ie Zahl HIV-positiver Frauen steigt seit einigen Jahren stetig an; ihr Anteil beträgt derzeit 20 Prozent. Dennoch bestehen auf vielen Gebieten zum Thema HIV-Infektion und Frauen große Informationsdefizi- te. Zwar haben die Centers for Disease Control in den USA die Aids-Fallde- finition seit 1993 um das invasive Cer- vix-Karzinom erweitert. Wesentliche frauenspezifische Erkrankungen aber, die aufgrund der gestörten zellulären Immunabwehr gehäuft auftreten (zer- vikale Dysplasien oder Carcinomata in situ), werden in der neuen Klassifika- tion jedoch nicht berücksichtigt.
Umfassende Untersuchungen über den Verlauf der HIV-Infektion bei Frauen und der bei ihnen auftre- tenden opportunistischen Infektionen, wie zum Beispiel bakterielle Lungen- entzündungen oder Candida-Infek- tionen, sind nicht vorhanden. Unklar ist ebenso, welche weiteren Erkran- kungen den Verlauf der HIV-Infekti- on als mögliche Katalysatoren be- schleunigen können.
Protease-Inhibitoren (PI) haben die Therapie der HIV-Infektion revo- lutioniert, aber sie haben auch ein neues, heterogenes Bild an Nebenwir- kungen hervorgerufen. Diabetes mel- litus, Dyslipidämie und Lipodystro- phie werden unter einer Therapie mit Protease-Inhibitoren immer häufiger (bis zu 20 Prozent) beobachtet. Hier- bei kommt es zu Fettumverteilungen von peripher nach zentral. Das subku- tane Fettgewebe in den Extremitäten bildet sich zurück, besonders auffal- lend sind die Verminderung des Wan- gen-Fettpolsters („slim cheeks“) und die Zunahme des Bauchumfanges durch Vermehrung des intraabdo- minellen Fettgewebes („crix-belly“).
Bei Frauen kann es hierdurch zu uner- wünschter, schmerzhafter Brustver- größerung kommen, was eine spezifi- sche Belastung darstellt. Die Erstdia- gnose der HIV-Infektion wird in mehr als 70 Prozent bei Frauen unter 30 Jah- ren gestellt. Dieser Umstand hat große Bedeutung für die Entwicklung der zervikalen intraepithelialen Neoplasie und des invasiven Cervix-Karzinoms.
Das Cervix-Karzinom stellt den häu- figsten malignen Tumor bei Frauen dar und ist oft die erste Aids definie- rende Erkrankung bei Frauen.
Bei einer anonymisierten Befra- gung von 48 HIV-Patientinnen, die an der Klinik für Dermatologie, Ve- nerologie und Allergologie der Uni- versität Essen durchgeführt wurde, fiel eine hohe heterosexuelle Trans- mission auf (über 40 Prozent). Es ist bekannt, dass sich die Übertra- gungswahrscheinlichkeit durch ver- schiedene Co-Faktoren erhöht – wie genitale Entzündungen, sexuell über- tragbare Krankheiten, kleine Verlet- zungen oder zyklische Veränderun- gen des Endometriums.
Vulvovaginale Candidosen stell- ten mit etwa 45 Prozent die häufigste
gynäkologische Pilzinfektion HIV-po- sitiver Frauen dar (Tabelle 1). Vor al- lem bei einer CD4-Helferzellzahl un- ter 100/µl treten infolge der gestörten T-Zell-Funktion in der Vagina und ei- ner Imbalance des vaginalen Ökosy- stems gehäuft Candidosen auf. Bei Entzündungen im kleinen Becken handelt es sich meist um aus der Vagi- na aufsteigende Infektionen (Chlamy- dien oder Gonokokken), die mit Fie- ber, Schmerzen oder mit Diarrhö und Obstipation im Wechsel einhergehen.
Weitere häufige Erreger umfassen My- koplasmen, Trichomonaden, Strepto- kokken und Treponema pallidum.
Gestörtes Ökosystem
Klinische Befunde einer Herpes- genitalis-(HSV-2-)Infektion sind Fie- ber, Lymphknotenschwellung, Dys- urie, Pruritus, brennende Schmerzen, Vesikel und oftmals ein reduzierter Allgemeinzustand. Eine rezidivieren- de Infektion mit dem HSV-2-Virus bestand bei ungefähr 40 Prozent der untersuchten Patientinnen. Durch ein gestörtes vaginales Ökosystem kommt es zu einer Vermehrung von Gardnerella vaginalis, welche die Symptome Rötung, Schwellung, Pru- ritus und Fluor mit typischem Amin- geruch hervorruft (Aminkolpitis).
Bei zugrunde liegendem Immun- defekt waren ausgedehnte therapie- resistente Rezidive in extra-, intrage- nitaler beziehungsweise analer Loka- lisation von Condylomata acuminata häufig festzustellen. Eine Untertei- lung der über 100 HPV-Typen er- folgt in Low-risk-Typen und High- risk-Typen. Bei etwa 50 Prozent der Patientinnen zeigten sich dysplasti- A-1516 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 22, 2. Juni 2000
P O L I T I K MEDIZINREPORT
HIV-Infektion
Frauenspezifische Aspekte werden unterschätzt
Zwischen der HIV-Infektion und gynäkologischen Erkrankungen bestehen typische Wechselwirkungen. Auch die antiretrovirale Therapie weist geschlechtsspezifische Nebenwirkungen auf.
D
Tabelle 1
Frauenspezifische Infektionen
Zervikale intraepitheliale
Neoplasie 50 Prozent
Vulvovaginale
Candidainfektionen 45 Prozent Herpes genitalis 40 Prozent Aminkolpitis 20 Prozent HPV-Infektionen
(Kondylome) 30 Prozent
Infektionen im kleinen
Becken 15 Prozent
sche Veränderungen der Portio mit einem hohen Anteil atypischer Virus- typen. In über 90 Prozent der Platten- epithelkarzinome wird HPV als Co- Faktor bei der Entstehung der Cervix- Karzinome gefunden.
Weitere Charakteristika sind die simultanen Infektionen mit verschie- denen Virustypen, die schnelle Pro- gression und insbesondere die ausge- prägte Therapieresistenz beziehungs- weise die Neigung zu Rezidiven. Nach erfolgter Behandlung haben HIV-posi- tive Frauen eine Rezidivrate von 39 Prozent gegenüber HIV-negativen Frauen mit neun Prozent. Das Risiko des Rezidivs hängt somit entscheidend vom Grad der Immundefizienz ab.
Ungefähr 40 Prozent der HIV-po- sitiven Frauen wiesen eine zervikale intraepitheliale Neoplasie auf (bei HIV-negativen Frauen in nur 0,5 bis zwei Prozent). Zytologische Scree- ning-Untersuchungen nach Papanico- laou sollten deshalb bei HIV-positiven Frauen alle sechs Monate durchge- führt werden. Eine Behandlung sollte entsprechend dem Ausmaß der Er- krankung erfolgen. Nach der Therapie muss eine Kontrolle der Cervixzytolo- gie und der Kolposkopie im Abstand von drei bis sechs Monaten
erfolgen. Aufgrund des Ri- sikos der HPV-Transmis- sion sind Partneruntersu- chungen zu empfehlen.
Im Gegensatz zur As- soziation des Cervix-Karzi- noms besteht zwischen der HIV-Infektion und der Ent- stehung weiterer Tumoren, wie zum Beispiel dem Ka- posi-Sarkom, kein derar- tiger Zusammenhang. Das Kaposi-Sarkom kommt sehr viel häufiger bei HIV-posi- tiven Männern vor und wird durch das humane Herpes- virus 8 (HHV-8) hervorge- rufen. Frauen sind davon aus bisher ungeklärten Gründen
in höchstens zwei Prozent der Fälle betroffen. Eventuell wirken frauen- spezifische Hormone (zum Beispiel
-hCG) protektiv. Ebenso ist es auf- grund des insgesamt seltenen Auftre- tens von Non-Hodgkin-Lymphomen noch unklar, ob die HIV-Infektion das Erkrankungsrisiko für Lympho- me überhaupt erhöht.
Neben den zuvor aufgeführten Infektionen werden HIV-infizierte Frauen sehr häufig mit anderen gynä- kologischen Problemen konfrontiert (Tabelle 2). In unserer Untersuchung fanden sich in fast zwei Dritteln Men- struationsstörungen, für deren Auf- treten im Rahmen der HIV-Infektion allerdings noch kein eindeutiges pa- thophysiologisches Konzept erstellt werden konnte. Wie auch bei ande- ren chronischen Infektionskrankhei- ten sind wohl eher indirekte körperli- che und psychische Phänomene wie Stress, Erschöpfung oder Mangeler- nährung anzunehmen.
Zudem war die Periode oft be- sonders schmerzhaft (Dysmenorrhö) oder trat in kürzeren Abständen (Po- lymenorrhö) auf beziehungsweise war stärker als sonst (Hypermenorrhö).
Bei vielen Frauen wurden die Abstän- de zwischen den einzelnen Blutungen mit Fortschreiten der HIV-Infektion länger und mündeten nicht selten in die Amenorrhö. Auch kam es schließlich zu einem verfrühten Beginn der Menopause. Bestimmte Medika- mente (unter anderem Protease-Inhi- bitoren) oder eine Fehlfunktion der Schilddrüse lösten ebenfalls Menstrua-
tionsunregelmäßigkeiten aus. Weitere Gründe für Zyklusstörungen waren der Gebrauch von Heroin sowie die Substi- tution mit Methadon oder Polamidon.
Die Hälfte der Frauen litt unter einem prämenstruellen Syndrom mit Nervosität, Müdigkeit, Brustspannen und emotionaler Labilität. Bei 40 Pro- zent der Frauen wurde ein Verlust des
Kopfhaares und die Entwicklung ei- ner trockenen Haut beobachtet. Ver- änderungen des Körpergeruchs wur- den nur bei 20 Prozent der Patientin- nen registriert. Im Gegensatz zu der steigenden Inzidenz von Präkanzero-
sen und Karzinomen im gynäkologi- schen Bereich scheinen im Gegensatz dazu Erkrankungen der Brust selte- ner aufzutreten, was wahrscheinlich am jungen Alter der Patientinnen lie- gen dürfte (Tabelle 2).
Zum Thema Sexualität und Part- nerschaft wurde in 47 Prozent der Ge- brauch von Kondomen als Verhütungs- oder Infektionsprophylaxe angegeben, 44 Prozent der Frauen wendeten keine Verhütung an, neun Prozent gaben den unregelmäßigen Gebrauch von Verhü- tungsmethoden an. Orale Kontrazep- tiva können die zellvermittelte Im- munität schwächen und bieten eben- falls keinen Schutz vor sexuell über- tragbaren Krankheiten.
20 Prozent der Frauen hatten seit der Diagnose keinen vaginalen Ge- schlechtsverkehr mehr praktiziert.
Von den 48 befragten Frauen waren 42 Prozent der Frauen Mütter von insge- samt zwölf HIV-negativen Kindern.
Als wesentliche psychosoziale Fakto- ren wurden im Rahmen dieser anony- misierten Befragung Lebensqualität und Lebensgestaltung, Familie, Sexua- lität und berufliche sowie private Zu- kunftsperspektiven identifiziert. Die adäquate Reaktion auf die sich konti- nuierlich verändernden Lebensbedin- gungen HIV-infizierter Frauen erfor- dert eine interdisziplinäre Zusammen- arbeit. Dr. med. Vanessa Exner
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Universität-GH Essen Hufelandstraße 55, 45122 Essen
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P O L I T I K MEDIZINREPORT
Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 22, 2. Juni 2000 Tabelle 2
Häufigkeit gynäkologischer Erkrankungen der untersuchten Frauen
Funktionelle Veränderungen
des Zyklus 64 Prozent
Prämenstruelles Syndrom 50 Prozent Verlust des Kopfhaares 40 Prozent Hauttrockenheit mit
Pruritus 40 Prozent
Körpergeruchs-
veränderungen 20 Prozent
Im Ausstrich eines Vaginalsekrets befinden sich grampositive Oidien (blau gefärbt) und Pseudohyphen von Candida species. Foto: Promed 12/99