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Archiv "HLW in der Bundesrepublik" (02.11.1989)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

HLW in der Bundesrepublik

Ersthelfer- und Laien-Ausbildung

als Strategie im Kampf gegen den plötzlichen Herztod

Dietrich Kettler und Jan Bahr;

Rudolf Juchems

ie

ie Abkürzung „HLW", sie steht bekanntlich für „Herz-Lungen- Wiederbelebung", ist in Expertenkreisen und darüber hinaus mittlerweile fast zu einem Synonym für die Breitenaus- bildung der Bevölkerung in den Ba- sismaßnahmen der kardiopulmona- len Reanimation geworden. Diese Bedeutungsreduzierung — immerhin umfassen die Wiederbelebungstech- niken weit mehr als die Basismaß- nahmen und deren Vermittlung an medizinische Laien — ist Ausdruck einer Entwicklung, die ihren Beginn vor mehr als fünfzehn Jahren in den USA nahm, die sich nun mit einiger Verzögerung aber auch in der Bun- desrepublik vollzieht. Zu ihrem bes- seren Verständnis soll zunächst kurz auf die medizinische Bedeutung der von Ersthelfern eingeleiteten Wie- derbelebung eingegangen werden, die an drei Faktoren festzumachen ist: an der hohen Zahl von Todesfäl- len im Zusammenhang mit Erkran- kungen des Herz-Kreislauf-Systems („Plötzlicher Herztod"), an der ge- ringen Ischämie-Toleranz der menschlichen Hirnzellen sowie an den begrenzten Möglichkeiten des professionellen Rettungssystems.

Der plötzliche Herztod ist defi- niert als Todesfall mit kardialer Ur- sache, der ohne vorhergehende Sym- ptome oder innerhalb einer Stunde nach Beginn der Symptomatik ein- tritt und bei dem nach der Anamne- se keine anderen Ursachen vorliegen (23, 33). Nach den Ergebnissen der Framingham-Studie (24) ist der aku- te Herztod die häufigste Todesursa- che mit jährlich 1,4 pro 1000 Men- schen; bezogen auf die Bundesrepu-

Die Ausbildung breiter Bevölke- rungskreise in den Basismaßnah- men der kandiopulmonalen Reani- mation bietet derzeit die einzige Möglichkeit, das besonders bei außerklinischen Herz-Kreislauf- Stillständen häufig zu lange thera- piefreie Intervall zu überbrücken.

Anhand der Parameter: Erster ab- geleiteter Rhythmus, primärer Reanimationserfolg sowie sekun- därer Reanimationserfolg wird die günstigere Prognose von Patien- ten deutlich, bei denen Ersthelfer schon vor Eintreffen des Rettungs- dienstes mit Wiederbelebungs- maßnahmen begonnen haben.

blik bedeutet dies eine Inzidenz von 90 000 bis 100 000 Todesfällen pro Jahr. Damit werden in der Bundes- republik Deutschland jährlich zehn- bis zwölfmal mehr Menschen durch den plötzlichen Herztod dahinge- rafft als durch Verkehrsunfälle.

Pathophysiologisch liegt dem plötzlichen Herztod im wesentlichen eine Herzrhythmusstörung zugrun- de, nämlich Kammerflimmern bezie- hungsweise -flattern oder eine Asy- stolie, hervorgerufen durch die elek- trische Instabilität des Herzens bei Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin (Geschäftsführender Leiter:

Prof. Dr. med. Dietrich Kettler) der Georg- August-Universität Göttingen;

Medizinische Klinik (Chefarzt: Prof. Dr.

med. Rudolf Juchems) des Städtischen Krankenhauses Aschaffenburg, Akademi- sches Lehrkrankenhaus der Bayerischen Ju- lius-Maximilians-Universität Würzburg

einer akuten Koronarinsuffizienz oder bei einem akuten Myocardin- farkt (20). Aufgrund der geringen Ischämietoleranz der menschlichen Hirnzellen muß in Normothermie bereits vier bis fünf Minuten nach Eintritt des Herz-Kreislauf-Stillstan- des mit dem Individualtod des Pa- tienten gerechnet werden, falls die Herzrhythmusstörung nicht beseitigt wird. Diese kurze Zeitspanne defi- niert die Möglichkeiten für erfolgrei- che Reanimationsmaßnahmen.

Auch moderne, gut organisierte und ausgerüstete Rettungssysteme stoßen hier schnell an ihre Grenzen:

die Eintreffzeiten bei Notarzteinsät- zen betragen bundesweit im Mittel schon 8,7 Minuten (31), wobei die Zeit vom Eintritt der Vitalstörung bis zur Alarmierung noch addiert werden muß. Aus logistischen Grün- den läßt sich feststellen, daß ein Not- arztwagen auch in urbanen Berei- chen innerhalb der kritischen Zeit- spanne von vier bis fünf Minuten nach Eintritt eines außerklinischen Herz-Kreislauf-Stillstandes den be- troffenen Patienten kaum erreichen kann (20, 28, 30, 34); in ländlichen Regionen dürfte das zeitgerechte Eintreffen noch unwahrscheinlicher sein. Damit wird das sogenannte the- rapiefreie Intervall in der Regel zu lang für eine erfolgreiche Reanima- tion mit dem Endziel der vollständi- gen Wiederherstellung („Tax-Payer- Status") des Patienten. Die niedri- gen Erfolgsquoten nach prähospita- ler Reanimation, die in verschiede- nen Untersuchungen zwischen vier und sieben Prozent betragen, sind deutlicher Ausdruck dieser Proble- matik (6, 7, 8, 9, 11, 22, 28, 30, 34, 35).

(2)

Spätestens seit 1960, als Kou- wenhoven et al. (27) über die Wir- kungsweise von Thoraxkompressio- nen zur Aufrechterhaltung eines Mi- nimalkreislaufes berichteten, stehen mit der äußeren Herzdruckmassage sowie der schon länger bekannten künstlichen Beatmung (Mund-zu- Mund oder Mund-zu-Nase) aber einfache Maßnahmen zur Verfü- gung, deren Effizienz in vielen Stu- dien (14) bewiesen wurde und die, als Basismaßnahmen der Wiederbe- lebung, auch nichtmedizinisch vorge- bildeten Personen vermittelt wur- den.

Erfahrungen

in anderen Ländern

Die Idee, medizinische Laien im Rahmen einer Breitenausbildung in diesen Basismaßnahmen der kardio- pulmonalen Reanimation zu unter- weisen, damit sie bei außerklinischen kardialen Notfällen das therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen profes- sioneller Hilfe überbrücken können, stammt aus der Stadt Seattle (US- Staat Washington). Aufhänger wa- ren Projekte und Bemühungen zur Verkürzung der Eintreffzeiten im Rettungsdienst (15, 16), die durch Dezentralisation zwar zu erheb- lichen Verbesserungen führten, bei denen die verbleibende Zeit, also das therapiefreie Intervall, beson- ders für Patienten mit Herz-Kreis- lauf-Stillstand aber immer noch zu lang war.

Zur Ausbildung der Bevölke- rung wurden dreistündige Kurse konzipiert, die sich inhaltlich auf das

„ABC" beschränken: die Teilnehmer lernen, nach der Feststellung eines Atem- und/oder Herzkreislauf-Still- standes die Atemwege freizumachen und freizuhalten (A), zu beatmen

(B) sowie die „Zirkulation" des Blu- tes durch äußere Herzdruckmassage in Gang zu bringen (C).

Bis 1979 hatten bereits mehr als 200 000 Einwohner der Stadt Seattle und ihrer Umgebung an dem Pro- gramm teilgenommen. Der Anteil außerklinischer Reanimationsversu- che, die von Zeugen („Bystanders") begonnen wurden, stieg von 5 auf 34 Prozent. Es konnte festgestellt wer- den, daß die Überlebensrate von Pa- tienten, bei denen Ersthelfer mit Wiederbelebungsmaßnahmen be- gannen, bei 43 Prozent lag, während von den primär durch den Rettungs- dienst Reanimierten nur 21 Prozent lebend die Klinik wieder verlassen konnten (11, 12, 17). (Dieser für un- sere Verhältnisse immer noch sehr hohe Anteil ist Resultat der Struk- turverbesserungen im dortigen Ret- tungsdienst.) Die beeindruckenden Ergebnisse aus Seattle führten dazu, daß anderenorts ähnliche Initiativen entstanden mit ähnlich positiven Zahlen (Tabelle 1)

In Europa wurde die Idee neben Oslo (29) zunächst in Rotterdam, (18) umgesetzt, wo 1979 eine Stif- tung zur Breitenausbildung der Be- völkerung entstand. Knapp 40 000 Bürger haben dort mittlerweile an dem Programm teilgenommen. Dar- über hinaus existieren inzwischen

HLW-Projekte mit teilweise nationa- ler Ausdehnung in Großbritannien, Schweden und Belgien.

Die Situation

in der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik dagegen war die Situation lange durch eine schwer verständliche Zurückhaltung gekennzeichnet. So kam eine Fach- tagung des Deutschen Roten Kreu- zes noch im Oktober 1982 zu dem Ergebnis, daß eine Breitenausbil- dung der Bevölkerung in der exter- nen Herzdruckmassage abzulehnen sei, weil reanimierende Ersthelfer eher Schaden als Nutzen bringen würden. Die Vermittlung dieser Technik sollte weiterhin auf ausge- wählte Gruppen beschränkt bleiben, für die die Möglichkeit permanenter Übung bestünde.

Dabei waren und sind die Grundstrukturen, die im Ausland zur Entwicklung von HLW-Projek- ten geführt haben, in der Bundesre- publik durchaus ähnlich: trotz unse- res auch im internationalen Ver- gleich als sehr gut zu bezeichnenden Rettungsdienstes mit einem nahezu flächendeckenden Netz von Notarzt- wagen und Rettungshubschraubern gelingt es allzu häufig nicht, Patien- ten, die außerklinisch einen Herz- Kreislauf-Stillstand erleiden, recht- zeitig genug zu erreichen. Zur Sen- kung der Letalität des plötzlichen Herztodes, der mit zirka 100 000 To- desfällen pro Jahr die häufigste To- desursache in der Bundesrepublik darstellt, muß das erste (und noch immer schwächste) Glied in der Rettungskette gestärkt werden: der Ersthelfer.

Tabelle 1: Überlebensraten von präklinisch reanimierten Patienten (in %)

ohne mit

Ersthelfer-Beteiligung

Winnipeg 5 25

Reykjavik 6 42

Vancouver 10 21

Los Angeles 5 22

Großraum Seattle 16 28

Detroit 5 12

Oslo 8 36

Tabelle 2: Erster abgeleiteter EKG-Rhythmus bei präklinisch reanimier- ten Patienten (in %) (n = 383)

ohne mit

Ersthelfer-Beteiligung

Kammerflimmern/-flattern 38,8 60,0

Asystolie 51,4 36,0

sonstiges 9,8 4,0

Dt. Ärztebl. 86, Heft 44, 2. November 1989 (63) A-3303

(3)

So dauerte es in der Bundesrepu- blik Deutschland bis 1985, bis auch hier der Gedanke der HLW-Breiten- ausbildung aufgegriffen und umge- setzt wurde. Nach teils zähen und langwierigen Verhandlungen konnte in Göttingen das vom Zentrum An- aesthesiologie der Universität initiier- te Pilotprojekt „Herz-Lungen-Wie- derbelebung durch Ersthelfer" (6, 13, 25) mit seiner Vorlauf-Phase begin- nen; unabhängig davon ging man auch an der Medizinischen Klinik des Städtischen Krankenhauses Aschaffenburg daran, systematisch medizinische Laien in den HLW-Ba- sismaßnahmen auszubilden (11, 12).

Ausbildung

=um Ersthelfer

Inhaltlich orientiert sich die Ausbildung sowohl in Göttingen als auch in Aschaffenburg an den „Stan- dards and Guidelines for Cardiopul- monary Resuscitation" der Ameri- can Heart Association (1). Diese Richtlinien, in deren Zentrum das bereits erwähnte „ABC" steht, ha- ben sich inzwischen weltweit be- währt. Im Gegensatz zum amerikani- schen Vorgehen wurde der Kursum- fang jedoch auf zwei Termine ä drei Stunden festgelegt, um damit didak- tischen und lerntheoretischen Grundsätzen eher entsprechen zu können (3, 4, 11). Bei einem Verhält- nis von maximal zehn Teilnehmern auf einen Ausbilder mit einem Übungsphantom steht so ausrei- chend Zeit zur Verfügung für die Vermittlung der theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fertig- keiten. Die Theorie beschränkt sich dabei auf die Darstellung der ein- fachsten anatomisch-physiologischen Grundlagen von Atmung und Kreis- lauf; zusätzlich werden einige wichti- ge Erweiterungen angesprochen, et- wa das richtige Alarmieren des Ret- tungsdienstes sowie der Hinweis auf die Risikofaktoren der koronaren Herzkrankheit (Rauchen, falsche Ernährung, Bluthochdruck, Bewe- gungsmangel).

Im praktischen Teil wird die Einhelfermethode vermittelt: die Ersthelfer lernen, die Atmung (hor- chen und fühlen) sowie den Kreis-

lauf (Karotispuls) zu prüfen, den Kopf des Patienten zu überstrecken, zweimal zu beatmen (Mund-zu-Nase oder Mund-zu-Mund), und dann 15 Herzdruckmassagen mit einer Fre- quenz von 80 bis 100/min. auszufüh- ren. Diese Sequenz — 2 Beatmungen, 15 Herzdruckmassagen — wird beibe- halten.

Nachdem in der Zwischenzeit allein in Göttingen über 15 000 Bür- ger in den HLW-Basismaßnahmen ausgebildet worden sind, kann eine ermutigende Zwischenbilanz gezo- gen werden. Es konnte gezeigt wer- den, daß die entwickelten Konzep- tionen gut geeignet sind, die Bevöl- kerung anzusprechen und in den unter Umständen lebensrettenden Techniken zu unterweisen. Die Ak- zeptanz des Göttinger Projektes ist sehr groß; die Nachfrage nach HLW- Kursen bleibt auch im vierten Jahr konstant (7).

Bei einer Überprüfung des Lern- erfolges nach absolviertem Kurs wur- de in Aschaffenburg festgestellt, daß neun Monate nach der ersten Unter- weisung etwa 80 Prozent der Teil- nehmer die Mund-zu-Mund- bezie- hungsweise Mund-zu-Nase-Beat- mung richtig durchführen konnten.

Die Mehrzahl produzierte bei der Auswertung der objektiven Test- streifen ein Beatmungsvolumen von mindestens 0,7 1 bei einer Fre- quenz von 8 bis 12 Beatmungen pro Minute.

Die Analyse des Kontrollstrei- fenausdrucks hinsichtlich der Herz- druckmassage ergab, daß lediglich 57 Prozent sofort den korrekten Druck- punkt fanden und auch hielten; ohne Hinweis der Prüfer korrigierten sich noch weitere 24 Prozent innerhalb

der ersten beiden Zyklen selbst und hielten den Druckpunkt dann über den restlichen Zeitraum (32).

Als in Göttingen jedoch die Strukturdaten der Ausgebildeten- Population in Beziehung gesetzt wurden zu Daten von außerklini- schen Reanimationsversuchen (diese werden parallel zum Ausbildungs- programm erhoben), wurde deutlich, daß noch weitere, zielgruppenspezi- fische Bemühungen nötig sind: wäh- rend nämlich rund zwei Drittel der Kursteilnehmer männlich und fast 80 Prozent jünger als 40 Jahre sind, sind etwa zwei Drittel der reanimierten Patienten älter als 60 Jahre und fast 70 Prozent männlich. Da sich außer- dem der größte Teil der reani- mationspflichtigen außerklinischen Kreislaufnotfälle (zirka 65 Prozent) im Hause der Patienten ereignet, wird klar, daß speziell ältere bezie- hungsweise allgemein Angehörige von Risikopatienten die Hauptziel- gruppe für eine HLW-Ausbildung darstellen. Der Ärzteschaft, Nieder- gelassenen wie Klinikern, kommt hier besondere Bedeutung zu: im Rahmen eines umfassenden Systems der Ausbildung in Wiederbelebungs- maßnahmen speziell, wie auch der Ersten Hilfe allgemein, können sie eine Aufklärungs- und Multiplikato- renfunktion einnehmen (7).

Ermutigende Ergebnisse Trotz der auf den ersten Blick unbefriedigenden Alters- und Ge- schlechterstruktur der Ausgebilde- ten, die sich im übrigen mit den Er- fahrungen aus Seattle deckt, ist auch in Göttingen ein Anstieg der Reani- Tabelle 3: Reanimationserfolge (in %)

ohne mit

Ersthelfer-Beteiligung A) Primärer Reanimationserfolg

(n = 383):

ja 28,1 51,9

unter Reanimation eingeliefert 7,3 14,8

nein 64,6 33,3

B) Sekundärer Reanimationserfolg

(n = 250): 4 30

(4)

mationsversuche mit Ersthelfer-Be- teiligung zu verzeichnen: lag der Ausgangswert 1985 bei etwa 9,5 Pro- zent, so waren es im Jahr 1988 schon rund 25 Prozent.

Daß frühzeitige, schon vor Ein- treffen des Rettungsdienstes begon- nene Wiederbelebungsmaßnahmen einen günstigen Einfluß auf die Pro- gnose der betroffenen Patienten ha- ben, konnte ebenfalls bestätigt wer- den (Tabelle 2). Bereits im ersten vom Notarzt abgeleiteten EKG zei- gen sich positive Auswirkungen: es wird deutlich häufiger Kammerflim- mern oder -flattern angetroffen, wenn Ersthelfer interveniert haben, und entsprechend weniger Asysto- lien (10).

Da die Eintreffzeiten des Ret- tungsdienstes sowie die Vorerkran- kungen der Patienten in beiden Gruppen gleich verteilt waren, stär- ken diese Ergebnisse die These, daß allein durch Anwendung der HLW- Basismaßnahmen, speziell der Herz- druckmassage, das Myokard ent- scheidend länger im Stadium des Kammerflimmerns gehalten werden kann. In diesem Stadium sind die Reanimationschancen (Defibrilla- tion) erwiesenermaßen signifikant höher als bei der Asystolie. Der posi- tive Trend setzt sich fort beim primä- ren Reanimationserfolg, d. h. bei der Einlieferung in die Klinik. Mit rund 52 Prozent können nahezu doppelt so viele Patienten lebend eingeliefert werden, wenn Ersthelfer mit Maß- nahmen begonnen haben. Mit ande- ren Worten: Während bei den pri- mär durch den Rettungsdienst reani- mierten Patienten fast 65 Prozent der Versuche erfolglos abgebrochen werden müssen, sind dies bei Wie- derbelebungen mit Ersthelfer-Betei- ligung nur gut 33 Prozent (Tabelle 3).

Auch in der Klinik gestaltet sich der Verlauf für die Patienten nach primär erfolgreicher Ersthelfer-Re- animation wesentlich günstiger. Von dieser Gruppe verstarben zwar noch einmal 40 Prozent, in der Gruppe der ausschließlich durch den Ret- tungsdienst Wiederbelebten waren es aber 80 Prozent. Ohne neurologi- sche Folgeschäden entlassen werden konnten aus der ersten Gruppe 45 Prozent, aus der zweiten nur rund 11 Prozent.

Die detaillierte Auswertung der klinischen Verläufe von Patienten nach präklinischer Reanimation ist zwar noch nicht ganz abgeschlossen, es kann aber schon gesagt werden, daß die bemerkenswerten Unter- schiede zwischen den Patientengrup- pen ihre Ursache in der neurologi- schen Entwicklung der Patienten ha- ben. Nach Ersthelfer-Reanimation stellen sich die neurologischen Para- meter entscheidend günstiger dar.

Bezogen auf alle erfaßten außer- klinischen Wiederbelebungsversuche im Bereich des Göttinger Rettungs- dienstes heißt das, daß 30 Prozent der Patienten sekundär erfolgreich, also lebend und ohne neurologische Folgeschäden, entlassen werden konnten, wenn Ersthelfer mit HLW- Maßnahmen begonnen hatten; in der Gruppe der ausschließlich durch den Rettungsdienst versorgten Pa- tienten waren es nur 4 Prozent.

Durch eine Ersthelfer-Intervention erhöhte sich die Überlebenschance betroffener Patienten um das Siebeneinhalbfache (Tabelle 3) (7, 10).

Ausweitung

der Kursangebote

Das Göttinger Pilotprojekt wie auch das Programm in Aschaffen- burg haben deutlich gezeigt, daß es auch in der Bundesrepublik Deutschland notwendig, machbar und erfolgreich ist, breite Bevölke- rungskreise in den Basismaßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation auszubilden. Der Stand der HLW in unserem Lande wäre mit diesen Pro- jektergebnissen aber nur unzurei- chend beschrieben. So muß einmal darauf hingewiesen werden, daß in- zwischen in vielen Städten bezie- hungsweise Regionen der Bundesre- publik von engagierten Personen und Organisationen erfolgreiche lo- kale Nachfolgeprojekte aufgebaut wurden: in Uelzen, Stuttgart, Berlin, Osnabrück, Bad Salzuflen, Güters- loh, Osterode, Kassel, Unna usw.

Weiterhin: auf zwei großen Sympo- sien in Göttingen (Januar 1986, März 1988) (26) sowie zwei Arbeits- tagungen in Frankfurt (Mai 1987) (21) und Uelzen (Oktober 1988)

wurden Kern- und Randprobleme der HLW-Breitenausbildung aus- führlich diskutiert, wurden Erfah- rungen ausgetauscht und Verein- heitlichungen erzielt. Bei der Bun- desärztekammer konnte ein „Deut- scher Beirat für Erste Hilfe und Wie- derbelebung" eingerichtet werden (2); dieses Gremium arbeitet bereits und hat — in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen — eine Neu- konzeption der Erste-Hilfe-Ausbil- dung entwickelt, die die kompletten Wiederbelebungsmaßnahmen ent- hält. Es kann damit gerechnet wer- den, daß in Kürze die Erste-Hilfe- Kurse nach diesem neuen Leitfaden bundesweit durchgeführt werden.

Derzeit werden Überlegungen ange- stellt, auch die bisherigen Kurse „So- fortmaßnahmen am Unfallort" in- haltlich neu zu gestalten und hier ebenfalls die Wiederbelebungsmaß- nahmen zu integrieren. Darüber hin- aus wird für Zielgruppen, die aus- schließlich an der HLW-Ausbildung interessiert sind, etwa Patienten mit kardiovaskulären Risiken und deren Angehörige oder ganz allgemein Bürger über 50 Jahre, weiterhin ein separates, zeitlich reduziertes, reines HLW-Kursangebot vorgehalten.

Nach langen Versäumnissen ist die Meinungsbildung über den Wert der Ersthelfer-Reanimation in eine neue Qualität umgeschlagen — die Notwendigkeit einer HLW-Breite- nausbildung wird nun allgemein ak- zeptiert. Es muß jetzt darauf ankom- men, die positiven Ansätze umzuset- zen in ein System von Ausbildung und Wiedertraining, das einen be- friedigenden Stand von Kenntnissen und Fähigkeiten in der Bevölkerung sichert und hält — sowohl für HLW im speziellen als auch allgemein für Erste Hilfe. Von Erste-Hilfe-Kursen für alle Kinder und Jugendlichen in den Schulen bis . hin zu HLW-Kursen für Bürger über 50 Jahre sollten alle Teile der Bevölkerung immer wieder in das System der Gesundheitserzie- hung einbezogen werden. Dabei kann es nicht genügen, sich in einer Vielzahl von Kursen auf die Vermitt- lung von Techniken zu

beschränken:

die Diskrepanz zwischen der Zahl der Ausgebildeten und den tatsäch- lichen Hilfeleistungen in konkreten Notfällen ist nach wie vor erschrek- Dt. Ärztebl. 86, Heft 44, 2. November 1989 (67) A-3307

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kend. Die psychisch-emotional und situativ hemmenden Faktoren hel- fenden Verhaltens müssen themati- siert werden und, was noch wichtiger ist: die Zuwendung zum Mitmen- schen, die in Erster Hilfe einen Aus- druck findet, braucht ebenso eine andere, positivere gesellschaftliche Bewertung wie das persönliche Ge- sundheitsbewußtsein.

Zu guter Letzt sei kurz darauf hingewiesen, daß alle Bemühungen um Verbesserungen bei der präklini- schen Versorgung auch die anderen Glieder der Rettungskette umfassen müssen; ohne ein optimal funktionie- rendes Rettungssystem und eine qua- lifizierte ärztliche Erstversorgung bleiben die Bemühungen von medizi- nischen Laien, von Ersthelfern, sinn-

Mit diesem Titel veranstaltete die Paul-Martini-Stiftung unter der Leitung der Professoren U. Abshagen (Mannheim), H. J. Dengler (Bonn) und F. E. Münnich/Bonn am 29. 7. 1989 in Mannheim mit interna- tionaler Besetzung ein eintägiges Sa- tellitensymposium zum 4. Weltkon- greß für Klinische Pharmakologie und Therapie. Hier müssen wir uns auf einige Aspekte beschränken, zu- mal wir ähnliche Fragen schon im Deutschen Ärzteblatt, Heft 45 vom 10. 11. 1988, ausführlich angespro- chen haben. Wer an den zahlreich gezeigten vergleichenden Tabellen interessiert ist, wird diese später ge- druckt oder jetzt als Manuskript beim Veranstalter, 5300 Bonn, Post- fach 24 01 43, erhalten können.

Das allgemeine und abschlie- ßende Referat hielt G. Gäfgen von der Universität Konstanz: Häufig be- steht ein offensichtlicher Konflikt zwischen wünschenswertem medizi- nischen Standard und ethischen Rechten des einzelnen Kranken hin- sichtlich der Kosten (Wirtschaftlich- keitsgebot der Reichsversicherungs- ordnung, Kostendämpfungsgesetz

los. In diesem Rahmen soll auch auf das leider noch weit verbreitete Defi- zit an Kenntnissen und Fertigkeiten der HLW in der Ärzteschaft hingewie- sen werden. Der Erwerb von Basis- kenntnissen in der Notfallmedizin sollte deshalb zukünftig Bestandteil aller Weiterbildungscurricula zum Gebietsarzt werden.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Dietrich Kettler Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin der Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 3400 Göttingen

von 1987). Dabei werden volle Er- stattung im Krankheitsfall, generelle Behandlung gegen eine Zeitpauscha- le, Zuzahlung bei höheren Leistun- gen, Abhängigkeit vom sozialen Sta- tus der Patienten in den einzelnen Ländern ganz verschieden gehand- habt und wirken auf das Behand- lungsniveau zurück. Die Inanspruch- nahme von menschlicher und appa- rativer Hilfe hindert den Kostenträ- ger, diese Ausgaben statt anderer so- zialer Werte einzusetzen.

Eine medizinische Deontologie gibt den ethischen Ansprüchen Prä- ferenz und verhindert das Eingehen von Risiken, zu denen der Kranke bei voller Aufklärung nicht bereit wäre. Gäfgen stellte neben das „pri- mum nil nocere" das Prinzip „Salus aegroti suprema lex", das in der Kenntnis des Berichterstatters durch neuere Urteile des BGH (minde- stens teilweise) ersetzt wurde durch

„Voluntas aegroti suprema lex".

Neben den Konflikten zwischen Ethik und kommerziellen Interessen des Arztes treten die Konflikte zwi- schen ethischen Ansprüchen und den Auflagen der Kostenträger,

schließlich die Konflikte durch neu- ere, teurere (und mit höheren sozia- len Ansprüchen anderer Art konkur- rierende) technische Verfahren.

B. Lindgren (Lund, Schweden) trennte direkte Kosten (Behandlun- gen im weitesten Sinn) von indirek- ten Kosten durch temporäre oder dauernde Arbeitsunfähigkeit. Weit an der Spitze der direkten Kosten (ambulante und stationäre zusam- mengefaßt) standen psychische Stö- rungen (21 Prozent!), gefolgt von kardiovaskulären Erkrankungen. Zu den letzteren legten Judith Bentkover und W. B. Stasson (Harvard/Mass., USA) eindrucksvolle Zahlen vor:

Danach haben fast 66 Millionen Amerikaner eine kardiovaskuläre Erkrankung, die für rund 1 Million Todesfälle im Jahr verantwortlich ist (davon rund 200 000 unter 65 Le- bensjahren). Von den nahezu 66 Millionen hatten 60 Millionen eine Hypertonie, rund 5 Millionen einen Herzinfarkt, über 2 Millionen eine rheumatische Herzerkrankung, rund 2 Millionen anamnestisch einen Schlaganfall durchgemacht. Von den Amerikanern erleidet einer alle 21 Sekunden einen Angina-pectoris- Anfall. Etwa 2/3 überleben, 45 Pro- zent sind dabei 65 Jahre oder jünger, 5 Prozent unter 40 Jahren.

Alles in allem kam die Konfe- renz in der Sicht des Referenten zu folgenden Ergebnissen:

1. Primäre und sekundäre Präven- tion spielen eine wesentliche Rolle in der Krankheitserwartung;

2. eine gesunde Lebensführung, be- sonders der Verzicht auf Nikotin, ist wichtiger als Medikamente;

3. ein hoher Teil der Kosten fällt durch Schwerkranke oder Moribun- de an, bei denen Lebensquantität und Lebensqualität sorgfältig abge- wogen werden sollten;

4. Frühbehandlung mit einfachen Maßnahmen, zum Beispiel Diät oder/und Insulin, Betablockern bei kardiovaskulären Störungen kann die kostentreibende Zunahme der Komplikationen verhindern.

5. Ärztliche Ethik hat im Zweifels- fall den Vorrang vor Kosten.

Professor Dr. med. Dr. h. c.

Rudolf Gross

Herbert-Lewin-Str. 5 • 5000 Köln 41

Kosten von Erkrankungen

und Nutzen medikamentöser

Behandlungen

Referenzen

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