A 250 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 6|
10. Februar 2012P O L I T I K
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eit Jahren werden Reisefähig- keitsuntersuchungen vor der Abschiebung von abgelehnten Asyl- bewerbern kritisiert. Menschen- rechtler und Ärzte bemängeln, dass eine mögliche Traumatisierung der betroffenen Menschen im Rahmen dieser Untersuchungen nicht aus - reichend berücksichtigt werde. Mit- glieder des Ausschusses für Men- schenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestags diskutierten deshalb Ende Januar mit Experten, wie sie die derzeitige Praxis einschätzen und was man verbessern könnte.Wilfred Burghardt vom nieder- sächsischen Innenministerium be- tonte, eine Abschiebung stehe „am Ende eines sehr aufwendigen und oft langjährigen Prüfverfahrens“.
Dem Vorsitzenden der Bund-Län- der-Arbeitsgruppe „Rückführung“
zufolge wird auch eine mögliche Traumatisierung der Asylbewerber geprüft. Deshalb sei am Ende nicht mehr zu kontrollieren, ob Abzu- schiebende traumatisiert oder sui- zidgefährdet sind, sondern nur noch, ob sie ausreisen können.
Michael Kleinhans vom Bundes- amt für Migration und Flüchtlinge wies Vorwürfe zurück, der Gesund- heitszustand von Asylbewerbern werde zu allgemein geprüft: „Unse- re Entscheider sind alle geschult, darauf zu achten, ob sich Anzeichen für eine Traumatisierung ergeben.“
Im Übrigen habe man vor einer Abschiebung nicht zu klären, ob ei- ne posttraumatische Belastungsstö-
rung (PTBS) vorliege oder nicht, sondern nur, ob diese oder andere gesundheitliche Beeinträchtigungen auch dazu führen könnten, dass sich der Zustand des Abzuschiebenden nach der Rückkehr verschlimmere.
Deshalb steht auch nach Kleinhans’
Meinung am Ende tatsächlich nur noch die Frage der Reisefähigkeit zur Debatte.
Dieser Sichtweise widersprach Dr. med. Ulrich Clever, Menschen- rechtsbeauftragter der Bundesärzte- kammer. Von Ärztinnen und Ärzten werde erwartet, dass sie Menschen ohne Ansehen der Person unter- suchten und behandelten, betonte er und verwies auf die einschlägigen Passagen der Berufsordnung. Bei Flugtauglichkeitsuntersuchungen von abgelehnten Asylbewerbern gehe es in Wahrheit doch um sehr viel mehr als um die Frage, ob man eine Per- son für ein paar Stunden in ein Flugzeug setzen könne.
Nach Clevers Auffassung kann man nicht einerseits grundsätzlich hohe Ansprüche an ärztliches Han- deln stellen, andererseits bei der Ab- schiebung aber eine extrem verengte Betrachtungsweise einfordern. Des- halb hatte er unlängst im Rahmen ei-
nes Briefwechsels mit Burghardt klargestellt: „Sollten sich Ärzte un- ter Bezug auf ihr Gewissen weigern, Abschiebungsprozesse medizinisch zu begleiten, steht ihnen das frei und ist im Berufsrecht auch so angelegt.“
Burghardt hatte moniert, dass Ärzte bei der Prüfung der Reisetauglich- keit immer wieder die Ergebnisse des Asylverfahrens infrage stellten.
Dr. med. Ernst Girth, Menschen- rechtsbeauftragter der Ärztekammer Hessen, pflichtete Clever bei. „Aus Sicht des Staates gibt es zu viele Ärzte mit ethischen Bedenken“, kri- tisierte er. Deshalb unterstelle man auch „eine inflationäre Bescheini- gung von Traumatisierungen und Suizidgefahr“. Girth betonte: „Wenn die Mehrzahl der Ärzte sich der Be- rufsordnung verpflichtet fühlt und deshalb staatliche Maßnahmen nicht ausgeführt werden können, dann hat nicht die Ärzteschaft ihre Berufsord- nung zu überdenken, sondern der Staat seine Maßnahmen.“
Er forderte wie weitere Experten, die Behörden sollten endlich Ärzte und Psychotherapeuten als Gutach- ter für PTBS und ähnliche Krank- heiten heranziehen, die sich dafür qualifiziert hätten. Adresslisten ge- be es bei den Kammern, doch meist würden die Kollegen als „nicht neu- tral“ abgelehnt. In einem Behörden- bericht zu Vollzugsdefiziten bei der Abschiebung wird wiederum mo- niert, die wenigen „neutralen“ Ärz- te sähen sich der Kritik und Diffa- mierung ausgesetzt.
Girth schlug als eine Lösung vor, Entscheidungsträger besser zu schu- len: „Traumatisierung wird im Asyl- verfahren aus Unkenntnis und aus in der Natur der Erkrankung liegendem Verhalten der Betroffenen nicht sach- adäquat bewertet.“ Dr. med. Mecht- hild Wenk-Ansohn, Leiterin des Be- handlungszentrums für Folteropfer, wies darauf hin, dass häufig schon die behördliche Herangehensweise falsch sei, und nannte beispielhaft die Frage: „Braucht der jetzt noch Be- handlung?“ Symptome Traumatisier- ter könne man lindern, sie aber nicht heilen. Eine PTBS könne sich leicht dauerhaft verschlechtern – auch durch Abschiebung und Rückkehr in
das Heimatland.
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Sabine Rieser
Foto: Fotolia
Abgelehnte Asylbewerber müssen ausreisen. Reicht es zu untersuchen, ob sie reise fähig sind? Damit
befasste sich der Ausschuss für Menschenrechte des Bundestags.
UNTERSUCHUNG VOR ABSCHIEBUNG