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Archiv "17. Weltaidskonferenz: Antivirale Therapie als Präventionsmaßnahme" (25.08.2008)

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A1776 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 34–3525. August 2008

M E D I Z I N R E P O R T

höheres Risiko. Oder: Jährlich ver- suchen sich 200 000 Alpinisten an den Schweizer Bergen, im Durch- schnitt kommen zehn von ihnen alleine bei Lawinenunglücken ums Leben. Trotzdem akzeptieren wir, dass ein Bergsteiger dieses Risiko auf sich nimmt, es ist sogar durch die normale Versicherung abgedeckt.

Sex ohne Kondom ist für viele ein höheres Vergnügen als mit Kondom.

Dieser Umstand ist eine Realität, die nicht zu negieren ist.

Welche positiven Auswirkungen hat das Papier Ihrer Einschätzung nach?

Vernazza: Viele Betroffene berich- ten eindrücklich, von der Belastung befreit zu sein, eine lebenslange Bedrohung für jeden möglichen Sexualpartner zu sein. Denn vor dem Statement hatten viele HIV-infizierte Menschen nicht gewusst, dass ihr Transmissionsrisiko so gering ist. Zu- dem hat die Publikation auch dazu geführt, dass erstmals öffentlich in- tensiv über die Bedeutung von STDs diskutiert wird. Das kann für die Prävention nur förderlich sein.

Was ärgert Sie an der Kritik durch die internationale Fachwelt?

Vernazza: Dass das Statement häu- fig – auch von den Medien – falsch zitiert worden ist und dass viele Ge- genargumente eher auf moralischen Grundsätzen beruhen als auf sachlich fundierter Kritik.

Auf dem Weltaidskongress haben Sie wiederholt betont, dass das EKAF-Papier auch einen Beitrag zur Entkriminalisie- rung von HIV-Infizierten leistet . . . Vernazza: Auf jeden Fall, denn die Erkenntnisse um die Nichtinfektio- sität von gut therapierten HIV-In- fizierten müssen endlich auch in der Schweizer Rechtsprechung be- rücksichtigt werden. Es ist nicht län- ger haltbar, dass HIV-infizierte Per- sonen nach Artikel 231 StGB wei- terhin wegen versuchter Verbrei- tung einer gefährlichen Krankheit angeklagt und verurteilt werden, wenn eine HIV-Transmission de facto nicht möglich ist. Es ist nicht akzeptabel, dass die Schweiz die diesbezügliche Statistik der Straf- verfolgungen in Europa anführt. I Die Fragen stellte Dr. med. Vera Zylka-Menhorn.

D

as Konzept der medikamen- tösen Behandlung als Prä- ventionsmaßnahme ist nicht neu:

Tropenreisende verlassen sich seit Jahrzehnten auf die vorbeugende Einnahme von Chemotherapeutika zur Malariaprophylaxe. Auch im HIV-Bereich wird die „Präexposi- tionsprophylaxe“ (PrEP) bereits mit Erfolg angewendet. So schützt die antiretrovirale Therapie von HIV-in- fizierten Schwangeren ihre Kinder vor der vertikalen Transmission des Virus. Über diese eher personalisier- te Anwendung der PrEP steht – nach ermutigenden Tierversuchen – jetzt ihre generalisierte vorbeugende An- wendung bei HIV-negativen Hochri- sikopersonen auf dem Prüfstand.

Zwei Wirkstoffe werden derzeit in sieben klinischen Studien (Tabel- le) getestet: der Nukleosid-Reverse- Transkriptase-Inhibitor (NRTI) Te- nofovir sowie eine Kombination aus Tenofovir und dem Cytidin-Analo- gon Emtricitabin. Die Teilnehmer – Prostituierte, homosexuelle Männer (MSM) und Drogenabhängige – stammen aus den USA, Thailand, Botswana und Südafrika.

Ob die Prävention eine Kombina- tion aus sogar drei Wirkstoffen er- fordert, wie Prof. Myron Cohen von der University of North Carolina/

USA auf der Konferenz vorschlug, ist umstritten. Denn anders als bei der Therapie muss ein Präventions- medikament nur ein bis maximal drei HI-Viren „abfangen“ (Vortrag Prof.

Eric Hunter, Emory Vaccine Cen- ter/Atlanta). Unbedenklich ist die Methode der medikamentösen Pro- phylaxe allerdings nicht: Außer den potenziellen unerwünschten Arznei- mittelwirkungen bei HIV-negativen Personen gibt es Bedenken zur Resis- tenzentwicklung, die eine spätere HIV-Therapie bei den PrEP-Anwen- dern erschweren und zur Ausbreitung von Resistenzen beitragen könnte.

Bedeutsam ist auch die Frage, ob es sinnvoll und auch praktikabel ist, dass Menschen mit HIV-Risiko je- den Tag eine Tablette einnehmen, nur für den Fall, dass sie (wieder einmal) einen ungeschützten Ge- schlechtskontakt haben. Als Alter- native zur täglichen Einnahme kä- me eine intermittierende PrEP (iPrEP) infrage, die nur vor dem Se- xualkontakt eingenommen wird.

Wie dringlich eine Präexpos- tionsprophylaxe ist, zeigt das Risi- koprofil von homosexuellen Män- nern (MSM), die in Peru und Ekua- dor an einer Studie zu iPrEP teilneh- men (Poster WEPE0256). Die Hälf- te gab an, in den letzten drei Mo- naten vor Studienbeginn Sex mit mehr als zehn Partnern gehabt zu haben; zwei Drittel von ihnen hatten ungeschützten Sexualkontakt mit einem Partner, dessen HIV-Serosta- tus positiv oder unbekannt war.

Auf großes Interesse stieß in Mexico-City ein mathematisches Modell kanadischer Wissenschaft- ler um Prof. Julio Montaner (Uni- versity of British Columbia Centre 17. WELTAIDSKONFERENZ

Antivirale Therapie als Präventionsmaßnahme

Angesichts des Versagens von Präventionsprogram-

men sucht man nach neuen Wegen, die Zahl der

HIV-Neuinfektionen zu senken. Viele Hoffnungen ruhen

auf der medikamentösen Präexpositionsprophylaxe.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 34–3525. August 2008 A1777

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for Excellence in HIV). Es besagt, dass je mehr Aidspatienten mit anti- retroviralen Medikamenten behan- delt werden, umso stärker sinkt die Zahl der HIV-Neuinfektionen auf der Bevölkerungsebene. Die Ratio- nale für dieses Konzept ist, die Vi- ruslast sowohl im Blut als auch in der Samen- und Vaginalflüssigkeit unter die Nachweisgrenze zu senken.

Montaner berechnete, dass die Zahl der Neuinfektionen pro Jahr um 30 Prozent sinkt, wenn künftig 75 Prozent der HIV-Patienten mit antiretroviralen Medikamenten ver- sorgt würden – vorausgesetzt die Behandlung beginnt bei einer CD4- Zahl von 350 Zellen/mm3 Blut.

Würden 90 oder sogar 100 Prozent der Kranken behandelt, sinke die In- fektionsrate innerhalb der Gesamt- bevölkerung um 50 respektive 60 Prozent (Journal of Infectious Dis- eases 2008; 198: 59–67)

Die flächendeckende Therapie sei zudem volkswirtschaftlich hocheffi- zient.Würde in den USA und Kanada jede HIV-infizierte Person behan- delt, koste dies pro „quality-adjusted Life Year“ (QALY) 30 000 US- Dollar. Berücksichtige man zusätz- lich den Effekt der verhinderten In- fektionen, lägen die Kosten bei 8 000 US-Dollar. „Wir haben nicht nur ma- thematisch, sondern auch real genug Evidenz, den Politikern zu belegen,

dass sich die Therapie aller HIV-Pati- enten epidemiologisch und finanziell auszahlt“, sagte Montaner und ver- wies als Beispiel auf Taiwan, wo die HIV-Transmissionrate um 53 Pro- zent gesunken ist, nachdem die anti- retrovirale Therapie 1997 flächen- deckend eingeführt worden war. Und in Uganda sank die Infektionsrate in- nerhalb von drei Jahren um nahezu 90 Prozent, als zusätzlich zur Thera- pie die Viruslast der Betroffenen kon- trolliert, die Sexualpartner auf HIV getestet und ausführlich über Präven- tionsmaßnahmen informiert wurden.

Ist eine Eradikation von HIV überhaupt möglich?

Montaner will sein Konzept aller- dings nicht als Einzelmaßnahme ver- standen wissen: „Wir können die Epidemie nicht wegtherapieren, sie kann nur ein Mosaikstein der Prä- vention sein.“ In der Diskussion wur- de darauf hingewiesen, dass dieses mathematische Modell den Fakt un- berücksichtigt lasse, dass bis zu 80 Prozent der HIV-Infizierten nichts von ihrer Erkrankung wüssten. Mon- taner entgegnete, dass ohne Aufklä- rung und massive Testkampagnen auch die antiretrovirale Therapie kei- ne neue Infektion verhindern könne.

Prof. Robert Siliciano von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore beschäftigt

sich seit vielen Jahren mit dem Für und Wider einer möglichen Eradi- kation von HIV. Er äußerte sich in Mexico-City sehr skeptisch, dass dieses Ziel jemals erreicht werde, weil einige wenige HIV-infizierte CD4-Zellen (unter 0,01 Prozent) trotz jahrelanger effektiver antire- troviraler Therapie in verschiedenen Strukturen des lymphzytären Sys- tems latent „schlummerten“.

Diese haben die provirale DNA in ihre eigene Erbinformation voll inte- griert, ohne dass eine Virusprodukti- on stattfindet. Werden die CD4-Zel- len jedoch erneut mit demselben An- tigen konfrontiert, „erwachen“ sie und beginnen, neue HI-Viren herzu- stellen. Da die Halbwertzeit dieser CD4-Zellen mehrere Monate bis Jah- re betragen kann, ist ihre Eradikation unter einer perfekten Therapie ma- thematisch erst nach 60 bis 70 Jahren zu erwarten – was für einen HIV-infi- zierten Patienten irrelevant ist.

Wie Siliciano in Mexico-City be- richtete, müssen drei Voraussetzun- gen erfüllt sein, um latent HIV-infi- zierte CD4-Zellen eliminieren zu können: Die antiretrovirale Thera- pie muss zum vollständigen Stopp der Virusreplikation führen. Dieser Schritt sei klar erreicht. „Wenn wir heute geringe Mengen HIV-RNA („blips“) messen, so handelt es sich dabei in der Regel um das Produkt von soeben aktivierten Memoryzel- len, welche ein HI-Virus freigege- ben haben. Doch dieses Virus verur- sacht keine weiteren Replikations- zyklen“, sagte Siliciano.

Zudem benötige man eine Me- thode, um die inaktiven Zell-Reser- voire zu identifizieren. Silicianos Team hat ein Zellmodell entwickelt, welches die latente Infektion mit HIV nachahmt und in vitro aktiviert werden kann (Burke et al., Journal of Virology 2007; 81: 7424–34). Mit- hilfe des Enzyms Luciferase wird diese Aktivierung sichtbar gemacht.

Weit entfernt ist man hingegen vom dritten Schritt der Eradikation:

Er sieht vor, die Zell-Resevoire me- dikamentös stillzulegen oder gezielt zur Aufgabe zu zwingen. I Dr. med. Vera Zylka-Menhorn TABELLE

Studien zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) – Stand: August 2008

Land Population Studien- Wirkstoff(e) Ergebnisse

(Expositionsmodus) arme erwartet in

USA 400 MSM (penil, rektal) 1 Tenofovir 2009

Thailand 2 400 i. v.-Drogenabhängige 1 Tenofovir 2009

(parenteral)

Botswana 1 200 heterosexuelle Männer 1 Tenofovir/Emtricitabin 2010 und Frauen (penil, vaginal) (Wechsel von Tenofovir

in I/2007)

Brasilien, Ekuador, 3 000 MSM 1 Tenofovir/Emtricitabin 2010

Peru, USA, (penil, vaginal) (iPrEPX-Studie)

Kenia, Uganda, 3 900 serodiskordante hetero- 2 Tenofovir; 2012

(Partner PrEP-Studie) sexuelle Paare (penil, vaginal) Tenofovir/Emtricitabin Kenia, Malawi, Süd- 3 900 Frauen aus Hochrisiko- 1 Tenofovir/Emtricitabin 2012 afrika, Tansania gruppen (vaginal)

(FEMPrEP-Studie)

Südafrika 4 200 sexuell aktive Frauen 3 Tenofovir; 2012

(Voice-Studie) (vaginal) Tenofovir/Emtricitabin

Tenofovir-Gel

Weitere Informationen: www.infekt.ch/

index.php?artID=1580

@

Referenzen

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