Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 19|
10. Mai 2013 A 917 ZENTRALE ETHIKKOMMISSIONÄrzte nicht systematisch an der Hilfe für Migranten hindern
Mit einer Stellungnahme setzt sich die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer für die Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten ein.
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thische und auch juristi- sche Konfliktsituationen entstehen für Ärztinnen und Ärzte immer wieder, wenn me- dizinisch gebotene Behand- lungen von Menschen ohne ausreichenden Versicherungs- schutz aus Angst vor Abschie- bung unterbleiben müssen.Teilweise können sie auch die- sen Patienten nicht garantie- ren, dass die Schweigepflicht eingehalten wird. Betroffen seien Asylsuchende mit oder ohne gesicherten Aufenthalts- status und Angehörige eines EU-Mitgliedsstaates, die keinen ausreichenden Versicherungs- schutz besitzen, sagte der Vor- sitzende der Zentralen Ethik- kommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer, Profes- sor Dr. med. Dr. phil. Urban Wie- sing, Anfang Mai in Berlin. An- lass war die Präsentation einer Stellungnahme der Kommission zur „Versorgung von nicht regulär krankenversicherten Patienten mit Migrationshintergrund“ (DÄ, Heft 18/2013).
Angst vor der Abschiebung
Sowohl Wiesing und als auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer und Präsident der Landesärztekammer Baden- Württemberg, Dr. med. Ulrich Cle- ver, erläuterten anhand von Bei- spielen, wie Menschen aus Angst vor ihrer Entdeckung behandlungs- pflichtige Krankheiten verschlepp- ten und dies „nicht selten im medi- zinischen Notfall“ ende. Betroffen seien auch Kinder und Jugendliche, die Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen nicht in Anspruch neh- men würden.Die Ethikkommission fordert deshalb vor allem die Beseitigung bürokratischer Hürden, die diesen Personen den Zugang zu Behand- lungen erschweren oder unmöglich machen. Ob eine ärztliche Behand- lung im Einzelfall notwendig ist, solle ausschließlich der Arzt ent- scheiden dürfen. Oft scheitert nach Angaben der Ärzte eine Hilfe schon daran, dass Sozialämter in Kommu- nen und Kreisen darüber entschei- den, ob Behandlungskosten über- nommen werden. In manchen Fäl- len würde sogar der Leiter einer Unterkunft solche Fragen entschei- den, berichtete Wiesing.
Ein großes Problem stellt auch die Garantie der ärztlichen Schwei- gepflicht dar. Zwar gibt es seit 2010 eine Regelung über den sogenann- ten Verlängerten Geheimnisschutz, wonach Sozialämter Erkenntnisse aus Notfallabrechnungsdaten über einen illegalen Aufenthalt nicht an
die Ausländerbehörden wei- tergeben dürfen. Allerdings sei diese Regelung „längst nicht in jedem Winkel der Republik bekannt“, sagte Clever. Deswegen müssten Betroffene damit rechnen, dass ihre Namen nachträg- lich durch Sozialämter an die Polizei oder Ausländer - behörden weitergegeben wer- den. Ohnehin läuft der Ge- heimnisschutz „dann ins Lee- re, wenn wegen planbarer Behandlungen, auch in le- bensbedrohlichen Fällen, ein Krankenschein vom Sozialamt angefordert werden muss“, erklärte Wiesing. Die Kom- mission stellt dazu fest, dass den Betroffenen zwar eine Behandlung zustünde, sie die- se de facto zumeist aber nicht in Anspruch nehmen könnten.
EU-weite Regelung nötig
Engagierte Ärzte in Kliniken und Arztpraxen dürfen, so die Forde- rung der Ethikkommission, nicht länger dem Risiko ausgesetzt sein, auf eigenen und veranlassten Be- handlungskosten für Menschen mit Migrationshintergrund oder aus EU- Staaten ohne ausreichenden Versi- cherungsschutz sitzenzubleiben.Notwendig sei auch eine „von Solidarität getragene“ EU-weite Regelung. In der Europäischen Union würde sogar der Krüm- mungsgrad einer Salatgurke gere- gelt. Für Wiesing ist es deshalb nicht einleuchtend, „warum man bei einem so wichtigen Problem wie der medizinischen Behandlung nichtversicherter Menschen zu kei- ner Regelung kommt“.
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Reinhold Schlitt
„ Ein großes Problem stellt die Garantie der ärztlichen Schweigepflicht dar. “
Ulrich Clever (li.), Menschenrechtsbeauftragter der BÄK, und der Vorsitzende der ZEKO, Urban Wiesing
Fotos: Reinhold Schlitt