UNSPEllFISCHE ENTZÜNDUNGEN:
Die akute Entzündung und ihre Mediatoren
Otto Haferkamp*)
Aus der Abteilung für Pathologie
(Leiter: Professor Dr. med. Otto Haferkamp) der Universität Ulm
Einleitung
Medfatoren lassen die Entzündung mit ihren Kreislaufveränderungen und dem Austritt humoraler sowie zellulärer Blutbestandteile nach Schemata ablaufen, die zwar in ihrer Gestaltung vom auslösenden Agens (Bakterien, Viren, Pilze, lmmunkom- plexe, physikalische oder chemi- sche Einwirkungen) maßgeblich be- einflußt werden, das Agens aber nach dieser Auslösung oft nicht mehr benötigen. Dies erklärt so manches negative Ergebnis einer mikrobiologischen Untersuchung des etablierten Entzündungsfeldes;
der Erreger ist lange tot, abgebaut, die systematische und die lokale Re- aktion werden durch Mediatoren un- terhalten.
Systemische Reaktion der Entzündung
Sie beinhaltet Fieber (Darstellung 1 ).
Leukozytose, erhöhte Senkungsge- schwindigkeit der roten Blutkörper- chen, C-reaktives Protein, verringer- tes Albumin, erhöhtes Alpha2-Gio- bulin, Hypoferrämie und eine mikro- zytische hyperchrome Anämie bei erhöhtem Eisengehalt des Knochen- markes; auch zirkulierende Immun- komplexe infolge einer lokalen aku- ten Entzündung (zum Beispiel der- male Vaskulitis und Arthralgien durch Immunkomplexe bei Gono- kokkeninfektion).
Lokale Reaktion
(calor, rubor, tumor, dolor, functio taesa)
Sie beginnt im Entzündungsfeld un- ter Einfluß der vegetativen nervösen Peripherie mit Konstriktion und nach Minuten sich anschließender Dilatation der Arteriolen.
Letztgenannter Vorgang bewirkt in der vaskulären Peripherie einen er- höhten Blutdruck (Klopfen).
Es folgt ein Neuaufschluß ruhender Kapillaren und schließlich eine Dila- tation der Kapillaren und Venolen
(das Klopfen hört auf).
Die Zirkulation verlangsamt sich und gestattet nun dem Plasma (Ödem) und den Entzündungszellen aus den Venolen, später auch aus den Kapil- laren auszutreten; Mediatoren (bio- gene Amine, Kinine, Komplementsy-
stem, Prostaglandine) bahnen ihnen
den Weg.
Biogene Amine
(Histamin und 5-Hydroxytryptamin) Die höchste Konzentration von Hist- amin findet man in der Lunge, in der Haut und im Gastrointestinaltrakt;
im Gewebe wird es aus L-Histidin mittels einer Decarboxylase (Mast- zellen, basophile Granulozyten, En- dothelien) gebildet; der Abbau ge-
Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Mediatoren unterhalten eine Entzündung auch dann noch, wenn die Ursache der Entzün- dung ausgelöscht ist. Biogene Amine und Kinine fördern die Durchsaftung des Gewebes, wobei Kinine auch chemotak- tisch aktiv sind. Das Komple- mentsystem beschäftigt sich wesentlich mit der Chemota- xis; die Gruppe der Prosta- glandine überrascht neben ih- rem bunten Wirkungsspek- trum durch eine konstan- te chemotaktische Wirkung recht stabiler Prostaglandine, welche durch einen mit Aspi- rin hemmbaren Enzymweg und einen nicht durch Aspirin hemmbaren Enzymweg ent- stehen können.
schieht durch eine Diaminooxydase und Aldehydoxydase zur unwirksa- men lmidazolessigsäure.
Die schnelle Freisetzung von Hist- amin aus seinen Speicherzellen (Mastzellen, basophile Granulozy- ten, besondere Epithelien der Ma- genschleimhaut) erfolgt:
..,. auf ein mechanisches Trauma ..,. durch die Einwirkung von Rönt- genstrahlen
..,. nach einer Antigenstimulierung von lgE-Antikörpern auf Mastzellen ..,. auf die Einwirkung von bakteriel- len Toxinen
..,. durch oberflächenaktive Sub- stanzen (Salze der Gallensäure) ..,. durch protaolytische Enzyme mittels Austritt (Exozytose) der ·spei- cherg ranu Ia.
Histamin hat keine bewiesene che- motaktische Wirkung auf menschli- che Blutzellen. Es führt unter ande-
') Ein Aufsatz zu dem Thema .. Die akute Entzündung und ihre Zellen" wurde in Heft 14/1980, Seite 895 veröffentlicht.
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft 15 vom 10. April1980 957Aktuelle Medizin
Mediatoren der akuten Entzündung
rem über den H1-Rezeptor zur Kate- cholaminausschüttung und zur er- höhten Permeabilität sowie zur Hy- perämie der Endstrombahn. Im Ma- gen regt Histamin die Sekretion der Magensäure über einen H2-Rezeptor an. ln den Lungen, im Verdauungs- trakt und im Uterus bewirkt es über den H1-Rezeptor eine Kontraktion der glatten Muskulatur. Ein Beispiel für die Freisetzung und die Reaktion des Histamins ist die allergische Ent- zündung des Asthma bronchiale. Es mehren sich die Befunde, wonach bei der Gastritis infolge Gallereflux aus besonderen Histamin-spei- chernden Epithelien und nicht aus Mastzellen Histamin freigesetzt wird; hierbei wird eine vermehrte Säureausschüttung über den H2-Re- zeptor vermittelt.
5-Hydroxytryptamin(Serotonin) wird in Granula der Thrombozyten und Mastzellen gespeichert, nachdem es in den Zellen des APUD-(A-mine and P.recursor U-ptake and O.ecarboxy- lation-)Systems gebildet worden ist.
APUD-Zellen nehmen Vorstufen von Aminen auf, um sie zu dekarboxylie- ren. Für das Serotonin handelt es sich bei der aufzunehmenden Vor- stufe um das durch eine Hydroxyla- se aus Tryptophan entstandene 5- Hydroxytryptophan. Der Abbau des Serotonins zum Aldehyd und damit die Inaktivierung geschieht durch ei- ne Monoaminooxydase.
Folgende Wirkungen werden dem Seroton in zugeschrieben:
..,.. Neurotransmission
..,.. Konstriktion von Lungen- und Nierenarterien
..,.. Stimulierung der Darmkontrak- tion
..,.. Einschränkung der Diurese.
..,.. Eine gleichfalls bewirkte Steige- rung der Kapillarpermeabilität sowie eine Freisetzung von Histamin und Katecholaminen sind dann für das
Hypothalamus_ ...
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Lymphozyt
Fieber
Antigen (Ag) t
Darstellung 1: Die Pathogenese des Fiebers
958 Heft 15 vom 10. April 1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT
Entzündungsfeld von besonderer Bedeutung. Die Stimulierung der Darmkontraktion könnte die bei Diarrhöen oft vorkommenden kolik- artigen Leibschmerzen, die Bron- chusspasmen, das Asthma bron- chiale mit erklären. Die biogenen Amine sind möglicherweise an jeder Entzündung beteiligt; beim Men- schen gelingt es jedoch selten, dies im Einzelfall nachzuweisen.
Kinine
Dies sind Oligopeptide mit einem niedrigen Molekulargewicht und ei- ner kontrahierenden Wirkung auf die Muskulatur des Uterus, des Dar- mes und der Bronchien; die Arterio- len werden erweitert, die Permeabili- tät wird in der Endstrombahn er- höht. Weiter fördern die Kinine die Leukotaxis (Chemotaxis) und den Lymphfluß; auch die Schmerzerzeu- gung im Entzündungsgebiet wird ih- nen zugeschrieben. Während die biogenen Amine zu ihrer Entstehung eine aktive Leistung von Zellen vor- aussetzen, so trifft dies für die Kini- ne nur bedingt zu, indem sie ledig- lich für ihre Erzeugung das Vorhan- densein einer negativ geladenen Oberfläche erwarten; diese kann von einer Zelle gestellt werden. Die Bildung der Kinine ist in das System des Hageman-Faktors (=Faktor XII des Gerinnungssystems) eingeglie- dert. Beim Hageman-Faktor-System (Darstellung 2) ist das Zusammen- treffen von Kininogen, Präkallikrein und Hageman-Faktor auf einer ne- gativ geladenen Oberfläche notwen- dig, wozu gerne die Zellmembran von Thrombozyten Verwendung fin- det. Die Präkallikreine sind Mitglie- der der Alpha2-Giobulinfraktion des Serums. Die Darstellung 2 zeigt das Entstehen von Kininen, Fibrin und Plasmin, welches das Komplement- system aktiviert und gleichzeitig sei- ne bekannte fibrinelytische Wirkung ausübt. Bradykinin (neun Aminosäu- ren) stellt das wichtigste Kinin dar;
es wird schnell im Gewebe durch Kininhydrolasen zu unwirksamen Spaltprodukten abgebaut. Die Kini- ne sind unter anderem bei der Pan- kreatitis, der Arthritis, am Schmerz der Angina pectoris und an der Mi-
Mediatoren der akuten Entzündung
Auch als Niederschlag 1 Hageman-Faktor-System Zirkulierender k . .t (durch Plasminbildung)
[
Antigen Immunkomplexe Rea t1on m1
inder. . .
I /
vaskularen Penphene Antikörper - C1 q Immun-Adhärenz mit
I
Exozytose der Granula (Lysosome) C1 r aus Granulozyten1 und aus. Monozyten (Makrophagen)
c
1 s...-c
4,c
42 Phagozytose (Anaphylatoxin'c2...-" o_, t-<9 "'{;> / / /
J1 / / .r J
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Anaphylatoxin (setzt Histamin
aus Mastzellen frei) Chemotaxis (Granulozyten)
C3 C5--C6--C7--C8--C9
"Alternate pathway" (ohne C1, 2, 4) der Komplementaktivierung,
Chemotaxis
I
Zytolyse von~
(Granulozyten) Erythrozyten
I)
Bakterien Leukozyten Tumorzellen zum Beispiel Trypsin, Plasmin, Thrombin, Endotoxin
"cobra venom factor", auch durch Immunkomplexe möglich
Darstellung 2: Das Komplementsystem
gräne pathogenetisch beteiligt; auch bei jeder banalen Entzündung scheinen sie eine Rolle zu spielen.
Trasylol (Bayer) ist wegen seiner Hemmung des Kallikreins bekannt geworden.
Komplementsystem
Es besteht wie das Gerinnungssy- stem aus zahlreichen Bausteinen (einschließlich dreier Inhibitoren) die im Blut vorliegen. Diese Baustei- ne werden mit Zahlen, teilweise auch mit Zahlen und Buchstaben bezeichnet und reagieren in einer abgeklärten Reihenfolge unterein- ander (Darstellung 2). Die Aktivie- rung kann auf dem klassischen Weg durch eine Antigen-Antikörper-Re- aktion bei C1q beginnen, wo unter anderem auch Plasmin eingreift. Sie kann aber auch auf dem Ausweich- weg, das heißt dem alternate path- waygeschehen, bei dem die Aktivie- rung des Komplementsystems erst bei C3 ansetzt. ln Darstellung 2 sind beide Wege skizziert und die Wir- kungen der verschiedenen Komple- mentkomponenten angegeben. An- aphylatoxin setzt Histamin aus baso-
philen Granulozyten und Mastzellen frei. Die Immunadhärenz betrifft auch die Thrombozyten, welche ag- gregieren und ihren Granulainhalt abgeben.
Aus der Darstellung 2 wird verständ- lich, daß das Komplementsystem Mediatorsysteme aufbaut, die stark auf die Funktion der Entzündungs- quellen bezogen sind und deren Schicksal auch beim Abbau teilen.
Das Komplementsystem steht bei der immunpathogenetischen Be- trachtung der Glomerulonephritis einschließlich des Goodpasture- Syndroms, der Arteriitis nodosa und der Synoviitis klinisch im Vorder- grund.
Prostaglandine
Sie kommen geradezu ubiquitär vor und bilden sich auf chemische oder physikalische Stimulierung hin aus vielfach ungesättigten Fettsäuren mit Hilfe der Zyklooxygenase. Diese Fettsäuren waren durch Phospholi- pase A aus den Phospholipiden der Zellmembran freigesetzt worden. Die in der Membran menschlicher
Zellen allgemein vorhandene Ara- chidonsäure stellt die wichtigste Fettsäure dar, aus der eine Reihe von Prostaglandinen entstehen (Darstellung 3):
.,.. PGE2 , ein Vasodilatator
.,.. PGF2-alpha, ein Venenkonstrik- tor und Bronchokonstriktor .,.. Thromboxan A2 , ein von Throm- bozyten gebildeter und schnell in das unwirksame Thromboxan B2 zerfallender Promoter der Plättchen- aggregation sowie sein Gegenspie- ler aus der Wandung von Venen und Arterien, das
.,.. Prostazyklin, welches mit seiner bekannten Hemmung der Aggrega- tion von Thrombozyten schnell in das unwirksame 6-0xo-PGF1-alpha zerfällt.
Thromboxan A2 und Prostazyklin spielen bei jeder Entzündung - durch Beeinflussung der Plättchen- funktion- eine Rolle.
.,.. PGD2 und das stabile Thrombo- xan B2 besitzen chemotaktische
DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 15 vom 10. April1980 959
Prostazykl in (PGI 2 ) HOOC
9,2\)
Zellmembran
(Phospholipide)
,1!
-.III- Phospholipase A2 ArachidonsäureCyc lo-Oxygenase Prostazyklin-Synthetase Zyklische Endoperoxide
Thromboxan-Synthetase
O Prostaglandin E2 COOH
OHO y\/\/ Prostaglandin F2 a
Prostaglandin D2 OH
Thromboxan B2 OH TXB 2
OH
Darstellung 3: Prostaglandine
Thromboxan A2 TXA2
'OH OH OH 6-keto-PGF1 a
OH
HO
Zu: „Die ärztliche Begegnung mit Alkoholgefährdeten und Alkohol- kranken" von Dr. med. Wolfgang Gruner im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT, Heft 49/1979, Seite 3259 ff.
Für Alkoholgefährdung kein „Frühwarnsystem"
„,Kontrolliertes Trinken` gibt es ebensowenig wie den klar erkennbaren Typ des ,künfti- gen Alkoholikers'. Zu diesem Ergebnis kommt Wolfgang Gruner, leitender Arzt der psychiatrischen Abteilung am Kreiskrankenhaus Freu- denstadt . . . Alkoholkranke verstünden es gut, Sucht und erste Krankheitssympto- me für lange Zeit zu verheim- lichen. Einer Früherfassung alkoholgefährdeter Men- schen stünden damit trotz vielfältiger Bemühungen und Versuche noch immer ,unüberwindliche Schwierig- keiten' im Wege." (Fränki- scher Tag)
ECHO
Berichtigung
Pharmakodynamische Therapie mit
Glucocorticoiden
In der Übersichtsarbeit von R. Gross und V. Schulz, Pharmakodynami- sche Therapie mit Glucocorticoiden, Heft 3/1980, Seite 129 bis 134, haben wir auf Seite 134 in Tabelle 3 auch die täglichen Behandlungskosten nach unserer Berechnung angege- ben. Die Firma Heyden legt Wert auf die Feststellung, daß sich bei Ver- wendung der 100-Tabletten-Pak- kung zu 8 mg von Volon® der von uns angegebene Tagespreis von 1,89 DM auf 1,46 DM verringert.
Professor Dr. med. Rudolf Gross Dr. med. Volker Schulz
Medizinische Universitätsklinik Köln Joseph-Stelzmann-Straße 9
5000 Köln 41 Mediatoren der akuten Entzündung
Wirkung und locken insbesondere eosinophile und neutrophile Granu- lozyten an.
Neben dieser durch Aspirin hemm- baren Bildung von Prostaglandinen mittels der Zyklooxygenase ist in der letzten Zeit ein zweiter Enzymweg bekanntgeworden, welcher über die Lipoxygenase läuft. Lipoxygenase kann nicht durch Aspirin gehemmt werden. Es bildet sich mittels dieser Lipoxygenase HETE (12-Hydroxy- 5,8,10,14-eicosatetraenoische Säu- re), welche eine starke chemotakti- sche Wirkung auf eosinophile und neutrophile Granulozyten ausübt.
Eih weiteres, bekanntes Produkt der Lipoxygenase stellt die slow-reac- ting substance (SRS), ein bekannter Mediator der Anaphylaxie und des Bronchospasmus beim Asthma, dar.
SRS wird offenbar in seiner Bildung durch Aspirin gefördert.
Literatur
Bernheim, H. A.; Block, L. H.; Atkins, E.: Fever:
Pathogenesis, Pathophysiology and purpose Annals Int. Med. 91 (1979) 261-270 - Greven, J.: Prostaglandins. Med. Klin. 74 (1979) 591-596 u. 597-601 - Müller-Eberhard, H. J.:
Complement and phagocytosis in the phagocy- tic cell in Host Resistance. In Bellanti, J. A., Dayton, D. H. eds. Raven Press, New York 1975, S. 87 - Zweifach, B. W.; Grant, B. W. L.; Mc Cluskey, R. T., eds.: The inflammatory Process 2nd ed. New York: Academic Press, 1974 - Unnäs, B.: Histamine storage and release, Fed.
Proc. 33 (1974) 2172-2176 - Walker, L. C.;
Ahlin, Th. D.; Tung, K. S. K.; Williams, R. C. jr.:
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89 (1978) 28-33 - Editorial: Kinins and blood- pressu re. Lancet (1978) 663-665
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Otto Haferkamp Leiter der Abteilung für Pathologie der Universität Ulm
Oberer Eselsberg 7900 Ulm
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