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Schlußbemerkungen und Zusammenfassung der Ergebnisse

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land zwischen 1990 und 1991 verändert?

11. Schlußbemerkungen und Zusammenfassung der Ergebnisse

Die 40 Jahre anhaltende Teilung der beiden deutschen Staaten hinterließ nicht nur ein hohes Ausmaß an Unkenntnis über die konkreten Lebensumstände im jeweils anderen Teil Deutschlands, auch die tiefgreifenden Unterschiede hin­

sichtlich der Einstellungen, Ansprüche und Erwartungen in Ost und West prall­

ten in Folge der schnellen staatlichen Vereinigung sehr unvermittelt aufeinan­

der. Der abrupte Zusammenbruch des DDR-Staates wurde von den meisten sei­

ner Bürger(innen) - alles in allem - begrüßt. Die Ausweglosigkeit des "realsozia­

listischen" Entwicklungsweges wurde spätestens mit der Massenflucht über ost­

europäische Nachbarländer und dem Massenprotest derjenigen, die blieben und ihre Angst bzw. ihren Respekt vor dem alten Regime endgültig verloren hatten, für jeden offensichtlich. Dennoch bedeutete dieser Zusammenbruch für die Menschen in Ostdeutschland in mancherlei Hinsicht eine Zäsur. Nach vier Jahrzehnten DDR-Geschichte und der Sozialisation in dieser Gesellschaft war der Blick zurück für viele auf einmal mit unangenehmen Fragen verbunden.

Kleine Gewohnheiten in der eigenen Alltagsorganisation aber auch ganze Welt­

bilder verloren ihre Gültigkeit. Nicht selten wurden im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung Jahrzehnte der eigenen Lebens- und Arbeitsbiographie ad absurdum geführt. Der Beitritt zur Bundesrepublik ging mit verbreiteten Selbst­

zweifeln, Bitterkeiten und Orientierungsverlusten einher; dem politischen folgte der psychische Umbruch in Ostdeutschland.

4 Diese Annahme kann unter Anwendung eines multivariaten Analyseverfahrens unterstützt werden. Im Rahmen einer "Multiplen Klassifikationsanalyse" zeigt sich, daß 1991 ein signi­

fikanter Einfluß subjektiver Merkmale wie "Zukunftszuversicht", "Nicht zurechtfinden in den komplizierten Verhältnissen", Sorgen um die "eigene wirtschaftliche Situation" und um die "Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes" auf die allgemeine Lebenszufriedenheit auch dann bestehen bleibt, wenn man die Schulbildung, die Einkommenshöhe, den Erwerbs­

status, sowie das Alter und Geschlecht der Befragten kontrolliert.

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-Aber nicht nur Teilaspekte zurückliegender Lebensverläufe gerieten nach der

"Wende" ins Zwielicht, auch die Zukunft in einer anderen Gesellschaft, zu der die meisten Ostdeutschen nie persönlichen Kontakt hatten, war ungewiß.

Sicher, viele hatten Kenntnis von der "anderen Seite", sei es durch Verwandten­

besuche aus dem Westen oder durch Fernsehen und Radio. Aber diese Kenntnis war selektiv, manchmal sogar klischiert. Dennoch oder gerade deswegen erwar­

teten die meisten zunächst eine positive "Wende". Mit Schlagworten wie Demo­

kratie, Marktwirtschaft und Wohlfahrtsstaat verbanden sich eher diffuse aber ausgeprägte Hoffnungen auf politische Mitbestimmung, (Reise-)Freiheit und Wohlstand. Optimismus und Zukunftsangst waren gleichermaßen Aspekte der weiteren Entwicklung. Die meisten Ostdeutschen, gefragt nach ihren zeitlichen Vorstellungen bezüglich einer Angleichung der ost- an die westdeutschen Lebensverhältnisse, schätzten Ende 1990 dabei eine eher vorsichtige Frist von durchschnittlich über sieben Jahren (Landua/ Spellerberg/ Habich 1990; Kap.

5). Eine rasche und durchgreifende Verbesserung wurde demnach kaum er­

hofft, wohl aber eine langsame Tendenz nach oben. Auf den rapide einsetzen­

den Zerfallsprozeß der ostdeutschen Wirtschaft war - trotz vieler warnender Stimmen von Wirtschaftsexperten und Politikern - kaum jemand gefaßt. Inner­

halb eines einzigen Jahres waren weite Bereiche der sozialstrukturellen Grund­

gliederung der ostdeutschen Gesellschaft tiefgreifenden Veränderungen unter­

worfen. Auswirkungen des sozialen Wandels traten dabei nicht zuletzt im Zusammenbruch des ostdeutschen Arbeitsmarktes hervor. Rund ein Viertel aller Ostdeutschen im erwerbsfähigen Alter war zwischen 1990 und 1991 von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen. Zusätzlich schied eine hohe Anzahl über die Vorruhestandsregelung aus dem Erwerbsleben aus. Personen, die sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten konnten, waren nicht selten beruflichen Ab­

stiegsprozessen ausgesetzt.

Der Inhalt dieses Beitrages dokumentiert einen begrenzten Ausschnitt aus dem deutsch-deutschen Tranformationsprozeß. Er befaßt sich mit der Bewertung und Einschätzung bestimmter Entwicklungen zwischen 1990 und 1991 aus der Sicht der Betroffenen. Einige zentrale Ergebnisse sollen abschließend nochmals hervorgehoben werden.

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-1. Die, verglichen mit den westdeutschen, höheren Bedeutungszuweisungen (Wichtigkeiten) einzelner Lebensbereiche haben sich bis 1991 unterschiedlich entwickelt. Probleme des Umweltschutzes werden als weniger wichtig ein­

gestuft, die bereits 1990 zentralen Bereiche "Arbeit" und "Einkommen" neh­

men für viele Ostdeutsche einen noch höheren Stellenwert ein. Die eigenen materiellen Lebensumstände kennzeichnen eines der wichtigsten Pro­

blemfelder, die das persönliche Wohlbefinden weiter Bevölkerungsteile Ost­

deutschlands bestimmen und weiterhin bestimmen werden.

Die hohe Bedeutung von "Arbeit" für das eigene Wohlbefinden wurde von den ostdeutschen Arbeitslosen und Kurzarbeitern bis 1991 noch stärker betont. Ein verminderter Stellenwert der eigenen Erwerbstätigkeit zeichnet sich für diese Gruppen bis heute nicht ab und ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Reaktionen auf die Bedrohung oder den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes werden seitens der Betroffenen deshalb zunächst vor allem auf der Verhaltensebene sichtbar werden und sich in massiver Unzufrieden­

heit äußern.

2. Die Ostdeutschen waren bereits 1990 mit den Zuständen in vielen Lebensbe­

reichen unzufrieden. Sichtbar verbesserte Bewertungen zeichnen sich nach einem Jahr vor allem für den Umweltbereich und bei dem Waren- und Dienstleistungsangebot ab. Das Ausmaß an Unzufriedenheit mit den Ein­

kommensverhältnissen, dem eigenen Lebensstandard und auch mit der Arbeit ist bis 1991 noch weiter gestiegen. Damit nehmen viele Ostdeutsche gerade hinsichtlich jener Bereiche Verschlechterungen wahr, die für ihr per­

sönliches Wohlbefinden besonders wichtig sind. Vergleichsweise stabil er­

weisen sich die Zufriedenheitsangaben von kontinuierlich Erwerbstätigen und von Rentnern, die größten Bewertungseinbrüche sind erwartungsgemäß bei den neuen Gruppen der Kurzarbeiter und der Arbeitslosen zu finden.

1990 waren die schlechten Bewertungen materieller Lebensbedingungen in direktem Zusammenhang mit den Folgen jahrzehntelanger zentralistischer Planwirtschaft in der DDR zu sehen. Diese eindeutige Verantwortungs­

zuschreibung hat sich bis 1991 zumindest gelockert. Die Maßnahmen einer gesamtdeutschen Wirtschaftspolitik gehen zunehmend in die Bewertungen der Ostdeutschen ein. Der Umstand, daß die niedrigen Zufriedenheiten mit dem eigenen Haushaltseinkommen und mit dem Lebensstandard noch

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46-weiter gesunken sind und auch die Tatsache, daß bis 1991 viele Ostdeutsche ihre Arbeit erheblich schlechter bewerten als ein Jahr zuvor, erhält somit einen veränderten politischen Stellenwert.

3. Die neuen Bundesbürger schätzen ihre subjektiven Arbeitsmarktchancen er­

heblich schlechter ein als die Westdeutschen, und diese Einschätzung ist bis 1991 weiter gesunken. Kaum ein Befragter (im erwerbsfähigen Alter) glaubt im Osten zu diesem Zeitpunkt noch, daß eine Stellensuche "leicht" zum Erfolg gebracht werden könnte. Während nur eine Minderheit der Erwerb­

stätigen in Westdeutschland um ihren Arbeitsplatz fürchten, machen sich im Osten mittlerweile fast die Hälfte aller Erwerbstätigen "Große Sorgen" um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Gleichzeitig stieg auch der Anteil derje­

nigen, die um ihre eigenen wirtschaftlichen Existenzgrundlagen sehr besorgt sind. Besonders gravierende Veränderungen zeichnen sich zwar für Kurz­

arbeiter und Arbeitslose ab, aber steigende Existenzsorgen, Arbeitsplatz­

unsicherheiten und zunehmend schlechtere Einschätzungen der eigenen Arbeitsmarktchancen sind tendenziell auch für kontinuierlich Erwerbstätige kennzeichnend geworden.

4. Unter den kontinuierlich Erwerbstätigen im Osten Deutschlands finden sich bis 1991 kaum "Gewinner" der Wiedervereinigung. Selbst die in der Berufs­

hierarchie günstigen Positionen Höherer und Leitender Angestellter äußern zunehmend Arbeitsplatzunsicherheiten und wirtschaftliche Existenzsorgen.

Die Bewertungen der Arbeits- und Einkommens Verhältnisse in jeder Berufs­

position hat sich im Laufe des Jahres verschlechtert, der Abstand zu west­

deutschen Vergleichsgruppen hat sich vergrößert.

5. Das Niveau der Zufriedenheit mit dem Leben im allgemeinen war bereits 1990 in einem negativen Sinne beeindruckend. Die Gesamtbevölkerung im Osten Deutschlands wies zu diesem Zeitpunkt in der globalen Bilanzierung ihrer Lebens Verhältnisse ein Niveau auf, das im Westen lediglich bei typi­

schen Problemgruppen (Arbeitslose; alleinstehende, einsame Ältere; dauer­

haft gesundheitlich Beeinträchtigte) anzutreffen ist. Die durchschnittliche allgemeine Lebenszufriedenheit ist bis zum Juni 1991 weiter gesunken. Nur noch rund die Hälfte der neuen Bundesbürger ist mit den eigenen

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-bensumständen "eher zufrieden"; nur 10 Prozent beurteilen die allgemeinen Lebensverhältnisse in Ostdeutschland noch positiv. Ein auch nur annähernd vergleichbar hohes Ausmaß an Unzufriedenheit wurde während der zurückliegenden Dekade in Westdeutschland nie beobachtet.

6. Obwohl nach wie vor mehr als die Hälfte der neuen Bundesbürger ihrer per­

sönlichen Zukunft - alles in allem - zuversichtlich entgegensieht, hat der aus­

geprägte Optimismus vieler Ostdeutschen bis 1991 deutlich nachgelassen.

Während kontinuierlich Erwerbstätige nahezu unverändert zuversichtlich bleiben, setzen vor allem Arbeitslose und Kurzarbeiter mehrheitlich nur noch wenig Hoffnung in die weitere Entwicklung. Die Gefahr der sozialen Ausgrenzung und Marginalisierung größerer Bevölkerungsteile in den neuen Bundesländern hat sich erhöht.

7. Die Ursachen für den umfassenden Stimmungseinbruch scheinen nicht nur im Zusammenhang mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu stehen. Auch kontinuierlich erwerbstätige Personen berichten zunehmend über Beein­

trächtigungen ihres subjektiven Wohlbefindens. Enttäuschte Erwartungen in bezug auf den bisherigen Verlauf des ostdeutschen Transformationspro­

zesses, aber auch allgemein zunehmende Ängste und Sorgen hinsichtlich der weiteren Entwicklung dürften dabei von Bedeutung sein.

Literaturangahen

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