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Archiv "Eine Ungeheuerlichkeit" (24.12.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Eine Ungeheuerlichkeit

A

n sich wäre es gar nicht nötig, auf dieses Buch*) auch nur eine Zeile oder einen Gedanken zu ver- schwenden, wenn es nicht bereits die siebente Auflage (1989) seit 1986 er- lebt hätte, also offenbar weit verbrei- tet ist, und wenn es nicht gefährliche Passagen enthielte.

Erprobte und bewährte Haus- mittel, wie kalte Umschläge, Unter- schenkelwechselbäder, Kneippsche Wickel, Sauna usw. werden beschrie- ben und empfohlen. Es finden sich viele Hinweise zur Ernährung mit der sogenannten Vollwertkost, die zum Teil recht vernünftig sind oder wenigstens so klingen. Sie werden aber polemisch so ideologisiert vor- getragen, daß man allen diesen Vor- schlägen offenbar nur folgen kann, wenn man bedingungslos daran glaubt, auch den wirklich brauchba- ren. Alles, auch das nicht Erklärba- re, das nicht Bewiesene und auch das nicht zu Beweisende, wird als wissen- schaftlich begründet dargestellt.

Damit ist allerdings nicht viel Schaden anzurichten. Man könnte, wie gesagt, zur Tagesordnung über- gehen, wenn nicht außerdem einige Ungeheuerlichkeiten mit dem glei- chen Anspruch auf Wissenschaftlich- keit und diesem polemisch ideologi- sierten Glaubensanspruch zum Ab- druck kämen. Wenn nicht Behaup- tungen aufgestellt würden, die ein erhebliches Gesundheitsrisiko be- deuten können.

Wir sind froh, daß dank einer ungeheuer aufwendigen Aktion der WHO die Welt seit mehr als zwölf Jahren pockenfrei ist. Das Abwägen zwischen Impfrisiko und Infektions- risiko ist nicht mehr nötig. Die letz- ten Pockeneinschleppungen, es sei nur an Meschede erinnert, haben Todesopfer gefordert, aber nur bei Nichtimmunisierten. Das hat der Autor vergessen, wenn er schreibt, daß noch nicht geklärt sei, ob der Er- folg (daß es keine Pocken mehr

*) M. 0. Bruker: Biologischer Ratgeber für Mutter und Kind, Band 9 der Reihe: Aus der Sprechstunde, 7. Auflage, Verlag für Ernährung, Medizin und Umwelt (EMU), Lahnstein, 1989, 328 Seiten, gebunden, 19,80 DM

gibt), hygienischen Maßnahmen oder der Impfung zu verdanken sei.

Die Antwort ist klar: Isolierung ein- zelner Infektiöser plus Impfung wa- ren der Schlüssel zum Erfolg.

Noch schlimmer ist die Polemik gegen die Kinderlähmungsimpfung, die „Schluckimpfung". Von einem Jahr zum anderen sank die Zahl der mit Lähmungen bei Poliomyelitis Er- krankten von etwa 6000 pro Jahr in der Bundesrepublik (ähnliche Zah- len finden sich in allen anderen mit- teleuropäischen Ländern) auf prak- tisch null nach Einführung der Imp- fung. Nach Meinung von Bruker kön- nen sich nur Menschen infizieren, die Zucker und Mehlprodukte zu sich nehmen. Er möchte doch bitte in un- seren pädiatrischen und orthopädi- schen Kliniken die armen, elenden Kinder aus dem vorderen Orient, aus dem Mittelmeerraum oder aus Zen- tralafrika ansehen, die nach einer Po- liomyelitis zur Behandlung der Folge- schäden zu uns kommen. Oder er sollte selber einmal für ein paar Wo- chen in solche oder viele andere Län- der mit gleichen Problemen fahren.

Oder er sollte sich an jene Gemeinde in unserem niederländischen Nach- barland erinnern, deren Einwohner Impfgegner waren und ideologisch verbrämt alternativ lebten. Durch ei- ne Einschleppung wurden sie von einer Poliomyelitis-Endemie mit schwersten Schäden heimgesucht.

Wahrscheinlich hatten sie nicht die richtige Kost genossen .. .

In ähnlicher Weise wird ge- gen weitere Impfungen polemisiert:

„Wägt man das Für und Wider ge- geneinander ab, so fällt für die Kin- derkrankheiten das Urteil eindeutig gegen die vorbeugenden Impfungen aus; Voraussetzung ist natürlich, was nicht oft genug wiederholt werden kann, eine vitalstoffreiche Vollwert- kost, auf die ein sicherer Verlaß ist, und eine naturgemäße Lebensfüh- rung." Diphtherie-, Tetanus- und Pertussis-Impfungen seien unnütz.

Es soll noch auf einige weitere äußerst fragwürdige Aussagen dieses Büchleins eingegangen werden: Ha- nebüchen ist das, was Bruker über

Vitamin D und über die Rachitis schreibt. Es ist doch allgemein be- kannt, daß Vitamin D die enterale Kalzium-Resorption und die Einla- gerung dieses Mineralstoffes in die Knochen fördert. Bei Mangel sehen wir die Rachitis, vor allem Knochen ohne Hartsubstanz. Daß wir das heu- te sehr selten erleben, ist der Vit- amin-D-Prophylaxe zu verdanken.

Auch bei sogenannten Vollwertkost- ernährten Kindern sehen wir gele- gentlich alle Formen der Rachitis.

Aber auch „normal" ernährte Kinder entwickeln nur zum Teil eine Rachi- tis. Leider ist nicht voraussehbar, wen es treffen kann. Daß Vitamin D Schä- den verursachen kann, ist bekannt, Herr Bruker verschweigt aber, daß hierfür Dosierungen nötig sind, die um Zehnerpotenzen höher sind als die zur Prophylaxe empfohlenen.

Auch treten diese Schäden nur bei wiederholter Gabe auf, wie zum Bei- spiel die tödlich verlaufenden „Vi- gantol"-Schäden. Ein zu kleiner Schädel, Vergreisung, Atheromatose bei der üblichen Dosierung sind nicht bekannt, noch nicht einmal bei mehr- fach höherer Dosis. Allerdings kann man des Autors Empfehlungen fol- gen und auch regelmäßig Lebertran geben, wie wir es zum Schrecken der Kinder vor Verfügbarkeit reiner Vit- amin-D-Präparate auch getan haben.

Der Fortschritt der Wissenschaft hat uns davon befreit.

„Fehlen die notwendigen Vital- stoffe", schreibt der Autor, „bleiben die Geburtswege enger und rigider".

Er fügt hinzu, daß bei einer Ernäh- rung in der Schwangerschaft mit Fa- brikzucker und Auszugsmehlen auf- geschwemmte Kinder mit einem gro- ßen Kopf entstünden, während mit einer Vitalstoff-reichen Ernährung mit Vollkornprodukten der Umfang des Kinderkopfes ein bis zwei Zenti- meter kleiner sein würde. In der me- dizinischen Fachwelt sind diese Zu- sammenhänge nicht bekannt.

Wenn Bruker schreibt, es sei ei- ne unbewiesene Theorie, daß das Verdauungssystem und das Verdau- ungs-Enzym-System beim Säugling anders als beim Erwachsenen sei, dann spricht das dafür, daß er nicht orientiert ist. Das Enzymsystem der Verdauungsorgane unterliegt in den ersten Lebenswochen einer Reifung, Dt. Ärztebl. 87, Heft 51/52, 24. Dezember 1990 (61) A-4129

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

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wie es eindeutig und vielfach nachge- wiesen werden konnte. Frauenmilch und auch adaptierte Kuhmilchpro- dukte werden selbstverständlich ver- daut und resorbiert. Erwachsenen- kost aber wird eben wegen des noch nicht abgeschlossenen Reifungspro- zesses nicht toleriert.

In der alten Pädiatrie gab es den Begriff des Lymphatismus bezie- hungsweise des lymphatischen Kin- des. Dieser unklare Begriff existiert heute nicht mehr. Bruker möge viel- leicht doch einmal in einem neuen Lehrbuch der Pädiatrie blättern.

Als böswillige Unterstellung möchte ich die Behauptung Brukers ansehen, daß der Arzt, der von der Universität kommt, sich nicht trauen würde, einen fieberhaften Infekt beim Kind ohne Antibiotika zu be- handeln, da er etwas anderes nicht gelernt hat.

Sicher hat Bruker recht, wenn er sagt: „Es liegt in der Natur der Sa- che, daß in der nichtärztlichen Re- formbewegung Einseitigkeiten, Teil- und Halbwahrheiten, 'Übertreibun- gen, Sektiererisches und Fanatisches zu beobachten sind, die bei allem Gutgemeinten der im Grunde guten Sache mehr schadeten als nützten."

Er sollte sich aber diesen Spiegel einmal selbst vorhalten.

Wie auseinandergesetzt, sind ei- ne Reihe der Darstellungen in dem Büchlein wissenschaftlich falsch. Ei- nige Behauptungen sind sogar unver- antwortlich. Da Kinder durch Befol- gen der Ratschläge Brukers zu Scha- den kommen können, besonders in Hinsicht auf seine Impfratschläge und seine Empfehlungen zur Vit- amin-D-Prophylaxe, stellt sich die Frage der Regreßpflicht bei nachge- wiesenem Schaden. Jeder verantwor- tungsbewußte Arzt sollte mithelfen, der durch dieses Druckwerk entstan- denen Verunsicherung in der Bevöl- kerung entgegenzuwirken.

Professor Dr. med. Erich Gladtke Wilhelm-Backhaus-Straße 7 W-5000 Köln 41

Eine Bakteriämie bei älteren Personen hat einen unterschiedli- chen klinischen Verlauf und eine hö- here Letalitätsrate im Vergleich zu jüngeren Altersgruppen. Zur Unter- suchung dieser Fragestellung bei Äl- teren analysierten die Autoren Da- ten über den klinischen Verlauf so- wie mit der Krankheitsfolge im Zu- sammenhang stehende Faktoren bei 100 Fallbeispielen von Sepsis bei Pa- tienten über 65 Jahre.

Dafür wurden zwischen 1984 und 1986 die Unterlagen von allen Patienten über 65 Jahre des Mount Sinai Hospitals, New York, mit posi- tiver Blutkultur untersucht. Wohnort vor Krankenhausaufnahme, Infekti- onsort, Quelle der Bakteriämie so- wie Mikroorganismen wurden bei der Analyse berücksichtigt. Eine an- timikrobielle Behandlung wurde als geeignet definiert, wenn die Initial- therapie eine Komponente enthielt, auf den der isolierte Erreger sensitiv reagierte, oder als ungeeignet, wenn der isolierte Erreger gegen das initial eingesetzte Antibiotikum resistent war. Folgende die Überlebensrate beeinflussende Faktoren wurden analysiert: Alter, Geschlecht, vor- handene Krankheiten, klinische Pa- rameter bei Aufnahme, Leukozyten- zahl, psychischer Status, Infektions- quelle, isolierte Mikroorganismen, antibiotische Toxizität und eine ge- eignete gegenüber einer ungeeigne- ten antibiotischen Therapie.

Die meisten Patienten waren weiblich (63 Prozent), hatten Fieber (90 Prozent), einen veränderten psy- chischen Status (52 Prozent) und ei- ne neutrophile Reaktion (61 Pro- zent). 83 Prozent der Patienten wur- den von einem Altersheim, 14 Pro- zent von einem Langzeit-Pflegeheim und drei Prozent aus einem anderen Krankenhaus überwiesen. 50 Pro- zent der Infektionen waren im Kran- kenhaus und 44 Prozent im Heim und im Pflegeheim erworben. 60 Prozent der isolierten Erreger waren Gram-negative Organismen, wobei Escherichia coli (22 Prozent) und Klebsiella-Spezies (elf Prozent) vor- herrschend waren; 30 Prozent waren Gram-positive Organismen, wobei

Staphylococcus aureus (13 Prozent) und Streptococcus faecalis (zehn Prozent) am häufigsten auftraten.

Die Gesamtüberlebensrate betrug 60 Prozent; die Überlebensrate für eine erworbene Bakteriämie im Heim be- lief sich auf 65,8 Prozent, im Pflege- heim auf 75 Prozent und im Kran- kenhaus auf 52,8 Prozent. Die Über- lebensrate für Kranke mit Gram-ne- gativen Erregern betrug 65 Prozent gegenüber 51,7 Prozent bei Gram- positiven Erregern. Die Überlebens- rate war am höchsten bei Patienten mit einer Bakteriämiequelle im Uro- genitaltrakt (70 Prozent) oder einer intravaskulären Quelle (78 Prozent) und am niedrigsten bei Patienten mit dem Ursprung im unteren Respirati- onstrakt (42 Prozent). Alle drei Pa- tienten mit Endocarditis starben. Ei- ne erhöhte Überlebensrate wurde bei Patienten mit einer geeigneten antimikrobiellen Behandlung beob- achtet ohne Berücksichtigung von Alter, Infektionsquelle oder Blutkul- tur. Eine ungeeignete Therapie in Verbindung mit einem höheren Al- ter als 85 Jahre oder mit S. aureus- Infektion war mit erhöhter Letalität assoziiert. Die Toxizität war am größten mit Aminoglycosiden (21 Prozent), gefolgt von Cephalospori- nen (19 Prozent) und war am gering- sten mit Penicillinen (zwölf Prozent).

Weniger Fälle von Ototoxizität und Nephrotoxizität wurden beobachtet bei Patienten über 85 Jahre mit Aminoglycoside-Behandlung, vergli- chen mit jüngeren Altersgruppen.

Die Autoren kommen zu der Schlußfolgerung, daß nach den Da- ten eine empirische antimikrobielle Initialtherapie bei den älteren Pa- tienten verbreitet ist und eine Ab- deckung des S. aureus mit ein- schließt. Eine besondere Aufmerk- samkeit ist bei der Auswahl der ge- eigneten Initialtherapie bei Patien- ten über 85 Jahre erforderlich. Lng.

Meyers, B. R. et al: Bloodstream Infecti- ons in the Elderly, Jourh. Med. 86 (1989) 379-384.

Dr. Burt R. Meyers, Box 2090, The Mount Sinai Hospital, One Gustave L. Levy Place, New York, NY 10029-6574, USA.

Bakteriämie bei älteren Personen

A-4130 (62) Dt. Ärztebl. 87, Heft 51/52, 24. Dezember 1990

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