Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung in Hamburg; am Red-
nerpult KZBV-Vorsitzender Wilfried Schad Foto: argus
Die Zahnärzte wollen
die Kassenleistung begrenzen
Die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesverei- nigung (KZBV) hat am 26. und 27.
Oktober in Hamburg den berufspoli- tischen Kurs der Kassenzahnärzte- schaft, über den seit Jahren heftig ge- stritten wurde, mit einem Konzept- Papier „Weiterentwicklung der ge- setzlichen Krankenversicherung"
festgeschrieben. In dem vom Vor- stand der KZBV vorgelegten und von der Vertreterversammlung mit großer Mehrheit verabschiedeten Papier werden einerseits eine Liberalisie- rung im Kassenarztrecht und in der Mitglieder- und Organisationsstruk- tur der gesetzlichen Krankenversi- cherung, andererseits und vor allem grundlegende Veränderungen im Charakter der zahnärztlichen Lei- stungen gefordert. Danach soll von der Spätbehandlung zur Frühbehand- lung und Prophylaxe umgeschaltet werden mit der Maßgabe, daß sich die begrenzten Mittel der Krankenkassen auf diesen Schwerpunkt konzentrie- ren, während bei der Spätversorgung, also vor allem beim Zahnersatz, Mit- tel der Krankenkassen freigemacht werden sollen, indem die Patienten stärker beteiligt werden.
Die Umschaltung von der Spät- zur Frühbehandlung setzt nach den KZBV-Vorstellungen also bei einer
Reform des Leistungsrechts an. Ei- nerseits sollen durch Definition und Einführung von Grundversorgungs- und Zusatz- oder Aufbauleistungen Mittel für eine Frühbehandlung frei- gemacht werden. Andererseits soll durch den Ausbau von Kostenerstat- tung- und Selbstbeteiligungsmodel- len in vielen Leistungsbereichen ein neuer Rechtscharakter der gesamten kassenzahnärztlichen Versorgung er- reicht werden. Die Grundversorgung soll weiter nach dem Prinzip der Sozi- alversicherung erbracht werden. Der Versicherte soll darüber hinaus die Freiheit haben, Zusatzleistungen in Anspruch zu nehmen und sich dafür Teilerstattungen seiner Kasse zu ho- len. Das Modell läuft insgesamt auf den Abbau des umfassenden Sachlei- stungssystems zugunsten der Kosten- erstattung hinaus.
Im konservierenden/chirurgi- schen Bereich sowie in der Parodon- tose-Behandlung und bei Kieferge- lenkserkrankungen sollen die Kassen eine ausreichende Grundversorgung bezahlen, die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Funktionsfä- higkeit des geschädigten Zahnes und des Zahnhalteapparates nötig ist.
Aufwendige Behandlungsmethoden, darunter auch solche, die eine lang- fristige eigenverantwortlich gesteu-
erte Mitarbeit voraussetzen, sollen aus der Grundversorgung ausge- grenzt werden.
Das Konzept sieht die Abwick- lung der Grundversorgung auf der Grundlage des zahnärztlichen Be- wertungsmaßstabes vor, während die Zusatzversorgung nach der Gebüh- renordnung für Zahnärzte (GOZ) honoriert werden soll. Zahnarzt und Patient soll es aber auch freistehen, die gesamte Versorgung abzudingen, ohne daß der Anspruch des Versi- cherten gegenüber seiner Kasse be- einträchtigt wird. Damit soll erreicht werden, daß eine Grundversorgung zu sozialverträglichen Bedingungen allen Sozialversicherten zur Verfü- gung steht und daß aufwendigere Lösungen vom Versicherten nachge- fragt werden können, ohne daß der Anspruch auf Erstattung der Grund- leistungen verloren geht.
Als wichtigstes Ergebnis ihres Reformkonzeptes erhofft sich die Zahnärzteschaft, daß die medizini- sche Grundversorgung finanzierbar bleibt und die Schere zwischen medi- zinischen Möglichkeiten, individuel- len Wünschen und finanzieller Lei- stungsfähigkeit sich nicht immer wei- ter öffnet.
Kassenzahnärzte wollen ihre Partner überzeugen
Der KZBV-Vorsitzende Wil- fried Schad erklärte zu diesem Kon- zept vor der Presse, es handele sich um einen „dritten Weg" zwischen den bisherigen Budgetierungsversu- chen und neoliberalen Ideen der völ- ligen Aufhebung von Selbstverwal- tungsbindungen ä la Professor Ober- ender. Er charakterisierte die KZBV-Vorstellungen als langfristi- ges Konzept, zu dem die Partner in Politik und Selbstverwaltung über- zeugt werden müßten und das nur mit ihnen zusammen zu verwirkli- chen sei. Schad setzte sich damit von der kämpferischen Linie des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte ab, der noch auf seiner jüngsten Haupt- versammlung im September in Bonn mit verbalen Rundumschlägen einen
„Ausstieg aus der GKV" gefordert hatte. Hartmut Friel, Köln A-3596 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 46, 15. November 1990