Unsere Universitäten zu provinziell?
Jahresversammlung der Westdeutschen Rektorenkonferenz
"Die Internationalität der Universi-
tät" hieß das Thema der diesjähri-
gen Jahresversammlung der West- deutschen Rektorenkonferenz (WRK), zu der Professor Dr. Sund, Rektor der Universität Konstanz, dieses Jahr nach Konstanz einge- laden hatte. Die Universität hat
"ihr Eigenleben aus der unver-
gänglichen Idee, einer Idee über- nationalen, weltweiten Charak- ters", meinte Professor Dr. George Turner, Präsident der WRK, zum Thema Selbstverständnis dieser altehrwürdigen Institution. Univer- sität -Universalität und - Interna- tionalität gehörten deshalb zu- sammen. Wie selbstverständlich ist aber noch dieses Selbstver- ständnis? fragte Turner in seinem Eröffnungsreferat weiter. Eine Reihe von Hemmnissen trugen die Tagungsteilnehmer zusammen.
..,... Die vielzitierte Auslandsmüdig- keit deutscher Studenten hätten sie nur zum Teil selbst zu vertreten (mangelnde Sprachkenntnis ist ei- ner dieser Faktoren); Hauptursa- che sei dagegen die Verschlechte- rung der äußeren Rahmenbedin- gungen, wie beispielsweise Schwierigkeiten bei der Anrech- nung von Studienaufenthalten im Ausland auf die begrenzte Stu- dienzeit und die verschlechterte Arbeitsmarktsituation. Auch der Staat spiele hier eine unrühmliche Rolle, wenn er die Anforderungen an die Examensnote immer höher schraube und gleichzeitig dabei vergesse, einen Auslandsaufent- halt positiv zu berücksichtigen. ..,... Eine immer stärkere Zurück- haltung gegenüber Ausländern in der Bundesrepublik kommt dazu:
statt Internationalität Provinzial ität (allein in Bonn seien sämtliche 60 Landesstipendien für ausländi- sche Studierende gestrichen wor-
den; restriktive Steuerung des Fa-
miliennachzugs von Ausländern
aus Nicht-EG-Staaten; Einschrän- kung des Zustroms ausländischer Studienbewerber aus einer Reihe von Entwicklungsländern nach ei- nem Beschluß der Kultusminister im letzten Jahr)?
..,... Auch die Forschungseinrich- tungen selbst hätten schuld: zu wenig Forschungsschwerpunkte auf Themen der Dritten Welt, und zu wenig Bildungshilfe für die gut fünfzigtausend ausländischen Studenten im Inland.
..,... Struktur und Studieninhalte an westlichen Universitäten führten meist zu einer Fehlspezialisierung der ausländischen Studenten für ihr Heimatland. Ob beispielsweise die Ausbildung von Medizinstu- denten an hochtechnisierten Großkliniken der Rolle eines zu- künftigen Arztes in einem armen Land mit einfachen Heil- und Hilfs- mitteln gerecht würde, bezweifelte Dr. Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Ihrer Ansicht nach ist es so- gar unsicher, ob diese Form der Ausbildung im eigenen Land ganz die richtige ist.
..,... Ein anderes Problem: "brain- drain", die Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften aus Entwicklungsländern in lndu- strieländer. Wie Professor Dr. Jür- gen B. Donges vom Weltwirt- schaftsinstitut in Kiel aufzeigte, liegen die Ursachen dieses Pro- blems im Schnittmuster der Uni- versitäten der Dritten Welt selbst.
Um "internationales" Ansehen zu gewinnen, orientieren sie sich in ihrem Lehrangebot an hochent- wickelten Industrienationen an- statt an den Bedürfnissen des ei- genen Landes.
Die Antwort:
Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen TAGUNGSBERICHT
Verstärkte Zusammenarbeit Im Themenbereich europäische Zusammenarbeit forderten die Teilnehmer vor allem, die beste- henden Hochschulpartnerschaf- ten stärker zu nutzen, die EG-Zu- schüsse für das sogenannte "Joint Study Programm" zu erhöhen und in den Äquivalenzverhandlungen um die gegenseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen mehr Vertrauen als bisher in die Gleich- wertigkeit akademischer Ausbil- dung zu setzen (die direkte Ab- sprache zwischen den Hochschu- len bis hin zur gleichzeitigen Ver- leihung eines in- und ausländi- schen Hochschulgrades an den erfolgreichen Austausch-Absol- venten sei wahrscheinlich der zu- kunftsträchtigere Weg).
ln Zusammenhang mit dem Nord- Süd-Problem wurde der Vorschlag gemacht, Hochschullehrer aus Entwicklungsländern dazu einzu- laden, gemeinsam mit ihren deut- schen Kollegen entwicklungslän- der-orientierte Baustein-Studien- angebote zu entwickeln.
Zum Thema Auslandsmüdigkeit deutscher Studenten wurde vor al- lem die berufliche Anerkennung von Auslandsaufenthalten gefor- dert. Auch mit der Mobilität im ln- land stünde es nicht zum Besten:
Hier müßten die ZVS-Ortsvertei- lungskriterien und die Anerken- nungsregelungen der einzelnen Universitäten kritisch überprüft werden.
An die eigene Adresse gerichtet meinte Turner am Ende der Ta- gung noch zur Ost-West-Proble- matik: Zur Internationalität der Wissenschaft gehöre aber auch der Mut und das Recht, eine klare Sprache zu sprechen und sich auch "über die Grenzen staatli- cher Souveränitäten dort einzumi- schen, wo die Solidarität der For- schenden und Lernenden heraus- gefordert wird- sei es in der west- lichen, sei es in der östlichen oder in der südlichen Hemisphäre die-
ses Globus". ck
Ausgabe B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 40 vom 8. Oktober 1982 71