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FREIZEITANGEBOTE FÜR KINDER MIT FLUCHTERFAHRUNG

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Academic year: 2022

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FREIZEITANGEBOTE FÜR KINDER MIT

FLUCHTERFAHRUNG

ERGEBNISSE DER WISSENSCHAFTLICHEN BEGLEITUNG

Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung Gesellschaft und Kultur Nr. 88

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0 0 2 .

FREIZEITANGEBOTE FÜR KINDER MIT FLUCHTERFAHRUNG

Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung

HERAUSGEBERIN

Baden-Württemberg Stiftung gGmbH Kriegsbergstraße 42

70174 Stuttgart VERANTWORTLICH Birgit Pfitzenmaier,

Baden-Württemberg Stiftung REDAKTION

Denise Uhlenbrock,

Baden-Württemberg Stiftung AUTOREN

Prof. Dr. Heinz Reinders, Tamara Ehmann, Universität Würzburg KONZEPTION UND GESTALTUNG

srp. Werbeagentur GmbH, Freiburg www.srp.de

DRUCKEREI

Burger Druck, Waldkirch

BILDMATERIAL

Alle Bilder stammen aus den Projekten.

© Juli 2018, Stuttgart

Schriftenreihe der Baden-Württemberg Stiftung; Nr. 88

ISSN: 2366-1437

IMPRESSUM

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. 0 0 3

FREIZEITANGEBOTE FÜR KINDER MIT FLUCHTERFAHRUNG

ERGEBNISSE DER WISSENSCHAFTLICHEN BEGLEITUNG

HINWEIS

Bei allen Bezeichnungen, die auf Personen bezogen sind, meint die gewählte Formulierung alle Geschlechter, auch wenn aus Gründen der leichteren Lesbarkeit nur die männliche Form erwähnt ist.

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0 0 4 .

INHALT

VORWORT BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG 006

VORWORT DES MINISTERIUMS FÜR SOZIALES UND INTEGRATION BADEN-WÜRTTEMBERG 008

VORWORT DER HEIDEHOF STIFTUNG 010

1. EINLEITUNG 012

2. AUSGANGSLAGE 017

3. KONZEPTIONELLER RAHMEN 019

3.1 Vorstellungen von gelungener Integration 020

3.2 Institutionelle Gelingensbedingungen für Integration 022

3.3 Zusammenfassung 025

4. DIE WISSENSCHAFTLICHE BEGLEITSTUDIE 026

4.1 Zielsetzung 028

4.2 Fragestellungen 028

4.3 Design der wissenschaftlichen Begleitstudie 029

4.4 Untersuchungsmethoden 031

4.5 Stichprobenbeschreibung 033

4.5.1 Inhalte der Freizeitangebote 037

4.5.2 Institutioneller Kontext der Projekte 039

4.5.3 Personelle Ressourcen 040

4.5.4 Finanzielle Ressourcen 043

4.5.5 Zielgruppe 048

4.6 Zusammenfassung 050

5. ERGEBNISSE DER WISSENSCHAFTLICHEN BEGLEITSTUDIE 051 5.1 Ressourcen, Ziele und Erwartungen der Projekte 052

5.1.1 Erfahrungen in der Migrationsarbeit 052

(5)

. 0 0 5

5.1.2 Ziel und Zielerreichung 053

5.1.3 Herausforderungen der Organisation 056

5.1.4 Möglichkeiten und Unterstützung in der Projektumsetzung 060

5.1.5 Bilanzierung des aktuellen Projekts 063

5.1.6 Zusammenfassung 064

5.2 Die Perspektive der Projektverantwortlichen 066

5.2.1 Institutionelle Bedingungen – Zugang zum Angebot 068 5.2.2 Institutionelle Bedingungen – Supervision 071 5.2.3 Institutionelle Bedingungen – Interkulturelle Öffnung der Institution 074 5.2.4 Institutionelle Bedingungen – Schulungen zu interkultureller Kompetenz 076 5.2.5 Interaktionsbedingungen – Beziehungsarbeit mit den Eltern 078 5.2.6 Interaktionsbedingungen – Beziehungsarbeit mit den Kindern 082 5.2.7 Individuelle Bedingungen – Sprachförderung 084

5.2.8 Zusammenfassung 087

5.3 Zufriedenheit und Veränderungsabsichten im Projektverlauf 088 5.3.1 Zufriedenheit und Veränderungsabsichten auf der institutionellen Ebene 089 5.3.2 Zufriedenheit und Veränderungsabsichten auf der Interaktionsebene 094 5.3.3 Zufriedenheit und Veränderungsabsichten auf der Individualebene 097 5.3.4 Besondere Entwicklungsdynamiken im Institutionenvergleich 099

6. ZUSAMMENFASSUNG 102

6.1 Ressourcen, Ziele und Erwartungen der Projekte 103 6.2 Wahrnehmung der Projektverläufe durch die Experten aus den Projekten 103

6.3 Dynamiken im Projektverlauf 105

6.4 Gesamtfazit 106

7. PROJEKTBESCHREIBUNGEN – KURZDARSTELLUNG DER PROJEKTE DES PROGRAMMS 108

„PÄDAGOGISCHE FREIZEITANGEBOTE FÜR KINDER MIT FLUCHTERFAHRUNG“

QUELLENVERZEICHNIS 166 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 167 TABELLENVERZEICHNIS 169 SCHRIFTENREIHE DER BADEN-WÜRTTEMBERG STIFTUNG 170

(6)

0 0 6 .

im Jahr 2015 kamen viermal so viele Men- schen aus Krisengebieten nach Deutschland wie noch im Jahr zuvor. Unter den Zugewan- derten befanden sich nicht nur Erwachsene, sondern auch viele Kinder und Jugendliche.

Viele von Ihnen mussten ohne ihre Familie nach Deutschland fliehen.

Neben den asylrechtlichen Fragen und den gesellschaftspolitischen Diskursen wurde oftmals übersehen, dass die minderjährigen Geflüchteten die gleichen Bedürfnisse ha- ben wie diejenigen, die hier im Land aufge- wachsen sind. Neben den traumatischen Erlebnissen und der langen Fluchtgeschichte gilt auch für diese Kinder das Recht auf Frei- zeit, Spiel und Erholung.

Daher ist es der Stiftung Kinderland Baden- Württemberg ein großes Anliegen, dass diese Kinder ihre Unbeschwertheit zurück- gewinnen können und ihnen eine altersge- rechte Kindheit ermöglicht wird.

Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg in Koope- ration mit der Heidehof Stiftung und dem Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg im Jahr 2015 das Pro- gramm Pädagogische Freizeitangebote für Kinder mit Fluchterfahrung aufgelegt. Ziel war es, innovative Projektideen zu initiie- ren, die Kinder mit Fluchterfahrung in ihrer Entwicklung und Integration fördern und unterstützen. Dabei sollen die Kinder ermu- tigt werden, ihr Umfeld außerhalb der Un-

terkünfte zu erkunden und kennenzuler- nen. Mit Hilfe von attraktiven Freizeitange- boten sollen Freundschaften zu Gleichaltri- gen geschlossen sowie die Lebensfreude und das Selbstbewusstsein geweckt wer- den.

Insgesamt 28 Modellprojekte konnten in den vergangenen drei Jahren landesweit durch die Stiftung Kinderland Baden-Würt- temberg gefördert werden. Unter Einbezug von ehrenamtlich Engagierten und in Zu- sammenarbeit mit den hiesigen Gemein- schaftsunterkünften, mit Vormündern und Eltern wurden die Fähigkeiten und Stärken der geflüchteten Kinder spielerisch weiter- entwickelt.

Der vorliegende Abschlussbericht gewährt Ihnen einen umfangreichen Einblick in die Umsetzung des Programms und stellt die Ergebnisse der wissenschaftlichen Beglei- tung vor.

Unser Dank gilt allen, die zum Erfolg des Programms beigetragen haben. Den Mitar- beitenden der Heidehof Stiftung und des Ministeriums für Soziales und Integration für die gute Zusammenarbeit sowie Herrn Prof. Dr. Reinders und seinem Team der Uni- versität Würzburg für die kompetente wis- senschaftliche Begleitung und Auswertung des Programms. Unser ganz besonderer Dank gilt den beteiligten Projektträgern und den jeweiligen Projektverantwortli- chen für ihr großes Engagement.

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

(7)

. 0 0 7

Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung

Christoph Dahl

Birgit Pfitzenmaier, Abteilungsleiterin Gesellschaft & Kultur

Birgit Pfitzenmaier Wir würden uns freuen, wenn die vorlie-

gende Publikation auf breites Interesse und im besten Fall auch auf Nachahmer stößt.

Hierzu finden Sie im Anhang ausführliche

Beschreibungen der geförderten Projekte sowie Ansprechpartner für weitergehende Informationen.

(8)

0 0 8 .

Über die Hälfte der etwa 65 Millionen Menschen, die auf der Flucht sind, sind unter 18 Jahren. Sie fliehen vor Krieg und Gewalt, vor der Rekrutierung als Soldat oder vor einer Zwangsheirat. Sie fliehen mit ihren Eltern, mit ihren Geschwistern oder allein. Eine Perspektive in ihrer Heimat haben sie nicht.

Wochen- oder monatelang sind sie unter- wegs – manche noch länger. Kleidung und ein Handy, mehr haben sie meist nicht dabei. Angst ist ihr ständiger Begleiter.

Kinder mit Fluchterfahrung sind in erster Linie Kinder. Sie wollen spielen und Spaß haben. Sie wollen lernen und Neues ent decken. In Deutschland angekommen, wünschen sie sich nichts sehnlicher als neu anzufangen und möglichst rasch zur Nor- malität zu finden.

Genau hier setzt das gemeinsame Pro- gramm Pädagogische Freizeitangebote für Kinder mit Fluchterfahrung der Stiftung Kin- derland Baden-Württemberg, des Ministe- riums für Soziales und Integration Baden- Württemberg und der Heidehof Stiftung an.

Im Frühjahr 2015 ging es los, 28 Projekte, drei Jahre lang. Eine wissenschaftliche Beglei- tung hat dafür gesorgt, dass viele Prozesse dokumentiert, systematisiert und reflek- tiert werden. Hindernisse und Probleme

konnten identifiziert werden, aber auch Fak- toren, die das pädagogische Handeln mit Kindern mit Fluchterfahrung erfolgreich gestalten können. Diese Erkenntnisse kön- nen die Grundlage für unser künftiges Han- deln bilden.

Kinder mit und ohne Fluchterfahrung fan- den über die Projekte zusammen, haben sich kennengelernt, sind Freundinnen und Freunde geworden. Sie haben gemeinsam Theaterstücke erprobt und aufgeführt. Sie haben den Bodensee erkundet und die heimische Natur entdeckt. Sie haben ge- meinsam tanzen gelernt und getanzt. Sie haben gemeinsam musiziert und Fußball gespielt. Es gab Mutter-Tochter- und Vater- Sohn-Tage. Es gab Zirkus workshops. Und es gab gemeinsame Zeltlager und span- nende Diskussionen darüber, was Heimat eigentlich ist.

Das Programm war ein voller Erfolg. Über 6.000 Kinder und Jugendliche haben davon profitiert. Sie haben erfahren, wie der Alltag bei uns aussieht, haben sich zurechtgefun- den und sind ein Stück weit angekommen.

MINISTERIUM FÜR SOZIALES UND INTEGRATION

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. 0 0 9

Ich danke der Stiftung Kinderland Baden- Württemberg und der Heidehof Stiftung für die konstruktive und vertrauensvolle Zu- sammenarbeit. Gemeinsam ist es uns ge- lungen, diesen Kindern nicht nur etwas Freude, ein paar schöne Momente oder die Möglichkeit zu geben, neue Freundinnen und neue Freunde zu finden. Es ist uns ge- lungen, diesen Kindern auch etwas zu geben, was eigentlich selbstverständlich ist:

Das Recht auf Entfaltung.

Herzlichst Ihr

Manne Lucha MdL

Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg

Manne Lucha MdL

(10)

0 1 0 .

Es hat uns sehr gefreut, dass die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg schnell und abseits aller politischen Diskussionen erkannt hat, dass insbesondere für geflüch- tete Kinder in der Fläche Angebote geschaf- fen werden sollten.

Die Schwierigkeit war dabei, solche Institu- tionen zu finden, die Projekte kinderspezi- fisch, öffnend und integrativ entwickeln können. Es hat uns deshalb freudig über- rascht, dass sich verschiedene Einrichtun- gen in kurzer Zeit mit einer Vielzahl von spannenden und sehr guten Projektideen beworben haben.

Die Bedürfnisse der Kinder sind bei den vie- len Problemen der Fluchtfamilien schlicht zu kurz gekommen. Wir wollten nicht nur Hilfe bei der Bewältigung von Traumata bieten, sondern vor allem auf vielfältige Weise die Neugier auf das Gastland Deutsch- land, unser Leben, Denken und unsere Nor- men wecken. Erwachsene tun sich in der Regel deutlich schwerer, sodass Kinder und Jugendliche mit ihren Erfahrungen in die Familien integrativ „hineinstrahlen“ kön- nen.

Dies betrifft sowohl den schulischen wie auch den außerschulischen Bereich. In der Vielzahl der Alltagsproblemlagen sollten die Kinder und Jugendlichen Angebote wahr- nehmen können, bei denen sie einfach Kind sein dürfen, unabhängig von sozialer, fami- liärer und materieller Situation. Es wird bei vielen Teilnehmern der Programme so sein, gleich wie die künftigen Lebenswege ausse- hen werden, dass die positiven Erinnerun- gen an die unterschiedlichen Projekte blei- ben werden.

Die Heidehof Stiftung hat sich gerne an der Projektfinanzierung beteiligt und hofft, dass vor Ort Weiterfinanzierungsmöglich- keiten für die gelungenen Projekte ermög- licht werden.

HEIDEHOF STIFTUNG

(11)

. 0 1 1

Ein Dank geht an all diejenigen, die schnell und mit Offenheit Angebote entwickelt haben und sich mit viel Engagement um die Kinder und Jugendlichen gekümmert haben. Sie haben sicher außerhalb aller gro- ßen Diskussionen dazu beigetragen, dass Baden-Württemberg als weltoffenes und der Humanität verpflichtetes Land wahrge- nommen wird.

Michael Brenner, Geschäftsführer der Heidehof Stiftung

Michael Brenner

(12)

0 1 2 .

Die westlichen Industrienationen befinden sich seit geraumer Zeit in einem erheblichen sozialen Wandel. Zentraler Auslöser für die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse sind in den letzten zehn Jahren vor allem globale Wanderungsbewegungen von Süd- ost nach Nordwest – aus dem afrikanischen und arabischen Raum nach Europa und von Ost- nach Westeuropa. Hiervon ist auch und gerade Deutschland in erheblichem Maße betroffen. Nach der ersten Wanderungsbe- wegung seit den 1950er-Jahren durch die sog.

„Gastarbeiter“-Generation und der umfang- reichen Migration aus Osteuropa Anfang der 1990er-Jahre ist die Fluchtbewegung in den 2010er-Jahren die dritte signifikante Zuwan- derungssituation für Deutschland.

Diese „neue Zuwanderung“ übertrifft nicht nur zahlenmäßig alle vorherigen Migrati- onsprozesse nach Deutschland. Über eine Million Menschen sind seit 2014 vor Krieg, Zerstörung, Verfolgung und Hunger aus Angst um ihr Leben oder das Leben ihrer Familie nach Deutschland eingereist – so viele wie noch nie in einem solch kurzen Zeitraum. Darüber hinaus haben sich auch die Abwanderungsländer deutlich verän- dert. Waren es in der noch jungen Bundesre- publik vor allem Menschen aus der Türkei, Griechenland und Italien, im noch jungen vereinten Deutschland die Länder der ehe- maligen Sowjetunion sowie Jugoslawiens, so sind es aktuell vor allem Afghanistan und Syrien, die das Migrationsbild bestimmen.

„Neue Zuwanderung“ bedeutet demnach,

dass Deutschland hinsichtlich der Zahl der Geflüchteten und den für Deutschland noch ungewohnten Herkunftskulturen vor neuen Herausforderungen steht.

Und diese Herausforderungen der „neuen Zuwanderungen“ sind bereits deutlich sicht- bar geworden. Das Parteiensystem hat sich merklich verändert, Mechanismen der öffentlichen Darstellung xenophober Hal- tungen haben sich etabliert und kommu- nale Unterstützungsstrukturen standen und stehen vor erheblichen Schwierigkeiten bei der Bewältigung ökonomischer und sozi- aler Bedingungen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Deutschland als Folge globaler Veränderungsprozesse aktuell und für mindestens weitere zwanzig Jahre mit der Integration unterschiedlicher Herkunftskulturen befasst sein wird. Die vielzitierte Interkulturalität ist längst zur gesellschaftlichen Normalität geworden und muss im Sinne einer demokratischen Konsensfindung produktiv und unter Beach- tung der Menschenrechte und des Grund- gesetzes gestaltet werden.

Hierbei kommt nicht nur der Generation der Erwachsenen, den derzeitigen Entscheidern, Arbeitenden und öffentlich Verantwortli- chen eine besondere Bedeutung zu. Diese Generation muss derzeit im Eilverfahren die notwendigen Kompetenzen des interkultu- rellen Miteinanders erlernen, gewohnte Lebensmuster hinterfragen und neue Lösun- gen finden. Ihr Stellenwert bei der konstruk-

1. EINLEITUNG

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. 0 1 3

tiven Integration kultureller Vielfalt kann nicht hoch genug bewertet und gewürdigt werden.

Allerdings ist bereits jetzt der richtige Zeit- punkt, den Blick auch und gerade auf die junge Generation zu richten. Mehr als ein Drittel der nach Deutschland geflüchteten Mitmenschen ist unter 18 Jahre alt, ein erheblicher Anteil hiervon als sog. „unbeglei- tete minderjährige Flüchtlinge“. Gelingt die wechselseitige und kultur-faire Integration bei dieser jungen Generation, entwickelt sich eine gesellschaftlich stabile Basis für zukünftige Gestaltungsprozesse in Politik, Wirtschaft, Bildung und in den sozialen Bereichen. Schon jetzt zeigen Studien, dass Kinder und Jugendliche im Austausch mit andersethnischen Freunden in der Schule in erheblichem Maße interkulturelle Kompe- tenzen entwickeln und fremdenfeindliche

Einstellungen abbauen (Feddes, Noack &

Rutland, 2009; Reinders, Gresser & Schnurr, 2010). Verbringen diese Kinder und Jugend- lichen neben der Schule dann auch ihre Frei- zeit miteinander oder haben sogar Anteil am Familienleben ihrer Freunde aus anderen Kulturen, zeigen sich nochmals positive Ein- flüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung dieser jungen Generation (Reinders, Greb &

Grimm, 2006; Reinders, 2008; Lilla, 2010).

Gerade die besondere Bedeutung gemein- sam verbrachter Freizeit mit Gleichaltrigen zeigt das erhebliche integrative Potenzial.

Freizeitaktivitäten in Deutschland bedeu- ten, regelmäßig Zeit in Vereinen und außer- schulischen Angeboten oder mit kulturellen oder musischen Aktivitäten zu verbringen (Shell-Jugendstudie, 2015). Das bedeutet, dass die sog. non-formalen Freizeitsettings in Deutschland eine wichtige Rolle einneh-

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0 1 4 .

men. Non-formal meint, dass Freizeitange- bote im Rahmen von Institutionen oder Pro- grammen für Heranwachsende unterbreitet werden, die zumeist unter der Anleitung oder Betreuung von Erwachsenen stehen.

Diese non-formalen Freizeitsettings stellen ein erhebliches Potenzial für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen dar (Grunert, 2015). Es ist daher kein Zufall, dass in den Kinderrechten der Vereinten Nationen in Artikel 31 auch das Recht auf Spielen und Freizeit fest verankert ist, was auch den Zugang zu Freizeitakti- vitäten in Vereinen u. dgl. explizit mit ein- schließt.

Auf der einen Seite hat Deutschland also eine erhebliche Zuwanderung an Kindern und Jugendlichen erfahren, die auf der ande- ren Seite gemeinsam mit ihren bereits in Deutschland lebenden Altersgenossen das zukünftige Fundament für ein kulturell vielfältiges, demokratisches und chancen- gleiches Land darstellen. Dazwischen be - findet sich als ein wesentliches Bindeglied die Teilhabe an Freizeitaktivitäten, an Gesel- ligkeit in Institutionen und Programmen aus den Bereichen Sport, Soziales und Kultur.

Dieses Bindeglied, so die Kernidee, bringt Heranwachsende unterschiedlicher Her- kunft zusammen, eröffnet Lebens- und Ge - staltungschancen, die ohne das Miteinander beim Handball, dem Musizieren oder der Walderkundung nicht möglich sind.

Bei dieser Kernidee setzt das Förderpro- gramm der Stiftung Kinderland, der Heide- hof Stiftung und des Ministeriums für Sozi- ales und Integration Baden-Württemberg an. Diese Idee ist so einfach wie wirkungs-

voll zugleich, weil bereits der Titel des Pro- gramms die Verknüpfung von Herkunft, Freizeit und Integration aufzeigt. Pädago­

gische Freizeitangebote für Kinder mit Flucht­

erfahrung benennt als Etikett einen wichti- gen Ansatzpunkt für gelingende Integration.

Es geht um die Begleitung durch pädago- gisch qualifizierte Erwachsene, es geht um Angebote, an denen die Kinder und Jugend- lichen Spaß haben und es geht um die Begegnung der jungen Generation. Egal ob Ghana, Griechenland oder Geislingen – die pädagogischen Angebote sollen das ver- briefte Recht auf Freizeit und Teilhabe ermöglichen.

Der hier vorgelegte Bericht zur wissen- schaftlichen Begleitung des Programms der beiden Stiftungen wird zeigen, unter wel- chen Bedingungen eine solche Maßnahme erfolgreich ist. Mit welchen Voraussetzun- gen ist es möglich, 28 sehr verschiedene Pro- jektträger in ihrer Integrationsarbeit nach- haltig zu unterstützen? Auf welchen Ebenen finden Lernprozesse statt, die ein verbesser- tes Angebot ermöglichen? Was kommt aus der Perspektive der vielfältigen Angebote bei den Kindern und Jugendlichen wirklich an? Diesen und weiteren Fragen geht die wissenschaftliche Begleitung des Modell- projekts durch Praxistagebücher der Pro- jekte, eine Fragebogenstudie und ausführ- liche Gespräche mit den Verantwortlichen vor Ort nach.

Der Nutzen der daraus gewonnenen Er - kennt nisse ist dabei gleich zweifacher Art.

Erstens ist die wissenschaftliche Begleitung ein wichtiger Dialogpartner auf Augenhöhe.

Bereits während der dreijährigen Projekt-

(15)

. 0 1 5

phase wurden die Erkenntnisse der Studie mit den Verantwortlichen diskutiert und Empfehlungen für die Praxis bei fünf gemeinsamen Netzwerktreffen erarbeitet.

Diese Abschlusspublikation ergänzt das Portfolio um eine summative, abschlie- ßende Einschätzung über Stärken und Lern- prozesse in und für die Praxis. Zweitens betreten die Stiftung Kinderland und die Heidehof Stiftung mit der wissenschaftli- chen Begleitung ihres Projekts auch für die Wissenschaft spannendes und ertragreiches Neuland. Auch wenn Deutschland faktisch seit über 50 Jahren ein Einwanderungsland ist und die Erziehungswissenschaft seit geraumer Zeit das Etikett einer „interkultu- rellen Pädagogik“ vor sich herträgt, so ist doch bislang nichts darüber bekannt, unter welchen Bedingungen diese interkulturelle Pädagogik im Freizeitbereich wirksam wer- den kann. Eine so umfangreiche Betrach- tung einer Vielzahl an Projekten mit Heran- wachsenden unterschiedlichster Herkunft fehlt bislang. Die Wissenschaft – genauer gesagt die Ausbildung für zukünftige Päda- gogen – ist auf dieses Wissen dringend ange- wiesen. Insgesamt 28 Projekte erlauben den systematischen Vergleich von Gelingensbe- dingungen – ein unschätzbarer Fundus an neuem Wissen angesichts der bereits skiz- zierten gesellschaftlichen Herausforderun- gen.

Hierfür ist die konstruktive Kooperation der Partner seitens der Stiftungen und der Pro- jekte vor Ort besonders hervorzuheben. Über den gesamten Zeitraum hinweg waren offene und selbstkritische Einblicke in alle Projekte möglich, haben sich die in der Pra- xis Tätigen Zeit für die Gespräche, Netzwerk-

treffen und Projekttagebücher genommen und haben geduldig Auskunft über die vie- len Facetten ihrer täglichen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gegeben. Das ein- gesetzte Methodeninventar ist im Aufwand, in der Breite sowie in der Informationsdichte nicht im Ansatz mit anderen wissenschaft- lichen Begleitungen vergleichbar. Hierdurch ist ein detailreiches Bild eines innovativen Programms möglich, das – und dies kann als ein Ergebnis der Begleitung vorweggenom- men werden – in vielen Bereichen Vorbild- funktion für andere Landesteile und Kom- munen einnimmt. Es ist ein Allgemeinplatz, dass Investitionen in Integration stets fruchtbarer als Kosten gescheiterter Integra- tion sind. Das von der Stiftung Kinderland und der Heidehof Stiftung erdachte, umge- setzte und stets verlässlich begleitete Pro- gramm zeigt auf, unter welchen Bedingun- gen diese Investitionen sinnvoll sind.

Denn nicht alles in den Einzelprojekten konnte stets optimal gestaltet werden.

Gerade in der Anfangszeit ergaben sich zahl- reiche Lerngelegenheiten, die zu Anpas- sungsprozessen geführt haben. Die Erreich- barkeit von Heranwachsenden mit und ohne Fluchterfahrung, Fragen der Einbindung der Familien, Entwicklung kommunaler Unter- stützungsstrukturen sind nur einige der vielfältigen Lernthemen, denen sich die Pro- jekte gestellt haben. Sozialarbeit in Deutsch- land kennt den Umstand nicht, dass die von ihnen betreuten Kinder im Wochentakt den Wohnort wechseln müssen. Pädagogische Maßnahmen in Deutschland sind es nicht gewohnt, im wahrsten Sinne sprachlos zu sein, weil niemand Farsi oder Persisch beherrscht. Auch ist die interkulturelle Kin-

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der- und Jugendarbeit nicht damit vertraut, im Wechselbad anfänglicher euphorischer Unterstützung und hernach zunehmenden Ressentiments schwimmen zu müssen. Aus einer Selbstverständlichkeit humanitärer Hilfe hat sich mancherorts ein Rechtferti- gungsdruck pädagogischer Integrationsar- beit ergeben. Denn auch das ist neu, dass diese Projekte im direkten Fokus gesell- schaftlicher Stimmungen stehen.

Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Begleitung ist es daher kaum verwunder- lich, dass nahezu alle Projekte Verände- rungsprozessen unterlagen und die bislang gewohnten Handlungsmuster pädagogi- scher Arbeit mit neuen Herausforderungen der neuen Zuwanderung konfrontiert wur- den. Verantwortung hierfür trägt im Übri- gen auch die pädagogische Forschung selbst.

Sie hat es versäumt, ähnliche Erfahrungen aus den 1990er-Jahren zu systematisieren

und in den Katalog professionellen Wissens aufzunehmen. Viele „Erkenntnisse“ der aktuellen interkulturellen Pädagogik sind ohne Empirie, ohne systematischen Blick auf die Integrationsrealität entstanden. Eine Chance hierzu wurde, wie benannt, bei der Zuwanderung aus den Staaten der ehemali- gen UdSSR und Jugoslawiens verpasst.

Umso wertvoller sind die Lernprozesse, die in den 28 Institutionen stattgefunden haben. Diese wissenschaftliche Begleitung bewertet nicht das Ergebnis der Projekte, sondern das Ausmaß, in dem Lernprozesse in den Organisationen reflektiert und zur Veränderung der Herangehensweisen ge - nutzt wurden. Die wissenschaftliche Be - gleitung dokumentiert diese Lernprozesse und systematisiert sie – als Basis für die In tegrationsarbeit, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten anhaltend zu leis- ten sein wird.

0 1 6 .

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. 0 1 7

2. AUSGANGSLAGE

Die „neue Zuwanderung“ nach Deutschland seit Mitte der 2010er-Jahre war der Anlass für die Stiftung Kinderland, die Heidehof Stiftung und das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg, eine Maßnahme zur Integrationsförderung jun- ger Zugewanderter zu entwickeln. Über die Ziele des Programms heißt es in der Projekt- beschreibung:

„Kinder und Jugendliche, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, haben in ihrem Leben schon viel Leid erlebt. Oft haben sie lange Fluchtgeschichten hinter sich und müssen traumatische Erlebnisse verarbei- ten. [...] Dabei haben Kinder mit einer Flucht- geschichte die gleichen Bedürfnisse wie ihre Altersgenossen und sollten die gleichen Rechte haben wie alle anderen in Deutsch- land lebenden Kinder. [...] Mit dem Pro- gramm Pädagogische Freizeitangebote für Kinder mit Fluchterfahrung wird das Ziel ver- folgt, Kinder mit Fluchterfahrung in ihrer Entwicklung und Integration zu fördern und zu unterstützen. [...] Der Fokus des Pro- gramms liegt auf der Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Stärken der Kinder in einem spielerischen Rahmen.“ (Stiftung Kinder- land, 2015)

Das übergeordnete Ziel des Programms knüpft demnach an Artikel 31 der Kinder- rechte an und möchte über den Weg der päda gogischen Förderung von Freizeit und Spiel die Entwicklung und die Integration der Heranwachsenden nachhaltig unter- stützen.

Vor dem Hintergrund dieses Ziels wurde eine Ausschreibung in Baden-Württemberg veröffentlicht, in der soziale, Bildungs-, Kul- tur- und andere Einrichtungen sich um eine Förderung im Rahmen des Projekts bewer- ben konnten. Hierzu haben Institutionen Projektvorschläge nach einem vergleichba- ren Bewerbungsmuster eingereicht und ihre Ideen einer gesellschaftlich und fachlich breit aufgestellten Jury zur Entscheidung vorgelegt. Die Jury hat in einem ausgiebigen und kriterienorientierten Prozess über die Aufnahme eines Projekts in das Programm und die Höhe der Förderung entschieden, wobei regelmäßig den Finanzierungsvor- schlägen der Projekte gefolgt wurde.

Seit Frühjahr 2015 wurden die ausgewählten 28 Modellprojekte über einen Zeitraum von drei Jahren gefördert und strukturell durch ein Begleitprogramm seitens der Stiftungen

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0 1 8 .

unterstützt. Hierzu wurden im halbjähr- lichen Turnus regelmäßige Netzwerktreffen zum Erfahrungsaustausch und für fachliche Beratung der Projekte ermöglicht. Während dieser Netzwerktreffen wurden zudem Erkenntnisse der wissenschaftlichen Beglei- tung im laufenden Prozess an die Modellpro- jekte gespiegelt, gemeinsam diskutiert und Veränderungen initiiert.

Das Programm Pädagogische Freizeitange­

bote für Kinder mit Fluchterfahrung stellt somit konzeptionell betrachtet eine Ver- bindung von gesellschaftlichen Verände-

rungsprozessen einerseits und notwendigen Unterstützungsmaßnahmen für einzelne Kinder und Jugendliche andererseits her. Es verknüpft makrosoziale Voraussetzungen mit individuellen Bedürfnissen und bedient sich dabei pädagogischer Interventionen als intermediärem Vermittler. Hierdurch wird der hohe Anspruch eines solchen Pro- gramms deutlich, der seinerseits einer sys- tematischen Betrachtung mit nachvollzieh- barem konzeptionellem Rahmen bedarf. Das konzeptionelle Gerüst der wissenschaft- lichen Begleitung wird im nachfolgenden Kapitel erläutert.

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. 0 1 9

3. KONZEPTIONELLER RAHMEN

Der konzeptionelle oder auch theoretische Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung stellt sicher, dass die Umsetzung der Projekte nach nachvollziehbaren Kriterien betrachtet wird. Dieser Rahmen steckt ab, welche Erkenntnisse gewonnen werden sollen und wie diese Erkenntnisse zu bewerten sind.

Entsprechend stellt der konzeptionelle Rah- men das wesentliche Gerüst zur Darstellung der Ergebnisse und deren Interpretation dar.

In Kapitel 2 wurde bereits dargestellt, dass die geförderten Projekte als Vermittler zwi- schen der gesellschaftlichen Herausforde- rung einer neuen Zuwanderung und dem Wohlergehen einzelner Kinder und Jugend- licher anzusehen sind. Die gesellschaftliche

Ebene der neuen Zuwanderung bestimmt, dass ein erhöhter Integrationsbedarf besteht.

Die individuelle Ebene legt fest, dass diese Integration die Entwicklungsbedürfnisse der Heranwachsenden berücksichtigen muss. Dazwischen befinden sich die einzel- nen Projekte, die Integrationsmöglichkeiten in der Freizeit schaffen, die gleichzeitig an den Bedürfnissen der Kinder nach Entfal- tung, Spiel und seelischer Gesundheit aus- gerichtet sind.

Das bedeutet, dass der konzeptionelle Rah- men die Makroebene der Gesellschaft, die Individualebene der Kinder und die dazwi- schen liegende Mikroebene der einzelnen Projekte betrachtet (vgl. Abbildung 3.1).

Ja Nein

Makroebene der Gesellschaft

Mikroebene der Projekte

Individualebene der Heranwachsenden

Zugang Supervision Interkulturelle Öffnung

Qualifikation Institution

Integration Akkulturation

Institutionelle Ressourcen Erfahrung in der Migrationsarbeit Kontrollvariablen Interaktion

Elternarbeit Beziehungsarbeit Kinder Interkulturelle Öffnung

Individuum

26 25

11 Sprachförderung

Online-Fragebogen Praxistagebuch Experten-Interviews

10

5 6

4 4 4

3 3 3

2 3

7 7 Kunst, Kultur

und Umwelt

Bildungs- einrichtungKaritative

Organi- sation

Kinder- und Jugend-

hilfe

Kommunale Einrichtung Kultur

und Gesellschaft

Sonstiges 6

Geselligkeit und soziale Kontakte

5

Sport, Gesundheit und Bildung

4

Politik und Gesellschaft

3

Medienbildung

33,33 %

66,67 %

Ja Nein 65,38 %

34,62 %

Ja Nein 83,33 % 16,67 %

Technological niches

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

2

1 2

3 4

0 0

4

4 4

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

Einstiegserhebung Abschlusserhebung 1,25 *

1,58 1,832,08

2,812,92

2,542,58

2,132,35

1,962,15

2,292,46 28

24 20 16 12 8 4 0

63,49

109,40

Hauptamtliche Ehrenamtliche

150

100

50

0

1,52

26.777,14 Hauptamtliche

1,75 Honorarkräfte 12,09

Ehrenamtliche

Durchschnittlicher

Förderbetrag Gesamtvolumen 20

15

10

5

0

800.000

600.000

400.000

200.000

0 15

10

5

0

750.000,00

Einstiegserhebung Abschlusserhebung 25.000

20.000

15.000

10.000

5.000

0

19.958,52 17.885,12

Einstiegserhebung

Bundesmittel Landesmittel Weitere

Stiftungen Kommunale

Mittel Unternehmens-/

Privatspenden Abschlusserhebung 14.000

12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0

11.707,00 11.006,25

Teilnehmer insgesamt

1 Nein

2 Unsicher

3 Ja Kinder bis 3 Jahre

Kinder zwischen 3 und 6 Jahren Kinder zwischen 7 und 12 Jahren Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren Junge Erwachsene ab 18 Jahren Familien

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 10.000

8.000 6.000 4.000 2.000 0

6.475 6.916

513 668

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

Unter 5 Jahre 100

80 60 40 20

0 10,00 8,70

Zwischen 5 und 10 Jahren

20,00 21,75

Länger als 10 Jahre 70,00 69,57 Abbildung 3.1: Modell der verschiedenen Betrachtungsebenen

(20)

0 2 0 .

Diese Sichtweise auf das Programm verdeut- licht die wesentliche Schnittstelle, an der sich die in der Maßnahme geförderten Pro- jekte befinden. Durch die Freizeitangebote soll es gelingen, die Folgen traumatischer Fluchterlebnisse zu mildern und gleichzeitig den Weg in die aufnehmende Gesellschaft zu erleichtern. Berger und Luckmann (2012) sprechen hier von intermediären Instanzen, die zwischen Gesellschaft und einzelnen Menschen vermitteln. Es handelt sich um Sozialisationsagenten wie Familie, Freun- desgruppe oder Schule, die gesellschaftliche Werte vermitteln und gleichzeitig an der Veränderung dieser Werte mitwirken.

Pädagogische Institutionen sind ebenfalls solche intermediären Instanzen, die das Ziel verfolgen, individuelle Bedürfnisse der Ent- wicklung mit gesellschaftlichen Werten zu synchronisieren. Es sind Mikrosysteme, weil in diesen pädagogischen Institutionen prin- zipiell jede Person mit jeder anderen Person sprechen, spielen oder Gemeinsames unter- nehmen kann (Bronfenbrenner, 1981). Ent- sprechend dieser beiden Merkmale – Syn- chronisation zwischen Gesellschaft und Heranwachsenden sowie persönlicher Aus- tausch – kommt den Freizeitprojekten eine zentrale Bedeutung zu. Sie werden demnach nicht nur aufgrund der Förderung in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, son- dern auch und gerade, weil sie die genann- ten gesellschaftlichen Funktionen überneh- men. Die Institutionentheorie nach Merkens (2006) greift die Funktionen auf und ermög- licht ihre weitere Ausdifferenzierung.

Daneben dürfen jedoch diejenigen nicht aus dem Blick geraten, die in ihrer Entwicklung unterstützt werden sollen – die Kinder und

Jugendlichen mit Fluchterfahrung. So wie jedes andere Kind haben sie ein Recht darauf und sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Per- sönlichkeit zu entfalten und eine gesunde Entwicklung zu nehmen. Damit verbunden ist gleichzeitig der Wunsch, diesen Heran- wachsenden den Weg in ihre neue Gesell- schaft zu ermöglichen – über Sprache, Bil- dung, kulturelle Gewohnheiten, sportliche Aktivitäten und soziale Kontakte, um nur einige der vielfältigen Integrationsbereiche zu nennen. Ein gängiges Missverständnis haftet dabei dem Begriff der Integration an.

Er wird regelmäßig fehlinterpretiert als das Aufgeben der kulturellen Identität und das völlige Anpassen an die Werte und Normen der Aufnahmegesellschaft. Dieser Integrati- onsbegriff ist dabei nicht nur wissenschaft- lich unzutreffend, er betrachtet auch ein wesentliches Merkmal menschlicher Ent- wicklung nicht. Menschen, auch in jungen Jahren, legen ihre Identität nicht beim Grenzübertritt ab, sie werden nicht vollstän- dig neue Menschen mit neuen Werten und Bedürfnissen. Die nach Deutschland vor Krieg, Verfolgung und Elend geflüchteten Kinder bringen ihre Erfahrungen und ihre Persönlichkeit mit.

3.1 VORSTELLUNGEN VON GELUNGENER INTEGRATION

Bei einem richtig verstandenen Integrati- onsbegriff muss es also darum gehen, dieses

„Mitbringen“ in einen harmonischen Ein- klang mit den Anforderungen der neuen Lebensumgebung zu bringen. Integration meint dann, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Herkunfts- und Aufnahmekultur zu schaffen (Berry et al., 2011). Kinder und

(21)

. 0 2 1

Jugendliche nehmen dann eine gesunde Entwicklung, wenn sie die Sprache des Auf- nahmelandes beherrschen und dadurch sozial und kulturell eingebunden sind. Sie benötigen aber auch ihre Herkunftssprache, um den Zugang zu ihrer Herkunftsfamilie und ihrer kulturellen Tradition zu erhalten.

Kinder mit Fluchterfahrung fühlen sich unter ihresgleichen geborgen und suchen den Kontakt zu Kindern ohne Migrations- hintergrund, um Anschluss in ihrer neuen Umwelt zu finden. Und so, wie ihr bisheriges Selbstbild wichtig für eine stabile Entwick- lung ist, so ergänzt sich diese Identität mit der Zeit um Aspekte der neuen sie umgeben- den Kultur (vgl. Tabelle 3.1).

Integrationsbereich Merkmale

Sprachliche Integration Ausreichende Beherrschung der Herkunftssprache als Anschluss an die kulturellen Werte der Herkunftsfamilie ist in ausgeglichenem Verhältnis zu

Ausreichende Beherrschung der Sprache des Aufnahme­

landes für den Erwerb von Bildungsinhalten und für sozialen Anschluss

Soziale Integration Soziale Kontakte zu Gleichaltrigen und Erwachsenen der Herkunftsregion für psychische Stabilität

ist in ausgeglichenem Verhältnis zu

Kontakte zu Gleichaltrigen und Erwachsenen des Aufnah­

melandes für sozialen Zugang und gesellschaftliche Teilhabe sowie das Gefühl erlebter Zugehörigkeit Kulturelle Integration Produktive Wertschätzung von Werten und Normen der

Herkunftskultur als Merkmal von Identität ist in ausgeglichenem Verhältnis zu

Akzeptanz und Internalisierung von Werten und Normen der Aufnahmegesellschaft als Basis für konstruktives soziales Miteinander

Tabelle 3.1: Aspekte gelungener Integration

Dieses Integrationsverständnis wird zu- grunde gelegt, wenn nach dem Zusammen- hang von pädagogischen Freizeitangeboten einerseits und Integration der Heranwach- senden mit Fluchterfahrung andererseits gefragt wird. Hierum dreht sich im wesent- lichen Kern die Aufgabe der wissenschaft- lichen Begleitung: institutionelle Bedingun- gen der Projekte identifizieren, die der Integration der neu Zugewanderten förder- lich sind. Also Gelingensbedingungen, die es den jungen Menschen ermöglichen, eine gesunde Mischung aus Herkunft und Hier- sein leben und erleben zu dürfen.

(22)

0 2 2 .

3.2 INSTITUTIONELLE GELINGENSBEDINGUNGEN FÜR INTEGRATION

Der Titel dieses Kapitels legt die Vermutung nahe, die Gelingensbedingungen für Integra- tionsprozesse seien bereits bekannt und es müsste nur geprüft werden, ob sie in den geförderten Projekten zu finden sind. Das ist nicht der Fall. Wäre dem so, dann hätte die interkulturelle Pädagogik der 1990er-Jahre die Integrationsprozesse der Menschen aus Osteuropa beobachtet und daraus Schlüsse für eine gelingende Integration gezogen. Viel- mehr besteht durch das Förderprogramm die

Möglichkeit, solche Gelingensbedingungen zu identifizieren und in ihrer relativen Bedeu- tung zu gewichten.

Gleichzeitig können aber pädagogische Insti- tutionentheorien dabei unterstützen, nicht ziellos in der großen Bandbreite möglicher Gelingensbedingungen suchen zu müssen, sondern den Blick auf bestimmte Merkmals- bereiche zu lenken. Eine solche Möglichkeit bietet die Institutionentheorie nach Merkens (2006), der seinerseits in Anlehnung an die Sozialisationstheorie von Geulen und Hurrel- mann (1980) drei Facetten pädagogischer Ins- titutionen identifiziert hat (vgl. Tabelle 3.2).

Facette Typische Fragen

Institution als Organisation • Welche strukturellen Merkmale weist eine Institution auf?

• Was sind die Ziele einer Institution?

• Welche Ressourcen hat sie zur Zielerreichung?

• Welches Personal mit welcher Qualifikation beschäftigt sie?

Interaktion in und mit der

Institution • Welche Personen interagieren in der Institution?

• Welche Kommunikationsformen und ­kanäle gibt es?

• Wie und mit welcher Umwelt interagiert die Institution?

Individuen in der Institution • Welche Einflüsse hat die Institution auf seine Mitglieder?

• Was sind hiervon beabsichtigte und unbeabsichtigte Einflüsse?

• Wie vollziehen sich Einflüsse bzw. warum vollziehen sich ggf. keine Einflüsse?

• Wie wirkt die einzelne Person auf die Institution zurück?

Tabelle 3.2: Facetten pädagogischer Institutionen nach Merkens (2006)

(23)

. 0 2 3

Die erste Facette der Institution selbst befasst sich also mit Fragen nach den Vo - raus setzungen und der konkreten Gestalt einer Organisation. Die zweite Facette nimmt die Interaktion innerhalb der Insti- tution und ihren Austausch nach außen in den Blick und die dritte Facette betrachtet, welche Wirkungen die Institution auf ein- zelne Menschen und welche Einflüsse die Menschen auf die Institution besitzen.

Sowohl für die Betrachtung von Schule als auch von außerschulischen Maßnahmen hat sich ein solches Betrachtungsschema bereits vielfach bewährt (Ditton & Müller, 2015; Reinders & Sieler, 2008).

Dieses Konzept wird im nächsten Schritt auf den Gegenstandsbereich der Freizeitange- bote für geflüchtete Kinder und Jugendliche angewendet. Durch seine formale Struktur ist das Konzept offen für inhaltliche Modifi- kationen und konkrete Anpassungen an mögliche Gelingensbedingungen für die Integration der Zielgruppe. Konkret werden die in Abbildung 3.2 dargestellten Aspekte für die Betrachtung der Projekte und ihrer Verläufe herausgegriffen.

Ja Nein

Makroebene der Gesellschaft

Mikroebene der Projekte

Individualebene der Heranwachsenden

Zugang Supervision Interkulturelle Öffnung

Qualifikation Institution

Integration Akkulturation

Institutionelle Ressourcen Erfahrung in der Migrationsarbeit Kontrollvariablen Interaktion

Elternarbeit Beziehungsarbeit Kinder Interkulturelle Öffnung

Individuum

26 25

11 Sprachförderung

Online-Fragebogen Praxistagebuch Experten-Interviews

10

5 6

4 4 4

3 3 3

2 3

7 7 Kunst, Kultur

und Umwelt

Bildungs-

einrichtungKaritative Organi-

sation

Kinder- Jugend-und hilfe

Kommunale

Einrichtung Kultur Gesellschaftund

Sonstiges 6

Geselligkeit und soziale

Kontakte

5

Sport, Gesundheit und Bildung

4

Politik und Gesellschaft

3

Medienbildung

33,33 %

66,67 %

Ja Nein 65,38 %

34,62 %

Ja Nein 83,33 %

16,67 % Technological niches

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

2

1

2

3 4

0 0

4

4 4

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

Einstiegserhebung Abschlusserhebung 1,25 *

1,58 1,832,08

2,812,92

2,542,58

2,132,35

1,962,15

2,292,46 28

24 20 16 12 8 4 0

63,49

109,40

Hauptamtliche Ehrenamtliche 150

100

50

0

1,52

26.777,14 Hauptamtliche

1,75 Honorarkräfte 12,09

Ehrenamtliche

Durchschnittlicher

Förderbetrag Gesamtvolumen 20

15

10

5

0

800.000

600.000

400.000

200.000

0 15

10

5

0

750.000,00

Einstiegserhebung Abschlusserhebung 25.000

20.000

15.000

10.000

5.000

0

19.958,52 17.885,12

Einstiegserhebung

Bundesmittel Landesmittel Weitere

Stiftungen Kommunale

Mittel Unternehmens-/

Privatspenden Abschlusserhebung 14.000

12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0

11.707,00 11.006,25

Teilnehmer insgesamt

1

Nein 2

Unsicher 3

Ja Kinder bis 3 Jahre

Kinder zwischen 3 und 6 Jahren

Kinder zwischen 7 und 12 Jahren

Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren

Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren

Junge Erwachsene ab 18 Jahren

Familien

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 10.000

8.000

6.000

4.000

2.000

0

6.475 6.916

513 668

Einstiegserhebung Abschlusserhebung

Unter 5 Jahre 100

80

60

40

20

0 10,00 8,70

Zwischen 5 und 10 Jahren

20,00 21,75

Länger als 10 Jahre 70,00 69,57

Abbildung 3.2: Rahmenmodell zur Beschreibung von pädagogischen Gelingensbedingungen zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung

(24)

0 2 4 .

Institution Auf der Ebene der strukturellen Voraussetzungen wird näher betrachtet, wie niederschwellig der Zugang der Geflüchte- ten zum pädagogischen Angebot ist und inwieweit die Institution selbst durch eine all gemeine interkulturelle Öffnung gekenn- zeich net ist, etwa durch vielsprachige Kontakt aufnahme, die eigene Migrations- erfahrung der Mitarbeitenden oder einer gelebten allgemeinen Anerkennungskultur verschiedener Herkunftsregionen in der Insti tu tion. Ferner wird in den Blick genom- men, über welche interkulturellen Qualifika­

tionen die Mitarbeitenden verfügen und ob und in welcher Form ihre Arbeit durch Supervisionen reflektiert und damit profes- sionalisiert werden kann.

Interaktion Auch auf der Ebene der konkre- ten Interaktion stellt sich die Frage, inwie- weit diese durch eine interkulturelle Öffnung, durch die gemeinsame Teilnahme von Kin- dern mit und ohne Fluchterfahrung umge- setzt wird. Diese interkulturelle Öffnung und die Formen des Beziehungsaufbaus in der Elternarbeit sowie die pädagogische Interaktion, gefasst als Beziehungsarbeit mit den Kindern, stehen daneben im weiteren Fokus der Interaktionsebene.

Individuum In diesem Bereich der Institu- tionentheorie steht nicht die Entwicklung des Einzelnen, sondern Maßnahmen zur Förderung des Individuums im Mittelpunkt.

Gerade bei dieser Zielgruppe wird die Förde­

rung der Sprachkenntnisse als besonders wesentlich erachtet, damit weitere Prozesse der Integration überhaupt möglich sind.

Wesentlich ist hier, dass nicht explizite För- derung im Sinne von Sprachkursen betrach-

tet wird, sondern Möglichkeiten des infor- mellen Lernens, bei denen die geflüchteten Kinder und Jugendlichen quasi in ein

„Sprachbad“ getaucht werden und hierdurch ihre alltagssprachliche Kompetenz erwer- ben (Tracy, 1991).

Akkulturation Unter Akkulturation wird der Prozess des Einlebens in einen neuen kul- turellen Kontext bezeichnet. Hier wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Inte­

gration der Heranwachsenden als gelungene Balance zwischen Elementen der Herkunfts- und der Aufnahmekultur betrachtet wird (vgl. Tabelle 3.1). Hierbei werden die soziale und kulturelle Ebene der Integration in den Blick genommen und aus Sicht der Projekt- verantwortlichen die Integrationsfortschritte der Kinder und Jugendlichen beschrieben.

Durch dieses Rahmenkonzept kann der Blick gezielt auf ausgewählte Gelingensbedin- gungen gelenkt und so deren Zusammen- hänge zur Integration der Kinder und Ju gend lichen durch die pädagogischen Frei zeit angebote nachgezeichnet werden.

Gleichzeitig kann ein solches Konzept die Möglichkeit mit sich führen, dass im Modell nicht genannte Aspekte übersehen werden.

Aus diesem Grund wurden qualitative und vertiefende Interviews mit Projektmitarbei- tern geführt, um weitere Gelingensbedin- gungen identifizieren zu können.

(25)

3.3 ZUSAMMENFASSUNG

Gelungene Integration der Kinder und Jugendlichen mit Fluchterfahrung wird als die Möglichkeit für diese Heranwachsenden verstanden, eine Balance zwischen ihrem bisherigen Leben im Herkunftsland und ihrem neuen Aufwachsen in Deutschland entwickeln zu können. Sozialer Umgang mit Gleichaltrigen und Erwachsenen aus ihrem Herkunftsland und deutscher Herkunfts- sprache zählen ebenso dazu wie die Fähig- keit, sich in ihrer Herkunftssprache und in der deutschen Sprache sinnvoll ausdrücken zu können und vor allem mit der deutschen Sprache Zugang zu Bildungskapital und -titeln zu erhalten.

Das Rahmenkonzept erwartet von den 28 Projekten, die pädagogische Freizeitange- bote für diese Kinder anbieten, dass sie als interkulturell offene Institution über quali- fiziertes und professionell reflektiertes Perso- nal verfügen und durch einen niederschwel- ligen Zugang eine produktive Beziehungs - arbeit mit den Eltern und den Kindern ent- wickeln, durch die vor allem die Heranwach- senden vielfältige Möglichkeiten der sprach- lichen Exposition erleben können.

. 0 2 5

(26)

0 2 6 .

4. DIE WISSENSCHAFTLICHE BEGLEITSTUDIE

Die wissenschaftliche Begleitstudie wird vom Lehrstuhl Empirische Bildungsfor- schung an der Universität Würzburg konzi- piert und durchgeführt. Der Lehrstuhl Em pirische Bildungsforschung verfügt über eine umfangreiche Erfahrung im Bereich der Begleitung pädagogischer Projekte – seit über einer Dekade wurden mehr als ein Dutzend wissenschaftlicher Begleitstudien durchgeführt. Der Lehrstuhl Empirische Bildungsforschung kann damit als eine der führenden Evaluationsagenturen in Deutschland angesehen werden.

Gemeinsam mit den Projektträgern und in engem Austausch mit den Verantwortlichen der Praxisprojekte wurde ein Gesamtkon- zept zur Beschreibung und Bewertung der Maßnahmen für Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung entwickelt.

Die mit der Begleitstudie intendierten Ziel- setzungen der Projektträger werden im nächsten Schritt in konkrete Fragestellun- gen überführt (vgl. Kapitel 4.2), die ihrerseits leitend für die Darstellung der empirischen Befunde sein werden (vgl. Kapitel 5).

Als empirisch konzipierte Untersuchung bedient sich die wissenschaftliche Begleit- studie eines großen Spektrums an Erkennt- nismethoden. Neben einem am Beginn und Ende der Projektlaufzeit eingesetzten Frage- bogen an die Institutionen hat zudem jedes Projekt ein Praxistagebuch zur Reflexion der eigenen Arbeit zur Verfügung gestellt bekommen. Für eine vertiefende Analyse der Gelingensbedingungen wurden zudem qualitative Interviews mit ausgewählten Projekten geführt.

(27)

. 0 2 7

Jedes Projekt im Rahmen des Programms Pädagogische Freizeitangebote für Kinder mit Fluchterfahrung wurde intensiv wissenschaftlich begleitet. Gleichzeitig mussten die Erhebungsmethoden so gestaltet sein, dass sie sich harmonisch in den Projektverlauf einfügen.

Fragebogenstudie – Relativ zu Beginn und gegen Ende der Projektlaufzeit wurde den Verantwortlichen ein Online-Fragebogen zur Beantwortung vorgelegt, in dem wichtige Rahmeninformationen abgefragt wurden. Gleichzeitig diente der Fragebogen den Pro- jekten vor Ort dazu, sich gerade am Beginn bewusst Gedanken über vorhandene Res- sourcen und gesteckte Ziele zu machen. Die Online-Befragung war zudem so gestaltet, dass die in der Praxis Tätigen diesen dann ausfüllen oder vervollständigen konnten, wenn es in den Zeitrahmen der alltäglichen Arbeiten gepasst hat.

Praxistagebuch – Zu fünf Zeitpunkten in der mittleren Projektphase haben die Projekte ein Online-Tagebuch zur Verfügung gestellt bekommen, mit dem sie zu ausgewählten Themen über den Projektverlauf reflektieren konnten. Diese Reflexionsmöglichkeiten betrafen bspw. gewünschte Veränderungen im Projekt oder das Ausmaß der Zielerrei- chungen. Diese primär für die Praxis neu entwickelten Tagebücher wurden zudem ano- nymisiert als Grundlage für die Beschreibung der Projekte herangezogen.

Qualitative Interviews – Mit insgesamt elf der Projekte wurden ergänzend leitfaden- gestützte Gespräche über den Projektverlauf geführt. Zu Beginn und gegen Ende der Praxisphase hatten die in der Praxis Tätigen so die Möglichkeit, ausführlich ihre persön- lichen Erfahrungen in der Arbeit mit den geflüchteten Kindern und Jugendlichen zu schildern.

Kasten 4.1: So wurden die Projekte begleitet

Die Zugänge zum Projekt sind somit sehr vielfältig und bieten einen differenzierten Einblick in die pädagogischen Freizeitange- bote für Heranwachsende mit Fluchterfah- rung. Ein solches breit aufgestelltes Design

ist keine Selbstverständlichkeit und in die- ser Form nur durch das hohe Interesse der Projektträger an einer fundierten Analyse möglich.

(28)

0 2 8 .

4.1 ZIELSETZUNG

Das Ziel der Begleitstudie ist die Identifika- tion von Gelingensbedingungen pädago- gischen Handelns im Kontext der Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen.

Hierfür wurden die Projekte über den gesamten Förderzeitraum wissenschaftlich begleitet, um auf der einen Seite Aussagen über den Projektverlauf sowie auf der ande- ren Seite Einschätzungen über das Projekter- gebnis treffen zu können. Die durch die Begleitstudie erzielten Ergebnisse dienen der Erreichung von insgesamt vier Zielen:

Beschreibung und Bewertung der konkreten Maßnahme;

Rückmeldung zur Maßnahme an die Stiftungen und Öffentlichkeit;

Verbesserung der pädagogischen Pra- xis in den betrachteten Projekten;

Verallgemeinerung durch Systemati- sierung der Gelingensbedingungen pädagogischen Handelns im Kontext der Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen.

Die ersten drei Ziele dienen der kurz- und mittelfristigen Verbesserung der pädago- gischen Praxis, das letztgenannte Ziel richtet sich stärker auf langfristige Folgen der wis- senschaftlichen Begleitung. Dies erfolgt durch Anreicherung der Grundlagenfor- schung und die Entwicklung von Trans- fermöglichkeiten zur Übertragbar keit auf andere pädagogische Zusammen hänge und Projekte.

4.2 FRAGESTELLUNGEN

Das übergeordnete Ziel der Identifikation von Gelingensbedingungen im inter kul- turellen pädagogischen Kontext wurde im nächsten Schritt in konkrete Frage stel lun- gen überführt, zu deren Beantwor tung die empirischen Daten aus der Begleitstudie herangezogen werden.

Welche institutionellen Ressourcen standen den Organisationen bei der Umsetzung der Projekte zur Verfü- gung? Welche Ziele und Erwartungen hatten die einzelnen Institutionen an das jeweilige Projekt? Gab es hier Ver- änderungen innerhalb der drei Jahre?

Wie haben die Experten den Verlauf ihrer Projekte wahrgenommen? Wie wurden hierbei die Gelingensbedin- gungen in den Institutionen umge- setzt? Welche Veränderungen wur- den hierbei vorgenommen?

Wie können Stabilitäten und Verände- rungen auf den Ebenen der Institu- tion, der Interaktion und des Individu- ums beschrieben werden?

Neben der Darstellung der Befunde (vgl.

Kapitel 5) werden diese Fragen im zusam- menfassenden Kapitel nochmals abschlie- ßend skizziert und bewertet (vgl. Kapitel 6).

(29)

. 0 2 9

4.3 DESIGN DER

WISSENSCHAFTLICHEN BEGLEITSTUDIE

Für die Beantwortung dieser Fragen wurde ein Design bestehend aus quantitativen sowie qualitativen Methoden eingesetzt, um das bestehende Modell zu verifizieren bzw. zu falsifizieren und darüber hinaus noch weitere Gelingensbedingungen zu er - fassen. Jede einzelne Untersuchungsme- tho de wurde zu mindestens zwei Messzeit- punkten (Abkürzung: MZP) durchgeführt.

Hierdurch ist es der wissenschaftlichen Begleitstudie möglich, nicht nur Aussagen über einen bestimmten Zeitpunkt zu formu- lieren, sondern auch Veränderungen in den Pro jekten zu dokumentieren.

Den Rahmen für die wissenschaftliche Beglei- tung bildete der quantitative Frage bogen.

Dieser wurde zu Beginn sowie zum Ende ein- gesetzt. Die quantitativen Praxistage bücher und die qualitativen Experten-Interviews wurden in der Durchführungs phase der Pro- jekte erfasst (vgl. Tabelle 4.1).

Alle 28 Institutionen wurden durch die Ein- stiegs- und Abschlusserhebung im Novem- ber 2015 und 2017 sowie durch die Praxista- gebücher in der Zeit von Mai 2016 bis März 2017 systematisch erfasst. Bei der Einstiegs- und Abschlusserhebung konnten 26 Institu- tionen befragt werden. Aufgrund einer Nichtausfüllung einer Institution zum ers- ten und einer zum zweiten Messzeitpunkt ist ein Dropout von zwei Institutionen zu verzeichnen.

Beim Praxistagebuch konnten insgesamt 25 Institutionen beobachtet werden. Da zwei Projekte nur einmal im Jahr stattgefunden

haben und ein Praxistagebuch von einer Ins- titution nicht ausgefüllt wurde, können im Längsschnitt für 25 Institutionen Aussagen getroffen werden.

Zur Vertiefung der quantitativen Daten wurde das Experten-Interview an einer Aus- wahl von Institutionen im September 2016 und 2017 durchgeführt. Für die Auswahl der Institutionen wurden die Aspekte des aktu- ellen Projektstatus, der Organisations form sowie der erfolgreich gelösten Heraus- forderungen näher betrachtet. Der Indikator Projektstatus diente dazu, beson ders mit jenen Institutionen ins Gespräch zu kom-

Zeitpunkt Nov.

2015 Mai 2016 Juli

2016 Sept.

2016 Okt.

2016 Jan.

2017 März 2017 Sep.

2017 Nov.

2017

Online­Fragebogen x x

Praxistagebücher x x x x x

Experten­Interviews x x

Tabelle 4.1: Messzeitpunkte und Erhebungsmethoden im Überblick

Abbildung

Abbildung 3.2: Rahmenmodell zur Beschreibung von pädagogischen Gelingensbedingungen zur   Integration von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung
Tabelle 4.2: Übersicht der Gelingensbedingungen zu den jeweiligen Messzeitpunkten des Praxis- Praxis-tagebuchs
Abbildung 4.2: Regionale Verteilung der Projekte
Abbildung 4.5: Durchschnittliche Personalausstattung in der Organisation bei Projektbeginn  (absolute Angaben, N = 26)
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