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Multiplikatoren

Karl Betz · Martin Ehret · Frank Raulf

Hochschulschriften . Standort Meschede . Nr. 1/2013

(2)

Impressum

Herausgeber

Der Präsident der Fachhochschule Südwestfalen, Professor Dr. Claus Schuster Fachhochschule Südwestfalen

Baarstraße 6 58636 Iserlohn www.fh-swf.de

Autoren

Dr. habil. Karl Betz Prof. Dr. Martin Ehret Frank Raulf B.A.

ISSN Print 1866-0320 Internet 1866-0339

ISBN Print 978-3-940956-17-0 Internet 978-3-940956-18-7

Meschede 2013

(3)

Multiplikatoren  

Karl  Betz  /  Martin  Ehret  /  Frank  Raulf1  

Zusammenfassung: Studierende kommen zunächst mit dem einfachen Ausgabenmultiplikator in Kon- takt. Zwar führen alle Lehrbücher auch die Erweiterungen ein, was aber im Gedächtnis haften bleibt, ist der einfache Multiplikator, der einen (oft: drastisch) höheren Wert als empirisch gemessene Multiplikatoren auf- weist. Dieser Text gibt einen Überblick über empirische Schätzungen und zeigt sodann, dass diese der key- nesianischen Theorie keineswegs widersprechen, sondern dass die üblichen Erweiterungen des Multiplika- tors durchaus auf Werte in der empirisch gemessenen Größenordnung führen. Es wird dann im weiteren herausgearbeitet, dass diese Abschwächungen des Multiplikators aber keineswegs eine Abschwächung der Wirksamkeit des Multiplikatorzusammenhangs bedeuten, sondern dass sich die niedrigeren Werte vielmehr einer (verfälschenden) Partialbetrachtung verdanken: Einkommensabhängige Steuern verstärken in Wahrheit die Wirksamkeit von Fiskalpolitik statt sie abzuschwächen – und der niedrigere Multiplikator der offenen Volkswirtschaft heißt nicht, dass zusätzliche Staatsnachfrage weniger Einkommenswirkungen hat, sondern nur dass diese Wirkungen zum Teil anderswo (nämlich im Ausland) anfallen und daher nicht mitgezählt werden.

Stichworte: Multiplikator-Modell, Multiplikator-Schätzungen JEL: A22, E120

1 Die Autoren lehren an der Fachhochschule Südwestfalen am Standort Meschede.

(4)

Multiplikatoren  

Karl  Betz  /  Martin  Ehret  /  Frank  Raulf  

1.   Einführung  

Die Multiplikatoranalyse ist ein zentraler Baustein der makroökonomischen Theorie. Im Kern geht es dabei darum, zu untersuchen, wie sich die Änderungen einer autonomen Größe (einer exogenen Variablen oder eines Parameters) auf die endogenen Größen unter Berücksichtigung von Kreislaufwirkungen und Rückkopplungen auswirken. Das Standardlehrbuchbeispiel ist der Keynes’sche Ausgabenmultiplikator. Er beruht darauf, dass bei einer Nachfragesteigerung die Unternehmen ihre Produktion ausweiten, wodurch das Einkommen steigt. Das höhere Einkommen zieht eine höhere Nachfrage nach sich usw. In der einfachsten Variante führt die marginale Konsumneigung, die zwischen 0 und 1 liegt, zu einem Abflauen der Wirkungen von Runde zu Runde. Neben der Konsumneigung gibt es aber noch weitere Größen, die auf die Höhe des Multiplikators einwirken, wie z.B. die Importneigung oder den Grenzsteuersatz.

2.   Der  einfache  Ausgabenmultiplikator  

Der Ausgabenmultiplikator findet sich vermutlich in jedem Lehrbuch der Makroökonomie. Ausgehend von der Definitionsgleichung der Nachfrage wird ein einfaches Modell zur Erklärung der einzelnen Nach- fragekomponenten entworfen:

(1) YNE = C + I + G + NX (2) C = C0 + c ⋅ Yverf (3) Yverf = Y – T (4) T = T0

(5) I = I0 (6) G = G0 (7) NX = NX0 (8) YAT = Y (9) YAT = YNE

Alle Nachfragekomponenten außer der Konsumnachfrage werden als exogen gesetzt. Nur die Konsum- nachfrage wird (teilweise) erklärt: Sie hängt von einer exogenen, unerklärten Komponente (Co) und (linear) vom verfügbaren Einkommen ab (c · (Y – T)). Dies genügt, um das eine Charakteristikum der Keynesianischen Theorie herauszuarbeiten: Die Pläne hängen nicht, wie in neoklassischen Nachfrage- funktionen, nur von den Preisen (Preisnehmer und Mengenanpasser, notionale Pläne) sondern auch vom Einkommen ab, also von den tatsächlich realisierten Verkäufen von Faktorleistungen (effektive Pläne).2

Durch Einsetzen der Gleichungen (2) – (7) in die Nachfragegleichung ergibt sich:

YNE = C0 + c ⋅ (Y – T0) + I0 + G0 + NX0

2 Das andere, eng damit verbundene Charakteristikum besteht darin, dass die Akteure planen können, auch im Aggregat weniger auszugeben, als sie planen einzunehmen. Dies ist so weit von der Neoklassik weg, dass Barro es sogar (fälschlich) als logisch falsch bezeichnet. Diese Debatte müsste aber in einem gesonderten Aufsatz geführt werden.

(5)

2

Nach Berücksichtigung von (8) und der Gleichgewichtsbedingung (9) kann nach Y aufgelöst werden:

(

0 0 0 0 0

)

Y* 1 C c T I G NX

=1 c! " ! + + +

"

In dieser Gleichung ist der Ausdruck 1

1 c! der Ausgabenmultiplikator bzw. der einfache Multiplikator. Er gibt an, um wie viel das Gleichgewichtseinkommen steigt, wenn sich eine der autonomen Nachfragekomponenten ändert.

Je nach Höhe der marginalen Konsumneigung c, kann der Ausgabenmultiplikator unterschiedliche Werte annehmen. Die nachfolgende Tabelle zeigt einige Beispiele:

marginale Konsumneigung Ausgabenmultiplikator 0,9 0,8

0,75 0,6 0,5 0,4

10 8 2,5 3 1,667 2

In volkswirtschaftlichen Lehrbüchern lernen die Studierenden bei der Einführung des Multiplikator- modells zunächst den einfachen Staatsausgabenmultiplikator kennen. Die Werte, mit denen bei dieser ersten Einführung gerechnet wird, legen – je nach Lehrbuch – einen Multiplikator von 2 bis 5 nahe.3 In allen Lehrbüchern wird natürlich – mehr oder weniger ausführlich – herausgearbeitet, dass der Multiplikator niedriger sein wird, wenn weitere Einflussfaktoren in die Betrachtung einbezogen werden. Aber was sich im Kopf der Studierenden festsetzt, ist zunächst mal der Wert, den sie zuerst kennengelernt haben – und damit wirft sich oft die Frage auf, ob die niedrigeren empirisch gemessenen Multiplikatoren nicht das Modell selbst falsifizieren.

In Abschnitt 3 soll daher ein Überblick über die empirischen Schätzungen der Größenordnungen des Staatsausgabenmultiplikators gegeben werden, die generell auf Werte zwischen 0,5 und 1,5 kommen.

Abschnitt 4 erinnert dann kurz daran, dass Werte in dieser Größenordnung sich auch aus dem einfachen Multiplikatormodell ergeben, wenn es um einkommensabhängige Steuern und Importneigung erweitert wird.

Die empirischen Befunde stehen also keineswegs im Gegensatz zum Modell.

Aber auch diese Ergebnisse sind noch interpretationsbedürftig und dies holt Abschnitt 5 nach: Die Annahme einkommensabhängiger Steuern bedeutet implizit, dass man dem Staat eine marginale Sparnei- gung von 1 unterstellt (und so die gesamtwirtschaftliche marginale Sparquote erhöht). Wird diese Unterstel- lung weggelassen, so ist der Multiplikator bei einkommensabhängigen Steuern sogar höher als ohne diese, weil die Wirkung der ursprünglichen Erhöhung der Staatsnachfrage noch durch den Haavelmo-Effekt verstärkt wird. Und bei der Erweiterung um die Importneigung (Abschnitt 6) wird nicht der Multiplikatoreffekt abgeschwächt – wie sollte das auch gehen, die Welt als Ganze ist schließlich eine geschlossene Volkswirtschaft. Daher fällt der Multiplikatoreffekt sehr wohl an – nur halt in anderen Volkswirtschaften, so dass Globalisierung auf eine zu geringe Bereitschaft zu expansiver Fiskalpolitik führt.

Abschnitt 7 resümiert.

3 Um einige willkürliche Beispiele zu nennen: Bei Felderer/Homburg (§ 117 / § 36) ist der Wert des Multiplikators 5, ebenso bei Stiglitz (Kapitel 28) und Heine/Herr Kapitel 4. Baßeler et alt. rechnen mit einem Multiplikatorwert von 4 (S. 328f), ebenso Mankiw/Taylor (S. 872f) und Robinson/Eatwell (S. 166). Bofinger verwendet im Text einen Multiplikator von 2, in den Übungsaufgaben einen Wert von 4 bis 5 (Kapitel 17). Mit niedrigeren Multiplikatorwerten rechnen Woll (3, S. 365f) und Krugman/Wells (2 – S. 365f).

(6)

3.   Empirische  Ergebnisse  

Es gibt im Prinzip drei Arten von Schätzungen der Höhe eines Multiplikators: Erstens Schätzungen innerhalb eines theoretischen Modells, zweitens und nahe verwandt damit Schätzungen im Rahmen eines ökonometrischen Modells sowie drittens die Auswertung empirischer Daten der Vergangenheit mittels VAR Schätzungen (Vektor-Auto-Regression sowie structural VAR und Impulse-Response-Funktionen).4

Ein theoretisches Modell unterscheidet sich von einem ökonometrischen im Wesentlichen darin, dass bei jenem die Verhaltensannahmen nicht unterstellt werden, sondern aus dem optimierenden Verhalten der Agenten hergeleitet werden. In einem theoretischen Modell wird z.B. nicht ein konkreter Wert für die marginale Konsumquote vorgegeben, sondern diese wird (im einfachen Fall) als Parameter behandelt. Oder, wenn man es komplizierter mag: In neukeynesianischen Modellen wird die Konsumnachfrage aus dem intertemporalen Nutzenmaximierungskalkül eines oder mehrerer repräsentativer Haushalte bestimmt. In ökonometrischen Modellen werden hingegen die Verhaltensweisen (marginale Konsumquote, Zinselastizität der Investitionen etc.) aus den Werten der Vergangenheit bestimmt und für das Modell fest vorgegeben.5

In einer VAR Schätzung (oder structural VAR Schätzung) schließlich wird nach den in der Vergangenheit empirisch beobachteten Zusammenhängen gefragt. Also beispielsweise: Um wie viel ist in der Vergangenheit das Einkommen gestiegen, wenn die Staatsausgaben um 1% des BIP erhöht wurden. Aber hier sind die Ergebnisse nicht so eindeutig, wie man denken sollte (schließlich haben alle Autoren die gleichen Datensätze und die gleichen Ökonometrie-Programmpakete), denn es bleibt die Frage, welche Zeiträume und Länder ausgewählt werden und welche lag-Struktur unterstellt wird. Darüber hinaus ist es auch gar nicht so einfach, die Höhe des fiskalischen Effekts zu bestimmen. Dem Konjunkturprogramm der Obama-Regierung in den Jahren 2008/09 etwa standen Ausgabenreduktionen auf Bundes- und Gemeindeebene gegenüber, so dass zum einen die Nettoveränderung zu ermitteln wäre und zum zweiten gefragt werden kann, wie viel von der jeweiligen Staatsausgabenänderung wirklich autonom und nicht durch die Konjunktur induziert war.

Schließlich würde niemand erwarten, dass der Multiplikatoreffekt bei ausgelasteten Kapazitäten der gleiche wie bei unterausgelasteten ist. Im ersten Fall geht die Wirkung der zusätzlichen Nachfrage in die Preise statt in das Realeinkommen. Und niemand würde erwarten, dass zusätzliche defizitfinanzierte Ausgaben mitten in einer Zahlungsbilanz- oder einer Schuldenkrise die gleiche Wirkung haben, wie bei problemloser Finanzierung.6

Und letztlich ist es auch nicht ganz egal, wofür das zusätzliche Geld ausgegeben wurde. Geht es z.B. in staatliche Beschäftigungsprogramme, so ist der Importanteil der ersten Ausgabenrunde gering und man würde deswegen einen höheren Multiplikatoreffekt erwarten.

Wie auch immer. Es geht hier um den Kontrast zwischen der Höhe des empirisch gemessenen Effekts und dem nach dem Modell (des einfachen Einkommens-)multiplikators erwarteten Effekt. Daher beschränkt sich dieser Abschnitt darauf, einige Ergebnisse empirischer Schätzungen, also von VAR bzw. structural VAR (und impulse-response) Untersuchungen zu berichten.

Bei der Interpretation der Übersicht ist zu beachten, dass nicht der gesamte Multiplikatoreffekt sofort anfällt. Die Impact-Wirkung, also die Erhöhung des Einkommens im Quartal, in dem die Staatsausgaben getätigt werden, ist damit nur ein Teil der Wirkung; in späteren Runden bewirkt der ursprüngliche Anstieg der Nachfrage ein weiterhin erhöhtes Einkommen.

4 Für eine umfangreichere Darstellung unterschiedlicher Schätzmethoden sowie eine tabellarische Übersicht über Ergebnisse auch von Schätzungen für einzelne Länder siehe Spillimbergo et alt. (2009). Ergebnisse unterschiedlicher ökonometrischer Modelle berichtet z. B. auch in tabellarischer Übersicht OECD (2009).

5 Damit können sich in einem theoretischen Modell im Unterschied zum ökonometrischen Modell die Verhaltens- parameter ändern. Z.B. könnte (Barro) die Konsumnachfrage sinken, wenn die Staatsverschuldung steigt. Allerdings sind erstens die Präferenzen exogen vorgegeben und zweitens wird z.B. in neukeynesianischen Modellen der Anteil der kreditrationierten Haushalte exogen vorgegeben. Da diese Parameter bei der Kalibrierung der Modelle mit Blick auf die ökonomische Entwicklung der Vergangenheit gewählt werden, könnte man auch zynisch sagen, dass die

„rein theoretischen Modelle“ eine mathematisch kompliziertere Variante der ökonometrischen Modelle sind.

6 So betonen Christiano et alt. (2009) den höheren Wert des Multiplikators in der Liquiditätsfalle.

(7)

4

Quelle Impact 4 Quartale 8 Quartale

Acconcia (2011) 1,2 - 1,8

Auerbach / Gorodnichenko

(2012) Multiplikatoren sind in Rezessionen höher.

Barro (2009) Der Staatsausgaben-Multiplikator ist zwar positiv, aber später müssen zur Finanzierung des Defizits Steuern erhoben werden und der Steuer-Multiplikator ist negativ. Der Steuermultiplikator ist vom Betrag her größer als der Staatsausgaben-Multiplikator, so dass der Gesamteffekt negativ ist.7

Batini Der (Impact-)Multiplikator liegt in Rezessionsphasen (Aufschwungsphasen) in:

Euro-Land: bei rund 2 (0,5) Japan: bei 1,3 (0,7) USA bei 1,96 (0,95) Blanchard/Perotti

deterministic trend (1) 0.84 0.45 0.54

Blanchard/Perotti

stochastic trend (1) 0.9 0.55 0.65

Corsetti et alt. (2012) Die Höhe des Multiplikators hängt vom ökonomischen Umfeld ab: Lässt die Geldpolitik eine reale Aufwertung zu? Und der Multiplikator ist in Zeiten von Finanzkrisen höher: Sie schätzen ihn für diesen Fall in der Nähe von 2.

Galí, et al. (1) 0.41 0.31 0.68

Gordon / Krenn (2010) Finden, dass im Zeitraum 1939 – 41 der Multiplikator in den USA für die Zeit der Unterauslastung der Produktion doppelt so hoch war (1,8), wie in der Folgezeit der Kriegsproduktion (0,88).

Ilzetzki / Végh (2008)

OECD / Developing 0,4 / 0,6 0,7 / 0,4 0,9 / 0,1

Ilzetzki et alt. (2011) - OECD / Developed - geringer / hoher Außenhandelsanteil - Verschuldungsgrad niedrig / hoch

0,41 / 0,51 0,46 /- 0,23 0,73 / -0,18

(long run) 1,15 / 0,75 0,70 / 0,51 0,41 / -2,3 IMF (2008) (OECD /

Developing) 0,2 / 0,1 0,5 / -0,2

Mountford-Uhlig (1) 0,65 0,27 -0,74

Perotti (1) 0.70 1,1 1,2

Ramey (1) 0,37 0,7 0,37

Ramey (2011) Zwischen 0,8 und 1,5

Ramey (2012) Erhöht zwar den Output, aber nur die Beschäftigung im Staatssektor. Der Output des privaten Sektors steigt nicht, weil zugleich die Konsumnachfrage zurück geht.8

(1) Angaben nach Hall (2009), S. 12

7 Nur geht es darum nicht: Was mit deficit spending erreicht werden soll, ist eine Glättung der Konjunktur. Und wenn so im Abschwung ein expansiver und im Aufschwung ein kontraktiver Effekt entstünde, wäre das ja genau das, was der Doktor verschrieben hat.

8 Das Problem ist, dass damit unterstellt wird, dass die Konsumneigung wegen der höheren Staatsnachfrage sinkt. Ein konjunktureller Impuls wird aber im Kontext einer Krise eingesetzt, so dass die private Nachfrage ebensogut wegen der Krise (und nicht wegen des Defizits) gesunken sein kann (Angstsparen). Dann wäre erstens der Multiplikatoreffekt höher als geschätzt, und er wäre zweitens sogar noch höher, wenn die Erwartung eines staatlichen Konjunkturprogramms die Neigung zum Angstsparen abschwächt.

(8)

Wie der Tabelle zu entnehmen ist, wird die empirische Höhe des Staatsausgabenmultiplikators in der Gegend zwischen 1 und 1,5 eingeschätzt. Eine Reihe von Untersuchungen streichen darüber hinaus heraus, dass diese Höhe vom ökonomischen Umfeld abhängig ist – einerseits von strukturellen Variablen wie Offenheitsgrad (wobei der Multiplikator für einen höheren Offenheitsgrad niedriger ist), Entwicklungsstand der Volkswirtschaft (hier ist der Multiplikator in den OECD Ländern höher) und Wechselkursregime (bei flexiblen Wechselkursen ist der Multiplikator niedriger) und andererseits vom konjunkturellen Umfeld (in der Rezession ist er höher) und von der Reaktion der Geldpolitik (bei akkommodierender Geldpolitik ist der Multiplikator höher9).

4.   Erweiterungen  des  Ausgabenmultiplikators    

Der einfache Multiplikator 1/(1 – c) unterstellt eine geschlossene Volkswirtschaft ohne Einkommen- steuern. Nimmt man diese beiden Einflussfaktoren auf, verändern sich zwei Verhaltensgleichungen.

Erstens wird Gleichung (4) zu (4a): Das Steueraufkommen ist gleich dem Steuersatz t mal dem Einkommen.

(4a) T = t ⋅ Y

Zweitens geht in einer offenen Volkswirtschaft ein Teil der Nachfrage als Nachfrage nach Importgütern ins Ausland und wird statt im Inland dort nachfragewirksam. Von jedem weiteren Euro, der verdient wird, werden also m Euro (m < 1) für Importe ausgegeben. Dadurch wird Gleichung (7) zu (7a):

(7a) IM = IM0 – m ⋅ Y

Aufgrund dieser beiden Einflüsse wird der Multiplikator zu:

(

1 t

)

m

M 1

1 c ! +

= ! "

Unterstellt man wie oben eine marginale Konsumneigung von 0,6, einen Steuersatz t von 0,3 und eine marginale Importquote m von 0,4 so wird aus einem Multiplikatorwert von 2,5 nun ein Multiplikator von

(

1 0,3 0,4

)

1,02

M 1

1 0,6 " + !

= " # .

Die augenscheinliche Übereinstimmung der Größenordnungen der ökonometrischen Schätzungen und der keynesianischen Modelle ist offensichtlich. Zur genaueren Untersuchung sollen nun zunächst die Staatsaus- gaben und Einnahmen betrachtet werden. Anschließend wird die Importquote eingehender durchleuchtet.

5.   Bang  for  the  Buck  

Wir betrachten zunächst eine geschlossene Volkswirtschaft und untersuchen nur den Einfluss des Steuersatzes. Der Multiplikator für diesen Fall ist

1

( )

M=1 c 1 t

! " ! .

Gesetzt den Fall, der Staat erhöhe seine autonomen Ausgaben um 100. Dann steigt das Einkommen beim einfachen Multiplikator um

dY = 2,5 ⋅ dG = 250,

während es jetzt, beim niedrigeren Multiplikator mit einkommensabhängigen Steuern, nur noch um

9 Hier überschneiden sich strukturelle Einflüsse und Umfeld: Bei festen Wechselkursen muss die Geldpolitik akkommodieren, um eine Aufwertung zu verhindern.

(9)

6

dY = 1,724 ⋅ dG = 172,4

steigt. Woran liegt das? – Der Grund ist die implizite Annahme, dass der Staat die zusätzlichen Steuer- einnahmen einbehält. Bei einer Kopfsteuer fallen bei einer expansiven Fiskalpolitik keine zusätzlichen Steuereinnahmen an. Bei einkommensabhängigen Steuern hingegen steigen die Steuern um t ⋅ dY. Bei unseren Beispielwerten steigen die Steuern und damit die staatliche Ersparnis um 51,7. Und diese zusätzliche Ersparnis dämpft die Nachfrage.

Erhöht sich im Beispiel das Einkommen um 1 €, dann sparen die privaten Haushalte von ihrem verfüg- baren Einkommen zwar nach wie vor 40 Cent. Da sie von ihrem Einkommen aber nur 70 Cent behalten dürfen, ist die zusätzliche private Ersparnis pro zusätzlichem € Einkommen auf (1 – c) ⋅ (1 – t) (= 28 Cent) gefallen. Zusätzlich spart aber der Staat den vollen Einkommensteuersatz pro € von t (also hier: 30 Cent).

Insgesamt beträgt die marginale Sparquote in der Volkswirtschaft jetzt s = sP + sG = (1 – c) ⋅ (1 – t) + t = 1 – c – t + c ⋅ t + t = 1 – c ⋅ (1 – t) = 0,58

Einkommensabhängige Steuern senken mithin den Multiplikator, weil sie die gesamtwirtschaftliche marginale Sparquote erhöhen.

Heißt das nun, dass der Multiplikatorprozess bei einer höheren Staatsquote nicht mehr oder nur noch weniger effektiv funktioniert?

Nein, vielmehr gibt es zwei Möglichkeiten, das Ergebnis zu interpretieren.

(a) Man kann sagen, dass eine expansive Politik zwar einen geringeren Effekt hat, dafür aber auch weniger kostet. Beim einfachen Multiplikator hätte eine Erhöhung der Staatsausgaben um 100 das Einkommen um 250 und die Staatsverschuldung eben auch um 100 erhöht. Durch die induzierten, zusätzlichen Steuereinnahmen (den Selbstfinanzierungseffekt) steigt das Einkommen zwar nur noch um 172,4, aber dafür kostet diese Einkommenserhöhung den Staat auch weniger: Die Staatsschulden steigen jetzt nur noch um:

dG – dT = 100 – 272,4 ⋅ 0,3 = 48,3.

Um den gleichen Effekt wie beim einfachen Multiplikator zu erzielen, hätten die autonomen Staatsausgaben um etwas weniger als das doppelte angehoben werden müssen – und hätten immer noch eine geringere Verschuldung hinterlassen als zuvor.

(b) Es kann alternativ auch gefragt werden, welchen Effekt eine Erhöhung des Defizits um 100 auf das Einkommen hätte. In diesem Fall müsste unterstellt werden, dass der Staat zusätzlich anfallende Steuerein- nahmen nicht spart, sondern sofort wieder ausgibt, so dass das Budgetdefizit konstant bliebe. Der Multiplikator hierfür nennt sich „Bang for the Buck“ (Krugman (2009)) und er ist größer als der einfache Ausgabenmultiplikator.

Die Staatsausgaben steigen jetzt um die induzierten Steuereinnahmen:

(6a) G = G0 + T (4a) T = t ⋅ Y

1 1

BftB 3 57

1 c 1 t t 1 0 6 1 0 3 0 3 ,

( ) , ( , ) ,

= = =

! " ! ! ! " ! !

Als Einteilung der Größenklassen ergibt sich im Vergleich.

( ) ( )

1 1 1

1 c

1 c 1 t < <1 c 1 t t

!

! " ! ! " ! !

Beim Bang for the Buck sinkt die gesamtwirtschaftliche Sparneigung, weil ein Teil des Einkommens der Haushalte, die eine positive Sparneigung haben, zum Staat umverteilt wird, der jetzt eine Sparneigung von Null hat.

(10)

Dadurch, dass der Staat einen Teil des zusätzlichen Einkommens wegsteuert, können die Privaten aus diesem Einkommen weniger sparen und die gesamtwirtschaftliche marginale Sparquote sinkt, weil der Staat dieses Steueraufkommen eben nicht spart. Die gesamtwirtschaftliche Sparneigung sinkt so von 0,4 auf 0,28 und eine geringere Sparneigung impliziert einen höheren Multiplikator. Einkommensabhängige Steuern schwächen die Wirksamkeit von Fiskalpolitik also nicht ab, sondern sie erhöhen sie sogar.

6.   Die  offene  Volkswirtschaft  

Bei vielen Ländern muss das Ausland beachtet werden, weil sie eine beträchtliche Menge an Gütern importieren bzw. exportieren. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen „versickert“ ein Teil der zusätzlichen Nachfrage im Ausland, zum anderen kann die dadurch ausgelöste Einkommenssteigerung im Ausland auch die heimischen Exporte beleben. Wenn Volkswirtschaften wie die USA oder ein Wirtschafts- raum wie die EU einen Aufschwung erleben und mehr importieren, dann sind diese Importe so bedeutsam, dass dadurch auch das Einkommen bei den Außenhandelspartnern ansteigt. Diese Entwicklung wirkt nun auf das inländische Einkommen zurück: Der Aufschwung bei den Handelspartnern führt dort zu steigenden Ein- kommen und Importen. Das Inland kann also mehr exportieren. Es entsteht somit ein Rückkopplungseffekt.

Berücksichtigt man diese Effekte, so ergibt sich der folgende Multiplikator

Y 1

A 1 c m m m

1 c m

! =

"

! # + #

# +

*

* *

Darin ist m die marginale Importneigung und m* die marginale Importneigung des Auslands10.

Dieser Multiplikator ist immer kleiner als der entsprechende Multiplikator in der geschlossenen Volkswirtschaft. Solange im Ausland gespart wird, kann die Nachfrage, die über die Importe abfließt, nicht vollständig zurückkommen. Gehen wir beispielsweise davon aus, dass die marginale Importneigung im In- und Ausland jeweils 30% beträgt und die Konsumneigung auch im Ausland bei 0,6 liegt, dann nimmt der Multiplikator den Wert 1,75 an.

Allerdings bedeutet dieser Multiplikator nicht, dass durch die Öffnung der Grenzen ein Teil des expansiven Impulses einer Nachfragesteigerung verloren geht. Er fällt nur außerhalb der Grenzen an. Dies ist analog zu der Tatsache, dass die Weltwirtschaft als Ganzes immer eine geschlossene Volkswirtschaft darstellt. Darauf weist auch Krugman im Zuge seiner Kontroverse mit Peer Steinbrück während der Finanzkrise 2008 hin (Krugman (2008a) und (2008b)).

Allgemein betont Stiglitz: “... countries may spend less than the optimal amount on stimulus packages, as they balance the benefits of the stimulus with the cost of extra debt burdens. Furthermore, they may try to distort their stimulus packages so that more benefits accrue domestically. The net result is that the overall global stimulus impact will be sub-optimal: all may suffer.” (Stiglitz (2010), S. 9). Weil also nationale Fis- kalpolitik externe Effekte in anderen Ländern zeitigt, entsteht das gleiche Problem wie immer bei positiven externen Effekten: Die Politiker achten nur auf die Wirkungen bei ihren eigenen Wählern und treffen daher Entscheidungen, die für die Welt insgesamt zu einer „Unterversorgung mit Fiskalpolitik“ führen.

10 Für sehr kleine m* ergibt sich der Multiplikator der kleinen offenen Volkswirtschaft. Hier geht man davon aus, dass das betrachtete Land so klein ist, dass von ihm keine Auswirkungen auf die Weltwirtschaft ausgehen.

(11)

8

7.   Fazit  

Die Diskussion hat gezeigt, dass die Effekte, die im Einkommen-Ausgaben-Modell zu einem kleineren Multiplikator führen, aus einer Partialbetrachtung resultieren. Zum einen werden die Wirkungen und Rückwirkungen des Auslands vernachlässigt, zum anderen wird der Selbstfinanzierungseffekt der Staatsausgaben ausgeblendet. Allerdings ist zu bedenken, dass ein Haushaltsdefizit Bestandswirkungen hat, indem es den Schuldenstand ansteigen lässt mit möglicherweise negativen langfristigen Effekten. Diese Bestandswirkungen können dann, aber auch nur dann, ausgeblendet werden, wenn man davon ausgeht, dass dem Schuldenaufbau in der Krise ein Schuldenabbau im Boom gegenübersteht.

(12)

Literatur  

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Felderer, Bernhard / Homburg, Stephan (2005) Makroökonomik und neue Makroökonomik. Berlin 92005.

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Referenzen

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