A2136 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 4110. Oktober 2008
P O L I T I K
W
enn es stimmt, dass Journa- listen am liebsten über das Schlechte auf der Welt schreiben, dann kommt ihnen die Honorar- reform gerade recht. Denn sie wird landauf, landab madig gemacht.„Statt mit gesundem Selbstbewusst- sein zu sagen: ,Wir haben 2,7 Milli- arden Euro mehr bekommen!‘, re- den wir alles schlecht. Wir greifen uns gegenseitig öffentlich an, wir zerreden den Erfolg“, kritisierte Dr. med. Andreas Köhler unlängst.
Adressiert war die Klage an den ein oder anderen aus ärztlichen Orga- nisationen und Verbänden. Doch der Vorstandsvorsitzende der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hofft, dass die Basis „eher positiv gespannt abwartet, wie es für sie im nächsten Jahr wirklich aussieht“.
Fakt ist: Das weiß noch niemand genau. Denn erst zum 30. Novem- ber 2008 sollen jede Vertragsärztin und jeder Vertragsarzt erfahren, wie hoch die neue, individuelle Umsatz- latte gelegt wird. Dann stehen als wichtigste Stellgröße die persönli- chen Regelleistungsvolumen (RLV) für jeden fest.
Drei Töpfe – eine Begrenzung
Denn trotz eines Honorarzugewinns von 2,7 Milliarden Euro für 2009 ist klar: Das Geld für die ambulante ärztliche Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten bleibt be- grenzt. Es kann künftig aus drei Quellen fließen: erstens aus einem großen Topf für alle der vorher- sehbaren morbiditätsbedingten Ge- samtvergütung inklusive Laborleis- tungen und Sachkosten. Aus diesem Topf werden im Großen und Ganzen die Regelleistungsvolumen gebildet. Zweitens aus Verträgen über separate Leistungen, also sol- che außerhalb der vorhersehbaren Gesamtvergütung. Und drittens alsEntgelt für einen nicht vorhersehba- ren morbiditätsbedingten Behand- lungsbedarf.
Hier haben sich im Erweiterten Bewertungsausschuss jedoch die Kassen durchgesetzt. Als unvorher- sehbar wird ein Anstieg der Behand- lungsmenge nur akzeptiert, wenn ein paar wenige Krankheiten wie zum Beispiel Tuberkulose deutlich zugenommen haben oder Epidemi- en beziehungsweise Naturkatastro- phen zu verzeichnen waren.
Das bedeutet: Der heutige EBM wird zwar zur Eurogebührenord- nung. Feste Preise für ärztliche Leistungen werden aber nur bis zu der Grenze bezahlt, die künftig das individuelle Regelleistungsvo- lumen darstellt. Darüber hinaus werden sie mit einem abgestaffelten Preis vergütet; wie hoch dieser ist, wird erst im Nachhinein feststehen.
Im Einzelnen wird sich das in- dividuelle RLV eines Arztes pro Quartal aus arztgruppenspezifischen Fallwerten in Euro sowie seiner Fallzahl im Vorjahresquartal zusam- mensetzen. Die Fallwerte werden dabei aus der neuen morbididätsbe- dingten Gesamtvergütung ermittelt.
Dies bedeutet zugleich eine Steige- rung gegenüber der bisherigen bud- getierten Gesamtvergütung. Zudem sind beim Vergleich mit dem Vor- jahresquartal Spielräume vorgese- hen, schon um beispielsweise die Effekte unterschiedlicher Ferienzei- ten auszugleichen.
Kritik: Fachärzte im Nachteil
Die neue Welt der Regelleistungs- volumen gefällt so manchem nicht.„Hierdurch werden Fachärzte be- nachteiligt, die je behandelten Patienten hochwertige Leistungen abrechnen“, hat kürzlich die Fach- ärztefraktion der KBV-Vertreter- versammlung gewarnt. Sie fordert
deshalb, darauf zu achten, dass auch Spezialisten mit wenigen, aber auf- wendigen Fällen ein angemessenes Honorar erzielen können.
Kritik kommt auch von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin. Vorstandsmitglied Dr. med.
Burkhard Bratzke schreibt im aktu- ellen KV-Blatt: „Schon jetzt gelingt es vielen von uns nicht, ihre Budgets auszuschöpfen – nun müssen wir unsere abgerechneten Leistungen noch kräftig steigern, um die in Aus- sicht stehende Honorarerhöhung tatsächlich zu bekommen.“ Der Me- di-Vorsitzende, Dr. med. Werner Baumgärtner, warnt ebenso vor ei- ner „drastischen Steigerung der Leis- tungsmenge zu niedrigen Einzel- preisen: „Seien Sie willkommen im Hamsterrad des EBM 2009!“
Sorge vor Rückzahlungen
Der Grund für solche Sorgen: Bis- lang zahlten die Krankenkassen für die ambulante Versorgung je Mit- glied eine Kopfpauschale an die KV.Vielen waren diese Pauschalen zu niedrig. Doch sie hatten den Vorteil, dass die KV den Krankenkassen niemals Geld zurückerstatten muss- te. Nun treibt manchen die Sorge, dass sich das ändern könnte.
Die Krankenkassen fordern näm- lich, dass überschüssiges Geld ih- nen gehört, falls ein Arzt sein RLV nicht ausschöpft, weil er weniger Patienten behandelt hat oder weni- ger Leistungen erbringen musste.
Die Honorarexperten der KBV hal- ten die Sorgen vor zu groß dimen- sionierten RLV hingegen für unrea- listisch. Bisher seien rund 30 Pro- zent der ärztlichen Leistungen nicht bezahlt worden, argumentieren sie.
Diese Lücke werde auch durch den bundesweit vereinbarten Honorar- zuwachs nicht auszugleichen sein.I Sabine Rieser