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Archiv "Spontane intrazerebrale Hämatome: Neuere Entwicklungen der Diagnostik und Therapie" (14.03.1991)

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Spontane

intrazerebrale Hämatome

Neuere Entwicklungen

der Diagnostik und Therapie

DEUTSCHES

Ir41111a11

ÄRZTEBLATT IV

Ralph Winter und Alfred Aschoff

B

is vor zehn Jahren konnten intrazerebrale Hämatome (ICH) intra vitam nicht zu- verlässig diagnostiziert und klassifiziert werden. Gemeinhin gal- ten ICH als schwer verlaufende, pro- gnostisch ungünstige Erkrankungen.

Erst die Computertomographie hat das tatsächliche Spektrum der Sym- ptomatologie gezeigt und neue Be- handlungsmöglichkeiten erschlossen.

Epidemiologie

Ungefähr jedem zehnten Schlag- anfall liegt ein ICH zugrunde (12).

Durch Autopsie oder CT gesicherte Daten über die Inzidenz der ICH lie- gen nicht vor. Bei 56 Prozent der Pa- tienten mit ICH sind chronisch er- höhte Blutdruckwerte oder extraze- rebrale Folgeschäden einer arteriel- len Hypertonie nachweisbar. Der Hypertonus steigert das Blutungsrisi- ko auf das 5,4fache und ist damit wichtigster behandelbarer Risikofak- tor (2). Rechnerisch noch bedeuten- dere Prädiktoren für ICH stellen ein vorausgegangener Hirninfarkt (22fa- ches Risiko), koronare Herzkrank- heit (18fach) und ein hohes Lebens- alter (über 70 Jahre 7fach, über 80 Jahre 25fach) dar (3). Die Antiko- agulation erhöht das Risiko für ICH bis zum Zwölffachen (16), und zwar auch dann, wenn der therapeutische Bereich streng eingehalten wird. Wie schwierig es jedoch ist, den Anteil der Antikoagulation am Blutungsrisiko zu definieren, wird bei der Betrachtung der Risikogruppen deutlich. Gerade unter den Patienten, denen die Anti- koagulation nützen kann, befinden sich viele mit einem hohen spontanen Hirnblutungsrisiko.

Durch die Entwicklung zunächst der Röntgen-, dann auch der Ma- gnetresonanz-Computertomogra- phie haben sich spontane intra- zerebrale Hämatome als unerwar- tet oft benigne verlaufende Krank- heit gezeigt, die nur durch moder- ne Schnittbildverfahren sicher von zerebralen Ischämien differenziert werden. Besonders in atypischen Fällen ist die Ursachenabklärung ergiebig und therapeutisch ent- scheidend. Ein generell aggressi- ves chirurgisches Vorgehen ist ebensowenig angezeigt wie ei- ne grundsätzliche, pessimistische Zurückhaltung bei der konservati- ven oder chirurgischen Therapie.

Pathogenese

Bei hypertensiven ICH stellen nach heutiger Kenntnis sowohl die durch Lipohyalinose brüchig gewor- denen kleinen perforierenden Arte- rien („hypertensive Mikroangiopa- thie") als auch Mikroaneurysmen primäre Blutungsquellen dar. Blut- druckspitzen können die Ruptur auslösen. Das Hämatom zerreißt in einer Kaskade weitere vorgeschädig- te Gefäße und breitet sich auf diese Weise aus (7). Medikamentös (durch nicht-selektive MAO-Hemmer) be- ziehungsweise durch Drogen (Am- phetamine, chemisch ähnliche Appe-

Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Werner Hacke) und Neurochirurgische Klinik

(Direktor: Prof. Dr. med. Stefan Kunze) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

titzügler) ausgelöste Blutdruckkrisen können auch bei jüngeren Nicht-Hy- pertonikern ICH verursachen (9). In erheblichen Mengen genossener Al- kohol steigert ebenfalls das ICH-Ri- siko (3, 8, 13). Partiell ist dies als Fol- ge seiner blutdrucksteigernden Wir- kung zu erklären, wobei möglicher- weise die unphysiologische Art der Blutdruckanhebung entscheidend ist und nicht seine absolute Höhe (21).

Amphetamine und Kokain können ferner eine nekrotisierende Vaskuli- tis („speed-Vaskulitis") verursachen, die zusätzlich zur Blutdrucksteige- rung ein erhebliches Risiko für ICH mit sich bringt (22). Auf ähnliche Weise entstehen ICH bei Herpes zo- ster-Vaskulitis (6), Panarteriitis no- dosa und anderen Entzündungen der Hirnarterien einschließlich der bak- teriellen Endokarditis. Eine Vielzahl weiterer internistischer Erkrankun- gen kann durch ICH kompliziert werden, insbesondere wenn sie mit Störungen der Hämostase einherge- hen.

ICH bei jüngeren Patienten sind bis zum Nachweis des Gegenteils als Folge von Gefäßfehlbildungen anzu- sehen. Bei Kindern und Jugendli- chen dominieren dabei „high flow"- (arterio-venöse) und „low flow"-(ka- vernöse und venöse) Angiome. Diese werden jeweils zu einem erheblichen Prozentsatz durch ICH kompliziert.

Später treten sackförmige Aneurys- men in den Vordergrund, wobei die Inzidenz mit dem Alter stetig zu- nimmt Insbesondere bei rezidi- vierenden und/oder multilokulären Hirnlappenhämatomen älterer Pa- tienten sollte immer an eine Amylo- id-Angiopathie gedacht werden (4, 14, 24). In dem von Schütz unter- suchten Kollektiv waren 3,1 Prozent Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991 (45) A-865

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Folgen des ICH-Einbruchs in — Liquorresorptionsstörung (subakuter Früh- und chronischer Späthydro- die Liquorräume cephalus communicans)

—Vasospasmen hirnversorgender Arterien (besonders nach Aneurysma- blutungen)

—Irritation/Schädigung paraventrikulärer Zentren, insbesondere des Hy- pothalamus, mit Hyperthermie, Diabetes insipidus, SIADH*, Stoffwech- selstörungen

—nach 2 bis 3 Wochen eintretende erneute klinische Verschlechterung wahrscheinlich durch Ausbildung eines osmotischen Gradienten zwi- schen Hämatom und Umgebung

— zentrale Hypoventilation/Aspiration zerebrale und kardiale Hypoxie

—> weitere Verschlechterung der Atmung

—RR-Steigerung mit Durchbrechen der Autoregulation, Öffnung der Blut- hirnschranke —> Zunahme des Ödems, Nachblutung —> weitere RR-Stei- gerung — RR-Abfall, zum Beispiel durch kardial oder zerebral ausgelöste Herzrhythmusstörungen --> kritischer Abfall der Hirndurchblutung -->

Hypoxie/Laktatazidose

—Hyperosmolarität bei Hypernatriämie/Hyperglykämie oder übermäßiger Osmotherapie, osmotische Öffnung der Blut-Hirn-Schranke ---> Zunahme des Hirnödems —> Verstärkung der Osmotherapie

—Hirndruckanstieg —> Verschlechterung der Perfusion —> Hypoxie/Lakta- tazidose, Kompression der Brückenvenen —> Zunahme des Ödems/der Hirnschwellung —> weiterer Perfusionsabfall

■ Dekompensations- Mechanismen

primäre Todesursachen — zerebraler Kreislaufstillstand

—untere Einklemmung

—vegetative Krisen (Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall) Tabelle 1: Pathophysiologie des intrazerebralen Hämatoms

■ Gefäßruptur —bei Wandschwäche (Mikroangiopathie, Entzündung, Anlagestörung, Tu- morgefäße, Amyloid) und/oder

—Blutdruckspitze (Drogen/Medikamente)

—Gerinnungsstörung (?)

—Kaskade weiterer Gefäßrupturen

raumfordernde Wirkung der — Destruktion des umgebenden Gewebes ( —> irreversibler Defekt) Blutung Kompression der weiteren Umgebung; Verlagerung der Mittellinie

—Einklemmung des Hirnstamms im Tentoriumschlitz und/oder Foramen magnum occipitale

mittelbare Folgen der Raum- — Ausbildung eines Hirnödems mit Maximum am 3. bis 7. Tag

forderung — regionale Durchblutungsstörung als Druckfolge ( —> potentiell reversible fokale Symptomatik), sekundär verschlechtert durch fokale Stoffwechsel- störung (Azidose)

—Liquorzirkulationsstörung mit akuter Ausbildung eines Hydrozephalus internus durch Verlegung der Foramina monroi oder der inneren Liquor- wege der hinteren Schädelgrube

—globale Hirndurchblutungsminderung ( —> Bewußtseinstrübung)

—globales Unterschreiten der kritischen zerebralen Minimalperfusion für mehr als wenige Minuten ( —> Hirntod)

—Liquorzirkulationsstörung bei (sub)akuter Okklusion der Foramina mon- roi, des Aquaedukts oder des IV. Ventrikels

* Syndrom der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons

A-868 (48) Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991

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Abbildung 1: ICH im rechten Thalamus (-»). Als Hinweis auf die ursächliche hypertensive Mikroangiopathie fleckige Dichteminderung des Marklagers beiderseits (-»»), außerdem multiple lakunäre ischämische Läsionen in den Stammganglien («--)

Abbildung 2: Im CT ätiologisch nicht sicher einzuordnende fronale Raumforderung mit randständiger Kontrastmittelanreichen.mg (links). Im MRT (T1 gewichtet) eindeutige Dar- stellung eines älteren ICH (rechts)

aller ICH Tumorblutungen (19).

Von den hirneigenen Geschwulsten bluten Oligodendrogliome und Glio- blastome am häufigsten (1), unter den Metastasen maligne Melanome und Hypernephrome.

Unabhängig von der speziellen Blutungsursache gibt es gemeinsame Grundzüge in der Pathogenese intra- zerebraler Hämatome, an denen die Therapie in erster Linie ausgerichtet wird (Tabelle 1).

Diagnose

Klinische Symptomatologie und Differentialdiagnose:

Nur in Ausnahmefällen ist es al- lein aufgrund klinischer Kriterien möglich, ein ICH als Schlaganfallsur- sache auszuschließen Zumindest in- itial ist die Symptomatik bei vielen lobären ICH mit Lokalisation fron- tal, okzipital, rechts temporal oder im Kleinhirn blande und uncharakte- ristisch. Fokale Ausfälle können zu- nächst unbemerkt bleiben oder feh- len. Ausgeprägter Kopfschmerz, Me- ningismus und Bewußtseinstrübung oder gar -verlust gehören im Gegen- satz zu älteren Auffassungen nicht zu den obligaten Frühsymptomen des ICH. Sogar bei ausgedehn- ten „totalen Stammganglienhämato- men" sind 43 Prozent der Patienten anfänglich nicht erheblich bewußt-

bung in Minuten bis wenigen Stun- den, Einklemmungszeichen inner- halb der ersten 24 Stunden nach Ein- tritt des Schlaganfalls oder fokale Ausfälle in Kombination mit Menin- gismus ohne begleitendes Fieber.

Die klinische Differentialdiagnose umfaßt nicht nur Hirninfarkte, son- dern auch ins Hirnparenchym ein- gewühlte Subarachnoidalblutungen, chronisch subdurale Hämatome, neoplastische Raumforderungen und akute bakterielle sowie chroni- sche lymphozytäre Meningitiden, schließlich virale (zum Beispiel Her- pes simplex) oder bakterielle Herd- enzephalitiden. In der Akutphase ei- nes ICH ist der Blutdruck fast immer erhöht. Wenn weder ein vorbeste- hender Hypertonus bekannt ist, noch typische Folgeschäden nachgewiesen werden können, muß die Blutdruck- steigerung zunächst als reaktiv ge- deutet werden. Zu den wichtigsten klinischen Kennzeichen der ver- schiedenen ICH-Lokalisationstypen siehe Tabelle 2.

Neuroradiologische und Liquor- Diagnostik:

Die Diagnose des intrazerebra- len Hämatoms ist in der Akutphase die Domäne des CT. Das ICH stellt sich im

Gegensatz zum ischäm-

ischen Infarkt sofort dar. Eine Schätzung besagt, daß vor Einfüh- rung des CT in die Routinediagno- seinsgetrübt (19). Auch flüchtige

Lähmungsattacken werden bei ICH beobachtet. Ebenso gilt, daß auch ausgeprägte Ventrikeleinbrüche der ICH durchaus nicht regelhaft mit ei- nem desolaten klinischen Zustand einhergehen. Mit primärer Bewußt- losigkeit ist lediglich bei massiven Ponsblutungen zu rechnen.

Als Hinweise auf ein ICH gel- ten: Auftreten der Ausfälle unter an- strengender körperlicher Aktivität, Entwicklung einer Bewußtseinstrü-

Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991 (49) A-869

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Tabelle 2: Prognosedaten der ICH (nach Schütz, 1988)

Lokalisation relative initial typische klinische Letalität Prognose bei Überleben Häufigkeit Sopor/Koma Zeichen

totales Stamm- 8% 57% stets schwere 72% nur ausnahmsweise nicht

ganglien- Hemiparese pflegebedürftig

hämatom (links: Aphasie)

Putamen- 23% 23% stets Hemiparese 39% 1/3 unabhängig

hämatom (links: Aphasie) 2/3 überwiegend pflege-

bedürftig

Thalamus- 19% 4% 93% Hemiparese 19% 80% kaum behindert

hämatom (links: 30%

Aphasie) 15% vertikale Blickparese extreme Miosis

"Schielen" auf Nasenspitze

Caudatuskopf- 2-3% selten 50% Hemiparese gering günstig (kaum Defizite) hämatom

Lobärhämatom 39%

Panshämatom 4%

zerebelläres 4-10%

Hämatom

stik jedes vierte ICH als Hirninfarkt mißdeutet wurde (5). Ein CT ist nur dann verzichtbar, wenn ein aktives therapeutisches Vorgehen von vorn- herein ausgeschlossen ist, wie zum Beispiel bei seit Stunden manifester Mittelhirneinklemmung. Ansonsten sollte man auch bei Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter die In- dikation zum CT großzügig stellen und notfalls die Untersuchung durch Sedierung, eventuell unter kontrol-

oft Meningismus (häufiger

Ventrikeleinruch) 14% je nach

Lokalisation:

63% Hemiparese 28% Anfälle 48% homonyme Hemianopsie 96% 100% Atem-

störungen 96% Tetraplegie 98% "fehlender okulozephaler Reflex

50% lichtstarre Pupillen 89% zentrales Fieber

ca. 25% 65% Ataxie 62% Dysarthrie 61% Fazialisparese 54% Blickparese

lierter Beatmung, ermöglichen, da die Differentialdiagnose therapeu- tisch gut zugängliche Krankheiten wie subdurale Hämatome und Me- ningitiden einschließt.

Das CT erlaubt nicht nur die si- chere Diagnose des ICH und die Klassifikation nach Lokalisation, Vo- lumen und Sekundäreffekten. Es gibt auch Hinweise auf die wahr- scheinlich zugrundeliegende Ursa- che und ist die Basis therapeutischer A-870 (50) Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991

30% frontopolar, temporal, okzipital: überwiegend ge- ringe Defizite;

frontobasal und parietal:

oft schwere Behinde- rungen

67% fast immer schwer behindert

22% überwiegend geringe Behinderung

Entscheidungen. In manchen Fällen erlaubt es auch, mit klarer Begrün- dung auf eine intensive Therapie zu verzichten. Aus verschiedenen Gründen ist dagegen die Lumbal- punktion bei vermutetem ICH nicht und bei gesichertem ICH nur aus- nahmsweise indiziert:

~ Der Ausschluß gelingt nicht, da viele ICH keinen Anschluß an die Liquorräume finden. Solche Blutun- gen mit rasch reversibler Symptoma-

(5)

tik dürfen keinesfalls als ischämische Hirninsulte fehldiagnostiziert und behandelt werden;

.... bei infratentoriellen und massiv raumfordernden supratento- riellen ICH droht grundsätzlich die Gefahr einer Hirnstammeinklem- mung, deren Manifestation durch ei- ne Lumbalpunktion provoziert wer- den kann.

Unbestreitbar bleibt der Wert der Lumbalpunktion für den Nach- weis von Aneurysmablutungen un- terhalb der Nachweisschwelle des CT, ebenso für die Diagnose von ma- lignen Meningeosen und Entzün- dungen.

Nach diagnostischer Sicherung eines ICH muß die Klärung der Ur- sache angestrebt werden. Bei allen Lokalisationen außer den Lobärhä- matomen führt der Hypertonus als Blutungsursache. Multiple lakunäre Infarkte und bilaterale Marklagerhy- podensität als Zeichen der Mikroan- giopathie stützen zusätzlich die Dia- gnose eines hypertensiven ICH (Ab- bildung 1). Kennzeichen von Tumor- blutungen sind eine atypische Häma- tom-Konfiguration und ein schon bei der Erstuntersuchung ausgedehntes Kollateralödem. Die Diagnose wird meistens durch ein Kontrastmittel- CT geklärt. In Zweifelsfällen führen Angiogra phie, CT-V erlaufsun tersu- chungen oder ein Magnetresonanz- tomogramm (MR T) zur Klärung.

Bei hämorrhagisch umgewandeltem Hirninfarkt, zum Beispiel nach Hirn- embolie oder bei Hirnvenenthrom-

bose, stellt sich das Blut eher fleck- oder girlandenförmig, seltener als homogene Masse dar. Das Hämatom wird schon initial von einem hypo- densen "Randsaum" umgeben und läßt sich in der Regel einem arteriel- len oder venösen Versorgungsgebiet zuordnen.

In der Rückbildungsphase ver- kleinert sich der hyperdense Anteil des Hämatoms im CT-Bild vom Rand her. Dies entspricht einem Umbau, aber noch nicht einer Re- sorption des Koagels. Es bleibt zu- nächst raumfordernd. Nach Kon- trastmittelgabe zeigt sich eine ring- förmige Anreicherung. CT-Erstun- tersuchungen in diesem Stadium las- sen bei uncharakteristischer An- amnese primär nicht an ein Häma-

Abbildung 4: Ventrikeltamponade bei Liquoreinbruch eines im Nucleus caudatus lokalisier·

ten ICH. Patient erholte sich unter Liquorableitung

Abbildung 3: Temporales, von der basalen Fissura Sylvii ausgehendes ICH. Daneben angiographische Darstellung eines Media- Aneurysmas als Blutungsquelle

tarn, sondern an einen Tumor den- ken (18). Unter Umständen klärt erst die Entnahme einer Biopsie im Vor- feld einer Bestrahlung definitiv den Sachverhalt. Derartige Irrwege kön- nen mit Hilfe der MRT vermie- den werden. Die computertomogra- phisch schon hypodens erscheinen- den Blutabbauprodukte sind durch MRT definitiv von Tumormassen zu unterscheiden (siehe Abbildung 2).

Nach der bis zu einem Jahr dauern- den Abräumung des Hämatoms zei- gen sich im CT wie im MRT mei- stens schlitzförmig oder oval konfi- gurierte Defekte. Die definitive Ab- grenzung gegenüber einem Zustand nach Erweichung gelingt dann computertomographisch nicht mehr.

Das MRT stellt dagegen noch nach Jahren residuales Hämosiderin dar.

Die Bedeutung der Angiogra- phie liegt im Nachweis von Gefäß- mißbildungen, insbesondere von ar- teriovenösen Angiomen und sackför- migen Aneurysmen, die wegen der Gefahr der Nachblutung möglichst früh diagnostiziert und operativ be- handelt werden sollten. Die Fluß- geschwindigkeit in Kavernomen, die wahrscheinlich einem erheblichen Anteil der ICH im jüngeren und mittleren Lebensalter zugrundelie- gen, reicht für einen angiographi- schen Nachweis nicht aus ("kryp- tische" Gefäßmißbildung). Venöse Angiome mit etwas schnellerer Per- fusion sind dagegen angiographisch darstellbar. Beide "low flow"-Mal- formationen sind mit dem MRT Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991 (53) A-873

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zuverlässig zu diagnostizieren. Die Angiographie kann auch wichtige Hinweise auf Neoplasmen geben.

Schließlich ist die Angiographie bei dem Verdacht auf Hirnvenenthrom- bose, eine differentialtherapeutisch sehr wichtige Ursache von ICH, drin- gend indiziert, wenn das MRT keine eindeutige Aussage erbringt.

Konservative Therapie

Durch konservative Therapie des ICH kann der Verlauf der Blu- tung und die daraus folgende zere- brale Kompression und Perfusions- minderung kaum beeinflußt werden.

Gerinnungsstörungen sind selbstver- ständlich durch die sofortige Substi- tution der hepatischen Gerinnungs- faktoren mit Frischplasma oder PPSB auszugleichen. Die bloße Ver- abreichung von Vitamin-K wird zu spät wirksam.

Solange ICH weder zu wesentli- chen neurologischen Ausfällen füh- ren noch zu Zeichen eines erhöhten intrakraniellen Drucks, wird die ge- nerelle Verordnung von Bettruhe nicht mehr als zwingend angesehen.

Erhöhter Blutdruck sollte auf hoch- normale Werte eingestellt werden.

Dabei ist zu beachten, daß mancher Hypertonus sich erst unter körperli- cher Belastung zeigt.

Bei erhöhtem intrakraniellen Druck müssen weitere Drucksteige- rungen strikt vermieden werden. Ge- eignete Maßnahmen sind die Hoch- lagerung des Oberkörpers (zirka 30°), die gerade Einstellung des Kop- fes zur Verringerung des venösen Abflußwiderstandes, das Vermeiden der Bauchpresse durch Abführen, effiziente Schmerzbekämpfung und die Einstellung des Blutdrucks auf hochnormale Werte. Antihypertensi- va wie zum Beispiel Nitropräparate, deren Wirkprinzip die Weitstellung der Widerstandsgefäße ist, können eine unter Umständen kritische Hirndrucksteigerung bewirken. Be- vorzugt werden dagegen Urapidil, Nifedipin, ACE-Hemmer und Cloni- din. Ein weiteres zentrales therapeu- tisches Prinzip ist die Sicherung der Ventilation und Oxygenation durch frühzeitige kontrollierte Beatmung.

Die scheinbar günstige spontane Hy-

Abbildung 5: Ma- gnetresonanz-Tomo gramm (T 2-gewich- tet) einer frischen links frontalen Blu- tung mit zentraler Signalauslöschung (Desoxyhämoglobin) und umgebender Signalanhebung (Kol- lateralödem)

perventilation (Maschinenatmung) weist auf die drohende Dekompen- sation einschließlich Atemstillstand hin. Die kontrollierte Beatmung mit moderater Hyperventilation (pCO 2 35 bis 30 mmHg) senkt zunächst den intrakraniellen Druck. Bei Dauerbe- handlung über Tage verliert sie zwar diese Wirkung durch metabolische Gegenregulation, hat aber über eine Verbesserung der Pufferkapazität, die der ischämiebedingten zere- bralen Laktatazidose entgegenwirkt, weiter einen günstigen Effekt.

Die Steroid-Therapie des Ödems ist klinisch wesentlich weni- ger effizient als bei Hirntumoren (17). Dem Nutzen stehen zudem die ulzerogene und diabetogene Neben- wirkung gegenüber. Osmotherapeu- tika können den intrakraniellen Druck auch bei Blutungen senken.

Sie wirken aber nicht spezifisch auf das Kollateralödem, sondern in allen Arealen mit intakter Bluthirnschran- ke. Außerdem begünstigen sie bei rapider Absenkung des intrakraniel- len Drucks eine Nachblutung und binden jenseits der gestörten Blut- hirnschranke Odemflüssigkeit („Re- bound"). Patienten mit Hämatomen sind nicht weniger als andere Immo- bilisierte der Gefahr von Thrombo- sen ausgesetzt. Eine darauf zielende niedrig dosierte Behandlung mit He- parin wird auch beim ICH allgemein als unbedenklich angesehen.

Operative Therapie

Möglichkeiten der operativen Behandlung sind die mikrochirurgi- sche Ausräumung von ICH, die Drainage aufgestauten Liquors und die Dekompression durch großflä- chige Trepanation der Schädelkalot- te. Die Hämatomausräumung ist un- bestritten indiziert bei bedrohlich raumfordernden Lob ärhämatomen und Kleinhirnhämatomen. Überwie- gend wird auch eine Operationsindi- kation bei Blutungen in die lateralen Stammganglien der nicht-dominan- ten Hemisphäre gesehen, sobald es zur deutlichen sekundären Ver- schlechterung kommt oder eine Ein- klemmung droht. Das sinnvollste Vorgehen bei entsprechenden ICH in der dominanten Hemisphäre wird kontrovers diskutiert. Gegen manche quoad vitam erfolgversprechende Operationen wird angeführt, daß der überlebende Patient schwerste Residuen zu erwarten hat. Dem wird entgegengehalten, daß das Ausmaß der verbleibenden Defizite nicht zuverlässig vorausgesagt werden kann

Lobärhämatome bei Amyloid- Angiopathie können zwar nach den genannten Kriterien unter die Ope- rationsindikation fallen. Die Opera- tionsergebnisse sind jedoch ungün- stig, da die Amyloideinlagerung zu einer generellen Brüchigkeit der A-874 (54) Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991

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Hirngefäße, somit schwieriger Blut- stillung und Rezidiven führt.

Die Liquordrainage hat sich bei Ventrikeleinbruchsblutungen und okkludierenden ICH in der hinteren Schädelgrube als kleiner, aber effek- tiver Eingriff erwiesen. Bei ausge- dehnten ICH in der hinteren Schä- delgrube sollte allerdings gleichzeitig eine Hämatomausräumung oder ei- ne Dekompression vorgenommen werden. Andernfalls kann die Li- quordrainage die Einklemmung des Hirnstamms noch kranial in den Tentoriumschlitz bewirken. Eine supratentorielle Entlastungstrep ana- tion kommt nur in Ausnahmefällen bei jüngeren Patienten als ultima ra- tio in Betracht, wenn die reaktive Hirnschwellung anders nicht be- herrschbar ist.

Entsprechend dem weiten Spek- trum klinischer Verläufe und zu- grundeliegender Ursachen muß das therapeutische Vorgehen abgestuft werden. Auf die Behandlung in einer Fachklinik kann zum Beispiel häufig verzichtet werden; operative Eingrif- fe sind nur in der Minderzahl der Fälle notwendig.

Wir schlagen folgende Behand- lungsstufen vor: wenn eine Gefäß- mißbildung oder ein Tumor wahr- scheinliche oder definitive ICH-Ur- sache ist und eine Operation grund- sätzlich infrage kommt, sollte der Pa- tient umgehend in eine neurochirur- gische Fachklinik verlegt werden.

Gleiches gilt für Kleinhirnhämato- me, und zwar auch bei gutem klini- schen Zustand (cave: überraschende Dekompensation mit Hirnstamm- Einklemmung!).

Die Verlegung von Patienten mit ICH anderer Ursache oder Loka- lisation sollte erwogen werden, wenn einerseits für eine aktive Therapie noch Spielraum ist, andererseits Hä- matomlokalisation und -größe, Aus- maß der Massenverschiebung und Liquorstau eine Operation nahele- gen. Bei Verzicht auf eine Operation größerer ICH sollten deutliche Zei- chen der Massenverlagerung, Be- wußtseinstrübung, vegetative Ent- gleisung einschließlich exzessiver Blutdruckwerte oder ausgeprägte Hirnstammsymptome (zum Beispiel bei Ponsblutungen) Anlaß zu einer Intensivtherapie sein.

Die Versorgung von ICH-Pa- tienten auf einer Allgemeinstation erscheint angemessen, wenn der Verlauf günstig ist und die genann- ten Zeichen einer Gefährdung feh- len. Auch bei infausten Fällen ist der Verzicht auf Intensivtherapie indi- ziert.

Klinischer Verlauf und Prognose

Bei ausgedehnten ICH wird eine zunehmende Eintrübung während der ersten Krankheitsstunden und -tage mit dem Maximum in der zwei- ten Woche beobachtet. Die Entwick- lung des Hämatoms, die Ausbildung des Kollateralödems und eventuelle Liquorzirkulationsstörungen tragen hierzu bei. Sekundärkomplikationen wie zum Beispiel Pneumonie bestim- men bei vielen der betagten Patien- ten den Verlauf.

Die Rückbildung der Sympto- matik kann sich bei kleinen Hämato- men innerhalb von Stunden bis Ta- gen vollziehen. Bei ausgedehnten ICH werden gelegentlich auch Mo- nate nach dem Ereignis Besserungen der Symptomatik gesehen. Die Re- sorption der ICH zeigte in einer computertomographischen Untersu- chung (12) eine deutliche Abhängig- keit von der zugrundeliegenden Ur- sache: am schnellsten bildeten sich Angiomblutungen zurück, Antiko- agulantienblutungen am langsam- sten. Ein immer wieder beobachtetes Phänomen ist die akute klinische Verschlechterung von Patienten, die sich zwei bis drei Wochen nach dem Blutungsereignis bereits auf dem Wege der Besserung befunden hat- ten. CT-Kontrollen zeigen in der Re- gel keine Nachblutung. Ursache der Verschlechterung ist möglicherweise die osmotische Bindung von Flüssig- keit im Hämatom.

Das prognostische Spektrum der ICH ist sehr breit. Bei jeweils einem Drittel der Patienten kann mit kli- nisch vollständiger Erholung, De- fektheilung und dem Tod in der Akutphase gerechnet werden (10).

Die bei mehr als 35 Prozent der Pa- tienten beobachtete weitgehende kli- nische und laut CT auch morphologi- sche Restitution nach ICH bestätigt

die Auffassung, daß ICH eher ver- drängend als destruierend wirken.

Hieraus ergibt sich, daß wenig ausge- dehnte ICH sogar prognostisch gün- stiger sind als gleichgroße Hirnin- farkte entsprechender Lokalisation.

In weitgehender Übereinstimmung wurde festgestellt, daß der Grad der Bewußtseinstrübung bei der Erstun- tersuchung und das Hämatomvolu- men die zuverlässigsten Hinweise auf die Prognose eines ICH geben.

Daß die Wirksamkeit eines Häma- toms mehr von der Lokalisation als von der absoluten Größe abhängt, versteht sich dabei von selbst.

Die traditionell als kaum über- lebbar geltende Ventrikeltamponade hatte nicht in allen Studien eine ein- deutig nachweisbare prognostische Bedeutung (15, 20, 23). Dies ist ei- nerseits ein Erfolg der Drainagebe- handlung. Andererseits zeigt das CT auch eine unerwartet lockere Korre- lation von klinischem Zustand und Ventrikelblutung. Die nach Lokali- sationen gegliederten Prognosedaten der ICH sind wiederum der Tabelle 2 zu entnehmen.

Auch bei guter Erholung vom primären Blutungsereignis muß von einer deutlich reduzierten Lebenser- wartung ausgegangen werden (10,

19). Todesursache sind aber nur aus- nahmsweise Rezidivblutungen; viel häufiger sind es andere Komplikatio- nen der vaskulären Grunderkran- kung.

Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. med.

Klaus Sartor, Ärztlicher Direktor der Abtei- lung Neuroradiologie, Kopfklinikum der Universität Heidelberg, für die freundli- che Überlassung des Bildmaterials und die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser

Privatdozent

Dr. med. Ralph Winter Oberarzt der

Neurologischen Klinik Klinikum der Universität Im Neuenheimer Feld 400 W-6900 Heidelberg A-876 (56) Dt. Ärztebl. 88, Heft 11, 14. März 1991

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