Das Zufriedenheitsgefälle zwischen Ost und West bleibt auch dann bestehen, wenn man die Bewertungen einzelner Bevölkerungsgruppen betrachtet (Tabelle 3): Sowohl für Männer und Frauen als auch für einzelne Altersgruppen liegt das Zufriedenheitsniveau der Ostdeutschen bei fast allen hier angeführten Indikato
ren unter dem entsprechenden Niveau westdeutscher Gruppen.
Die Entwicklung der Lebens Verhältnisse im Ostteil Deutschlands wird im Laufe eines Jahres von den einzelnen Gruppen allerdings nicht völlig gleichförmig bewertet. Während bspw. ältere Befragte über 60 Jahren keine nennenswerte Verschlechterung ihrer Einkommenssituation wahrnehmen, wird gerade der Einkommensaspekt von jüngeren Altersgruppen deutlich schlechter bewertet.
In der jüngsten Altersgruppe (bis 30 Jahre) zeigen sich bis 1991 sogar in mehre
ren Bereichen erhebliche Zufriedenheitsdefizite. Die Bewertung der eigenen Wohnverhältnisse ist für diese Gruppe im Beobachtungszeitraum zwar leicht gestiegen, weist in ihrem Niveau jedoch auf die nach wie vor bestehende rela
tive Unterversorgung mit angemessenem Wohnraum gerade der jüngeren Be
völkerung in Ostdeutschland hin. Das Angebot an Waren und Dienstleistungen
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-Schaubild 8: Veränderungen von Zufriedenheiten in Folge einzelner Statuspassagen
- Konstant erwerbstätig Arbeitszufriedenheit Zuf.m. Lebensstand.
Zuf.m.Einkommen - Erwerbst.->Kurzarbeit
Arbeitszufriedenheit Zuf.m.Lebensstand.
Zuf.m.Einkommen - Erwerbst.->Arbeitslos
Arbeitszufriedenheit Zuf.m.Lebensstand.
Zuf.m.Einkommen - Erwerbst.->Vorruhest.
Arbeitszufriedenheit Zuf.m.Lebensstand.
Zuf.m,Einkommen - Rentner
Zuf.m.Lebensstand.
Zuf.m.Einkommen
I I West-88 H West-89
1B
Ost-90 i i Ost-91Datenbasis; SOEP-West(1988-1989); SOEP-Ost(1990-1991).
sowie der Zustand der Umwelt haben sich zwar auch in der Wahrnehmung jün
gerer Ostdeutscher sichtlich verbessert, die Angaben unterscheiden sich aber weiterhin negativ von denen älterer Befragter.
Die noch 1990 im Osten bestehenden Differenzen einzelner Altersgruppen hin
sichtlich der Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit haben sich bis 1991 weitge
hend nivelliert: Sie wird zu diesem Zeitpunkt von allen Gruppen fast gleicher
maßen schlecht eingestuft. Nur für die Bewertung des eigenen
GesundheitszuSeite 21
-stands zeichnet sich für Ost- und Westdeutsche ein ähnliches Bild ab. Mit zunehmendem Alter und den damit steigenden gesundheitlichen Beeinträchti
gungen sinkt die Zufriedenheit mit der Gesundheit. Auch das Bewertungsni
veau weist hier im Ost-West-Vergleich kaum Diskrepanzen auf.
Die Antwort auf die Frage nach den Ursachen für den teilweise drastischen Rückgang der Zufriedenheit mit den Einkommensverhältnissen, dem eigenen Lebensstandard aber auch für die sinkende Arbeitszufriedenheit in Ostdeutsch
land steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Veränderungen des Er
werbsstatus, von denen viele Ostdeutsche bis 1991 betroffen waren. In Folge dieser Statuspassagen sind die bedeutendsten Zufriedenheitsveränderungen zu erkennen (Schaubild 8). Zur Veranschaulichung der Auswirkungen dieser Übergänge werden als Kontrastgruppen die entsprechenden Werte der konti
nuierlich erwerbstätigen Personen, die der ostdeutschen Rentner und, soweit vorhanden, die Angaben westdeutscher Vergleichsgruppen angeführt.
Eine durchgängige Erwerbstätigkeit zwischen 1988 und 1989 führt bei west
deutschen Berufstätigen erwartungsgemäß zu konstanten und hohen Werten der Einkommens- und Arbeitszufriedenheit. Das Niveau der Arbeitszufrieden
heit der konstant erwerbstätigen Ostdeutschen geht von 1990 bis 1991 hingegen leicht zurück. Möglicherweise spielen hier, neben den vorhandenen Ängsten und Sorgen um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes, auch die in ihrem Ausmaß nicht unbedeutenden beruflichen Abstiegsprozesse (Tabelle 1) eine gewisse Rolle. Trotz anhaltender Berufstätigkeit sind die betreffenden Personen auch mit der Höhe ihres Haushaltseinkommens unzufriedener als ein Jahr zu
vor. Dabei sollte betont werden, daß auch die Einkommenszufriedenheit dieser Gruppe bereits 1990 weit unter dem westdeutschen Niveau lag.
Dieser Rückgang kann insofern erstaunen, als die Arbeitseinkommen der Ost
deutschen bis 1991 (im Durchschnitt) stärker gestiegen sind als die Inflations
rate (DIW Wochenbericht 4/92), real also ein Einkommenszuwachs zu ver
zeichnen war. Es ist allerdings zu berücksichtigen daß, anders als in West
deutschland, in der DDR die erwerbstätige Ehefrau der Normalfall war. In der Mehrzahl der ostdeutschen Haushalte trugen also mindestens zwei Erwerbs
personen zum Haushaltseinkommen bei. Gerade im Hinblick auf die Bedeu
tung der Berufstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts und als Determi
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-nante des Lebensstandards ist deshalb weniger die individuelle Erwerbsbeteili
gung als vielmehr die Verteilung von Erwerbstätigen und Nichtwerbstätigen innerhalb der ostdeutschen Haushalte ausschlaggebend. Ein Teil der gestiege
nen Unzufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen von berufstätigen Perso
nen könnte demnach durchaus auf die Arbeitslosigkeit eines anderen Haus
haltsmitglieds, also auf haushaltsinteme Veränderungen von Erwerbskonstella
tionen zurückzuführen sein (Zur Einkommenszufriedenheit s. auch Kapitel 10).
Im ostdeutschen Maßstab günstig stellt sich, aus der Perspektive der Betroffe
nen, die Entwicklung der Renteneinkommen in den neuen Bundesländern dar.
Die Bewertungsangaben dieser Gruppe zu ihren materiellen Lebensverhältnis
sen liegen zwar noch deutlich unter dem westdeutschen Niveau, verzeichnen aber - entgegen dem allgemeineren Trend - Anzeichen eines Zufriedenheitsan
stiegs. Hinsichtlich der Einschätzungen bezüglich der Höhe des eigenen Haus
haltseinkommens und dem damit verbundenen Lebensstandard unterscheiden sich die Rentner im Osten 1991 kaum von den Erwerbstätigen. Die neuorgani
sierten und -strukturierten Versorgungsleistungen im Zuge der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion werden von den meisten älteren Nichterwerbstäti
gen also keineswegs negativ beurteilt.
Insgesamt erweisen sich die angeführten Zufriedenheitswerte der Rentner und derjenigen Ostdeutschen, die sich bis 1991 auf dem Arbeitsmarkt halten konn
ten als vergleichsweise stabil; d.h. im Vergleich zu denjenigen Bevölkerungs
gruppen, deren Arbeitsverhältnis einschneidenden, und bis dahin weitgehend unbekannten, Veränderungen unterlag. Dabei ist allein schon der quantitative Umfang dieser Übergänge beeindruckend: Über zwei Millionen Erwerbstätige in Ostdeutschland waren innerhalb eines Jahres - faktisch - ohne reguläre Beschäftigung, teils in Folge von Arbeitslosigkeit, teils durch Kurzarbeit. Hun
derttausende schieden über die Vorruhestandsregelung aus dem Erwerbsleben aus. Jeder dieser Übergänge führte bei den Betroffenen zu spürbaren Einbußen bei der Bewertung materieller Lebensbedingungen.
Der Umfang der Zufriedenheitseinbußen im Osten, die durch Arbeitslosigkeit ausgelöst werden, übersteigt bei weitem das Ausmaß in der westdeutschen Ver
gleichsgruppe. Der Verlust der Erwerbsarbeit zieht zwar auch im Westen schwere Wohlfahrtsdefizite nach sich, aber zum einen ist Arbeitslosigkeit hier
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-bereits seit langem eine bekannte Form der Nichterwerbstätigkeit, zum anderen kumulieren ihre Folgen nicht mit den persönlichen Belastungen und Unsicher
heiten im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Umbruchprozesses mit dem die Menschen in den neuen Bundesländern zur Zeit konfrontiert sind.
Kurzarbeiter unterscheiden sich hinsichtlich ihres arbeitsrechtlichen Status von der Gruppe der Arbeitslosen; die mit dem Übergang in diese Beschäftigungs
form einhergehenden schlechteren Bewertungen der eigenen Lebensverhält
nisse ähneln hingegen in ihrem Muster weitgehend denen der arbeitslos gemel
deten Personen. Die durchschnittliche Arbeitszufriedenheit der Kurzarbeiter sinkt in Folge dieses Statuswechsels von 6.9 auf 4.0. Auch dieses Ergebnis kann dahingehend interpretiert werden, daß die Betroffenen der praktizierten Kurz
arbeiterregelung eher negativ gegenüberstehen und nur eine Minderheit mög
liche Vorteile, die sich aus diesem Beschäftigungsverhältnis ergeben können, auch wahrnimmt. Eine Alternative zum allgemein akzeptierten Status der voll
zeiterwerbstätigen Arbeitskraft in Ostdeutschland zeichnet sich in diesem Modell nicht ab.
Auch der Übergang in die Nichterwerbstätigkeit durch die Inanspruchnahme der Vorruhestandsregelung führt zu sichtbar schlechteren Bewertungen des Haushaltseinkommens und des Lebensstandards. Die Zufriedenheitseinbußen enthalten in ihrem Umfang jedoch nicht die Bedeutung, wie sie bei Arbeitslosen und Kurzarbeitern zu erkennen ist.