 6.5, 7.1, 7.4- 7.6), Wiley
Hinweis: Schwangere d¨urfen diesen Versuch nicht durchf¨uhren.
Geben Sie Ihrem Betreuer/in oder der Praktikumsleitung Be- scheid.
1 Energieverlust von α -Teilchen in Materie
In diesem Versuch wird der Energieverlust vonα-Teilchen in Luft gemessen und mit theoretischen Erwartungen verglichen. Als Quelle der α-Teilchen dient ein 226Ra-Pr¨aparat. In der Zerfallskette von 226Ra treten mehrere α- Zerf¨alle auf, die zu folgenden diskreten kinetischen Energien derα-Teilchen f¨uhren: 4.78 MeV, 5.30 MeV, 5.49 MeV, 6.0MeV, 7.69 MeV.
Durchfliegen dieα-Teilchen ein Medium (hier: Luft), so verlieren sie als geladene Teilchen kontinuierlich ihre kinetische Energie bis sie gestoppt wer- den. Dies geschieht ¨uber Coulomb-Wechselwirkung mit den Elektronen in der Atomh¨ulle des Materials. Bei jeder Wechselwirkung wird dabei nur ein geringer Bruchteil der Energie verloren, es handelt sich dabei also um einen statistischen Prozess, bei dem viele Wechselwirkungen n¨otig sind bis ein Teil- chen gestoppt wird. Der mittlere Energieverlust dE pro Wegstrecke dx ist durch die Bethe-Bloch-Formel (hier in der N¨aherung f¨ur schwere langsame Teilchen) gegeben:
dE
dx =−Zα2Ze4nmα
8πǫ20me 1 Eln
4meE mαI
mit
Zα = 2: Kernladungszahl derα-Teilchen, mα= 6.65×10−27kg, Masse derα-Teilchen, me= 9.11×10−31kg, Elektronen-Masse, e= 1.60×10−19As, Elementarladung ǫ0= 8.85×10−12V mAs , dielektr. Konstante
I, mittlere Ionisierungsenergie des Materials (LuftI = 86eV) Z, effektive Kernladungszahl des Materials (Luft Z = 7.2) n, Teilchendichte des Materials (Luftn= 5.4×1025m−3) E kinetische Energie des Teilchens
Werden die Konstanten f¨ur Luft unter Normalbedingungen eingesetzt ergibt sich:
dE
dx =−a 1
E ln (b E) mit
a= 1.475M eVcm2, b= 6.379M eV−1
Der Energieverlust nimmt also mit zunehmender Teilchenenergie (etwa mit E1) ab, was damit anschaulich begr¨undet werden kann, dass schnellere Teilchen sich weniger lang im Einflussbereich des Stoßpartners aufhalten.
Die Energie der α-Teilchen wird mit einem Silizium-Halbleiterdetektor gemessen: Dieser besteht aus einem in Sperrrichtung betriebenen pn- ¨Uber- gang, in dem es eine Ladungstr¨ager verarmte Zone gibt. Die α-Teilchen deponieren ihre kinetische Energie in dieser Verarmungszone und erzeugen dadurch freie Ladungstr¨ager (Elektron-Loch-Paare). Pro 3.6 eV deponierter Energie wird ein Elektron-Loch-Paar erzeugt. Die Zahl der Elektron-Loch- Paare ist somit proportional zur deponierten Energie. Durch die angeleg- te Sperrspannung werden die erzeugten Ladungstr¨ager abgesaugt und es fließt ein Strom. Dieser wird in einem Verst¨arker integriert, in einen Span- nungspuls umgewandelt und verst¨arkt. Der Spannungspuls wird in einem so- genannten Analog-Digital-Wandler digitalisiert, der entsprechend der Gr¨oße des Pulses eine Zahl erzeugt. Diese Zahl, die proportional zur Energie des α-Teilchens ist, wird vom Computer in ein Spektrum (Histogramm) ein- sortiert. Das entstehende Spektrum repr¨asentiert die Energieverteilung der α-Teilchen in willk¨urlichen Einheiten.
In der Vorbereitung schriftlich zu bearbeiten:
1. Geben Sie die Zerfallskette von226Ra bis zum stabilen Kern206Pb an.
2. Begr¨unden Sie dass die nichtrelativistische N¨aherung der Bethe-Bloch- Formel gerechtfertigt ist, indem Sie β = vc f¨ur ein α-Teilchen mit 8 MeV kinetischer Energie berechnen.
Versuchsdurchf¨uhrung:
3. Zun¨achst muss eine Energiekalibration des Detektors durchgef¨uhrt wer- den: Nehmen Sie dazu das Spektrum des 226Ra-Pr¨aparats auf (100 s Messzeit), wobei die Messkammer evakuiert wird und der Abstand zwischen Pr¨aparat und Detektor 3 cm betr¨agt. Bestimmen Sie bei wel- chem Kanal im Spektrum der Schwerpunkt der h¨ochst (7690 keV)- und niederenergetischen (4780 keV) Linie liegt (rechte Maustaste: weitere
Auswertungen: Gauss-Kurve anpassen). Schreiben Sie sich die Kanal- werte auf, tragen Sie diese und die entsprechenden Energien in das Dialogfenster Energiekalibrierung (Alt+E) ein.
4. Bestimmen Sie die Druckabh¨angigkeit des Energieverlust, indem Sie die Lage der 7690 keV-Linie im Energiespektrum (Gauss-Anpassung wie oben) bei verschiedenen Dr¨ucken messen (50, 100, 200, 300, ....
hPa); bel¨uften Sie dazu die Messkammer schrittweise bis Normaldruck.
5. Nehmen Sie nun f¨ur verschiedene Abst¨ande (1cm, 2cm, 3cm, 4cm, 5cm, 5.9cm) zwischen Detektor und Pr¨aparat das Energiespektrum auf. Bestimmen Sie die Lage der Peaks, indem Sie wie oben eine Gauss- Kurve anpassen. Messzeit: 100s (200s f¨ur 5cm und 5.9cm).
6. Strahlenbelastung: Sch¨atzen Sie mit Hilfe Ihrer Betreuerin oder Ihres Betreuers ab, welche ¨Aquivalentdosis Sie w¨ahrend des Versu- ches unter folgenden Annahmen abbekommen haben:α-Teilchen wer- den wegen der geringen Reichweite in Luft (einige Zentimeter) ver- nachl¨assigt, β-Teilchen ebenso, da Sie mit einer Energie von eini- gen MeV die W¨ande der Experimentierkammer nicht durchdringen k¨onnen. In der Zerfallskette aus Aufgabe 1 trittγ-Strahlung zusammen mit denβ-Zerf¨allen von214P b(γ-Energien: 242 keV, 295 keV, 352 keV) und 214Bi (γ-Energien: 609 keV, 1120 keV, 1764 keV) auf. Um eine konservative Absch¨atzung zu erhalten, nehmen Sie an, dass jeweils zu 100% Gammas der h¨ochsten Energie emittiert werden. Die Aktivit¨at des 226Ra-Pr¨aparats betr¨agt 333 kBq; da seine mittlere Lebensdauer mit 1600 a wesentlich gr¨oßer ist als f¨ur alle anderen Zerf¨alle der nach- folgenden Kette, kann man f¨ur 214P b (mittlere Lebensdauer: 27 min) und214Bi(mittlere Lebensdauer: 20 min) als Aktivit¨at auch 333 kBq ansetzen, da verglichen mit der Skala von 1600 a jedes gebildete Folge- produkt sofort wieder weiterzerf¨allt. Zerf¨alle nach210P bin der Zerfalls- kette k¨onnen unber¨ucksichtigt bleiben, da die mittlere Lebensdauer f¨ur
210P b mit 22 a um Gr¨oßenordnungen l¨anger ist als die von214P bund
214Bi. Machen Sie weiterhin f¨ur den Abstand zum Pr¨aparat, zu Ihrer Aufenhaltsdauer, zu Ihrer Querschnittsfl¨ache sowie Ihrer K¨orpermasse sinnvolle Annahmen. (Physiker/Mathematiker k¨onnen diese Aufgabe w¨ahrend der Messzeit bei der Rutherford-Streuung bearbeiten!) Auswertung:
7. Bestimmen Sie−dEdx, indem Sie die Energie-Verschiebung aller Peaks f¨ur benachbarte Abst¨ande verwenden. Tragen Sie−dEdx ¨uber E (Mittel- wert der beiden Energien verwenden) zusammen mit dem erwarteten Verlauf aus der Bethe-Bloch-Formel auf.
8. Tragen Sie f¨ur die α-Teilchen mit der Anfangsenergie E0=7.69 MeV die Energie der α-Teilchen, die sie nach Durchlaufen der Strecke x
noch haben, ¨uber der Strecke x auf. Berechnen Sie den erwarteten Verlauf aus der Bethe-Bloch-Formel und zeichnen Sie diesen ebenfalls ein. Tipp:
x= ZE
E0
dE dx
−1
dE
Setzen Sie als N¨aherung in der Bethe-Bloch-Formel dabei den logarit- mischen Term, der verglichen mit dem E1-Term im G¨ultigkeitbereich nur schwach variiert, als konstant an, indem Sie E durch den Mittel- wert E20 ersetzen, um das Integral einfach l¨osen zu k¨onnen.
9. Tragen Sie f¨ur die α-Teilchen mit der Anfangsenergie E0=7.69 MeV
−dEdx uber die durchlaufene Strecke x (Mittelwert der beiden x-Werte¨ verwenden) auf. Zeichnen Sie den erwarteten Verlauf ein, indem Sie die Ergebnisse aus Aufgabe 8 verwenden. Beschreiben Sie den Verlauf!
10. Tragen Sie den Energieverlust−dEdx f¨ur die 7690 keV-Linie bei verschie- denen Dr¨ucken graphisch auf und erkl¨aren Sie den erwarteten Verlauf.
11. Diskutieren Sie die Grenzen der G¨ultigkeit der Bethe-Bloch-Formel, sowie der gemachten N¨aherungen.
2 Rutherford-Streuung (nur f¨ ur Physiker/ Ma- thematiker)
Zur quantitativen Beschreibung von Streuprozessen muss der Begriff des Wirkungsquerschnitts eingef¨uhrt werden: Der totale Wirkungs- querschnittσist proportional zur Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen beim Durchfliegen eines d¨unnen Materials (Target), eine Wechselwir- kung (Reaktion) ausl¨ost. Wird die Zahl der ausgel¨osten Reaktionen pro Zeit ˙Nreak gemessen, wenn ein Teilchenstrom der Stromdichte j (Zahl der pro Zeit und Fl¨ache auftreffenden Teilchen) auf ein Target mit NT arget Streuzentren (z. B. Atome oder Kerne) auftrifft, dann kann der Wirkungsquerschnitt bestimmt werden:
σ = N˙reak jNT arget
Der Wirkungsquerschnitt hat die Dimension einer Fl¨ache, bei Streu- ung von harten Kugeln entspricht er genau der geometrischen Quer- schnittsfl¨ache der Targetkugel (falls der Radius der streuenden Kugel vernachl¨assigt werden kann). Neben dem totalen Wirkungsquerschnitt gibt es den Begriff des differentiellen Wirkungsquerschnitts dΩdσ, der an- gibt, wieviel Teilchen in eine bestimmte Richtung (in ein bestimmtes Raumwinkelelement ∆Ω) gestreut werden; es gilt analog
dσ
dΩ(θ) = N˙det/∆Ω jNT arget,
dabei ist ˙Ndet die Zahl der pro Zeit in den Detektor gestreuten Teil- chen, der unter einem Winkelθzur Richtung der einfallenden Teilchen steht und das Raumwinkelelement ∆Ω abdeckt. Das Raumwinkelele- ment ∆Ω ergibt sich als die Querschnittsfl¨ache A des Detektors di- vidiert durch den Abstand r des Detektors zum Target im Quadrat
∆Ω = rA2. Aus der Messung der Winkelverteilung der gestreuten Teil- chen bzw. aus der Bestimmung von dσdΩ, lassen sich R¨uckschl¨usse ¨uber die Wechselwirkung zwischen Target und Projektil und die Ausdeh- nung der Targetteilchen ziehen. Durch Streuexperiment mitα-Teilchen an d¨unnen Folien (Messung der Winkelverteilung, 1911 - 1913) wurde die Existenz des Atomkerns entdeckt. Die gemessenen Winkelvertei- lungen stimmten perfekt mit dem Verlauf ¨uberein, der f¨ur Coulomb- Streuung an punktf¨ormigen Teilchen erwartet wurde (Rutherfordsche Streuformel):
dσ
dΩ(θ) = Z1Z2e2 16πǫ0E
!2
1 sin4(θ/2)
dabei sindZ1 und Z2 die Kernladungszahl von Projektil (α-Teilchen) und Targetteilchen, e die Elementarladung, ǫ0 die Dielektrizit¨atskon- stante, E die kinetische Energie derα-Teilchen undθder Streuwinkel.
Aus der ¨Ubereinstimmung mit dem punktf¨ormigen Verlauf schloss Ru- therford, dass es einen Atomkern gibt, in dem die positive Ladung des Atoms sitzt, und der wesentlich kleiner als das Atom ist. Das Thomsonsche Atommodell, bei dem positive und negative Ladungen gleichm¨aßig ¨uber das gesamte Atom verschmiert sind, konnte ausge- schlossen werden (vgl. Abbildung).
Messung:
12. Messen Sie die Rutherford-Streuung an einer Goldfolie unter verschie- denen Streuwinkeln: 0◦ (Messzeit: 100 s), ±5◦ (100 s), ±10◦ (100 s),
±15◦ (200 s), ±20◦ (400 s), ±25◦ (600 s), ±30◦ (900 s). Verwenden Sie dazu das 241Am-Pr¨aparat (Eα= 5.48 MeV) sowie den Deckel mit Pr¨aparat- und Targethalter und evakuieren Sie die Streukammer (De- tektoreintrittsschlitz muss senkrecht stehen). W¨ahlen Sie bei der 0◦-
Messung einen geeigneten Integrationsbereich (rechte Maustaste: In- tegral: Fl¨ache zur x-Achse) aus, den Sie dann f¨ur alle Messungen bei- behalten. Notieren Sie sich jeweils die Z¨ahlrate im Integrationsbereich sowie die Messzeit.
Auswertung:
13. Tragen Sie die gemessenen Z¨ahlraten (Ereignisse pro Zeit) logarith- misch ¨uber dem Streuwinkel auf. Bestimmen Sie den Schwerpunkt der Verteilung, um einen eventuellen Offset in der Winkeleinstellung auf- grund ungenauer Justierung des Aufbaus zu ermitteln (Es wird eine um 0◦ symmetrische Verteilung erwartet.).
14. Tragen Sie Ihre Z¨ahlraten mit statistischem Fehler ¨uber dem Steuwin- kel auf. Korrigieren Sie dabei den eventuell aufgetretenen und oben bestimmten Offset im Winkel. Zeichnen Sie den aus der Rutherford- Formel erwarteten sin41
(θ/2)-Verlauf ein. Passen Sie die Theoriekurve dazu im Winkelbereich θ > 10◦ und θ < −10◦ an. (Im Winkelbe- reich um 0◦ kommt es zu Abweichungen unter anderem aufgrund der endlichen Ausdehnung des Detektors.)