• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates: „Die Pflegepolitik muss zur Chefsache werden“" (15.11.2013)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates: „Die Pflegepolitik muss zur Chefsache werden“" (15.11.2013)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 2182 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 46

|

15. November 2013

„Die Pflegepolitik muss zur Chefsache werden“

Zusätzliche Stellen in der Pflege und eine Reform der Ausbildung – das

sind Forderungen von Andreas Westerfellhaus an die neue Bundesregierung.

Es geht ihm vor allem um mehr Wertschätzung für seine Berufsgruppe.

Sie haben die alte Bundesregierung dafür kritisiert, zentrale Probleme der Pflege nicht angepackt zu haben. Trau- en Sie der großen Koalition mehr zu?

Westerfellhaus: Was bleibt mir an- deres übrig? Tatsächlich ist die Hoffnung auf einen Neubeginn mit einer neuen Koalition nicht unbe- rechtigt. Gerade die SPD hat sich im Wahlkampf zu notwendigen Ent- wicklungen in der Pflege geäußert.

Ich hoffe, dass sie nun zu diesen Aussagen auch steht.

Union und SPD sind sich offenbar dar - über einig, dass der Beitrag zur gesetz- lichen Pflegeversicherung erhöht wird.

Ist es richtig, als erstes über Geld zu reden?

Westerfellhaus: Da sprechen Sie einen ganz wunden Punkt an. Bei mir gehen da leider Gottes schon wieder alle Lampen auf Rot. Nicht weil ich verkenne, dass auch eine Finanzierungsregelung wichtig ist.

Wenn hier aber schon wieder priori- tär über technische Fragen in einem Teilbereich der Pflege gesprochen wird, dann wiederholt sich genau der Fehler, der in den vergangenen Jahren gemacht wurde.

Was müsste die neue Bundesregierung vorrangig anpacken?

Westerfellhaus: Die zentrale Fra- ge ist doch: Wer soll die dringend notwendigen Leistungen erbringen?

Wir haben einen eklatanten Fach- kräftemangel. Das gilt übrigens nicht nur in der Altenpflege, sondern auch für die Krankenhäuser. Wenn wir

dieses Problem nicht in den Griff bekommen, wird keine Reform Er- folg haben. Letztendlich müssen sich alle Maßnahmen auf dieses Thema ausrichten. Wir sind die größte Berufsgruppe im Gesund- heitswesen und erwarten von der Politik mehr als Absichtsbekundun- gen. Die Pflegepolitik muss zur Chefsache werden.

Was kann man gegen den Fachkräfte- mangel tun?

Westerfellhaus: Wenn wir unsere Kolleginnen und Kollegen fragen, was sich ändern müsste, dann geht es nicht in erster Linie um ei-

ne bessere Bezahlung. Die ist zwar wichtig und richtig, aber zu- nächst einmal wünschen sich die Pflegefachkräfte mehr Kollegen.

Es hat in den letzten Jahren wegen des Kostendrucks einen gewalti- gen Stellenabbau in der Pflege ge- geben. Wir haben allein in den deutschen Krankenhäusern mehr als 50 000 Pflegekräfte verloren. Die Arbeit ist nur noch im Dauerlauf zu schaffen.

Sie fordern also die Schaffung zusätz - licher Stellen in der Pflege als Maßnah- me gegen den Fachkräftemangel. Aber wie sollen diese Stellen denn besetzt werden, wenn es schon heute zu weni- ge Pflegekräfte gibt?

Westerfellhaus: Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch.

Wir wissen, dass viele Pflegende gerade wegen der hohen Belastung in eine Teilzeittätigkeit flüchten.

Manche kehren der Pflege ganz den Rücken oder gehen ins Aus- land. Diese Trends gilt es zunächst zu stoppen. Das ist im Übrigen auch wichtiger, als ausländische Pflegekräfte anzuwerben. Die wird man dauerhaft nicht halten können, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen.

Unter jungen Menschen ist der Pflege- beruf nicht gerade beliebt. Tragen dazu nicht auch die Berufsverbände bei, wenn sie immer jammern und klagen?

Westerfellhaus: Das ist sicher ein Spagat. Aber es muss möglich sein, kritische Punkte zu benennen. Was

INTERVIEW

mit Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates

Fotos: Georg J. Lopata

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 110

|

Heft 46

|

15. November 2013 A 2183 nützt es, wenn wir jungen Men-

schen etwas vormachen und sie schon nach wenigen Wochen in der Ausbildung bemerken, dass die Realität ganz anders ist?

Sie fordern eine Reform der Pflege - ausbildung. Warum?

Westerfellhaus: Die Unterschei- dung in Krankenpflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege ist nicht mehr zeitgemäß. Wir wollen ei- ne generalistische Pflegeausbildung von drei Jahren. Nach dieser Basis- ausbildung kann dann eine weitere Spezialisierung erfolgen, etwa in Pädiatrie, Geriatrie oder Palliativ- medizin. Ein solches Modell hat auch eine Bund-Länder-Arbeits- gruppe in der letzten Legislaturperi- ode vorgeschlagen. Dies gilt es nun endlich umzusetzen.

Aber sind die Anforderungen an die Pflege im Krankenhaus nicht höher als in einem Pflegeheim?

Westerfellhaus: Höher würde ich nicht sagen. Sie sind anders. Gera- de in der stationären Altenpflege hat sich einiges geändert. Da gibt es viele schwer kranke Patienten, manchmal beatmet oder mit chro- nischen Wunden. Auf der anderen Seite nimmt der Anteil demenziell Erkrankter im Akutkrankenhaus zu. Darauf sind bisher weder die Pflegenden noch die Ärzte einge- stellt. Die gemeinsame Basisaus- bildung macht das System durch- lässiger und attraktiver. Wichtig ist mir außerdem, dass diejeni- gen, die das wollen, eine akademi- sche Grundqualifikation erwerben können.

Warum studiert der, der einen akade - mischen Abschluss will, nicht einfach Medizin?

Westerfellhaus: Weil wir keine Ärzte sein wollen. Und auch keine

„Ärzte light“. Wir brauchen die Akademisierung, weil die Pflege komplexer ist als früher. Prozesse müssen kritisch hinterfragt, Exper-

tenstandards angewandt und über- prüft werden. Das pflegerische Auf- gabenprofil unterscheidet sich vom ärztlichen. Die beiden Berufsgrup- pen ergänzen sich und können nur gemeinsam die Patientenversor- gung sicherstellen. Richtig ist aller- dings, dass wir eine fehlende be- rufsrechtliche Ausgestaltung der Aufgaben haben.

Wie sollte die Aufgabenverteilung geregelt werden?

Westerfellhaus: Wir wollen ein

„Berufsgesetz Pflege“. Darin soll nicht nur die Basisausbildung vor- kommen. Auch die weitere Spezia- lisierung soll bundeseinheitlich ge- regelt werden. Festzulegen wäre außerdem, mit welcher Qualifikati- on eine Pflegekraft welche Aufga- ben übernehmen kann – in Abgren- zung zu anderen Berufsgruppen, aber auch innerhalb der eigenen Profession. So bekämen wir mehr Rechtssicherheit. Ich hoffe, dass sich eine Bund-Länder-Arbeitsgrup- pe darauf einigen wird. Bei den Eckpunkten zur Ausbildung ist das ja auch gelungen.

Sie denken bei einer „berufsrechtli- chen Ausgestaltung“ also nicht an eine Berufs- oder Weiterbildungsordnung, wie man sie von den Ärztekammern kennt?

Westerfellhaus: Langfristig schon.

Eine Berufsgruppe, die nach größe- rer Autonomie strebt – wie wir das

tun – muss in die Lage versetzt wer- den, sich selbst zu verwalten. Die Profession selbst weiß am besten, welche Qualifikation für welche Aufgaben notwendig ist. Das ist ge- nau das Konstrukt, das die Ärzte- schaft als Erfolgsmodell bezeichnet – wie ich finde zu Recht. In Rhein- land-Pfalz stehen wir bei Ein rich - tung einer Pflegekammer schon im Gesetzgebungsverfahren. Ande- re Bundesländer, in deren Zustän- digkeit die Kammern ja fallen, wer- den sicherlich folgen.

Union und SPD verhandeln auch zum Thema Mindestlohn. In der Pflege gibt es bereits eine branchenspezifische Lösung – derzeit neun Euro im Westen und acht Euro im Osten. Wie stehen Sie dazu?

Westerfellhaus: Die Diskussion über den „Mindestlohn Pflege“ hat mich schon bei der Einführung ge- ärgert. Es kam hier zu massiven Ir- ritationen, weil nicht differenziert wurde. Um es klarzustellen: Der branchenspezifische Mindestlohn ist für Hilfskräfte relevant. Examinier- te Pflegefachkräfte verdienen mehr.

Für junge Menschen, die sich für den Pflegeberuf interessieren, ist so etwas ein fatales Signal.

Rechnen Sie damit, dass die große Ko- alition zügig einen neuen Pflegebedürf- tigkeitsbegriff einführen wird?

Westerfellhaus: Ich kann nur sa- gen: Bitte nicht noch einmal ein Ex- pertenrat. Das, was in den vergan- genen Jahren ausgearbeitet worden ist, muss politisch ausgestaltet wer- den. Die Politik sollte dabei aber bedenken, dass man nicht einfach sagen kann: Wir machen jetzt mal was für Demenzkranke. Wir müs- sen sehen, wer die Versorgung übernehmen kann. Und da sind wir wieder beim Fachkräftemangel. Ich mag ja diesen Begriff eigentlich nicht, aber ich meine, wir brauchen eine „Task Force Pflege“.

Das Interview führten Dr. med. Birgit Hibbeler, Falk Osterloh und Philipp Ollenschläger.

Andreas Westerfellhaus (57) steht seit 2009 an der Spitze des Deut- schen Pflegerates, der Bundesar- beitsgemeinschaft der Berufsver- bände in der Pflege.

Westerfellhaus ist gelernter

Krankenpfleger. Es folgten Weiterbildungen zum Fachkran- kenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie sowie zum Betriebswirt. Heute ist er Geschäftsführer der Zentralen Akademie für Berufe im Gesundheitswesen in Gütersloh.

ZUR PERSON

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Wie kann es denn sein, dass die Kassen keine Unternehmen sind, aber bei den Arzneimittel-Rabattverträgen trotzdem das Wettbewerbsrecht gilt.. Mundt: Im Sozialgesetzbuch ist für

Er muss sich mit klaren Worten entschieden und authentisch als Präsident aller Ärzte engagieren und die Kräfte sektorübergreifend bündeln, der Selbstverwaltung eine

Seit Jahren herrscht bei allen, die der öffentlichen Hand eine wesentliche Rolle für die nachhaltige Entwicklung des Landes beimessen, Klage über den fortschreitenden

Wie hoch ist im Kanton Bern der Anteil an Ausländerinnen und Ausländern, welche die Schweiz auf Grund eines Wegweisungsbeschlusses oder einer Landesverweisung verlassen

weites Forschungsprojekt zeigte, dass Ausschrei- bungs- und Quotenmodelle wie sie in Großbri- tannien und den Niederlanden verbreitet waren, weder zu einem nennenswerten Ausbau der

„Diesen Weg müssen wir konsequent weitergehen und dafür sorgen, dass diejenigen unter den Fuß- ballfans, die in der Vergangenheit im- mer wieder durch gewalttätige Über-

Eine Ausbildung bedeutet noch lange nicht, dass eine Lehrperson auch gut unterrichtet.. Was sagen Sie zu

Die UN(O) kümmert sich um die Einhaltung der Menschenrechte: Recht auf Leben, gleiche Rechte für alle Menschen, Meinungsfreiheit … Auch strebt die UN(O) danach,