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Archiv "Alterssicherung: Suche nach Beitragszahlern" (04.09.1998)

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ie nächste „Reform“ des Alterssicherungssystems kommt bestimmt, gleichgül- tig, wer nach dem 27. September re- giert. Was geschieht, hängt jedoch auch vom Ausgang der Wahlen ab.

Eine rot-grüne Regierung Schröder würde für Teile der von Blüm durchgesetzten Reform ’99 die Paro- le ausgeben: Zurück marsch, marsch!

Könnte sich Kohl als Kanzler der CDU/CSU/FDP-Koalition behaup- ten, so hätte die Reform ’99, die auf eine begrenzte Absenkung des Ren- tenniveaus zielt, Bestand; sie würde jedoch durch eine Verschärfung der Anrechnung eigener Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen auf Hin- terbliebenenrenten ergänzt. Worauf sich eine große Koalition einigen könnte, ist kaum vorauszusagen;

wahrscheinlich käme es zu kleineren Korrekturen am letzten Reformge- setz und zur Einbeziehung zusätzli- cher Personen in die Beitragspflicht zur Rentenversicherung. Damit wä- re jedoch vor allem bei einer Koaliti- on von SPD und Grünen zu rechnen.

Sie haben nicht nur die geringfügig Beschäftigten und die Scheinselb- ständigen im Blick, sondern auch die noch nicht in gesetzliche Pflicht- systeme einbezogenen Gruppen der Selbständigen.

Für die Versorgungswerke der verkammerten Freien Berufe be- steht die Gefahr, von den nächsten Runden der „Reformpolitik“ mit er- faßt zu werden. Die Alterssiche- rungs-Kommission und die Bundes- tagsfraktion der SPD haben sich dafür ausgesprochen, den als Ange- stellte tätigen Freiberuflern die seit mehr als 40 Jahren bestehende Mög-

lichkeit zu nehmen, sich von der Versicherungspflicht zur Rentenver- sicherung zu befreien. Die nach- wachsenden Freiberufler, also auch die jungen Ärzte, könnten damit ih- re soziale Sicherung für Alter, Inva- lidität und Sicherung der Hinterblie- benen nicht mehr über die Versor- gungswerke aufbauen.

Zukunft der

Versorgungswerke – die SPD ist uneins

Darüber ist allerdings auch in- nerhalb der SPD noch nicht das letz- te Wort gesprochen: so hat sich Kanzler-Kandidat Schröder gegen diese Pläne gewandt. Aber sollte die SPD, wenn ihr die Regierungs- führung zufiele, die von 1999 an wirksamen Leistungskürzungen in der Rentenversicherung rückgängig machen, so muß sie der Rentenversi- cherung höhere Einnahmen ver- schaffen. Verhältnismäßig kurzfri- stig wäre dies über die Einbeziehung zusätzlicher Personengruppen in die Beitragspflicht möglich. Die Versu- chung könnte vor allem für die Sozi- alpolitiker, die das Rentensystem möglichst unverändert stabilisieren wollen, groß sein, in eine solche In- itiative auch die nachwachsenden Freiberufler einzubeziehen.

Davon wären dann aber nicht nur die angestellten Ärzte, Zahnärz- te, Tierärzte, Apotheker und die un- selbständig tätigen Angehörigen der übrigen Freien Berufe betroffen, sondern alle über Versorgungswer- ke gesicherten Pflichtmitglieder der Berufsstände. Die Versorgungswer-

ke könnten sich beim Wegfall des Befreiungsrechts der veränderten Rechtslage kurzfristig nur durch er- hebliche Leistungskürzungen und durch die Einschränkung der Ren- tendynamik anpassen. Längerfristig würden sie in ihrem Bestand be- droht, wenn sich der Neuzugang jün- gerer Versicherter und Beitragszah- ler, mit dem die Versorgungswerke bislang im Rahmen des offenen Deckungsplanverfahrens rechnen konnten, drastisch verringerte. Dies wäre ein sachlich nicht zu rechtferti- gender und verfassungsrechtlich kaum zu legitimierender Eingriff in ein bewährtes und seriös finanzier- tes Alterssicherungssystem, das sich in das gegliederte Sozialsystem ein- fügt.

Mit den Beiträgen von einer nur langsam steigenden Zahl zusätzlich zu versichernder angestellter Frei- berufler ist das Rentensystem mit mehr als 30 Millionen Versicherten und 22 Millionen Rentnern freilich nicht zu retten. Jeder Beitrag führt überdies zu dynamisch wachsenden Anwartschaften, die früher oder später eingelöst werden müssen. Die Belastungen träfen die Rentenversi- cherung vor allem dann, wenn sich der Alterungsprozeß der Gesell- schaft dramatisch beschleunigen wird. Die Versorgungswerke werden dagegen von der demographischen Entwicklung weit weniger betroffen als die Rentenversicherung, weil sie die Anwartschaften überwiegend durch Kapital decken.

Das System kann freilich nur funktionieren, wenn jeweils der ge- samte Berufsstand – also selbständig und unselbständig Tätige – von den A-2065

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 36, 4. September 1998 (17)

Alterssicherung

Suche nach Beitragszahlern

Rentenpolitik macht auch nach der Wahl keine Pause.

Die SPD hat auch die angestellten Freiberufler im Blick.

D

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Versorgungswerken erfaßt wird. Das bisherige staatlich sanktionierte Fi- nanzierungsverfahren des offenen Deckungsplans ist darauf abgestellt.

Ihm würde bei der Aufhebung des Be- freiungsrechts für die angestellten Freiberufler die Grundlage entzogen.

Beitragssatz unter 20 Prozent. Aber wie?

Wenn man die Wahlprogramme der Parteien durchsieht und die Äußerungen maßgeblicher Politiker heranzieht, so fällt auf, daß sich die Kontrahenten in einem Punkt weitge- hend einig sind: Der Beitragssatz zur Rentenversicherung sollte nicht wei- ter steigen, sondern möglichst unter die Marke von 20 Prozent gedrückt werden. Aber schon jetzt steht fest, daß dies trotz der Erhöhung des Bun- deszuschusses um die Einnahmen aus einem Punkt Mehrwertsteuer (1999 – 15,6 Milliarden DM) bis 2002 nicht ge- lingen wird. Sollte sich die hohe Ar- beitslosigkeit nicht deutlich zurück- führen lassen, so wird man schon mit- telfristig an eine weitere Nachfinan- zierung des Rentensystems denken müssen. Langfristig ergeben selbst die günstigsten Voraussagen noch immer einen Anstieg des Beitragssatzes auf mindestens 23,5 Prozent bis 2030. Da- bei ist unterstellt, daß es bei der Re- form ’99 und damit bei der Absen- kung des Rentenniveaus von heute 70 Prozent auf 64 Prozent, der beschlos- senen Anhebung der Altersgrenzen und den Einschränkungen bei den In- validitätsrenten bleibt. Wer den Bei- tragssatz bei 20 Prozent stabilisieren will, der muß mittelfristig entweder die Leistungen kürzen, die Beitrags- sätze erhöhen oder der Rentenversi- cherung zusätzliche Steuermittel zu- führen. Das ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Was die SPD will, ist nicht ganz klar. Die Sozialpolitiker sind bestrebt, das heutige Leistungsniveau mög- lichst zu sichern. Dagegen stehen die Äußerungen einiger Spitzenpolitiker, die die Auffassung vertreten, daß län- gerfristig nur noch eine Grundsiche- rung zu finanzieren ist. So wird man Äußerungen des Kanzlerkandidaten Schröder interpretieren können, der gesagt hat, daß es für die „heutigen

Schulabgänger“ wohl nur noch eine

„beitragsfinanzierte Grundsicherung“

geben werde. Die Ministerpräsiden- tin von Schleswig-Holstein, Simonis (SPD), hat sich für eine steuerfinan- zierte Grundrente ausgesprochen, die durch beitragsfinanzierte Renten er- gänzt werden sollte. Sie knüpft damit an die Grundrenten-Vorschläge des sächsischen Ministerpräsidenten Bie- denkopf (CDU) an. Der Minister- präsident von Rheinland-Pfalz, Beck (SPD), hält im Gegensatz zu den An- sichten seiner Partei eine Absenkung des Rentenniveaus für vertretbar.

Die SPD tritt im übrigen, auch wenn dies nicht im Wahlprogramm steht, für eine Ergänzung des Renten- systems durch eine aus Steuermitteln zu finanzierende Grundsicherung ein.

Danach sollen Renten bei Bedürftig- keit der Rentner auf ein Niveau ange- hoben werden, das über dem Niveau der Sozialhilfe liegt. In dieser Frage stimmt die SPD mit den Grünen weit- hin überein. Ziel ist es, Armut im Al- ter zu verhindern. Für die Grundsi- cherung von etwa 1 500 DM monat- lich macht sich auch der von Schröder als künftiger Arbeitsminister vorge- stellte IG-Metall-Vize Riester stark.

Die Grundsicherung paßt jedoch nicht in ein Versicherungssystem, in dem sich die Rentenhöhe nach der Beitragsvorleistung richtet. Die Grundsicherung setzt keinen Anreiz zur Leistung, aber sie muß bezahlt werden. Nichtarbeit und Schwarzar- beit würden prämiert.

Die SPD wird ihre mehr oder we- niger präzisen Ankündigungen über das, was sie kurz oder mittelfristig in der Rentenpolitik vorhat, nicht einhalten können, es sei denn, sie gin- ge zu einer verstärkten Steuerfinan- zierung über. Die Öko-Steuer, auch schon Finanzierungsquelle für andere Projekte, soll es möglich machen. Die Grünen setzen noch eins drauf: sie denken an eine Wertschöpfungsabga- be, die den lohnbezogenen Arbeitge- berbeitrag ersetzen soll, an die Neu- auflage der Vermögensteuer, an die Verschärfung der Erbschaftsteuer und längerfristig wohl auch an die Kappung der höheren Renten.

Starke Kräfte in der Unions- Fraktion drängen aber darauf, über eine Verschärfung der Einkommens- anrechnung bei Hinterbliebenenren-

ten und/oder durch eine Staffelung der Beitragssätze nach der Kinder- zahl Mittel für die Ausweitung der Anrechnung von Kindererziehungs- zeiten auf die Rente zu mobilisieren und/oder die Familien mit Kindern bei den Beiträgen zu entlasten. Die Befürworter solcher Pläne haben durch das Bundesverfassungsgericht, das Anfang dieses Jahres die Anrech- nung anderer Einkommen auf Hin- terbliebenenrenten für verfassungs- gemäß erklärt und soziale Ausgleichs- maßnahmen im System zusätzlich le- gitimiert hat, Rückenwind erhalten.

Die „Reform“ der erst 1985 beschlos- senen Reform der Hinterbliebenen- versorgung steht auf dem Programm aller Parteien.

Langfristige Sicherung – bisher ungelöst

Während die Union die Einkom- mensanrechnung verschärfen will, be- fürworten SPD und Grüne das Ren- tensplitting, um den Frauen eigen- ständige Anwartschaften zu verschaf- fen. Beide Pläne sind für die Freibe- rufler problematisch. Wenn die auf Hinterbliebenenrenten der Renten- versicherung anzurechnenden Beträ- ge angehoben werden, so bedeutet dies bei den im Einzelfall betroffenen Freiberuflern eine mittelbare Abwer- tung der Anwartschaften dieser Versi- cherten bei den Versorgungswerken.

Bei einer Einführung des Rentensplit- tings bestünde die Gefahr, daß darin die Anwartschaften der Versorgungs- werke einbezogen würden. Solche Pläne sind freilich nicht kurzfristig realisierbar.

Zur langfristigen Sicherung des Rentensystems tragen wohl nur Vor- schläge bei, die darauf zielen, die Lei- stungen des sozialen Ausgleichs im Sy- stem zu verringern, die Altersgrenze nach 2015 über 65 Jahre hinaus anzu- heben, die Anpassungsregeln noch re- striktiver zu fassen (zum Beispiel soll- ten Steuersenkungen nicht zu Ren- tenerhöhungen führen) und das Ren- tenniveau langfristig auf etwa 60 Pro- zent des durchschnittlichen Netto-Le- benseinkommens abzusenken. Dazu gehört unverzichtbar die Förderung der individuellen und kapitalbilden- den Vorsorge. Walter Kannengießer A-2066

P O L I T I K LEITARTIKEL

(18) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 36, 4. September 1998

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