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Archiv "Arbeitslosigkeit . . . . . . hat viele Gesichter" (13.08.2004)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004 AA2279

S

eit etwa fünf Jahren hatte ich Schlafstörungen und schlief nachts nur zwei Stunden, höchstens fünf. Der kurze Schlaf war nicht einmal sehr erholsam. Meine Allergie wurde immer schlimmer.

Dienstschluss war für mich, wenn alle versorgt waren.

Aber irgendwie waren sie das nie. Ich träumte von einer Aus- zeit: nur noch Schafe zählen, irgendwo auf einer Hallig.

Es kam der Tag, an dem un- sere Einheit aufgelöst wurde.

Ich legte mir einen Schlacht- plan zurecht, was ich alles zu tun hatte. Als Erstes wollte ich einen Computer kaufen. Seit 15 Jahren saß ich vor PCs, musste mich jedoch nie um technische Details kümmern.

Ich heuerte einen Fachmann an, der mir die Teile anschloss und die Software aufspielte.

Mit dem ganzen Equipment fühlte ich mich wieder wie ein Mensch. Arbeitslosigkeit war gar nicht so schlimm. Dachte ich. Genau genommen war ich jedoch noch nicht erwerbslos, sondern erst einmal freige- stellt.

Punkt zwei auf meiner To- do-Liste: gesund werden. Ich setzte mich als Privatpatient in das Wartezimmer eines Allge- meinmediziners und beobach- tete die Menschen: interessant

– und erschreckend. Praxisor- ganisation und Praxismarke- ting waren für diesen Arzt noch Fremdwörter. Mir wurde Blut abgezapft, und weil die Ergebnisse alles andere als gut waren, immer wieder. Als die Werte nach einem Vierteljahr immer noch nicht zusammen- passten, wurde ich zu einem Spezialisten überwiesen, der angesichts meiner Laborwerte auf die obligate dreimonatige Wartezeit bis zum ersten Ter- min verzichtete. Ich wurde auf alle möglichen Erkrankungen untersucht und nach Wochen unruhigen Abwartens mit Achselzucken und der Dia- gnose „stressbedingt“ entlas- sen.Hätte ich das Wissen von heute, würde ich meinem Kör- per und seinen Signalen im Hamsterrad Arbeit mehr Auf- merksamkeit widmen. Wer will schon Laborparameter ha- ben, die an eine Leberzirrhose im Endstadium, an Rheuma und HIV-Infektion, familiäre Fettstoffwechselstörung und Nierenschädigung denken las- sen und dann doch nur „stress- bedingt“ sind. Wer lebt schon gerne mit einer nicht abklin- genden Knochenhautentzün- dung, persistierenden Magen- problemen, Schlafstörungen, Hautausschlägen, Nasen- und Zahnfleischbluten?

Mit einem PC und der Er- kenntnis, dass ich beruflich kürzer treten wollte, schrieb ich die ersten Bewerbungen.

Selten hatte ich das Glück, dass die Unterlagen in einem Zustand zurückkamen, der es erlaubte, das Foto noch ein- mal zu verwenden. Die Absa- gen variierten zwischen ein- fältigen Einzeilern, hohlen Trostlosigkeiten und (eher selten) Anteil nehmenden, pfiffigen Schreiben. Den Sachbearbeiter würde es we- nig Zeit kosten, sich eine gute Formulierung zu überlegen.

Einem Arbeitslosen ist je- doch der Tag vergällt, wenn er eine miese Absage bekommt.

Als Nächstes informierte ich Kranken- und Rentenver- sicherung, Ärztekammer und das Arbeitsamt darüber, dass sich mit dem nächsten Quar- tal voraussichtlich mein Sta- tus der Daseinsberechtigung verändert und was ich zu tun hätte. Das Arbeitsamt Kiel teilte mir mit, dass ich viel zu früh mit dieser Mitteilung sei.

Ich solle in der letzten Woche meines Angestelltenverhält- nisses persönlich beim Ar- beitsamt vorstellig werden. So früh würde ich nur den ganzen Ablauf durcheinander brin- gen. Hut ab vor dieser Organi- sation. Meine Krankenversi- cherung reagierte nicht auf meine Änderungsmeldung.

Die Ärzteversorgung Nord- rhein teilte mir schriftlich mit, dass ich die Wahl hätte, wei- terhin den Höchstbeitrag frei- willig zu zahlen oder nur ei- nen geringen Erwerbslosen- beitrag. Ich entschied mich, weiter den Höchstbeitrag zu zahlen.Von der Ärztekammer Schleswig-Holstein hörte ich nichts.

Arbeitslosengeld: 1 200 Euro In der Zwischenzeit war die letzte Woche meines Ange- stelltenverhältnisses angebro- chen, und ich machte mich auf den Weg zum Kieler Arbeits- amt. Ich hatte die Unterlagen der letzten Firma und von Kranken- und Rentenversi- cherung dabei, außerdem alle Bewerbungen, die ich in den letzten beiden Monaten ge-

schrieben hatte, um dem Sach- bearbeiter zu signalisieren, dass ich willens war, zu arbei- ten. Dieser war sehr freund- lich zu mir. Ja, ich hätte immer fleißig eingezahlt und bekäme einen gewissen Prozentsatz des letzten Durchschnittsloh- nes als Arbeitslosengeld, aber natürlich sei das gedeckelt, al- so maximal 1 200 Euro pro Monat: so wenig? Ja, ich könne ruhig in der Ärzteversorgung und der privaten Krankenkas- se bleiben, weil die Beiträge ja niedriger oder gleich hoch wie die Pflichtbeiträge, die das Ar- beitsamt übernimmt, lägen.Er sammelte alles ein, sagte mir, dass er für mich nichts tun könne, weil Stellenangebote für meine Qualifikation seiner Erfahrung nach nie eintreffen würden, und wünschte mir Glück bei der Stellensuche.

Wenige Tage später er- reichte mich der Bewilli- gungsbescheid, dem zu ent- nehmen war, was ich an Lei- stungen beziehen würde und dass ich in Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung nicht pflichtversichert sei. Gegen Ende des ersten Monats mei- ner Arbeitslosigkeit kam ein Anruf meiner Krankenversi- cherung, wo denn nun meine Bescheinigung bliebe, dass ich weiter privat versichert bleiben dürfe. Ich hatte nicht gewusst, dass ich eine Be- scheinigung beizubringen hat- te. Die Versicherung hatte sich ja nie gerührt, und das Arbeitsamt hatte mich auch nicht informiert. Ich rief beim Arbeitsamt an, wurde in die Leistungsabteilung verbunden und wirsch darüber aufge- klärt, dass die Krankenver- sicherung doch wissen müsse, dass eine Bescheinigung erst am Ende des ersten Monats einer Arbeitslosigkeit ausge- stellt und zeitgleich mit der Anweisung des Geldes ver- sendet würde. Die Informa- tion gab ich an die Kranken- versicherung weiter.

Am Ende des ersten Mo- nats meiner Arbeitslosigkeit bekam ich die Mitteilung, ich möge doch bitte unverzüglich Unterlagen beibringen, aus denen hervorginge, dass ich privat krankenversichert blei- S T A T U S

Arbeitslosigkeit . . .

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ben dürfe. Ich verstand die Welt nicht mehr und rief das Arbeitsamt an. Die Unter- zeichnerin des Briefes gab in fünf verständlichen Worten wieder, was ich an Fachchine- sisch nicht verstanden hatte.

Demnach musste ich zu ir- gendeiner gesetzlichen Kran- kenkasse und mich befreien lassen. Ich marschierte also zu einer Zweigstelle einer großen Ersatzkasse und formulierte mein Anliegen. Ja, die gesetz- lichen Kassen seien dazu ver- pflichtet, den Status von ar- beitslosen Privatversicherten zu überprüfen. Binnen 30 Sekunden hatte meine Ge- sprächspartnerin erkannt, dass ich keine Möglichkeit hätte, weiterhin privat versichert zu bleiben.Ich blieb locker, denn ich war mit der Kundenbetreu- ung der Krankenversicherung alles andere als zufrieden und durch die Schlagzeilen, dass man sich eine private Versiche- rung im Alter kaum noch lei- sten könne, aufgeschreckt, so- dass es mir willkommen war, in eine gesetzliche wechseln zu dürfen. Diesen Zahn zog mir jedoch die Dame der Ersatz- kasse ganz schnell. Nach dem SGB V müsse ich bei Wieder- anstellung flott zurück in die private Versicherung – es sei denn, ich bliebe zwei ganze Jahre arbeitslos gemeldet. Es kam noch schlimmer: Die Kas- se sei zudem nicht bereit, die Behandlungskosten der letz- ten vier Wochen zu tragen, auch wenn meine Mitglied- schaft rückwirkend sei. Mein Dilemma war, dass man mir bereits Rechnungen geschickt hatte, die ich auch brav und prompt bezahlt hatte. Ich informierte die Krankenver- sicherung. Die mitgesendeten Rechnungen kamen mit dem Vermerk zurück, dass diese nicht von der privaten Versi- cherung übernommen würden, da ich ja nun rückwirkend bei der Barmer versichert sei. Auf den ersten Blick irgendwie ein- leuchtend. Nur ließ man außer Acht, dass es das Verschulden der privaten Krankenversiche- rung und des Arbeitsamtes war, die auf meine Statusände- rungsmeldung nicht reagiert hatten beziehungsweise mir

zweimal die Falschauskunft gegeben hatten, ich könne pri- vat versichert bleiben. Auf Anraten der Ersatzkasse be- antragte ich bei der priva- ten Versicherung das Ruhen- lassen der Mitgliedschaft ohne erneute Gesundheitsüberprü- fung bei Wiederaufnahme der Mitgliedschaft.

Da ich mal gehört hatte, dass man als Arbeit Suchen- der alle zwei Mo- nate dort vorstel- lig werden müs- se, trabte ich nun wieder zum Ar- beitsamt und schil- derte das Problem mit der Krankenversicherung.

Der Sachbearbeiter rief seine Kollegin aus der Leistungsab- teilung hinzu. Sie fand zwar keine Worte der Entschuldi- gung, dafür aber die brüske Bemerkung: „Dachten Sie jetzt, ich zahle Ihnen die Arzt- rechnungen aus der Portokas- se?“ Nein, das dachte ich natürlich nicht. Trotzdem war ich davon ausgegangen, dass Firmen und Ämter für ihre Fehler geradestehen. Ich wur- de mit den Worten entlassen, dass dies zu prüfen sei, denn da könne ja jeder kommen und behaupten, dass Rech- nungen angefallen seien. Ich überhörte großzügig die ver- bale Ohrfeige und gab ihr die geforderten Rechnungen. Ei- nen Tag nach diesem Ge- spräch kam eine E-Mail, dass ich bitte in einem zweiten Schritt nun alle Ärzte kontak- tieren möge, damit diese mir schriftlich bestätigen, dass sie nicht bereit seien, das bereits überwiesene Honorar zurück- zuüberweisen und stattdessen mit der Ersatzkasse abzurech- nen, und außerdem die Ersatz- kasse, damit diese schriftlich erkläre, dass sie in diesem mei- nem Fall nicht bereit sei, Privatliquidationen zu beglei- chen. Ich verwies in einem letzten Aufbäumen darauf, dass die verlangte Herausgabe von Arztrechnungen mit Fach- arztrichtung, Diagnose und Therapie sicherlich nicht mit den Datenschutzbestimmun- gen vereinbar wäre und ich nicht bereit sei, wegen ei-

nes Fehlers des Arbeitsamtes noch mehr Laufereien auf mich zu nehmen. Ich bekam keine Antwort mehr. Der Be- trag wurde nach vielen Ge- sprächen mit vielen Ge- sprächspartnern und vielen (bösen) Briefen nach vier Mo- naten Arbeitslosigkeit an- gewiesen. Eine Ent- schuldigung vom Arbeitsamt oder der Kranken-

versicherung habe ich nie gehört.

Zeitgleich traf ein Brief ein, dass meine Renten- beiträge der Ärztever- sorgung überwiesen worden seien. Da die Ärzteversorgung aber bereits jeden Monat den Höchstbeitrag meinem Konto abgebucht hatte, hatte ich zu viel eingezahlt. Ich wendete mich wieder an das Arbeitsamt und bekam von gleicher Bear- beiterin zu hören, dass dies nicht schlimm sei, dann bekä- me ich im Alter ja auch mehr Rente. Und falls es mich doch störe, solle ich mir doch den Differenzbetrag bei der Ärzte- versorgung zurückholen.

Unerwünscht, weil überqualifiziert

Während meiner Berufstätig- keit hatte ich mich immer schon ungesund ernährt und aß Schokolade als Nerven- nahrung in 300-Gramm-Por- tionen. Ich redete mich während meiner Berufstätig- keit immer damit heraus, dass ich mit mehr Freizeit mich wieder mehr bewegen würde, um ein paar lästige Pfunde loszuwerden und etwas gegen die Schlafstörungen zu tun.

Aber jetzt mutierte ich zum Couch-Potatoe, ernährte mich schlecht, bewegte mich immer noch nicht, nahm allen Kummer mit Kassen und Ämtern mit in den Schlaf und geisterte Nacht für Nacht um- her. Auch meine Arbeitswut war die gleiche wie zu Zeiten der Berufstätigkeit. Ich mach- te das Verfassen von Bewer- bungen zu meiner Profession und denke, ich habe die schönsten Bewerbungsmap-

pen ganz Deutschlands. Ich nahm die Tapeten von den Wänden, um dahinter zu put- zen. Ich nahm mir jeden mei- ner Ordner vor und sortierte ihn um, überprüfte den Schriftverkehr mit allen Ver- sicherungen, verglich Verträ- ge mit den Abbuchungen.

Wer weiß, wie viele Men- schen außer mir noch ihrem Arbeitsamt angeboten haben, irgendetwas ehrenamtlich zu arbeiten.Ich hatte angeboten, mit Arbeit Suchenden Bewer- bungen zu schreiben, Vorstel- lungsgespräche zu trainieren, mit ausländischen Arbeit Su- chenden Deutsch zu pauken, bei der medizinischen Betreu- ung von Obdachlosen oder Junkies zu helfen. Was auch immer. Ich hatte Angst vor der Untätigkeit und ich wollte auch gerne etwas leisten, wenn ich schon Geld vom Staat be- komme. Die lapidare Antwort war, dass dies aus versiche- rungstechnischen Gründen nicht ginge.

Die Bewerbungsverfahren schleppten sich dahin. In ei- nem Jahr habe ich genau 210 Bewerbungen geschrieben.

Trotz Ärztemangel und vieler Stellenangebote in der Indu- strie, im Gesundheitswesen und in den Krankenhausver- waltungen entsprach ich nicht den Vorstellungen. Einige we- nige äußerten ihre Beweg- gründe: überqualifiziert. Ein- mal Chef, immer Chef. Man nimmt niemandem ab, dass er sein Lebensglück anders defi- nieren könnte als über die Anzahl der ihm unterstellten Mitarbeiter.

Ich habe nun eine Stelle.

Bewerbung, Lebenslauf und Vorstellungsgespräch hatte ich so zurechtgebogen, dass meine bisherige Verantwor- tung kein Thema mehr war.

Ich verdiene künftig die Hälf- te von dem, was ich vorher hatte, und bin damit sehr zu- frieden. Ich weiß nun, dass ich mein Leben nicht lebenswer- ter lebe, wenn ich nicht er- werbstätig bin. Ich freue mich darauf, bald wieder das an- packen zu können, was ande- re haben liegen lassen. Und das mit einem Lächeln.

Dr. med. Ole Binz S T A T U S

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A2280 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3313. August 2004

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