Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 21⏐⏐22. Mai 2009 A1043
T H E M E N D E R Z E I T
> Onkologische Dokumentati- onsmodule sollten möglichst in Klinikinformationssysteme inte- griert oder eng damit verknüpft sein.
> Die Datenverteilung erfolgt aus diesem zentralen System und ist un- abhängig von den datengenerieren- den Struktureinheiten.
> Die Daten in den Struktur- gruppen eins und zwei werden in harmonisierter strukturierter Form ausgetauscht.
> Ein sekundärer Datenaustausch (zum Beispiel Abgleich von Über- lebensdaten mit der Tumorgewebe- bank) ist nur möglich, wenn zumin- dest der Basisdatensatz in strukturier- ter Form in beiden Systemen vorliegt.
Entsprechend dieser Vorgaben hat man am Comprehensive Cancer Cen- ter (CCC) Münster ein Datenfluss- schema entworfen (Grafik 3). Der Datenfluss zur Leistungserfassung und -abrechnung ist darin nicht berücksichtigt. Erste Erfahrungen zeigen eine hohe Akzeptanz und po- tenzielle Effizienzsteigerung im Da- ten- wie im Patientenmanagement.
Fazit
Eine entitätsübergreifende, sekto- renübergreifende und bundesweit abgestimmte Datenerhebung in der Onkologie steckt noch in den Anfän- gen. Im Rahmen des nationalen Krebsplans (11) wurde als Ziel for- muliert, ein einheitliches Qualitäts- management aufzubauen. Voraus- setzung dafür ist ein abgestimmtes Handeln aller beteiligten Fachrich- tungen und Fachgesellschaften. Dar- über hinaus müssen Datenmanage- mentkonzepte harmonisiert werden.
Dies erfordert eine gemeinfreie Be- reitstellung einer Datenspezifikati- on, die für alle Tumorentitäten ein- setzbar ist und einen reibungslosen Datenaustausch ermöglicht.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2009; 106(21): A 1040–3
Anschrift des Verfassers Prof. Dr. Jörg Haier
Comprehensive Cancer Center Münster (CCCM) Universitätsklinikum Münster
Waldeyerstraße 1, 48149 Münster E-Mail: haier@uni-muenster.de www.cccm.uni-muenster.de
S
ie wüsste nicht, wo sie heute ohne ihre Familienhelferin wäre, wurde Annemarie Stoll* nicht müde zu wiederholen. Die alleiner- ziehende Mutter eines fünf- und ei- nes neunjährigen Sohnes war ver- zweifelt, bevor sich die Berlinerin an die Diakonische Arbeitsgemein- schaft Sozialpädagogischer Initiati- ven (DASI) wandte. Bei beiden Söhnen war eine Aufmerksam- keitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung diagnostiziert worden. Außerdem fielen die Jungen durch eine ex- treme Aggressivität auf. Dadurch war der Neunjährige in der Grund- schule inzwischen zu einem Au- ßenseiter geworden. Mithilfe der DASI wurde es ihm schließlich er- möglicht, eine sonderpädagogi- sche Schuleinrichtung zu besu- chen. Dort erhält der Junge sogar Einzelunterricht. „Durch die DASI werden einem Türen geöffnet“, sagte Stoll. Außerdem erhielt die Mutter regelmäßig zehn Stunden wöchentliche Betreuung durch eine qualifizierte Familienhelferin. „Ich kann mit beiden Kindern jetzt bes- ser umgehen“, meint sie. Ihr nächs-tes Ziel sei es jetzt, aus der Arbeits- losigkeit herauszukommen: „Ich will wieder gesellschaftsfähig wer- den.“ Auch dabei setzt sie auf die Hilfe der DASI.
Die Organisation ist ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
Sie ist ein Berliner Unternehmen und gehört zur Gruppe Norddeut- sche Gesellschaft für Diakonie.
„Unser Leistungsangebot ist auf das Wohl von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Familien ausgerichtet, betreut in Berlin rund 90 Kinder und Jugendliche stationär und leistet circa 12 000 Fachleis- tungsstunden im ambulanten Be- reich.“ Da gibt es zum Beispiel das sogenannte Sprungbrett, eine Unter- stützungsmöglichkeit für Jugend- liche ab 15 Jahren, die der DASI zufolge aufgrund überfordernder familiärer Kontexte nicht in der Fa- milie bleiben können.
Schulische Probleme
Die familiäre Situation ist häufig durch schulische beziehungsweise ausbildungsspezifische Probleme zusätzlich angespannt. Ein sozial- pädagogisches Schulprojekt in Charlottenburg-Wilmersdorf dient der Reintegration von Schülerinnen und Schülern in den Regelschulbe- trieb. Die DASI ist aber auch An- sprechpartner bei innerfamiliären Konflikten, Bildungsproblemen und Sprachverständigungsschwierigkei- Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2109
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ARMUT UND KINDERGESUNDHEIT
Geborgenheit und Sicherheit
* Name von der Redaktion geändert
Zur Förderung des Kindeswohls ist Familienarbeit unerlässlich.
Darin sind sich Experten einig.
A1044 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 21⏐⏐22. Mai 2009 ten, mit deren Bewältigung die Fa-
milien sich überfordert fühlen.
Eine ähnliche Arbeit leistet auch das In-Via-Center Berlin. In-Via ist ein Fachverband im Deutschen Caritasverband, der nach eigenen Angaben seit mehr als 110 Jahren Frauen- und Mädchensozialarbeit leistet. So gibt es beispielsweise den offenen Mädchentreff, in dem Mädchen in Berlin-Karlshorst un- ter anderem sportliche Aktivitäten, Hausaufgabenhilfe sowie Koch- und Backaktionen angeboten wer- den. Auch musikalisch können sie sich dort ausdrücken. So trifft sich Musiker Helge Hoeft regelmäßig mit Mädchen und lässt sie selbst komponierte und selbst geschriebe- ne Texte singen, in denen sie ihr Lebensgefühl ausdrücken können.
Das In-Via-Center Berlin hat im Mai 2007 vom Bundesfamilien- ministerium die Anerkennung für das Mehrgenerationenhaus in Ber- lin-Lichtenberg bekommen. „Das bedeutet für uns, dass wir unsere Angebote durch ein Café und einen offenen Mittagstisch mit gesundem Essen erweitern konnten.“ In einer Väter-Kind-Gruppe lernen Väter und ihre Kinder, „bei angeleiteten Rauf- und Kampfspielen spiele- risch die Rollen zu tauschen und gegenseitige Grenzsetzung bezie- hungsweise -überwindung unmit- telbar zu erleben“. Wenn Väter sich mit geschlossenen Augen von ihren Kindern führen ließen, könnte Ver-
Dass gerade sozial benachteiligte Kinder auch in Bezug auf Gesund- heit benachteiligt würden, bestätigte Dr. Manfred Thuns vom Caritasver- band für das Erzbistum Berlin bei einer gemeinsamen Veranstaltung vom Diakonischen Werk der Evan- gelischen Kirche in Deutschland und dem Deutschen Caritasverband Ende April in Berlin: „Aus einer brandenburgischen Untersuchung geht hervor, dass 78 Prozent der Fa- milien mit einem hohen sozialen Status die Früherkennungsuntersu- chung U 9 wahrnehmen. Bei Famili- en mit niedrigem sozialem Status liegt die Quote nur noch bei 59 Pro- zent.“ Um die medizinische Versor- gung auch für Familien mit niedri- gem sozialem Status zu verbessern, sei Familienarbeit unerlässlich.
„Wenn man Prävention betreiben will, geht dies nur über Familien- arbeit. Denn die Familie ist einfach die primäre, die konstituierende Einheit. In der Familie entstehen auch die ersten wichtigen emotiona- len Bindungen. Sie bedeutet Gebor- genheit und Sicherheit.“
Die Ergebnisse zeigten, so die Autorinnen, wie umfassend sich die soziale Benachteiligung auf alle Spielräume von Kindern auswirke.
„Das heißt, soziale Benachteiligung von Kindern hat viele Gesichter, je nachdem in welchem Stadtteil Kin- der aufwachsen, wie lange die El- tern beispielsweise von Arbeitslo- sigkeit betroffen sind und ob die Fa- milien Kinder wertschätzen.“ Wich- tig sei aber eben auch, ob es im Stadtteil genügend außerschulische Bildungs-, Betreuungs- und Frei- zeitangebote von hoher Qualität ge- be und ob Kinder in Armut einen Zugang dazu erhielten. I Gisela Klinkhammer trauen aufgebaut werden und „klei-
ne Kinder können auch mal gewin- nen, ohne dass man sie gewinnen lässt“, berichtete Budopädagoge Hans-Joachim Schröder. Die
„Raufgruppe“ sei gleichzeitig auch eine Plattform für Väter, um sich gegenseitig auszutauschen. Außer- dem finden sie bei den Leiterinnen immer wieder ein offenes Ohr,
„wenn es mal irgendwo schiefläuft und sie Unterstützung benötigen“.
Soziale Benachteiligung Solche und ähnliche Angebote werden angenommen und sind auch dringend erforderlich. Aus der Mitte April vorgelegten Be- panthen-Kinderarmutsstudie geht hervor, dass Kinder, die in Deutschland in Armut leben, in ihren Chancen erheblich beein- trächtigt sind. Die Studie, die unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Sabine Andresen und Susann Fegter, beide Universität Bielefeld, erstellt wurde, hat 200 Arche-Kinder zwischen sechs und 13 Jahren aus Hamburg und Berlin im Rahmen einer Ferienfreizeit der Arche e.V. sowie an den Arche- Standorten in Berlin und Hamburg befragt. Die Untersuchung zeigt, dass benachteiligte Kinder als Vor- aussetzungen für ein gutes Leben vor allem „von den Eltern geliebt werden“, „genug zu essen bekom- men“ „gute Freunde und Freundin- nen haben“ und „immer jemanden haben, der sich um sie kümmert“
nennen. Sie wünschen sich vorran- gig also gute Beziehungen und die Befriedigung von Grundbedürfnis- sen. Aber sie verlangen auch ein Recht auf Schulbildung, Gewalt- freiheit, Freizeit und medizinische Versorgung.
In einer Väter-Kind-Gruppe im In-Via-Center Berlin lernen Väter und ihre Kinder spielerisch ihre Rollen zu tauschen. Die „Raufgruppe“ dient auch als Plattform, um sich gegenseitig auszutauschen.
Fotos:Christian Soyke