„Megatrends” komme die Allge- meinmedizin nicht vorbei. Der Arzt müsse sich verstärkt der Ganzheits- medizin zuwenden, statt sich immer mehr zu einem nur Organe behan- delnden Spezialisten zu entwickeln.
Original-Ton Huber: Die Entwick- lung von einer organischen zu einer vernetzten Versorgung muß in Gang kommen!
Die Kontrameinung: Die Allge- meinmedizin sollte nicht isoliert und schon gar nicht in eine psychosoma- tische Ecke gedrängt werden. Nur die Anstrengungen und das Enga- gement aller und eine Aufwertung des Stellenwertes der Allgemeinme- dizin können hier etwas bewirken.
Gebietsärzte bauen
auf bewährte Aufgabenteilung
Der amtierende Vorsitzende der Akademie der Gebietsärzte, der Ro- senheimer Internist Dr. Otto Schlo- ßer, bezeichnete die kontinuierlich wachsende Zahl berufstätiger Ge- bietsärzte und die unausgewogene Versorgungsrelation als „bedenk- lich" im Hinblick auf ein eng koope- rierendes Versorgungssystem. Auch die Qualität der ärztlichen Berufstä- tigkeit könne durch Überkapazitä- ten und Versorgungsungleichge- wichte gefährdet werden. Allerdings sei von erweiterten gesetzgeberi- schen Maßnahmen wenig zu erwar- ten, so die Gebietsärzte-Akademie.
Zumindest hätten eine Pflichtweiter- bildung in den Gebieten oder eine verlängerte Vorbereitungszeit kas- senärztlich tätiger Ärzte keinen Ein- fluß auf die Versorgungsrelation zwischen spezial- und allgemeinärzt- licher Versorgung. Im Gegenteil könne sich dadurch die Neigung, ei- ne internistische Weiterbildung zu absolvieren, noch verstärken. Wenn zusätzliche Hürden aufgetürmt wür- den, bestehe die Gefahr, daß Ärzte vermehrt Heilpraktiker werden wol- len. Erforderlich sei es, die Aufga- benstellung und -teilung von allge- meinärztlich tätigen Ärzten und den Spezialisten neu zu überdenken.
Würde der „Konkurrenzkampf" bei der Erbringung medizinisch-techni-
scher Leistungen verschärft, drohe die Gefahr, daß die Familienmedizin vernachlässigt werde.
Die Gebietsärzte bewerten die ab Oktober 1988 abzuleistende AiP- Phase durchweg positiv. Dies bedeu- te zumindest einen zaghaften Schritt in Richtung einer Vertiefung von Erfahrungswissen. Die Nachwuchs- ärzte sollten den Ablauf der Praxis- phase so einrichten, daß die Aus- und Weiterbildungszeiten nicht ver- längert werden. Die geltende Vor- bereitungszeit vor der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit neben der AiP-Phase (zunächst 18, dann 24 Monate) ist nach Meinung der Ge- bietsärzte insoweit tolerabel, als dar- aus keine faktische Zulassungs- beschränkung resultiere.
Mehr Kooperation notwendig
Dr. Schloßer empfahl, im Hin- blick auf die EG-Richtlinie „Allge- meinmedizin", eine entsprechend ausgestaltete Vorbereitungszeit rechtzeitig zu dekretieren, und dabei Aus- und Weiterbildungsnotwendig- keiten aufeinander abzustimmen.
Nach Maßgabe der ab 1. Januar 1995 im GKV-System voll wirksam
Bei einigen (umstrittenen) Entschließungs- anträgen kam es zu außerordentlich knap- pen Abstimmungsergebnissen. Die Mehr- heiten waren auf einen Blick nicht zu er- kennen; es mußte ausgezählt werden
werdenden EG-Richtlinie ist es nur dann möglich, aus einem überfüllten Spezialgebiet in die Tätigkeit als praktischer Arzt überzuwechseln, wenn eine mindestens sechsmonati- ge Assistenzarztzeit in einer Allge- meinpraxis nachgewiesen worden ist. Insofern ist dies auch eine Schutzvorschrift zugunsten allge- meinmedizinisch weitergebildeter Ärzte, so Dr. Schloßer.
Die Gebietsärzte rechnen nicht mit „Kurswende" nach Inkrafttre- ten des Bedarfsplanungsgesetzes vom 1. Januar 1987. Allerdings könnten Richtlinien für die Abgren- zung der haus- von der gebietsärzt- lichen Versorgung zu einer „Befrie- dung" innerhalb der Arztgruppen führen.
Schlechte Noten erhielt auch das „Gesetz zur Befristung von Ar- beitsverhältnissen" (vom 24. Mai 1986). Die durch zeitlich befristete Assistenzarztstellen verursachte ver- stärkte Fluktuation dürfe nicht zu Unzuträglichkeiten im Versorgungs- betrieb der Krankenhäuser führen.
Die Gebietsärzte fordern mehr Plan- stellen für Gebietsärzte in Lebens- stellungen am Krankenhaus. Vier Essentials der Deutschen Akademie der Gebietsärzte:
Statt einer erweiterten insti- tutionellen vorstationären und nach- Dt. Ärztebl. 84, Heft 23, 4. Juni 1987 (25) A-1625
stationären Versorgung am Kran- kenhaus sollten das kooperative Be- legarztsystem in der Grund- und Re- gelversorgung gefördert werden.
Auch die persönliche Beteiligung und Ermächtigung qualifizierter Kli- nikärzte sei ein "Mittel der Wahl".
f) Eine schwerpunktmäßige Zentrierung der gebietsärztlichen Versorgung an das Krankenhaus und gegen die freie Entscheidung niederlassungswilliger Spezialisten wird abgelehnt.
€) Die Einbeziehung der so- wohl ambulant als auch stationär tä- tigen Klinikärzte in das System der kassenärztlichen Versorgung und die Einbindung der dadurch verselb- ständigten Klinikärzte in das Vergü-
tungssystem des Kassenarztrechtes (bei erweitertem Sicherstellungsauf- trag der Kassenärztlichen Vereini- gungen!) wird zwar im Prinzip be- grüßt, aber ihr werden allenfalls langfristig Realisierungschancen ein- geräumt.
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Eine verstärkte Kooperation zwischen Klinikärzten und in freier Praxis niedergelassenen Ärzten zur gemeinsamen Nutzung des Großge- räteparks wird empfohlen. Die La- boratoriumsmedizin müsse weiter es- sentieller Bestandteil der ärztlichen Behandlung bleiben. Die Auswir- kungen der EBM-Reform sollten sorgfältig beobachtet und eventuell Korrekturen an den Bewertungsrela- tionen vorgenommen werden.Prävention, Arzneien, Aus- und Fort- bildung, GOÄ, l{rankenhaus, AIDS ...
Bei den Beratungen zum TOP
"Tätigkeitsbericht" gab es kontro- verse und lebhafte Debatten insbe- sondere zu jenen Problemkomple- xen, die bei den voraufgegangenen Tagesordnungspunkten ausgespart worden waren oder bei denen die Delegierten ihr Anliegen pointiert wissen wollten. Es war kein leichtes Unterfangen für die 250 Ärztetags- Delegierten, auf der Basis des 544 Druckseiten starken "Tätigkeitsbe- richtes '87 der Bundesärztekam- mer" zu grundsätzlichen und aktuel- len Fragen der Sozial- und Gesund- heitspolitik sowie der ärztlichen Be- rufspolitik und im Dialog der Ärzte- schaft mit der Öffentlichkeit Posi- tion zu beziehen. Von den während des 90. Deutschen Ärztetages ge- stellten 210 Anträgen und 360 Wort- meldungen (die Zahlen für 1986: 186 Anträge; 332 Wortmeldungen) ent- fielen 76 allein auf die Beratungen zu diesem Punkt der Tagesordnung.
Die Delegierten erledigten das um- fangreiche Beratungspensum inner- halb vo11 acht Stunden (am Freitag- nachmittag und am Samstag bis 13.05 Uhr). Das 80 Seiten starke Be- schlußprotokoll ist noch von Karls- ruhe aus versandt worden.
~ Wegen der Problemfülle und der dichten Tagesordnung hatten die
Delegierten bereits zuvor (auf An- trag von Dr. Heilo Fritz, Nordrhein) beschlossen, den Tagesordnungs- punkt III , ,Berufsordnung für die deutschen Ärzte" auf den kommen- den (91.) Deutschen Ärztetag in Frankfurt (vom 10. bis 14. Mai 1988) zu vertagen.
Die Beschlußanträge des Vor- standes der Bundesärztekammer und aus der Mitte der Delegierten (einschließlich zweier revidierter Anträge) umfassen 16 weit aufgefä- cherte Themen-Komplexe mit un- terschiedlichem "Tiefgang". Neben
"Selbstläufern", die ohne längere Debatten gebilligt wurden, wurden Entschließungen eingebracht, die bis in alle Facetten erörtert wurden.
Die Zahl der angenommenen Be- schlüsse und die Zahl der an den Vorstand überwiesenen Anträge halten sich in etwa die Waage. Be- sonders kontrovers diskutierte ein- zelne Beschlüsse erhielten zum Teil nur knappe Ja- bzw. Nein-Voten.
Teilweise , ,minderheitsfraktio- niert" verliefen die Debatten, die auf Beschluß des Plenums und aus Zeitgründen vor der satzungsgemä- ßen Entlastung des Vorstandes zu beraten waren, so die Anträge zu
"Behandlung von Ärztetagsbe-
schlüssen durch den BÄK-Vor- A-1626 (26) Dt. Ärztebl. 84, Heft 23, 4. Juni 1987
stand"; "DÄ-Interview des Präsi- denten" (vgl. DÄ Heft 18/1987 um!
aktuelle Berichterstattung DA 22/1987); , ,Entschädigung von Zwangssterilisierten'', , ,Richtlinien der BAK zur Sterilisation geistig Be- hinderter" und die "Anzeigenak- tion der Vereinigung der Elektrizi- tätswerke im Zusammenhang mit der Tschernobyl-Katastrophe".
Auf Antrag von Dr. Hans-Wer- ner Viergutz, Köln, beschloß der Ärztetag: Künftig soll im Tätigkeits- bericht der Kammer über das Bera- tungsergebnis der vom Ärztetag an den BAK-Vorstand überwiesenen Beschlußanträge berichtet werden.
Dagegen ist eine Anregung nicht ge- billigt worden, wonach der Ärztetag in Nachahmung einer Art parlamen- tarischen Fragestunde , ,Anfragen'' aus den Reihen der Delegierten be- antworten soll.
Der Vorstand wurde beauftragt zu prüfen, ob die von der Bundes- ärztekammer erlassene Richtlinie über die "Zulässigkeit einer Sterili- sation geistig Behinderter aus euge- nischer und sozialer Indikation" in der derzeitigen Fassung beibehalten bleiben soll. Ein Antrag, der dafür plädierte, die Richtlinien wegen der ethischen Tragweite des Problems und einer noch nicht abgeschlosse- nen juristisch-medizinischen Diskus- sion zurückzuziehen, wurde eben- falls überwiesen.
Entscheidungshilfe in Konfliktfällen
Der Justitiar der Bundesärzte- kammer, Dr. Rainer Hess, betonte, die Richtlinie solle eine Entschei- dungshilfe für Ärzte in Konfliktfäl- len sein. Dr. Ulrich Lang, Wiesba- den, wies auf die "emotionale Di- mension" des Problems hin. Der Arzt befinde sich auf dem Boden des Rechts, wenn er sich nach Maßgabe der Richtlinie in besonders indizier- ten Fällen dazu bereit erklärt, eine Sterilisation durchzuführen. Prof.
Dr. Siegtried Kunz, Reutlingen, un- terstrich den praktischen Wert der Richtlinie als eine Entscheidungshil- fe für den Arzt. Dr. Hess hob die hohen Anforderungen und acht