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P 92 -10 2

D A S J A H R D A N A C H

Zum Transformationsprozeß Ostdeutschlands und seiner Bewertung

aus der Sicht der Betroffenen Detlef Landua

AG Sozialberichterstattung Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Berlin, April 1992

(2)

Inhaltsübersicht:

Zusammenfassung 0. Einleitung

1. Zur Dynamik der Umbruchsituation Ostdeutschlands: Veränderungen der sozialstrukturellen Gliederung

2. Wie wichtig sind einzelne Lebensbereiche für das subjektive Wohlbefinden der Ostdeutschen?

3. Wie bewerten die Ostdeutschen ihre Lebensbedingungen zwischen 1990 und 1991 im einzelnen?

4. Wie bewerten einzelne Bevölkerungsgruppen verschiedene Lebensbereiche?

5. Welche wirtschaftlichen Sorgen und beruflichen Erwartungen verbinden die Deutschen mit ihrer Lebenslage?

6. Wie bewerten einzelne Berufstätigengruppen ihre Chancen und Lebensver­

hältnisse?

7. Wie bewerten die Ostdeutschen ihre momentanen Lebensverhältnisse insge­

samt?

8. Wie hat sich die allgemeine Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland zwi­

schen 1990 und 1991 verändert?

9. Wie sehen die Ostdeutschen ihre weitere persönliche Zukunft?

10. Wie ist der allgemeine Stimmungseinbruch in Ostdeutschland zu erklären?

11. Schlußbemerkungen und Zusammenfassung der Ergebnisse

Literaturangaben

(3)

- Seite 1 -

Zusammenfassung

Nach dem unerwartet raschen Zusammenbruch des DDR-Staates und dem schnellen Beitritt zur Bundesrepublik zeichnet sich ein erheblich längerer Ab­

schnitt in der ost-west-deutschen Entwicklung ab: Viele Probleme des Zusam­

menwachsens der beiden deutschen Gesellschaftssysteme werden für ihre Lösung noch Jahre in Anspruch nehmen. Wie aber reagieren die betroffenen Menschen in Ostdeutschland auf die sich rapide verändernden Lebensum­

stände, wie bewerten sie ihre Lebensbedingungen und wie finden sie sich unter den neuen und ungewohnten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zurecht?

Im folgenden werden Ergebnisse des Sozio-ökonomischen Panels präsentiert Die seit 1984 im Westen jährlich durchgeführte Umfrage wurde 1990, kurz vor der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion auf das Gebiet der früheren DDR ausgedehnt. Im Juni 1991 wurde die zweite Befragung durchgeführt. Damit ist die Möglichkeit gegeben, eine Einschätzung des Verlaufs der Wohlfahrtsent­

wicklung in Ostdeutschland auf bevölkerungsrepräsentativer Basis vorzuneh­

men. Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Die hohe Bedeutung von Arbeit und Einkommen für das Wohlbefinden der Ostdeutschen hat nicht nachgelassen, sondern weiter zugenommen. Dies gilt auch für die (neuen) Gruppen der Erwerbslosen.

2. Die bereits 1990 hohe Unzufriedenheit mit den Bedingungen in wichtigen Lebensbereichen ist weiter gestiegen. Hiervon sind insbesondere Kurzarbeiter und Arbeitslose betroffen.

3. Die eigenen Chancen auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt haben sich aus der Sicht der Befragten weiter verschlechtert; Sorgen um die eigene wirtschaft­

liche Situation sind mittlerweile allgemein verbreitet.

4. Ein Jahr nach der "Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion" fällt die bilanzierende Bewertung aller Lebensumstände nir einen Großteil der Ostdeut­

schen negativ aus. Rentner bewerten die Entwicklung günstiger.

5. Die Zukunftszuversicht vieler Kurzarbeiter und Arbeitslosen hat nachge­

lassen, die Gefahr der sozialen Ausgrenzung größerer Bevölkerungsteile in Ost­

deutschland hat sich erhöht.

6. Die Ursachen des Stimmungseinbruchs im Osten sind nicht nur in ver­

schlechterten objektiven Lebensumständen, sondern auch in enttäuschten Erwartungen und in der wachsenden Bedeutung subjektiver Beeinträchtigun­

gen durch verbreitete Zukunftsängste und Orientierungsprobleme zu suchen.

(4)

- Seite 2 -

0. Einleitung

Die deutsche Wiedervereinigung ist rechtlich und institutionell vollzogen wor­

den, aber das reale Zusammenwachsen der beiden deutschen Gesellschaftssy­

steme wird zweifellos noch lange andauern. Ebenso deutlich zeichnet sich ab, daß viele sozial-strukturelle Entwicklungen in der früheren DDR westdeut­

schen Mustern folgen werden. Keineswegs alle der in Folge des ostdeutschen Transformationsprozesses eingetretenen Ereignisse kamen deshalb völlig unvorhergesehen. Weniger als die allgemeine Richtung überraschten in den zurückliegenden Monaten oft mehr Geschwindigkeit und Intensität, mit der sich die Entwicklung in vielen Teilbereichen vollzog. Die Steuerbarkeit der an­

haltenden Veränderungen gesellschaftlicher Ordnungen im Ostteil Deutsch­

lands wurde nicht zuletzt auch durch das hohe Entwicklungstempo und durch den Tiefgang des sozialen Wandels nachhaltig gestört.

Eine umfassende Bestandsaufnahme des bisherigen Verlaufs der Veränderun­

gen im Osten fällt nicht leicht. Sicher ist, die Lebensverhältnisse in der ehemali­

gen DDR waren und sind - verglichen mit den westdeutschen - durch erhebli­

che Defizite gekennzeichnet. Informationen zu den meisten dieser Defizite sind mittlerweile vorhanden. Zahlreiche Datenquellen in Ostdeutschland über die Einkommensverhältnisse, die Arbeitslosen quote, die Wohnungsmisere, den Grad der Umweltzerstörung, die Kriminalitätsrate und andere Informationen über "objektive", im Prinzip meßbare, Lebensbedingungen legten das Ausmaß an ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschen offen.

Wie aber reagieren die betroffenen Menschen in Ostdeutschland auf die sich ra­

pide verändernden Lebensumstände, wie bewerten sie ihre - vergleichsweise - schlechten Lebensbedingungen, wie finden sie sich in den neuen und unge­

wohnten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zurecht? Für eine Bestands­

aufnahme der Wohlfahrtsentwicklung im deutsch-deutschen Transformations­

prozeß kommt, neben Daten über "objektive" Lebensverhältnisse, auch Informa­

tionen über diese "subjektiven" Aspekte eine hohe Bedeutung zu.

(5)

- Seite 3 -

Das Gewicht dieser Zusatzinformationen ergibt sich schon aus methodologi­

schen Gründen, denn ein und dieselbe Person kann durchaus in einem be­

stimmten Lebensbereich ein hohes, in einem anderen ein niedriges Wohlfahrts­

niveau aufweisen. Ein bewertender Vergleich dieser unterschiedlichen Verhält­

nisse ist ausschließlich anhand von Informationen über objektive Lebenslagen aber nur bedingt möglich. Wie etwa sollte die Höhe des Einkommens mit dem Gesundheitszustand oder die Wohnverhältnisse mit dem Zustand der öffentli­

chen Sicherheit verglichen werden? Eine Möglichkeit zur Ermittlung solcher horizontaler Disparitäten besteht in der Verwendung von Zufriedenheitsskalen, mit denen zumindest die subjektiven Bewertungen unterschiedlicher Lebens­

und Problembereiche anhand einer einheitlichen Meßmethode dargestellt wer­

den können.

Aber auch zentrale inhaltliche Gründe sprechen dafür, für eine Bestandsauf­

nahme der Wohlfahrtsentwicklung in Deutschland Indikatoren des subjektiven Wohlbefindens mitzuberücksichtigen, denn vergleichbare objektive Lebensbe­

dingungen müssen von verschiedenen Bevölkerungsgruppen keineswegs glei­

chermaßen bewertet werden und umgekehrt führen unterschiedliche Lebens­

verhältnisse nicht zwangsläufig zu entsprechend differenzierten Wohlfahrtspo­

sitionen. Ob bspw. ein bestehendes Realeinkommen als hoch oder niedrig ein­

zustufen ist, entscheidet sich letztlich nicht allein durch seinen absoluten Betrag, sondern auch daran, welche Erwartungen und Ansprüche bestimmte Personen mit diesem Betrag verbinden. Zufriedenheitsangaben geben Aufschluß darüber, wie Personen vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Erwartungen und An­

sprüche bestimmte Lebensbedingungen bewerten und beziehen sich damit auf das Verhältnis zwischen objektiver Lage und ihrer subjektiven Reflexion. Sie re­

präsentieren darüberhinaus das Ergebnis von sozialen Vergleichsprozessen, etwa mit Freunden und Bekannten, und sie weisen, vor allem im Falle von massiv geäußerter Unzufriedenheit, auf mögliche Handlungspotentiale hin, die sie verursachende Situation zu verändern.

Ziel dieses Beitrags ist es deshalb, anhand von subjektiven Indikatoren und da­

mit aus der Sicht der Betroffenen, eine vorläufige, bilanzierende Bewertung zum Verlauf des Umwälzungssprozesses in Ostdeutschland zu geben. Im ersten Kapitel liegt der Schwerpunkt der Ausführungen auf einer - eher illustrativen - Darstellung der Veränderung "objektiver" Gesellschaftsstrukturen. Die weiteren Kapitel konzentrieren sich auf die Beantwortung folgender Fragen:

(6)

- Seite 4 -

- Wie wichtig sind einzelne Lebensbereiche für das subjektive Wohlbefinden der Ostdeutschen?

- Wie bewerten die Ostdeutschen ihre Lebensbedingungen zwischen 1990 und 1991 im einzelnen?

- Wie bewerten einzelne Bevölkerungsgruppen verschiedene Lebensbereiche?

- Welche wirtschaftlichen Sorgen und beruflichen Erwartungen verbinden die Deutschen mit ihrer Lebenslage?

- Wie bewerten einzelne Berufstätigengruppen ihre Chancen und Lebensver­

hältnisse?

- Wie bewerten die Ostdeutschen ihre momentanen Lebensverhältnisse insge­

samt?

- Wie hat sich die allgemeine Lebenszufriedenheit in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1991 verändert?

- Wie sehen die Ostdeutschen ihre weitere persönliche Zukunft ?

- Wie ist der allgemeine Stimmungseinbruch in Ostdeutschland zu erklären?

Die Datenbasis bildet das Sozio-ökonomische Panel (SOEP). Das SOEP ist eine Längsschnittuntersuchung privater Haushalte in Deutschland und wird im jährlichen Rhythmus seit 1984 bei denselben Haushalten, Personen und Fami­

lien in der Bundesrepublik durch geführt (SOEP-West). 1984 hatte die erste Datenerhebung einen Umfang von rund 6.000 Haushalten, bzw. mehr als 12.200 Personen. Die wichtigsten Themenbereiche der Studie betreffen die Verände­

rungen der Haushaltszusammensetzung, die Erwerbsbeteiligung und die beruf­

liche Mobilität. Darüberhinaus werden aber auch Informationen zur Zufrieden­

heit und zu Werteinstellungen erhoben. Für viele Themenbereiche liegen des­

halb sowohl Angaben zu den objektiven Lebensbedingungen als auch zu deren subjektiven Wahrnehmungen vor. 1990, unmittelbar vor der Wirtschafts-, Wäh- rungs- und Sozialunion, wurde die Umfrage auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgeweitet (SOEP-Ost). Im Juni 1991 nahmen ca. 4200 Personen in 2030 Haushalten an der zweiten Ost-Befragung teil (Schupp/ Wagner 1991; Hanefeld 1987). Damit ist die Möglichkeit gegeben, eine Einschätzung des Verlaufs der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung Ostdeutschlands auf bevöl­

kerungsrepräsentativer Basis darzustellen.

(7)

Schaubild 1: Soziale Lagen in Westdeutschland Schaubild 2: Soziale Lagen in Ostdeutschland

-Seite 5-

Leitende Angestellte Höhere Beamte Hochqual. Angestel.

Gehobene Beamte Qualifizierte Ang.

Einf.,mittl. Beamte Einfache Angestellte

Vorarbeiter/Meister Facharbeiter Un-,angel. Arbeiter

Selbständige Arbeitslose Azubis/Studenten/Bw NEW/gesundh. Gründe Sonst.NEW/früher EW Sonst.NEW/nie EW

Noch erwerbstätig Rentner/früher EW Nichterwerb./nie EW

Leitende Angestellte Hochqual.Angestellte Qual. Angestellte Einfache Angestellte Meist./Vorarb./Brig.

Facharbeiter Un-, angelernte Arb.

Selbständige Arbeitslose MütterjahrZ-Urlaub Wehrdienst Ausbildung/Lehre Sonst. Nichterwerbs.

- 1990-

20 15 10 5 0 5 10 15

In Prozent

S H Deutsche/M B Deutsche/F

■■

Ausländer/M

■ i

Ausländer/F

Noch erwerbstätig Rentner (früher EW) Noch nie erwerbstät.

20 15 10 5 0 5 10 15 In Prozent

Männer ÜSH Frauen

Datenbasis: SOEP-West; 1. Welle (1984) Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

(8)

- Seite 6-

1. Zur Dynamik der Umbruchsituation Ostdeutschlands: Verände­

rungen der sozialstrukturellen Gliederung

Es ist schwer möglich, Verständnis für Veränderungen subjektiver Befindlich­

keiten in Ostdeutschland zu entwickeln, ohne sich das Ausmaß und das Tempo des sozialen Wandels in der ehemaligen DDR seit 1990 in Erinnerung zu rufen.

Für eine überblicksartige Darstellung gesellschaftlicher Veränderungen wird im folgenden die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland in einzelne soziale La­

gen unterteilt, die durch Geschlecht, Alter (17 bis 60, 61 Jahre und älter), Er­

werbsstatus, Berufsgruppen und für Westdeutschland zusätzlich durch den Ausländeranteil bestimmt sind. Die aus diesem Modell resultierenden Vertei­

lungen enthalten damit wesentliche Elemente der sozialstrukturellen Grund­

gliederung der "alten" und "neuen" Bundesrepublik. Die Darstellungen reprä­

sentieren in graphischer Form die Verteilung einzelner Gruppen für West­

deutschland (1984; Basiserhebung des SOEP-West) und für Ostdeutschland zwischen 1990 und 1991.

In Westdeutschland finden sich bei den abhängig Beschäftigten die größten Gruppen der Männer bei Facharbeitern und der Frauen bei qualifizierten Ange­

stellten (Schaubild 1). In den vier statushöchsten Gruppen sind Männer gegen­

über Frauen deutlich überrepräsentiert. Die Selbständigen umfassen zusammen weniger Personen als die Gruppe der qualifizierten weiblichen Angestellten.

Die größte Gruppe der "Sonstigen Nicht-Erwerbstätigen (NEW)" bis 60 Jahren stellen die Hausfrauen mit (umgerechnet) weit über 5 Millionen Personen. Nur noch etwa 14 Prozent aller Hausfrauen waren noch nie erwerbstätig aber die Er­

werbsbeteiligung der Frauen bis 60 Jahren liegt 1984 insgesamt deutlich unter der der Männer. Bei den Personen über 60 Jahren finden sich (hochgerechnet) noch über eine Million Erwerbstätige, im Verhältnis 2:1 von Männern und Frauen; die übrigen sind Rentner und Pensionäre. Ein beträchtlicher Anteil älte­

rer Frauen war niemals hauptberuflich erwerbstätig. Zusammen mit über 2 Mil­

lionen Arbeitslosen bilden die Rentner und Pensionäre, aber auch Teile der Stu­

denten, die "Versorgungsklassen" von ca. 25 Prozent der erwachsenen Bevölke­

rung. Die Ausländer befinden sich vor allem in den Berufskategorien der un- bzw. angelernten Arbeiter und bei den Facharbeitern, sodann bei den Nicht- Erwerbstätigen (Arbeitslosen, Hausfrauen, Auszubildenden). Die Mehrheit erreichen die Ausländer aber in keiner der angeführten sozialen Lagen.

(9)

- Seite 7 -

Schon der Begriff "Sozialsfru/cW betont in seiner Verwendung das vergleichs­

weise Statische und Beständige innerhalb einer Gesellschaft. Erst durch die Kenntnis des relativ beständigen Grundgefüges von Gesellschaften läßt sich In­

halt, Tempo und Richtung von sozialem Wandel abmessen. In der "alten" Bun­

desrepublik veränderten sich, trotz umfangreicher Übergänge in, bzw. aus dem Arbeitsmarkt oder durch Mobilitätsprozesse zwischen einzelnen Berufspositio­

nen, Unternehmen und Beschäftigungsverhältnissen, die Eckdaten der sozial­

strukturellen Grundgliederung bis Ende der 80er Jahre nur partiell und lang­

sam (Zapf 1989; Landua/ Zapf 1991).

Obwohl eine vergleichbare Analyse für die gesamtgesellschaftliche Entwick­

lung in der DDR aufgrund fehlender Daten nur begrenzt möglich ist, ist davon auszugehen, daß auch hier die bestehenden sozialen Grundverteilungen in der Bevölkerung nur einem langfristigen und gemäßigten sozialen Wandel unterla­

gen. Schaubild 2 gibt einen Einblick in die sozialstrukturelle Gliederung der DDR in 1990, unmittelbar vor der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion:

Die DDR war eine "Arbeitsgesellschaft" mit einer deutlich höheren Erwerbs­

quote, insbesondere der Frauen. Die Anteile weiblicher Beschäftigter in Ost­

deutschland liegen in fast allen Erwerbstätigengruppen deutlich über den west­

deutschen Werten. Umgekehrt zählen die in ihrem Umfang stärksten Sozial­

lagen in Westdeutschland mit hohem Frauenanteil (Hausfrauen, noch nie Er­

werbstätige) im Osten zu eher marginalen Randgruppen. Die DDR war eine Ar­

beitergesellschaft, präziser eine Facharbeitergesellschaft (23%), aber zugleich mit einem nicht unerheblichen Leitungsüberbau. Der Ausländeranteil in der DDR lag mit ca. einem Prozent, im Vergleich zu anderen Ländern, relativ nied­

rig und wird des weiteren nicht gesondert angeführt.

Die, verglichen mit westlichen Gesellschaften, außerordentlich hohe Frauener­

werbstätigkeit, aber auch die hohe Seniorenarbeit waren vermutlich für die so­

ziale Lage in der DDR von hoher Bedeutung und wurden in der Bevölkerung keineswegs nur als "soziale Errungenschaft" betrachtet, sondern waren auch mit erheblichen Problemen verbunden. So ist die Erwerbstätigkeit von älteren Personen im Zusammenhang mit den niedrigen Renteneinkommen in der DDR zu sehen, und die Erwerbsarbeit, vor allem von verheirateten Frauen, wirft vor dem Hintergrund einer vergleichsweise geringen - und abnehmenden - Teilzeit­

quote in der DDR und den Doppelbelastungen dieser Frauen durch Berufs- und

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Schaubild 3: Soziale Lagen in Ostdeutschland 1991 Schaubild 4: Soziale Lagen in Ostdeutschland

Leitende Angestellte Hochqual. Ang/Hö.Bea.

Qual Ang./Gehob.Bea.

Einfache Ang./Beamte Meist./Vorarb./Brig.

Facharbeiter Un-, angelernte Arb.

Selbständige ---> Arbeitslose Mütterjahr/-Urlaub Azubis/Studenten/Bw Vorruhestand Sonst. Nichterwerbs.

Noch erwerbstätig Vorruhestand Rentner(früher EW)

Noch nie erwerbst.

20 15 10 5 0 5 10 15

Leitende Angestellte Hochqual.Ang/Hö.Bea.

Qual AngVGehob.Bea.

Einfache Ang./Beamte Meist./Vorarb./Brig.

Facharbeiter Un-, angelernte Arb.

Selbständige

—> Kurzarbeiter

—> Arbeitslose Mütterjahr/-Urlaub Azubis/Studenten/Bw Vorruhestand Sonst. Nichterwerb.

Noch erwerbstätig Vorruhestand Rentner(früher EW)

Noch nie erwerbst.

20 15 10 5 0 5 10 15

Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

In Prozent

L...J Männer Frauen

1991

ij : .

- O l .. L

W H i

-

: j * *

• 1

- 1 1 1

; [: i i

;

C I ! : i

- I :

Bis 60 Jahre EW Über 60 Jahre

In Prozent

Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

Männer Frauen

- Seite 8 -

(11)

- Seite 9 -

Hausarbeit ebenfalls kritische Fragen auf. Dennoch ist davon auszugehen, daß lange und kontinuierliche Phasen der Erwerbstätigkeit für den überwiegenden Teil der erwachsenen Bevölkerung in der DDR zur Normalbiographie zählten und die eigene Berufstätigkeit im Bewußtsein der Menschen bis heute einen entsprechend hohen Stellenwert einnimmt.

Durch die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, brach nicht nur das DDR-System gesellschaftlicher Ordnungen und Basisinstitutionen plötzlich und vollständig zusammen, sondern die mit dem "Beitritt" der DDR verbun­

denen (markt-)wirtschaftlichen Strukturveränderungen lösten darüberhinaus Kapitalisierungs- und (Re-)Privatisierungsprozesse aus, die unmittelbare und massenhafte Freisetzungen von Arbeitskräften nach sich zogen. Hiervon waren keineswegs nur jene ineffizienten Arbeitsplätze betroffen, die als Folge einer jahrzehntelangen administrativ "verordneten" Vollbeschäftigung entstanden waren. Schaubild 3 und 4 rekonstruieren Teile der Veränderungen in Ost­

deutschland bis 1991 aus einer sozialstrukturellen Gesamtperspektive.

Nur wenige Monate nachdem die deutsche Vereinigung rechtlich und institu­

tionell vollzogen war, zeichnete sich bereits eines der Hauptprobleme des deutsch-deutschen Transformationsprozesses ab: Trotz umfangreicher westli­

cher Transferleistungen zur Stützung des ostdeutschen Arbeitsmarktes waren über eine Million Männer und Frauen im Ostteil Deutschlands arbeitslos gemel­

det. Der Anteil erwerbsloser Personen stieg sogar erheblich mehr, denn gleich­

zeitig schieden rund drei Prozent aller erwachsenen Ostdeutschen über die

"Vorruhestandsregelung" aus dem Erwerbsleben aus. Schaubild 3 führt, nach Männern und Frauen getrennt, für jede Erwerbstätigengruppe zusätzlich den jeweiligen Anteil an Kurzarbeiter(innen) aus. Diese vor allem in den Arbeiter­

positionen recht hohen Anteile an irregulären Beschäftigungsverhältnissen bestätigen, daß mit dem Auslaufen der Kurzarbeiterregelung ein zusätzlicher, enormer Freisetzungsschub von Arbeitskräften zu erwarten war. Schaubild 4 mag insofern lediglich als Beispiel eines vorläufigen "worst-case"-Szenariums dienen, in dem auch Kurzarbeiter(innen) nicht mehr in den Erwerbspositionen angeführt werden. Demnach waren im Sommer 1991 bereits mehr als jede(r) vierte Ostdeutsche im Alter zwischen 17 und 60 Jahren arbeitslos gemeldet oder

"arbeitete kurz". Der Anteil an Personen, die einer regulären Erwerbstätigkeit nachkommen, liegt (modellspezifisch) damit unter dem westdeutschen Niveau.

(12)

- Seite 10-

Tabelle 1: Berufsmobilität in Ostdeutschland zwischen 1990 und 1991

Berufsposition 19911)

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Insg.

Männer Frauen M F M F M F M F M F M F M F M F In Prozent

Berufsposition 19907

1. Leitende Angestellte 25 18 49 62 13 21 0 0 0 0 0 0 3 0 10 0 3 1

2. Hochqual. Angest. 6 1 70 57 13 25 2 0 1 1 1 0 2 13 5 3 16 18

3. Qual. Angestellte 1 0 20 6 33 61 3 0 8 3 2 2 28 27 5 1 8 34

4. Meister, Vorarbeiter 1 0 7 0 6 10 45 45 26 15 4 8 5 20 6 2 11 2

5. Facharbeiter 0 1 1 0 1 6 4 1 79 64 9 15 4 14 2 1 47 19

6. Un-, angelernte Arb. 0 0 0 0 0 0 1 1 30 12 65 73 4 14 0 1 8 9

7. Einfache Angestellte 0 0 5 0 2 19 0 0 34 17 8 13 46 50 5 2 3 14

8. Selbständige2) 4 0 1 0 2 6 1 0 6 8 1 2 1 11 84 74 5 3

Insgesamt: 2 0 15 13 6 30 8 1 45 17 10 12 7 23 7 4 100100

1) Erwerbstätige der hochqualifizierten, qualifizierten und einfachen Angestelltenpositionen 1991 incl. der Beam­

tenkategorien.

2) Frauen 1991: Überwiegend mithelfende Familienangehörige.

Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

Aber auch zwischen den Berufspositionen der Ostdeutschen, die kontinuierlich erwerbstätig blieben, zeichnen sich Mobilitätsprozesse ab. Ihre Bedeutung sollte nicht unterschätzt werden, denn viele dieser Übergänge müssen als berufliche Abstiege bezeichnet werden. Insbesondere die großen Gruppen der weiblichen Erwerbstätigen in mittleren und höheren Angestelltenpositionen waren von sol­

chen Abstiegen betroffen. Nur 18 Prozent der Frauen in Leitenden Angestellten­

positionen (mit umfassenden Führungsaufgaben) konnten sich bis 1991 in die­

ser Stellung halten, 21 Prozent waren nach einem Jahr nur noch als qualifizierte Angestellte (Sachbearbeiter, Buchhalter u.a.) beschäftigt. Zwar blieben auch nur 25 Prozent der männlichen "Leitenden Angestellten" in ihren hohen Positionen, aber etwa jeder zehnte "wagte" mit seiner beruflichen Qualifikation den Sprung in die Selbständigkeit. Die "Verbleibequote" weiblicher Angestellten in hoch- qualifizierten (Abteilungsleiter, wiss. Mitarbeiter u.a.) und qualifizierten Posi­

tionen ist zwar höher, aber auch diese Beschäftigtengruppen unterliegen einem hohen Abstiegsrisiko. Dies gilt auch für weibliche Facharbeiterinnen; fast 30 Prozent dieser Frauen sind 1991 nur noch als un-, bzw. angelernte Arbeiter­

innen oder als Angestellte mit einfachen Tätigkeiten berufstätig. Die Übergänge erwerbstätiger Männer gestalten sich demgegenüber weitaus günstiger. Zwar sind auch sie - verglichen mit westdeutschen Maßstäben - einem relativ hohen

(13)

Seite 11 -

Abstiegsrisiko ausgesetzt, aber ihre Chancen, beruflich aufzusteigen waren in allen Berufspositionen (z.T. erheblich) größer als bei Frauen. Dies dokumentiert sich in den veränderten Randverteilungen einzelner Berufskategorien: Während die Anteile weiblicher Beschäftigter in den drei höchsten Angestelltenpositio­

nen um 10 Prozent zurückgingen, war dies nur bei vier Prozent der männlichen Angestellten der Fall; und ein nennenswerter Anteil dieser Abwanderungen führt die männlichen Angestellten in die Selbständigkeit. Die prozentual wach­

senden Berufspositionen finden sich bei den un-, bzw. angelernten Arbeitern und insbesondere bei der Gruppe der einfachen Angestellten. Allein der Anteil weiblicher Beschäftigter stieg in dieser Gruppe innerhalb eines Jahres von 14 auf 23 Prozent. Eine wichtige Ursache für diese Positionsveränderungen dürfte in der fehlenden Anerkennung bestimmter Berufsqualifikationen der früheren DDR zu finden sein.

Wie reagieren die neuen Bundesbürger auf den partiellen Zusammenbruch des ostdeutschen Arbeitsmarktes und auf andere Veränderungen gewohnter All­

tagsstrukturen und Lebensverhältnisse? Diese Veränderungen bilden in ihrer Gesamtheit den "sachlich-objektiven" Hintergrund der "subjektiven" Bewertun­

gen der Betroffenen, die den Inhalt der folgenden Kapitel bilden.

2.

Wie wichtig sind einzelne Lehensbereiche für das subjektive Wohlbefinden der Ostdeutschen?

Nicht alle Lebensbereiche sind für das subjektive Wohlbefinden der Menschen in Ostdeutschland gleichermaßen von Bedeutung. Schaubild 5 zeigt, daß die privaten Bereiche Familie und Gesundheit 1990 an der Spitze der Rangfolge stehen, während der politische Einfluß für das individuelle Wohlergehen relativ bedeutungslos ist. Auch der öffentliche Bereich "Umweltschutz" wird 1990 mehrheitlich als sehr wichtig angesehen. Die hohe Sensibilisierung und der große Problemdruck in diesem Bereich dürften zu diesem Zeitpunkt für seinen hohen Stellenwert ausschlaggebend sein. Die Rangfolge dieser Wichtigkeiten weist in den alten und neuen Bundesländern damit eine erstaunliche Ähnlich­

keit auf, aber hinsichtlich des absoluten Stellenwerts schreiben die Ostdeut­

schen vielen Lebensbereichen eine höhere Bedeutung für ihr subjektives Wohl­

befinden zu. Angesichts der großen Bedeutung der Erwerbsarbeit in der frühe-

(14)

-Seite 12 -

Schaubild 5: Wichtigkeiten einzelner Lebens­

bereiche für das subjektive Wohlbefinden

{*) Nur Befragte

bis 60 Jahre A n te il: “ s e h r w ic h tig "

MM 1990 E ® 1991

Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

ren DDR und der aktuellen ökonomischen Krise in den neuen Ländern ist es wenig überraschend, daß vor allem Arbeit und Einkommen in der ostdeutschen Bevölkerung wesentlich höher eingestuft werden als im Westen (Habich/

Landua/ Spellerberg 1991).

Im Zuge der Umstrukturierung in Ostdeutschland hat sich die Bedeutung ein­

zelner Lebensbereiche verändert, die Rangfolge der Bereiche blieb hiervon aller­

dings weitgehend unberührt. Auffällig ist, daß auf der einen Seite vor allem der Umweltschutz 1991 von vielen Befragten als weniger wichtig für das eigene Wohlbefinden eingestuft wird. Neben einer regional günstigeren Wahrneh­

mung des Umweltzustandes dürften hierbei auch veränderte Prioritäten eine Rolle spielen. So ist auf der anderen Seite der hohe Stellenwert von Arbeit und Einkommen noch weiter gestiegen. Die Zustände und Entwicklungen in diesen Bereichen kennzeichnen den Kern jener Problemfelder, die Mitte 1991 das indi­

viduelle Wohlbefinden weiter Teile der ostdeutschen Bevölkerung bestimmen.

Die jeweilige Bedeutung einzelner Lebensbereiche für das persönliche Wohler­

gehen ist erwartungsgemäß nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen ausgeprägt, sondern variiert nach dem Geschlecht und dem Alter der Befragten

(15)

- Seite 13 -

Tabelle 2: Wichtigkeit von Lebensbereichen für das subjektive Wohlbefinden in Ostdeutschland

Geschlecht Altersgruppen

Insgesamt Männer Frauen bis 30 J. 31 bis 60 J. über 60 J.

0-9 0 0-91 0 -9 0 0-91 0-9 0 0-91 0-9 0 0-91 0 90 0-91 0-9 0 0-91

In Prozent W ic h tig k e itl):

- Gesundheit 91 88 90 86 93 90 87 85 92 86 94 93

- Familie 82 83 80 80 83 85 81 83 87 88 72 70

- Einkommen 65 69 66 71 65 68 64 72 66 70 65 65

- Umweltschutz 64 52 63 50 64 54 56 46 65 53 71 57

- Arbeit2) 53 58 55 63 52 53 50 56 55 60 25 15

- Freizeit 37 31 40 32 35 29 48 40 38 30 23 23

• Berufl. Erfolg 31 30 36 35 27 25 36 36 36 35 14 6

- Freundeskreis 26 20 26 19 26 22 40 32 23 16 16 16

- Pol. Einfluß 10 6rf 11 7 10 5 6 5 13 5 10 7

1) Anteil "Sehr wichtig". Frage: "Weiche der nachfolgenden Bereiche sind für ihr Wohlbefinden und ihre Zufriedenheit sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig, oder unwichtig?“.

2) Für die Spalten "Insgesamt", sowie für Männer und Frauen nur Befragte bis zum 60. Lebensjahr.

Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

(Tabelle 2). Es ist bemerkenswert, daß der vergleichbar hohe Stellenwert, den der Arbeitsbereich für ostdeutsche Männer und Frauen (bis 60 Jahre) noch 1990 einnahm, 1991 ein geschlechtsspezifisches Gefälle aufweist: Männer schreiben der Arbeit zu diesem Zeitpunkt eine höhere Bedeutung für ihr persönliches Wohlbefinden zu, Frauen bewerten diesen Bereich hingegen fast unverändert.

Es wäre voreilig, anhand dieses Resultats bereits auf einen relativen "Bedeu­

tungsverlust" der Erwerbsarbeit für Frauen zu schließen, denn nach wie vor stuft eine Mehrheit der ostdeutschen Frauen Arbeit als "sehr wichtig" für ihr Wohlbefinden ein. Eine vergleichbar stark ausgeprägte Arbeitsorientierung ist bei westdeutschen Frauen nicht zu finden (Habich/ Landua/ Spellerberg 1991).

Mit zunehmendem Alter gewinnt, nicht zuletzt aufgrund der altersbedingt wachsenden Probleme in diesem Bereich, die Gesundheit an Bedeutung; andere Lebensbereiche wie Arbeit, Familie und Freizeit treten in fortgeschrittenen Le­

bensphasen hingegen erwartungsgemäß zurück. Die Wichtigkeit des Einkom­

mens ist lediglich für Befragte der beiden ersten Altersgruppen gestiegen, für ältere Ostdeutsche hat sich der Stellenwert dieses Bereichs nicht verändert. In der jüngsten Altersgruppe ist schließlich die vergleichsweise große Bedeutung von Freizeit und Freunden für das eigene Wohlbefinden besonders augenfällig.

(16)

- Seite 14-

Schaubild 6: Wichtigkeit von Arbeit und Einkommen im Rahmen verschiedener Statuspassagen Status 90/91:

Kontinuierlich

©rwerDsiang

Erwerbstätig ->

Kurzarbeit

Erwerbstätig ->

Arbeitslos

Erwerbstätig ->

Vorruhestand

Arbeit Einkommen

Rentner

80 60 40 20 0 20 40 60 80 A n te il "s e h r w ic h tig "

M i 1990 E M 1991 Datenbasis: SOEP-Ost (1990-1991)

Werden die Wichtigkeitseinschätzungen im Sinne von Anspruchshaltungen an einzelne Lebensbereiche interpretiert, so enthalten diese Angaben auch Infor­

mationen über die Reaktäonsweisen der Betroffenen auf Veränderungen ihrer Lebensverhältnisse. Prinzipiell ist es möglich, auf bestimmte, nichterwünschte Veränderungen in den eigenen Lebensumständen entweder mit veränderten Verhaltensmustern (Protestverhalten, Aktivitäten zur Beseitigung des ungewoll­

ten Zustands etc.) oder mit neuen Einstellungstnustern zu reagieren. Eine Mög­

lichkeit, mit der Sorge um den drohenden oder tatsächlichen Verlust des eige­

nen Arbeitsplatzes "umzugehen", liegt deshalb auch darin, die Bedeutung der Erwerbsarbeit für das eigene Wohlbefinden - im Sinne reduzierter Anspruchs­

haltungen - zu vermindern. Diese Möglichkeit erscheint jedoch nur unter den Voraussetzungen realistisch, daß sowohl gesellschaftlich akzeptierte Rollen­

alternativen zur Berufstätigkeit vorhanden sind (in vielen westlichen Gesell­

schaften findet sich diese bspw. in der "Hausfrauenrolle") als auch der finan­

zielle Bedarf des betroffenen Haushalts durch die Erwerbslosigkeit einzelner Mitglieder nicht gefährdet ist. Beide Voraussetzungen sind z.Z. in Ostdeutsch­

land kaum gegeben.

(17)

- Seite 15 -

Schaubild 6 zeigt für Personen mit unverändertem Erwerbsstatus und für Per­

sonen, die bis 1991 arbeitslos wurden bzw. von einem "regulären" Beschäfti­

gungsverhältnis in Kurzarbeit oder in "Vorruhestand" wechselten und schließ­

lich für die Vergleichsgruppe der Rentner, die bereits vor 1990 aus dem Erwerbsleben ausschieden, die Anteile der Befragten die angaben, Arbeit bzw.

Einkommen seien "sehr wichtig" für ihr Wohlbefinden. Diesen Ergebnissen ist zu entnehmen, daß lediglich die altersgeprägten Erwerbsübergänge der Perso­

nen, die die Vorruhestandsregelung in Anspruch nahmen, einen verminderten Stellenwert von Arbeit erkennen lassen. Sowohl Kurzarbeiter als auch Arbeits­

lose in Ostdeutschland heben im Zusammenhang mit den Veränderungen ihres Erwerbsstatus die Bedeutung von "Arbeit" für ihr Wohlbefinden sogar noch weiter hervor. Einstellungsänderungen dieser Gruppen lassen sich also eher in Form von verstärkten Anspruchshaltungen erkennen. Dies gilt für Männer und Frauen gleichermaßen, ln Folge der angeführten Statuspassagen steigt auch die Bedeutung der Einkommensverhältnisse, die sowohl für die kontinuierlich Er­

werbstätigen als auch für Rentner bis 1991 fast unverändert bleibt.

Angesichts der anhaltenden ökonomischen Krise in Ostdeutschland und der dadurch hervorgehobenen Bedeutung der Erwerbsarbeit für die Existenzsiche­

rung, aber auch in Verbindung mit dem relativ hohen subjektiven Stellenwert, den die Berufsarbeit für Männer und Frauen in der früheren DDR einnahm, ist davon auszugehen, daß reduzierte Anspruchshaltungen von Erwerbslosen vor­

erst und weiterhin nicht zu erwarten sind. Die sichtbaren Reaktionen auf die Bedrohungen oder auf den direkten Verlust des eigenen Arbeitsplatzes werden weiterhin vor allem auf der Verhaltensebene zu finden sein: Migrationen von Ost- nach Westdeutschland, "Arbeitspendler", Protestverhalten in Form von Demonstrationen oder an der Wahlurne sowie zunehmende soziale Devianz.

Weiterhin ist anzunehmen, daß die nicht-sichtbaren Reaktionen auf diese Ver­

schlechterungen in den Arbeits- und Einkommensverhältnissen, in Verbindung mit den hohen Ansprüchen in diesen Bereichen, nicht zuletzt auch in massiver Unzufriedenheit zum Ausdruck kommen. Diese Annahme ist der Gegenstand des nächsten Kapitels.

(18)

- Seite 16 -

3. Wie bewerten die Ostdeutschen ihre Lebensbedingungen zw i­

schen 1990 und 1991 im einzelnen?

Aus zahlreichen Untersuchungen zur subjektiven Wohlfahrtsforschung ist be­

kannt, daß in Westdeutschland ein insgesamt hohes Zufriedenheitsniveau be­

steht1. Es gibt kaum Teilbereiche, in denen der Anteil der "Unzufriedenen" über dem der "Zufriedenen" liegt (Statistisches Bundesamt 1989, Teil II). Die niedrig­

sten Zufriedenheiten finden sich bei der Bewertung öffentlicher Bereiche wie dem Umweltschutz und der Kriminalitätsbekämpfung, am besten bewerten die Westdeutschen ihr privates Umfeld, wie das Familienleben und die Ehe bzw.

die Partnerschaft. Trotz eines insgesamt hohen subjektiven Wohlfahrtsniveaus streuen die Bewertungen mehrerer Lebensbereiche also beträchtlich und ein­

zelne Bevölkerungsgruppen bewerten ein und denselben Lebensbereich teil­

weise sehr unterschiedlich (Statistisches Bundesamt 1989, Teil II, Kap. 3). Durch den Vergleich der Daten des "Wohlfahrtssurveys 1988" mit denen des "Wohl- fahrtssurveys 1990-Ost" (beides sind repräsentative Bevölkerungsumfragen zur Messung objektiver Lebensbedingungen und des subjektiven Wohlbefindens1 2) konnte gezeigt werden, daß sich innerhalb einer Bewertungshierarchie von Bereichszufriedenheiten in Ost- und Westdeutschland kaum nennenswerte Unterschiede finden lassen: Auch in Ostdeutschland stehen Familie und Part­

nerbeziehungen an der Spitze einer Rangordnung der Zufriedenheiten; die öf­

fentliche Sicherheit und der Umweltschutz werden 1990 auch in den neuen Bundesländern am schlechtesten bewertet. Als Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen Ost- und Westdeutschen zeichnete sich ein allgemein niedrigeres Niveau fast aller Zufriedenheitswerte im Osten ab (Landua/ Spellerberg/

Habich 1990; Habich/ Landua/ Spellerberg 1990; Landua 1992a). Wie aber hat sich dieses Ost-West-Gefälle der Zufriedenheiten mit einzelnen Lebensbedin­

gungen im Laufe eines Jahres entwickelt?

Auch im Sozio-ökonomischen Panel werden jährlich eine Reihe von Zufrieden­

heitsfragen gestellt, deren Skalenbereiche sich einheitlich von den Werten "0"

(ganz und gar unzufrieden) bis "10" (ganz und gar zufrieden) erstrecken. Die Antworten der Befragten werden im folgenden, für eine Beschreibung des Zu­

friedenheitsniveaus in West- und Ostdeutschland, durch den Anteil der "eher

1 Zu Vergleichszwecken zwischen der ost- und westdeutschen Bevölkerung werden in den weiteren Ausführungen die Angaben ausländischer Mitbürger(innen) nicht angeführt.

2 Ein zusammenfassender Überblick über empirische Wohlfahrtsforschung findet sich bei Habich/ Zapf 1991.

(19)

- Seite 17-

Schaubild 7: Zufriedenheiten mit Lebens­

bereichen in Ost- und Westdeutschland

Zufriedenheit mit:

Haushaltseinkommen Lebensstandard Arbeit Warenangebot Wohnung Umweltzustand

Gesundheit Freizeit Kinderbetreuung

80 60 40 20 0 20 40 60 80 100 In Prozent

[ . 2 West-89 ! ■ Ost-90

M

Ost-91 Datenbasis: SOEP-West(1989); SOEP-Ost(1990-1991).

i Mittelwerte: West-89 90-0st-91

Zufriedenen" (Skalenwerte von 6 bis 10), den Anteil der "eher Unzufriedenen"

(Skalenwerte von 0 bis 4) und durch den Durchschnittswert auf der Zufrieden­

heitsskala zusammengefaßt.

Die Tendenz in der Entwicklung der ostdeutschen Zufriedenheiten bis zum Sommer 1991 wird dabei durch die kontrastierende Gegenüberstellung mit den vorhandenen westdeutschen Vergleichs wer ten von 1989 besonders augenfällig (Schaubild 7). Erwartungsgemäß verbessert hat sich die Bewertung der Ostdeutschen hinsichtlich des Angebots an Waren und Dienstleistungen. Aller­

dings ist noch mehr als ein Drittel der Befragten mit dem bestehenden Angebot

"eher unzufrieden" und auch der niedrige Durchschnittswert von 5.7 weist auf ein nach wie vor bestehendes Versorgungsdefizit in diesem Bereich hin. Die Bewertung des Umweltzustands hat sich ebenfalls deutlich verbessert. Es sollte aber berücksichtigt werden, daß einerseits die Mehrheit aller Ostdeutschen hier

(20)

- Seite 18 -

immer noch Unzufriedenheit äußert und andererseits die Ursachen dieser ten­

denziell positiveren Bewertung nicht nur in den praktizierten Maßnahmen zur Umweltsanierung sondern auch in den Nebenfolgen zahlreicher Betriebsstille­

gungen zu suchen sein dürften.

In der "Arbeitsgesellschaft" der DDR war die Bereitstellung von Kinderbetreu­

ungsmöglichkeiten aufgrund der Erwerbstätigkeit meist beider Elternteile oder für die Berufstätigkeit von Alleinerziehenden eine notwendige öffentliche Auf­

gabe und Voraussetzung. Die überwiegende Mehrheit der Ostdeutschen - Män­

ner wie Frauen - bewertet die entsprechenden Maßnahmen der DDR-Führung 1990 positiv. Die Konsequenzen einer in diesem Bereich zurückhaltenderen Versorgungspolitik, insbesondere für die Anforderungen an die nach wie vor meist berufstätigen Frauen in Ostdeutschland, sind noch nicht abzusehen.

Über 70 Prozent der Westdeutschen waren 1989 mit dem Einkommen ihres Haushaltes "eher zufrieden"; in Ostdeutschland war dies 1990 nur bei weniger als der Hälfte aller Befragten der Fall. Die Zufriedenheit mit dem Haushaltsein­

kommen in der früheren DDR lag damit bereits zu diesem Zeitpunkt auf einem niedrigen Niveau. Angesichts des bereits ungewöhnlich hohen Ausmaßes an Unzufriedenheit ist hervorzuheben, daß die eigene Einkommensentwicklung - im Rahmen der Maßnahmen zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion - bis Juni 1991 von vielen Ostdeutschen noch schlechter bewertet wird: 1991 liegt der Anteil der "eher Unzufriedenen" mit rund 40 Prozent deutlich über dem der

"eher Zufriedenen". Ein Großteil der ostdeutschen Bevölkerung äußert damit gerade in einem der Bereiche Unzufriedenheit, der für ihr individuelles Wohlbefinden zugleich als einer der wichtigsten anzusehen ist. Das ebenfalls sinkende Niveau der Bewertung des eigenen Lebensstandards ergänzt das Bild eines wachsenden Gefälles zwischen Ost und West hinsichtlich der Zufrie­

denheit mit zentralen materiellen Lebensbedingungen.

Das Niveau der Arbeitszufriedenheit wies 1990 noch keine nennenswerten Ost- West-Unterschiede auf: Mehr als drei Viertel aller ostdeutschen bzw. über 80 Prozent aller Westdeutschen waren mit ihrer Arbeit "eher zufrieden". Auch in diesem Teilbereich zeichnet sich innerhalb eines Jahres im Osten ein deutlicher Bewertungseinbruch ab, dessen Ursachen vor allem in der Zunahme "irregu­

lärer" Beschäftigungsverhältnisse - wie Kurzarbeit - zu suchen sind.

(21)

-Seite 19 -

Tabelle 3: Zufriedenheit einzelner Bevölkerungsgruppen mit verschiedenen Lebensbereichen in Ost- und Westdeutschland

Geschlecht Altersgruppen

Männer Frauen bis 30 Jahre 31 bis 60 Jahre über 60 Jahre W-89 0 90 0-91 W-89 0-90 0-91 W-89 0-90 0-91 W-89 0-90 0-91 W-89 0-90 0-91

In Prozent Zufriedenheit mit:

- dem Haushaltseinkommen 6.7 5.6 4.7 6.8 5.5 4 8 6.4 5.3 4.5 6.7 5.7 4.7 7.1 5.5 5.3

- dem Lebensstandard -1) 6.4 5.8 - 6.3 5.8 - 6.2 5.9 - 6.4 5.7 6.3 6.1

- der Arbeit 7.3 7.2 6.4 7.2 7.2 6.3 7.3 7.0 6.4 7.3 7.3 6.3 7.8 7.6 6.5

- dem Angebot an Waren und

Dienstleistungen 3.0 5.6 3.2 5.7 2.9 5.0 2.9 5.6 * 3.9 6.5

der eigenen Wohnung 7.8 6.9 6.9 7.8 7.1 6.9 7.3 5.8 6.1 7.8 7.2 7.0 8.3 7.7 7.5

- dem Umweltzustand - 3.1 4.1 - 3.1 4.0 - 2.8 3.6 - 3.0 4.0 - 3.8 4.7

- der Gesundheit 6.7 6.9 6.8 6.4 6.5 6.3 7.6 7.9 7.9 6.6 6.5 6.4 5.5 5.5 5.1

- der Freizeit 7.1 - 6.3 7.1 6.4 6 8 - 5.9 6.7 - 6.0 8.1 - 7.8

- den Kinderbetreuungsmög­

lichkeiten - 7.5 - - 7.6 - - 7.5 - 7.6 -

1) Indikator wurde nicht erhoben.

Datenbasis: SOEP-West (1989); SOEP-Ost (1990-1991)

4. Wie bewerten einzelne Bevölkerungsgruppen verschiedene Lebensbereiche?

Das Zufriedenheitsgefälle zwischen Ost und West bleibt auch dann bestehen, wenn man die Bewertungen einzelner Bevölkerungsgruppen betrachtet (Tabelle 3): Sowohl für Männer und Frauen als auch für einzelne Altersgruppen liegt das Zufriedenheitsniveau der Ostdeutschen bei fast allen hier angeführten Indikato­

ren unter dem entsprechenden Niveau westdeutscher Gruppen.

Die Entwicklung der Lebens Verhältnisse im Ostteil Deutschlands wird im Laufe eines Jahres von den einzelnen Gruppen allerdings nicht völlig gleichförmig bewertet. Während bspw. ältere Befragte über 60 Jahren keine nennenswerte Verschlechterung ihrer Einkommenssituation wahrnehmen, wird gerade der Einkommensaspekt von jüngeren Altersgruppen deutlich schlechter bewertet.

In der jüngsten Altersgruppe (bis 30 Jahre) zeigen sich bis 1991 sogar in mehre­

ren Bereichen erhebliche Zufriedenheitsdefizite. Die Bewertung der eigenen Wohnverhältnisse ist für diese Gruppe im Beobachtungszeitraum zwar leicht gestiegen, weist in ihrem Niveau jedoch auf die nach wie vor bestehende rela­

tive Unterversorgung mit angemessenem Wohnraum gerade der jüngeren Be­

völkerung in Ostdeutschland hin. Das Angebot an Waren und Dienstleistungen

(22)

- Seite 20 -

Schaubild 8: Veränderungen von Zufriedenheiten in Folge einzelner Statuspassagen

- Konstant erwerbstätig Arbeitszufriedenheit Zuf.m. Lebensstand.

Zuf.m.Einkommen - Erwerbst.->Kurzarbeit

Arbeitszufriedenheit Zuf.m.Lebensstand.

Zuf.m.Einkommen - Erwerbst.->Arbeitslos

Arbeitszufriedenheit Zuf.m.Lebensstand.

Zuf.m.Einkommen - Erwerbst.->Vorruhest.

Arbeitszufriedenheit Zuf.m.Lebensstand.

Zuf.m,Einkommen - Rentner

Zuf.m.Lebensstand.

Zuf.m.Einkommen

I I West-88 H West-89

1B

Ost-90 i i Ost-91

Datenbasis; SOEP-West(1988-1989); SOEP-Ost(1990-1991).

sowie der Zustand der Umwelt haben sich zwar auch in der Wahrnehmung jün­

gerer Ostdeutscher sichtlich verbessert, die Angaben unterscheiden sich aber weiterhin negativ von denen älterer Befragter.

Die noch 1990 im Osten bestehenden Differenzen einzelner Altersgruppen hin­

sichtlich der Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit haben sich bis 1991 weitge­

hend nivelliert: Sie wird zu diesem Zeitpunkt von allen Gruppen fast gleicher­

maßen schlecht eingestuft. Nur für die Bewertung des eigenen Gesundheitszu-

(23)

Seite 21 -

stands zeichnet sich für Ost- und Westdeutsche ein ähnliches Bild ab. Mit zunehmendem Alter und den damit steigenden gesundheitlichen Beeinträchti­

gungen sinkt die Zufriedenheit mit der Gesundheit. Auch das Bewertungsni­

veau weist hier im Ost-West-Vergleich kaum Diskrepanzen auf.

Die Antwort auf die Frage nach den Ursachen für den teilweise drastischen Rückgang der Zufriedenheit mit den Einkommensverhältnissen, dem eigenen Lebensstandard aber auch für die sinkende Arbeitszufriedenheit in Ostdeutsch­

land steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Veränderungen des Er­

werbsstatus, von denen viele Ostdeutsche bis 1991 betroffen waren. In Folge dieser Statuspassagen sind die bedeutendsten Zufriedenheitsveränderungen zu erkennen (Schaubild 8). Zur Veranschaulichung der Auswirkungen dieser Übergänge werden als Kontrastgruppen die entsprechenden Werte der konti­

nuierlich erwerbstätigen Personen, die der ostdeutschen Rentner und, soweit vorhanden, die Angaben westdeutscher Vergleichsgruppen angeführt.

Eine durchgängige Erwerbstätigkeit zwischen 1988 und 1989 führt bei west­

deutschen Berufstätigen erwartungsgemäß zu konstanten und hohen Werten der Einkommens- und Arbeitszufriedenheit. Das Niveau der Arbeitszufrieden­

heit der konstant erwerbstätigen Ostdeutschen geht von 1990 bis 1991 hingegen leicht zurück. Möglicherweise spielen hier, neben den vorhandenen Ängsten und Sorgen um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes, auch die in ihrem Ausmaß nicht unbedeutenden beruflichen Abstiegsprozesse (Tabelle 1) eine gewisse Rolle. Trotz anhaltender Berufstätigkeit sind die betreffenden Personen auch mit der Höhe ihres Haushaltseinkommens unzufriedener als ein Jahr zu­

vor. Dabei sollte betont werden, daß auch die Einkommenszufriedenheit dieser Gruppe bereits 1990 weit unter dem westdeutschen Niveau lag.

Dieser Rückgang kann insofern erstaunen, als die Arbeitseinkommen der Ost­

deutschen bis 1991 (im Durchschnitt) stärker gestiegen sind als die Inflations­

rate (DIW Wochenbericht 4/92), real also ein Einkommenszuwachs zu ver­

zeichnen war. Es ist allerdings zu berücksichtigen daß, anders als in West­

deutschland, in der DDR die erwerbstätige Ehefrau der Normalfall war. In der Mehrzahl der ostdeutschen Haushalte trugen also mindestens zwei Erwerbs­

personen zum Haushaltseinkommen bei. Gerade im Hinblick auf die Bedeu­

tung der Berufstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts und als Determi­

(24)

- Seite 22 -

nante des Lebensstandards ist deshalb weniger die individuelle Erwerbsbeteili­

gung als vielmehr die Verteilung von Erwerbstätigen und Nichtwerbstätigen innerhalb der ostdeutschen Haushalte ausschlaggebend. Ein Teil der gestiege­

nen Unzufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen von berufstätigen Perso­

nen könnte demnach durchaus auf die Arbeitslosigkeit eines anderen Haus­

haltsmitglieds, also auf haushaltsinteme Veränderungen von Erwerbskonstella­

tionen zurückzuführen sein (Zur Einkommenszufriedenheit s. auch Kapitel 10).

Im ostdeutschen Maßstab günstig stellt sich, aus der Perspektive der Betroffe­

nen, die Entwicklung der Renteneinkommen in den neuen Bundesländern dar.

Die Bewertungsangaben dieser Gruppe zu ihren materiellen Lebensverhältnis­

sen liegen zwar noch deutlich unter dem westdeutschen Niveau, verzeichnen aber - entgegen dem allgemeineren Trend - Anzeichen eines Zufriedenheitsan­

stiegs. Hinsichtlich der Einschätzungen bezüglich der Höhe des eigenen Haus­

haltseinkommens und dem damit verbundenen Lebensstandard unterscheiden sich die Rentner im Osten 1991 kaum von den Erwerbstätigen. Die neuorgani­

sierten und -strukturierten Versorgungsleistungen im Zuge der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion werden von den meisten älteren Nichterwerbstäti­

gen also keineswegs negativ beurteilt.

Insgesamt erweisen sich die angeführten Zufriedenheitswerte der Rentner und derjenigen Ostdeutschen, die sich bis 1991 auf dem Arbeitsmarkt halten konn­

ten als vergleichsweise stabil; d.h. im Vergleich zu denjenigen Bevölkerungs­

gruppen, deren Arbeitsverhältnis einschneidenden, und bis dahin weitgehend unbekannten, Veränderungen unterlag. Dabei ist allein schon der quantitative Umfang dieser Übergänge beeindruckend: Über zwei Millionen Erwerbstätige in Ostdeutschland waren innerhalb eines Jahres - faktisch - ohne reguläre Beschäftigung, teils in Folge von Arbeitslosigkeit, teils durch Kurzarbeit. Hun­

derttausende schieden über die Vorruhestandsregelung aus dem Erwerbsleben aus. Jeder dieser Übergänge führte bei den Betroffenen zu spürbaren Einbußen bei der Bewertung materieller Lebensbedingungen.

Der Umfang der Zufriedenheitseinbußen im Osten, die durch Arbeitslosigkeit ausgelöst werden, übersteigt bei weitem das Ausmaß in der westdeutschen Ver­

gleichsgruppe. Der Verlust der Erwerbsarbeit zieht zwar auch im Westen schwere Wohlfahrtsdefizite nach sich, aber zum einen ist Arbeitslosigkeit hier

(25)

- Seite 23 -

bereits seit langem eine bekannte Form der Nichterwerbstätigkeit, zum anderen kumulieren ihre Folgen nicht mit den persönlichen Belastungen und Unsicher­

heiten im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Umbruchprozesses mit dem die Menschen in den neuen Bundesländern zur Zeit konfrontiert sind.

Kurzarbeiter unterscheiden sich hinsichtlich ihres arbeitsrechtlichen Status von der Gruppe der Arbeitslosen; die mit dem Übergang in diese Beschäftigungs­

form einhergehenden schlechteren Bewertungen der eigenen Lebensverhält­

nisse ähneln hingegen in ihrem Muster weitgehend denen der arbeitslos gemel­

deten Personen. Die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit der Kurzarbeiter sinkt in Folge dieses Statuswechsels von 6.9 auf 4.0. Auch dieses Ergebnis kann dahingehend interpretiert werden, daß die Betroffenen der praktizierten Kurz­

arbeiterregelung eher negativ gegenüberstehen und nur eine Minderheit mög­

liche Vorteile, die sich aus diesem Beschäftigungsverhältnis ergeben können, auch wahrnimmt. Eine Alternative zum allgemein akzeptierten Status der voll­

zeiterwerbstätigen Arbeitskraft in Ostdeutschland zeichnet sich in diesem Modell nicht ab.

Auch der Übergang in die Nichterwerbstätigkeit durch die Inanspruchnahme der Vorruhestandsregelung führt zu sichtbar schlechteren Bewertungen des Haushaltseinkommens und des Lebensstandards. Die Zufriedenheitseinbußen enthalten in ihrem Umfang jedoch nicht die Bedeutung, wie sie bei Arbeitslosen und Kurzarbeitern zu erkennen ist.

5. Welche wirtschaftlichen Sorgen und beruflichen Erwartungen verbinden die Deutschen m it ihrer Lebenslage?

Einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, wenn man einen sucht, ist keine leichte Aufgabe. Dies gibt 1989 auch die Mehrheit der westdeutschen Erwerbs­

losen an (Schaubild 9). Nicht einmal jeder vierte glaubt, eine solche Suche

"leicht" zum Erfolg bringen zu können. Auch die Erwerbstätigen in West­

deutschland erwarten mehrheitlich Schwierigkeiten, oder sogar vor einer prak­

tisch unmöglichen Aufgabe zu stehen, wenn sie nach einem denkbaren Arbeits­

platzverlust gezwungen wären, sich eine neue und gleichwertige Arbeitsstelle suchen zu müssen (72%). Umgekehrt sind sich jedoch die meisten Erwerbstäti­

gen im Westen zugleich sicher, nie mit einer solchen Aufgabe konfrontiert zu

(26)

- Seite 24 -

Schaubild 9: Erwartungen und Sorgen in Ost- und Westdeutschland

Erwartungen/ Sorgen:

- Nichterwerbstätige

"Stelle finden wäre..."

- Erwerbstätige

"Neue Stelle finden wäre..."

"Arbeitsplatzverlust ist..."

- Sorgen um die...

"Allg. wirtschaftliche Entwicklung"

"Eigene wirtschaftliche Situation"

"Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes“

100 75 50 25 0 25 50 75 100

In Prozent

□ I W est-89 K S Ost-SO

■ ■ O st-91

Datenbasis: SOEP-West(1989); SOEP-Ost(1990-1991).

werden: Nur rund sieben Prozent halten den Verlust ihres Arbeitsplatzes für

"wahrscheinlich" oder "sicher"; dies entspricht dem Anteil der Erwerbstätigen, die sich "große Sorgen" um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes machen. Das Ausmaß an Sorgen über die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung unterliegt - konjunkturabhängig - auch in der "alten" Bundesrepublik erheblichen Schwan­

kungen. 1989 machen sich nur etwa 17 Prozent der Westdeutschen über dieses Problem "große Sorgen". Noch weniger (11%) sehen zu diesem Zeitpunkt ernst­

hafte Schwierigkeiten in bezug auf ihre eigene wirtschaftliche Situation. Erheb-

(27)

- Seite 25 -

Tabelle 4: Sorgen und Erwartungen einzelner Bevölkerungsgruppen in Ost- und Westdeutschland

Geschlecht Altersgruppen

Männer Frauen bis 30 Jahre 31 bis 60 Jahre über 60 Jahre W-89 0-90 0-91 W-89 0-90 0-91 W-89 0 90 0-91 W-89 0-90 0-91 W-89 0-90 0-91

In Prozent N ichterw erbstät. (Erwartung):

"Stelle finden wäre leicht“1) Erwerbstätige (Erwartung):

..."Gleichwertige Stelle fin­

den wäre leicht"2) ..."Arbeitsplatzverlust ist

(eher) unwahrscheinlich"

Anteil "Großer Sorgen" um:

- Die allgemeine wirtschaft­

liche Entwicklung - Die eigene wirtschaftliche

Situation

Die Arbeitsplatzsicherheit

26 19 9 15 11 6 30 17 9 15 4 0 -3) - -

28 23 15 28 13 6 43 29 19 23 15 7 - - -

95 62 58 92 51 48 91 60 56 97 58 51 - -

16 36 47 19 35 47 13 30 42 20 42 52 17 27 40

12 27 37 11 29 38 11 32 38 13 30 43 8 18 23

7 33 43 8 41 51 7 35 39 7 36 50 - - -

1) "Wenn Sie jetzt eine Arbeit suchen würden: ist oder wäre es für Sie leicht, schwierig oder praktisch unmöglich, eine ge­

eignete Stelle zu finden?“.

2) "Wenn Sie ihre jetzige Stelle verlieren würden, wäre es für Sie dann leicht, schwierig oder praktisch unmöglich, wieder eine mindestens gleichwertige Stelle zu finden?“.

3) Zu geringe Fallzahl.

Datenbasis: SOEP-West (1989); SOEP-Ost (1990-1991)

lieh schlechtere subjektive Arbeitsmarktchancen und größere Sorgen bezüglich der Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes äußerten die Befragten in Ostdeutsch­

land bereits im Sommer 1990. Noch bevor "Kurzarbeit" und Arbeitslosigkeit zu einem politischen und sozialen Hauptproblem im wiedervereinten Deutschland wurden, erwarteten 86 Prozent aller Nichterwerbstätigen im Osten Schwierig­

keiten bei einer möglichen Arbeitssuche; 81 Prozent der Erwerbstätigen vermu­

teten erhebliche Probleme, nach einem Arbeitsplatzverlust eine gleichwertige Stelle wiederfinden zu können. Anders als im Westteil Deutschlands schlossen aber bereits über 40 Prozent gleichzeitig einen Verlust ihrer Arbeitsstelle nicht mehr aus. Mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen machte sich entsprechend

"große Sorgen" um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Dies sind Hinweise einer frühzeitig skeptischen Einschätzung der Entwicklung auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt. Bis 1991 hat sich dieses pessimistische Stimmungsbild weiter ver­

schlechtert: Nur noch sieben Prozent der Nichterwerbstätigen erwartet eine leichte Stellensuche und nur noch 10 Prozent der Erwerbstätigen schätzen ihre weiteren Arbeitsmarktchancen, im Falle der eigenen Erwerbslosigkeit, als günstig ein. Dieses Ergebnis erhält durch den Umstand zusätzliches Gewicht, daß nunmehr fast die Hälfte der Erwerbstätigen fürchtet, "sicher" oder "wahr­

scheinlich" mit der schweren Aufgabe einer Stellensuche konfrontiert zu wer­

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