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Archiv "1989/2009 – 20 Jahre deutsche Einheit: „Annäherung auf günstigerem Niveau“" (06.11.2009)

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A 2236 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 45

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6. November 2009

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echtzeitig zum 9. November hat die epidemiologische Abteilung des Robert-Koch-Instituts (RKI) einen zahlengespickten Be- richt präsentiert, in dem erschöpfend dargelegt wird, wie sehr die neuen Bundesländer in 20 Jahren gegen- über den alten aufgeholt haben.

Genau genommen, es sind 19 Jahre, beginnt der Aufholprozess doch erst 1990, als die DDR der BRD „beitrat“. Doch der Tag der Maueröffnung, jener 9. November 1989 scheint sich als allgemeiner Wiedervereinigungsgedenktag zu etablieren, an dem Bilanz gezogen und Rückschau gehalten wird. Ulla Schmidt ließ es sich nicht nehmen, den RKI-Bericht am 26. Oktober in Berlin zu präsentieren, einen Tag bevor sie als Bundesgesundheitsmi- nisterin verabschiedet wurde.

Die Bilanz, die das RKI zieht, ist zwar durchweg positiv, enthält aber auch einige auffallende Differenzen.

Lebenserwartung und Morbidität, Strukturen des Gesundheitswesens

und deren Inanspruchnahme durch die Bevölkerung hätten sich in Ost und West weitgehend einander ange- glichen, so das RKI-Fazit. Zumeist handele es sich um eine „Annähe- rung auf günstigerem Niveau“. Da- mit meinen die Berliner Epidemio- logen um Dr. Bärbel-Maria Kurth, dass sich die Gesundheitskennzif- fern allgemein verbessert haben und die Ostdeutschen auf höherer Ebene einsteigen, diese aber nicht immer schon erreichen.

Gewaltiger Umbruch

So steigt etwa die Lebenserwartung insgesamt in Deutschland, in Ost- deutschland aber nicht so stark, doch die Ostdeutschen sind auf gu- tem Weg (Tabelle). Es kann auch umgekehrt sein: Bei der Impffreu- digkeit nähern sich die Deutschen auf niedrigerem Niveau an; die Ost- deutschen stehen dank früherer Ein- übung noch besser da als die West- deutschen, werden aber auch zöger- licher.

Die Kapitel des Gesundheitsbe- richts über die ambulante und sta- tionäre Versorgung zeugen von dem gewaltigen Umbruch, den die Ost- deutschen seit 1990 zu bewältigen hatten. Gewiss, auch mit westlicher Hilfe, aber doch aus eigener Kraft.

Zur ambulanten Versorgung eini- ge Kennzahlen: 1989 arbeiteten rund 80 Prozent der 20 500 ambu- lant tätigen Ärztinnen und Ärzte der DDR in Polikliniken und Ambulan- zen; davon gab es circa 1 600. Nur 340 Ärzte betrieben eine private, et- wa 1 400 eine staatliche Praxis.

Nachdem die gesetzliche Kranken- versicherung zum 1. Januar 1991 auf das „Beitrittsgebiet“ übertragen wurde, folgte der komplette Um- schwung: Schon 1994 sind 97 Pro- zent der Ärztinnen und Ärzte nie- dergelassen. Über Motive und Hin- tergründe sagt der RKI-Report we- nig. Sie wären freilich eine eigene Untersuchung wert, in der auch die strittige Frage zu erörtern wäre, weshalb die Polikliniken zumeist 1989/2009 – 20 JAHRE DEUTSCHE EINHEIT

„Annäherung auf günstigerem Niveau“

20 Jahre nach dem Mauerfall haben sich die gesundheitlichen Lebensverhältnisse

der neuen und alten Bundesländer einander angeglichen. Auffallender wird nun die Differenzierung zwischen reichen und armen Regionen, egal ob in Ost oder West.

Foto: Caro

Alles ist im Detail nachzulesen in „Zwan-

zig Jahre nach dem Fall der Mauer: Wie hat sich die Gesundheit in Deutschland entwi- ckelt?“, 300 Seiten, zu beziehen beim Robert- Koch-Institut, Gesund- heitsberichterstattung, General-Pape-Straße 62, 12101 Berlin; auch im internet abrufbar unter www.rki.de/gbe.

T H E M E N D E R Z E I T

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6. November 2009 A 2237 schneller aufgegeben wurden als

die Übergangsfrist im Einigungs- vertrag vorsah. Erst mit dem Ge- sundheitsmodernisierungsgesetz von 2004 kehrte die Idee der Poli- klinik wieder, und zwar in Gestalt des Medizinischen Versorgungs- zentrums (MVZ). 2008 gab es dem RKI zufolge davon 1 206 in ganz Deutschland. Tendenz steigend; die KBV-Statistik zählte im ersten Quartal 2009 bereits 1 257, darun- ter nur 259 in den neuen Ländern (ohne Berlin). Das deutet nicht, ent- gegen mancher Vermutung, auf ei- ne erhöhte poliklinische Affinität in Ostdeutschland hin, Bayern zum Beispiel zählt ebenso viele MVZ wie Ostdeutschland (genau: 255).

Auch die Neigung zu „normalen“

Gemeinschaftspraxen ist unter den Ärzten und Ärztinnen in den neuen Ländern deutlich weniger ausge- prägt als im Westen: Auf eine Ge- meinschaftspraxis entfallen im Os- ten statistisch 7,3 Einzelpraxen, im Westen dagegen nur 3,4.

Die Vertragsarztdichte hat sich genauso wie die Fallzahl je Versi- cherten hingegen weitgehend ange- glichen. Die Fallzahlen sind laut RKI in den alten wie den neuen Län- dern, hier besonders stark, zurückge- gangen und mit 6,7 (neue) und 6,6 (alte Länder) heute gleichauf.

Die Vertragsarztdichte liegt in den alten Ländern bei 1 : 600 Einwohnern (1993 noch 690), in den neuen bei 1 : 645 (1993: 772!). Relativ schlecht

sieht es in alten wie neuen Ländern mit der hausärztlichen Versorgung aus. Betrug die Relation Hausarzt/

Einwohner 1999 noch 1 : 1 373 in den neuen und 1 : 1 387 in den alten Ländern, so betrug sie 2008 nur mehr 1 : 1 430 (neue Länder) und 1 : 1 410 (alte Länder). Angesichts der Alters- struktur der Hausärzte sei, so das RKI, insbesondere in den neuen Län- dern mit einer weiteren Verschlech- terung der Versorgung zu rechnen.

Friedliche Revolution

Zur stationären Versorgung: Nach der Wende wurde mit großem fi- nanziellem Aufwand die stationäre Versorgung in den neuen Bundes- ländern an den westdeutschen Stan- dard angepasst. Kostenintensiv sei- en die Behebung der mangelhaften Bausubstanz, die Modernisierung der Medizintechnik und die Reor- ganisation der Verwaltungsstruktu- ren gewesen, fasst das Robert- Koch-Institut zusammen.

Ergebnis solcher Bemühungen ist die fast völlige Angleichung der Krankenhauslandschaft in Ost und West. Dazu einige Kennzahlen: In Deutschland gibt es 2 087 Kranken- häuser (davon 254 in den neuen Ländern) mit 507 000 Betten (davon 76 000 in den neuen Ländern, je- weils ohne Berlin). Stand 2007, Ten- denz immer noch leicht sinkend. Ge- genüber 1990 nahm die Zahl der Häuser um 360 oder 15 Prozent ab, allein im Osten aber um 35 Prozent,

im Westen um nur neun Prozent. Die Bettenzahl ging gegenüber 1990 um 179 000 oder 26 Prozent zurück, al- lein im Osten aber um 43 Prozent, im Westen um 20 Prozent. Die Bet- tendichte liegt dank dieses Anpas- sungsprozesses bundesweit zwischen 500 und 700 Einwohnern, regional, aber nicht mehr ost-westlich unter- schiedlich. Eine Angleichung gibt es auch bei den Behandlungsfällen: heu- te 17,2 Millionen p. a., ein Anstieg um 3,3 Millionen gegenüber dem Vergleichsjahr. Aber: in Ost +17 Pro- zent, in West +9 Prozent. Sinkende Betten- und steigende Fallzahlen – das „Wunder“ lässt sich mit der Ver- weildauer erklären. Tatsächlich, sie sank in Ostdeutschland dramatisch, von 14,6 auf 8,3 Tage und liegt da- mit jetzt im Bundesdurchschnitt.

Die friedliche Revolution in der DDR meint gewöhnlich die politi- schen Umwälzungen. Nach 1989 aber begann eine andere friedliche Revolution, die Umgestaltung der Lebensverhältnisse. Das Gesund- heitswesen wartet hier mit hervorra- genden Ergebnissen auf – so gut, dass das RKI zu einem erstaunlichen Fazit kommt: „Eine Fortführung der bislang gängigen Ost-West-Verglei- che erscheint nicht mehr erforder- lich, darum wird es wohl auch kei- nen ähnlichen Bericht anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls im Jahr 2019 mehr geben. Dieses Kapi- tel scheint abgeschlossen, beginnen wir das Kapitel ,arme Bundesländer, reiche Bundesländer‘.“

Von den 82 Millionen Einwoh- nern Deutschlands leben 80 Prozent in den alten, 16 in den neuen Län- dern und vier Prozent in Berlin.

Zwischen 1990 und 2007 sind in Westdeutschland 1,9 Millionen Ein- wohner dazugekommen, in Ost- deutschland hingegen fehlen 2,9 Millionen. Das ist auch gesund- heitspolitisch relevant, wie auch vom RKI angemerkt. Denn Junge und Gesunde wandern ab, Alte und Kranke bleiben zurück. Ein Pro- blem aller strukturschwachen Re- gionen in Ost und West. Aber in Ostdeutschland gibt es davon noch einige. Es gibt schon jetzt viele Er- folgsgeschichten. Vor allem im Ge-

sundheitswesen. ■

Norbert Jachertz TABELLE

Mittlere Lebenserwartung bei Geburt und fernere Lebenserwartung (mit 65 Jahren) im Zeitvergleich

NBL: 1991/93 einschließlich Berlin-Ost, 2005/07 ohne Berlin-Ost ABL: 1991/93 einschließlich Berlin-West, 2005/07 ohne Berlin Quelle: Bevölkerungsstatistik Mittlere Lebenserwartung bei Geburt

Deutschland NBL ABL

Fernere Lebenserwartung mit 65 Jahren

Deutschland NBL ABL

Frauen 1991/93

79,0 77,2 79,5

18,0 16,7 18,4

2005/07

82,2 82,0 82,3

20,3 19,9 20,4

Männer 1991/93

72,5 69,9 73,1

14,3 13,3 14,6

2005/07

76,9 75,8 77,2

16,9 16,4 17,0

T H E M E N D E R Z E I T

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