DEUTSCHES
ARZTEBLATT
TAGUNGSBERICHT
Hans Joachim sewering: ,,Fest beträge sind ein falscher Weg''
Berufspolitik beim Badgastein-Kongreß der Bundesärztekammer
Die geltende Regelung über die Festbeträge bei der Verord- nung von Arzneimitteln in der ge- setzlichen Krankenversicherung der Bundesrepublik wird zuneh- mend unübersichtlich und führt überdies zu Ungleichbehandlung der Patienten: Eine Gruppe von Kranken hat das Glück, daß das ihnen verordnete Medikament unter die Festbetragsregelung fällt und sie daher nichts zuzah- len müssen; die andere Gruppe dagegen hat "Pech" und muß zu- zahlen (später sogar bis zu 15 DM). Hinzu kommt noch, daß viele Hersteller ihre eingeführten Produkte mittlerweile auf das Preisniveau der Festbeträge ab- gesenkt haben, so daß der Kas- senarzt dem Patienten nur schwer klarmachen kann, warum er ein
Im Vordergrund aller beruflichen Sorgen:
Steigende Arztzahlen Entsprechend der nun erstmali- gen Verkürzung der Badgastein- Kongresse auf neun Tage Dauer - was die Teilnahme-Intensität eher förderte (ein zwölfeinhalbstündiger Notfallkurs am Samstag und Sonn- tagvormittag beispielsweise war trotz strahlender Wintersonne sehr gut besucht) - beschränkte sich Professor Sewering darauf, einen kurzen Überblick über die gegen- wärtige Lage des Berufsstandes zu geben.
..,.. Im Vordergrund aller So~gen
stehe nach wie vor die steigende Arz- tezahl in der Bundesrepublik Deutschland. Gerade bei den Kas- senärzten ist der frühere "Alters- berg" weitgehend abgebaut (weniger
billigeres Generikum verordnen will. - Mit diesen Argumenten wandte sich Professor Dr. Dr.
h. c. Hans J oachim Sewering, Präsident der Bayerischen Lan- desärztekammer, in der berufspo- litischen Hauptveranstaltung des 35. Internationalen Fortbildungs- kongresses der ~~ndesärztekam
mer und der Osterreichischen Ärztekammer in Badgastein ge- gen die bestehende Regelung. Ei- ne für alle Patienten gleich gel- tende Selbstbeteiligung, meinte Sewering, wäre zweifellos eine gerechtere und saubere Lösung;
und: Die Politiker sollten sich nicht länger genieren, sondern zugeben, daß man einen falschen Weg gegangen sei- bei der Quel- lensteuer hätten sie das schließ- lich auch fertiggebracht
als zehn Prozent der tätigen Kassen- ärzte sind derzeit über 65 Jahre alt), so daß in Zukunft der jährliche Brut- tozugang fast genau dem Nettozu- gang entsprechen wird, das heißt, ih- re Zahl wird deutlich stärker zuneh- men als bisher.
Und die von der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) vollzogene Reduzierung der Anfängerplätze um 20 Prozent kann sich erst in sechs oder sieben Jahren auswirken (falls allerdings daraufhin noch mehr Anfänger einen Studien- platz im Ausland anstreben, wird sich gar nichts ändern).
..,.. Dabei werden im April die- ses Jahres schon die ersten "Arzte im Praktikum" nach Absolvierung ihrer 18 Monate auf den Arbeitsmarkt kommen. Und da im Durchschnitt auf je fünf AiP nur zwei Assistenz- arztstellen entfallen, dürfte der Run A-916 (24) Dt. Ärztebl. 87, Heft 12, 22. März 1990
auf die schnelle Niederlassung (als praktischer Arzt) noch zunehmen - dem fertigen Arzt im Praktikum feh- len zur Zeit ja lediglich noch sechs Monate in einer Allgemeinpraxis;
danach kann ihm niemand die Kas- senzulassung verwehren.
In seinem Statement und der sich anschließenden lebhaften Dis- kussion in Badgastein streifte Sewe- ring eine Fülle weiterer Themen, wie die neue Bundesempfehlungsverein- barung und die Honorarverhandlun- gen mit den Ersatzkassen, den "Bet- tenberg" und auch den sogenannten
"Pflegenotstand". In diesem Zusam- menhang erinnerte er daran, daß zur Zeit wegen der geburtenschwachen Jahrgänge überhaupt weniger Jugendliche ins Berufsleben eintre- ten, was die wenig attraktiven Pflege- berufe härter trifft als etwa die Indu- strie.
Weiter diskutieren sollte man, sagte Sewering, die Frage, ob und wie künftig eine Gliederung von haus- und fachärztlicher Versorgung organisiert werden kann; ebenso über eine "Bonus"-Regelung für den einzelnen Arzt, der seine Verord- nungsweise wirtschaftlicher gestaltet als der Durchschnitt seiner jeweili- gen Fachgruppe.
Das im "Bayern-Vertrag" aus dem Jahr 1979 einmal angestrebte
"Bonus/Malus-Modell" habe sich als Fehlschlag erwiesen, räumte Sewe- ring ein ("mit ein~r kollektiven Ver- antwortung aller Arzte geht so etwas nicht").
Keine Belehrung
sondern Bewunderung für die Kollegen in der DDR Selbstverständlich kamen die Probleme der Kolleginnen und Kol- legen in der DDR ebenfalls zur Sprache. Professor Sewering forder- te jede nur denkbare Hilfe, um das Gesundheitswesen in der DDR neu aufzubauen - allerdings systematisch und nicht so sehr mit willkürlichen, wenn auch gut gemeinten Spenden.
Und, so Sewering: "Wir dürfen unse- re Kollegen drüben nicht belehren - sondern wir sollten sie bewundern für das, was sie in den letzten 45 Jah- ren geleistet haben." gb