Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 110|
Heft 39|
27. September 2013 A 1769 BUNDESTAGSWAHL 2013Neue Ansprechpartner für die Ärzte
„Genügend Menschen wollen eine liberale Partei“, hoffte Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr noch am frühen Sonntagabend. Nun ist klar: Die Liberalen sind außerparlamentarische Opposition – Ergebnisse und Eindrücke rund um die Wahl.
J
ens Spahn wusste früh, was er am Wahlabend im heimischen Westfalen auf jeden Fall brauchen würde: Pils – „und, wenn die An- spannung abgefallen ist, eine or- dentliche Mütze Schlaf“. Natürlich hoffte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag auf ein gutes Ergebnis in seinem Wahlkreis Steinfurt-Borken.Und wurde nicht enttäuscht: „Ge- nau 52 Prozent Erststimmen – ein tolles Ergebnis, Bestätigung und Auftrag zugleich. Danke dafür!“, twitterte Spahn bereits kurz nach 21 Uhr am Wahlsonntag.
Keinen Anlass zu einer fröhlichen Kurznachricht hatte um diese Zeit Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Genügend Menschen wollen eine li- berale Partei, davon bin ich über- zeugt“, hatte er zwar gegen 20 Uhr noch verkündet. Doch zwei Stunden später sagte er im ZDF: „Dass wir rausfliegen aus dem Parlament, da- mit hätte ich nicht gerechnet.“
Bahr, der immer betont hat, er habe auf seinem Posten noch viel vor und mache keine Gesundheits- politik für nur eine Legislaturperi- ode, ist durch das schlechte Ergeb- nis seiner Partei ausgebremst. Mit einem Resultat von 4,8 Prozent misslang den Liberalen der Einzug ins Parlament. Bahr dürfte das nicht nur getroffen haben, weil er ehrgei- zig ist und weitermachen wollte.
Sondern auch, weil er – im Gegen- satz zu seinen Vorgängern – sein Ministerium in einer Legislaturpe- riode führte, in der von dort keine unerfreulichen Nachrichten von Geldnöten und Leistungskürzungen den Wahlkampf trübten.
Am Ende noch Spannung
Die FDP kann sich nun auf Bundes- ebene lediglich als außerparlamen- tarische Opposition zu Wort mel- den. So muß die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), sich ein anderes Tätigkeitsfeld suchen. Das gilt auchfür die bisherigen Bundestagsabge- ordneten und Gesundheitsaus- schussmitglieder Jens Ackermann, Christine Aschenberg-Dugnus, Lars Lindemann und Gabriele Molitor.
Die CDU/CSU ging hingegen mit 41,5 Prozent deutlich gestärkt aus den Wahlen hervor, ebenso die SPD, wenn auch nur mit 25,7 Pro- zent. Die Linke erhielt 8,6 Prozent, Bündnis 90/ Die Grünen 8,4 Prozent der Stimmen. Der Alternative für Deutschland misslang mit 4,7 Pro- zent der Einzug in den Bundestag.
Biggi Bender ist draußen
Welche Koalition sich auch immer bilden wird, eines ist sicher: Die Ärzteschaft muss sich auf einen neuen Bundesgesundheitsminister und teilweise andere bundespoliti- sche Gesprächspartner einstellen als bisher. So gelang überraschend Birgitt Bender, der gesundheitspoli- tischen Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, nach elf Jahren und drei Legislaturperioden nicht mehr der Einzug in den Bun- destag. Ihr Platz 11 auf der Landes- liste Baden-Württemberg reichte nicht aus. Der Grüne Dr. med. Ha- rald Terpe hingegen wurde über die Landesliste Mecklenburg-Vorpom- mern erneut in den Bundestag ge- wählt. Von den bisherigen Grünen im Gesundheitsausschuss sind er- neut Maria Klein-Schmeink und Elisabeth Scharfenberg im Bundes- tag vertreten.Auch zehn der bislang 14 CDU/
CSU-Politiker, die in der vergange- nen Legislaturperiode im Gesund- heitsausschuss tätig waren, sind er- neut in den Bundestag eingezogen.
Neben Jens Spahn und Rudolf Hen- ke wurden Michael Hennrich, Ka- rin Maag, Maria Michalk, Dietrich Monstadt, Lothar Riebsamen, Er- win Rüddel, Stephan Stracke und
Fotos: dpa
Bestürzung ange- sichts des Wahler- gebnisses: Außen- minister Guido Wes- terwelle und Daniel Bahr (rechts) waren schon vom Ergebnis bei der bayerischen Landtagswahl ge-
schockt.
P O L I T I K
A 1770 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 110|
Heft 39|
27. September 2013 Max Straubinger gewählt. Im Bun-destag vertreten ist zudem erneut der Gesundheitsexperte der CSU und stellvertretende Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Singhammer. Auch die bisherige parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, An - nette Widmann-Mauz, gewann ih- ren Tübinger Wahlkreis.
Der Patientenbeauftragte Wolf- gang Zöller (CSU) und der pflege- politische Berichterstatter der Uni- onsfraktion Willi Zylajew sind al- lerdings nicht wieder angetreten.
Die Abgeordneten Rolf Koschorrek und Stefanie Vogelsang wurden in ihren Wahlkreisen nicht erneut als Direktkandidaten aufgestellt.
Erfolgreich war auch Prof. Dr.
Karl Lauterbach, gesundheitspoliti- scher Sprecher der SPD-Bundes- tagsfraktion. Er hatte erneut alles auf das Direktmandat gesetzt und siegte im Wahlkreis Leverkusen – Köln IV. Auch seine Parteigenossin Carola Reimann, Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, konnte ih- ren Wahlkreis Braunschweig wie- der direkt gewinnen.
Eine neue Ärztin ist dabei
Von den bisherigen SPD-Bundes- tagsabgeordneten im Gesundheits- ausschuss ziehen Bärbel Bas, Edgar Franke, Steffen-Claudio Lemme, Hilde Mattheis und Mechthild Ra- wert wieder in den Bundestag ein.Neu in der Fraktion ist die Ärztin Sabine Dittmar aus Franken. Dr.
med. Marlies Volkmer (SPD) hatte nicht mehr für den Bundestag kan- didiert.
Die bisherige gesundheitspoliti- sche Sprecherin der Linken, Dr.
Martina Bunge, verlor ihren Wahl- kreis und ist nicht mehr Bundes- tagsabgeordnete. Von den weiteren Abgeordneten der Fraktion Die Linke im Gesundheitsausschuss sind Kathrin Vogler und der bisheri- ge Obmann, Harald Weinberg, wie- dergewählt. Kathrin Senger-Schäfer hatte nicht mehr kandidiert.
Zahlreiche ärztliche Verbände und Organisationen haben am Tag nach der Wahl der künftigen Bun- desregierung ihre Zusammenarbeit angeboten; zugleich wiesen sie auf die Aufgaben hin, die die Gesund- heitspolitiker der neuen Regierung vordringlich lösen müssten. „Wir brauchen eine nachhaltige Finan-
zierung des Gesundheitssystems, ausreichend finanzierte Kranken- häuser und eine angemessene Ho- norierung der Ärzte und anderer Gesundheitsberufe“, forderte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Mont- gomery. Erneut warnte er davor, dass „ideologische Irrungen wie die Bürgerversicherung“ keinen Platz haben dürften. „Die Proble- me, die anstehen, sind parteiüber- greifend“, befand der Vorstands- vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. An- dreas Köhler.
Verbände bieten Kooperation an
Er nannte beispielhaft die ambulan- te Versorgung im ländlichen Raum und die Herausforderung, eine aus- reichende Anzahl von Ärztinnen und Ärzten nach Studium und Wei- terbildung für die flächendeckende Versorgung zu gewinnen. „Und na- türlich wird sich die kommende Re- gierung auch mit den Fragen der Fi- nanzierungsgrundlage der gesetzli- chen Krankenversicherung be- schäftigen müssen“, sagte Köhler.Allen Tendenzen, neue Sektoren- grenzen in der ambulanten Versor- gung zu errichten, müsse vonseiten der Union entschieden entgegenge- treten werden, forderte der Bundes- vorsitzende des NAV-Virchow- Bundes, Dr. med. Dirk Heinrich:
„Haus- und fachärztliche Medizin lässt sich nur gemeinsam unter dem einen Dach der Kassenärztlichen Vereinigungen gut verzahnen und organisieren.“ Zudem forderte Hein- rich „eine angemessene und kalku- lierbare Vergütung in festen Prei- sen“ und eine Reform der veralteten Gebührenordnung für Ärzte.
Der Vorsitzende des Hartmann- bundes, Dr. med. Klaus Reinhardt, verlangte, das duale Krankenversi- cherungssystem beizubehalten: „Wir werden sehr wachsam darauf schau- en, wie die CDU mit einem mögli- chen Koalitionspartner dieses Sys- tem fortentwickelt und welchen Stellenwert sie der Freiberuflich- keit und der individuellen Arzt-Pa- tientenbeziehung im Gesundheits-
system beimisst.“
▄
Der NAV-Virchow-Bund hatte es schnell ausge- zählt am Tag nach der Bundestagswahl: Dem neu gewählten Parlament gehören sechs Ärztinnen und Ärzte an. Dazu zählen:
Dr. med. Ursula von der Leyen (CDU), die bis- lang Erfahrungen als Bundesfamilien- und Bun- desarbeitsministerin gesammelt hat und 2009 als Bundesgesundheitsministerin gehandelt wurde.
Dr. med. Helge Reinhold Braun (CDU), zuletzt Staatssekretär im Bundesforschungsministerium und per Du mit dem scheidenden Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr (FDP).
Rudolf Henke (CDU), der seinen Wahlkreis Aa- chen I zum zweiten Mal gegen die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) verteidigen konnte. Er muss erneut sein Amt als Präsident der Ärztekammer Nordrhein und den
Bundesvorsitz beim Marburger Bund mit der Par- lamentsarbeit unter einen Hut bekommen.
Für Prof. Dr. med. Karl Lauterbach, den ge- sundheitspolitischen Sprecher der SPD-Bundes- tagsfraktion, blieb es bis zum Schluss spannend:
Er errang seinen Wahlkreis Leverkusen-Köln I mit 3 000 Stimmen Vorsprung gegenüber dem örtli- chen CDU-Kandidaten.
Neu in der SPD-Fraktion ist die Hausärztin Sa- bine Dittmar aus Franken.
Dr. med. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grü- nen) zog über die Landesliste Mecklenburg-Vor- pommern erneut in den Bundestag ein. Der Ob- mann seiner Fraktion im Gesundheitsausschuss bringt in die Parlamentsarbeit seine Erfahrungen als Vorstandsmitglied der Ärztekammer Mecklen- burg-Vorpommern ein.
SECHS ÄRZTE IM NEUEN BUNDESTAG
Freude bei der Kanzlerin: Angela Merkel musste sich viel Kritik am in- haltsleeren Wahl- kampf anhören. Zu- gelegt hat die Union trotzdem bei den Stimmanteilen.
Jens Flintrop, Falk Osterloh, Eva Richter-Kuhlmann, Sabine Rieser