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Archiv "Hausärztemangel in Deutschland: Die große Landflucht" (22.02.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 822. Februar 2008 A373

P O L I T I K / T I T E L

W

ir haben bei der Neubeset- zung von Hausarztsitzen im- mer noch einen Ersatzbedarf von 25 Prozent“, sagt der Vorstandsreferent der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Mecklenburg-Vorpommern, Dan Oliver Höftmann. Werbekam- pagnen in Österreich und Polen ver- liefen erfolglos. Die Anwerbung von Ärzten aus dem Ausland war ei- ner der Punkte, die der Masterplan vorsah, den das Land vor gut zwei Jahren aufgelegt hat, um die ärztli- che Versorgung zu sichern. Er muss seine volle Wirkung allerdings erst noch entfalten. Denn er sieht auch die frühzeitige Bindung von Medi- zinstudierenden an das Land vor.

Die KV Mecklenburg-Vorpommern beschloss deshalb damals, für die Dauer von sechs Jahren zwei Stif- tungsprofessuren für das Fach All- gemeinmedizin an den Universitä- ten Rostock und Greifswald zu fi- nanzieren. 2,4 Millionen Euro ste- hen inzwischen für einen Lehrstuhl in Rostock bereit. Die Professur soll im Frühjahr 2008 besetzt werden.

Außerdem stellte die KV für nie- derlassungswillige Hausärztinnen und Hausärzte Umsatzgarantien bis zu 40 000 Euro sowie Investitions- zuschüsse für Sicherstellungspra- xen von bis zu 25 000 Euro in Aus- sicht. Auch Landkreise und Ge- meinden sollten das Ihre dazu bei- tragen, günstige Rahmenbedingun- gen für den ärztlichen Nachwuchs zu schaffen. Außerdem versprach die Landesregierung, sich weiter für die Honorarangleichung zwischen Ost und West einzusetzen.

Das ist nach Ansicht von Höft- mann einer der großen Standort- nachteile Mecklenburg-Vorpom- merns: „Wir haben nach wie vor nur 80 Prozent der Mittel im Vergleich zum Westen. Wir brauchen dringend einen Honorarausgleich.“

„Viele Mediziner gehen in den Westen, weil sie dort für die gleiche Arbeit 20 Prozent mehr Geld be- kommen“, sagt auch der Hauptge- schäftsführer der KV Sachsen-An- halt, Martin Wenger. „Bei der Zahl der Ärztinnen und Ärzte über 60 HAUSÄRZTEMANGEL IN DEUTSCHLAND

Die große Landflucht

Ärzte in strukturschwachen Regionen haben es besonders schwer, einen Nachfolger zu finden. Das gilt für die Uckermark ebenso wie für den Bayerischen Wald.

Jahre sind wir Spitzenreiter. Wir können zwar Leute für deren Nach- folge motivieren, aber nicht genug.“

Als Erfolg versprechend hat es sich in Sachsen-Anhalt allerdings erwie- sen, niederlassungswilligen Haus- ärzten eine Umsatzgarantie zu ge- währen. „Das nimmt die Start- angst“, meint Wenger.

Darüber hinaus versucht man dort, wie in vielen anderen KVen in den neuen und alten Bundesländern, die Weiterbildungsbedingungen im Fach Allgemeinmedizin zu verbes- sern. Denn vielfach schrecken auf kurze Zeit befristete Arbeitsverträge und häufige Stellenwechsel junge Mediziner davon ab, die hausärztli- che Laufbahn einzuschlagen. In den Regionen versucht man deshalb, die allgemeinmedizinische Weiter- bildung im Verbund zu organisieren.

In Sachsen-Anhalt plant man, die Assistenten künftig mit einem Ar- beitsvertrag über die gesamte Lauf- zeit der Weiterbildung auszustatten.

Um dem drohenden Hausarzt- mangel entgegenzuwirken, setzt man auch in Bayern auf die Aus- und Weiterbildung der Mediziner.

Die dortige KV unterhält beispiels- weise einen Vermittlungspool für Weiterbildungsstellen, um einen möglichst reibungslosen Ablauf der Weiterbildungszeit zu gewährleis- ten. Gemeinsam mit der AOK hat sie darüber hinaus an der Techni- schen Universität München einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin eingerichtet. Die Ausschreibungs- frist der W-3-Professur läuft bis En- de Februar.

„Zwar können wir derzeit noch nicht von einem Hausärztemangel sprechen, aber ohne wirksame Ge- genmaßnahmen droht ein solches Szenario in einigen Regionen schon in wenigen Jahren“, erklärt Dr. med.

Gabriel Schmidt. Er ist Bereichs- vorstand Hausärztliche Versorgung der KV Bayerns. Die Analysen der KV zeigten, dass zwischen 350 und 550 Hausärzte jedes Jahr neu ins KV-System einsteigen müssten, um die flächendeckende hausärztliche Versorgung auf dem derzeitigen Ni- veau aufrechtzuerhalten.

Am anderen Ende der Republik fällt die Diagnose ähnlich aus wie in Bayern. „Wer sich niederlassen will,

Foto:Picture alliance/OKAPIA

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geht heutzutage ein finanzielles Ri- siko ein. Das gilt besonders für die ländlichen Gebiete“, sagt Marco Dethlefsen, Sprecher der KV Schles- wig-Holstein. Bürokratie, massive Arbeitsbelastung und eine unange- messene Bezahlung lockten kaum noch Nachwuchskräfte an. Außer- dem mache der demografische Wandel auch vor den Ärzten nicht halt. „Das Durchschnittsalter der Hausärzte liegt hier bei 50 Jahren“, betont Dethlefsen. Ähnlich wie in vielen anderen KVen setzt man auch hier zur Lösung des Problems bei den Studierenden an. Gemeinsam mit den Krankenkassen will die KV an der Universität Lübeck einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin einrichten. „Das bietet die Chance, mehr Medizinstudierende mit der hausärztlichen Tätigkeit vertraut zu machen und das Interesse für eine Niederlassung hier im Land zu wecken“, meint der KV-Sprecher.

Ganz pragmatisch hat die KV dar- über hinaus im vergangenen Jahr den Notdienst neu organisiert. „Das senkt die Arbeitsbelastung der Ärzte

und trägt dazu bei, die Landarzt- tätigkeit attraktiver zu machen“, be- tont Dethlefsen.

Alle KVen – auch diejenigen, die derzeit noch nicht akut vom Hausärz- temangel betroffen sind wie Nord- rhein und Baden-Württemberg oder die KVen der Stadtstaaten Bremen und Berlin – fördern seit 1999 die Weiterbildung des hausärztlichen Nachwuchses mit bis zu 1 020 Euro je Stelle in den Praxen niedergelas- sener Ärzte. Im Rahmen des „Initia- tivprogramms zur Sicherstellung der allgemeinmedizinischen Versor- gung“ legen die Krankenkassen den gleichen Betrag noch einmal oben- drauf. Sie bezuschussen gemeinsam mit der privaten Krankenversiche- rung auch Assistentenstellen in den Krankenhäusern. Jährlich können auf diese Weise bis zu 6 000 Stellen gefördert werden. Doch die Kontin- gente wurden in all den Jahren nur jeweils zu gut zwei Dritteln ausge- schöpft. „Das Problem ist die Höhe der Förderung“, sagt Martin Wenger von der KV Sachsen-Anhalt. „Wir zahlen zurzeit rund 2 000 Euro. Da

kommen die Weiterbildungsassis- tenten im Krankenhaus auf ein höheres Gehalt.“

Inzwischen hat sich auch die Poli- tik des Themas Hausärztemangel an- genommen. Im Auftrag der Gesund- heitsministerkonferenz der Länder hat die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehör- den ein Konzept zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung vor- gelegt. Die Autoren gehen davon aus, dass in zehn bis 15 Jahren in Deutschland 15 000 Hausärzte feh- len. Da es insbesondere in struktur- schwachen Gebieten nicht gelingen werde, die Primärversorgung allein mithilfe von Hausärzten sicherzu- stellen, müssten die Gesundheitsbe- rufe in diese Aufgabe einbezogen werden. Das Länder-Papier sieht darüber hinaus besondere Förder- maßnahmen für unterversorgte und strukturschwache Gebiete vor, wie sie zum Teil heute bereits praktiziert werden. Dazu gehören Sicherstel- lungszuschläge, besondere Vergü- tungsanreize für niederlassungswil- lige Hausärzte sowie die gezielte Förderung des Nachwuchses in der Aus-, Weiter- und Fortbildung.

Zurzeit werden die Stellungnah- men der betroffenen Organisationen und Verbände ausgewertet. „Es sind überraschend viele positive Stel- lungnahmen eingegangen“, erklärt Dr. Matthias Gruhl, Leiter Gesund- heitswesen beim Gesundheitssenat der Stadt Bremen. Das Land ist bei diesem Projekt federführend. Aller- dings zeichneten sich bei den Lö- sungsvorschlägen des Entwurfs noch Änderungen ab. Das endgültige Papier soll im Sommer vorliegen.

Für Diskussionen mit der Ärzte- schaft dürften vor allem die vorge- schlagene Einführung eines Primär- arztsystems und die Übertragung weitreichender Aufgaben auf die Gesundheitsberufe sorgen. Davon abgesehen halten die Kassenärztli- che Bundesvereinigung (KBV) und die Bundesärztekammer den Bedarf von 15 000 Hausärzten, den die Länder ermittelt haben, für überzo- gen. Realistischere Zahlen glaubt die KBV durch den Aufbau regiona- ler, kleinräumiger Arztregister er-

halten zu können. I

Heike Korzilius Herr Dr. Müller, haben die

KVen bislang genug gegen den Hausärztemangel getan?

M

Müülllleerr::Man sollte danach nicht nur die KVen fragen. Es fängt schon damit an, dass es zu we- nig Lehrstühle für Allgemeinme- dizin gibt. Wir fordern für jede medizinische Fakultät einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin.

Die benötigt man, um Studenten frühzeitig mit dem Fach in Ver- bindung zu bringen. Darüber hinaus müssen wir eine Diskre- panz im Initiativprogramm zur Sicherstellung der allgemeinme- dizinischen Versorgung beseiti- gen. Wer daran teilnimmt, wird in der Klinik nach Tarif bezahlt, bekommt während der Weiterbil- dung in der Praxis aber viel we- niger Geld. Das muss sich än- dern.

Viele finden sowieso: Es braucht in erster Linie mehr Geld und weniger Bürokratie.

M

Müülllleerr::Neben mittelfristigen Programmen benötigt man si- cher schnelle Lösungen. Dazu gehört, dass der Beruf des Hausarztes finanziell attraktiver werden muss. Wenn man aber von 2009 an in Euro und Cent kalkulieren kann, wird es hof- fentlich auch leichter zu ent- scheiden, ob man einen Kolle- gen anstellt oder eine Kollegin weiterbildet.

Etliche KVen bieten in unter- versorgten Regionen einiges an, ob Umsatzgarantie oder Startdarlehen. Warum fruch- tet das so wenig?

M

Müülllleerr::Viele dieser Angebote sind begrenzt. Wir müssen eine

Praxistätigkeit aber wieder lang- fristig verlässlich machen. Das ist übrigens auch wichtig, wenn man über eine stärkere Einbindung von Gesundheitsfachberufen in die Primärversorgung nachdenkt.

Ich halte viel davon, sofern die Hausärzte durch Medizinische Fachangestellte unterstützt wer- den, die in der Praxis angestellt sind. Dann funktioniert auch die Kommunikation zwischen Arzt, Fachangestellter und Patienten.

Es macht aber keinen Sinn, zu- sätzliche Ebenen einzuführen.

Dann wird schnell unklar, wer welche Aufgaben übernehmen soll, und das bewirkt dann auch keine Entlastung eines Arztes bei knappem Zeitbudget. Außerdem besteht die Gefahr, dass dann auf Hausärzte noch mehr Dokumen- tationspflichten zukommen.

3 FRAGEN AN…

Dr. med. Carl-Heinz Müller, Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

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