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Variabilittit und Vererbung bei Mikroorganismen.

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Variabilittit und Vererbung bei Mikro- organismen.

Von Victor Jollos (Berlin).

(Eingegangen am 20. September 1913.)

Noch vor wenigen Jahren, wiihrend die experimentelle Erblichkeits- forschung auf botanischem wie zoologischem Gebiete schon die grSi~ten Fortschritte gemacht hatte, blieben Fragen der Vererbung und Artbildung bei den Mikroorganismen so gut wie unbeachtet. Bei den Protozoen hinderte die Schwierigkeit einer wirklich gleichmiil~igen Kultivierung und ihr damit zusammenh/ingendes, scheinbar inkonstantes Verhalten eine experimentelle Bearbeitung. Auf bakteriologischem Gebiete kam dazu die noch Mlzu frische Erinnerung an den Sturz tier Mten Anschauungen yon der Umwandlung tier verschiedenen Formen ineinander. Und die mit tier Ausbildung exakter Kulturmethoden zur unbestrittenen Herrschaft gelangte Lehre yon der Konstanz tier Bakterienarten, die ja auch durch die praktisch-medizinischen Erfahrungen immer aufs neue best/~tigt wurde, muSte naturgem~$ Forschungen tiber erbliche Ver~nderungen und Art- bildungen hemmend im Wege stehen.

In jtingster Zeit hat sich dies Bild wesentlich ver~tndert. W~hrend es noch 1907, wie Massini sagt, ,,far einen Bakteriologen verwunderlich erschien" mit derartigen Beobachtungen in die Offentlichkeit zu treten, sind bMd darnach, mit hervorgerufen durch die Untersuchungen des ge- nannten Forschers, Arbeiten tiber

,,Bakterienmutationen"

geradezu modern geworden. Und auch bei den pathogenen Protozoen wurden vor allem durch E h r l i c h und seine Mitarbeiter entsprechende Vorg~tnge aufgedeckt, w/ihrend endlich die Untersuchungen yon J e n n i n g s u. a. wichtige Auf- schliisse tiber die Variabilit~tt bei Infusorien brachten.

0bwohl nun anf diese Weise eine Ftille interessanter Beobachtungen bekannt geworden sind, ist keine Klarheit tiber das Wesen der Variabili- t~t bei den Mikroorganismen und ihrer Beziehungen zu dem VerhMten

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Variabilit~it und Yererbung bei ]~ikroorganismen. 15 hOherer Lebewesen erzielt worden. Zwei Umst~nde waren hierbei be- sonders hinderlich: Als die Untersuchungen an Protisten angestellt wurden, lagen schon bei Tieren und Pflanzen die wichtigsten Ergebnisse vor, u n d e s batten sich feste Begriffe herausgebildet. In diese wurden nun die neu gewonnenen Resultate eingeordnet, wobei sich manche Forscher streng an den Wortlaut der gegebenen Definitionen hielten, ohne in ihre Wesenheit tiefer einzudringen und zu priifen, wie welt sie auf die Mikroorganismen tiberhaupt anwendbar waren. Zu tier un- zureichenden theoretischen Durcharbeitung kamen dann allerdings noch die sich aus der Wahl der meisten Untersuehungsobjekte ergebenden Schwierigkeiten: Gearbeitet wurde bisher hauptsiichlich mit Bakteriea und Trypanosomen, also mit Organismen, bei denen naeh unseren heutigeu Kenntnissen Befruchtungsvorg~nge iiberhaupt nicht, oder nur unter be- sonderen Bedingungen auftreten, so da6 also gerade dieses wichtigste Vergleichsmoment mit den hSheren Lebewesen fortf~tllt.- Unter diesen Umst~nden kann es kaum wundernehmen, da6 eine betr~iehtliche Un- sicherheit und Verwirrung der Begriffe eingetreten ist, eine Ver- wirrung, die durch manche zusammenfassende Darstellung eher noch vergr(ii~ert wurde.

Und doch scheinen uns s~imtliche vorliegenden Tatsachen in ein- faeher und sowohl unter sich, wie mit den Ergebnissen der Erblichkeits- forschung bei h0heren Organismen gut iibereinstimmender Weise deutbar zu sein, - - wenn man nur die Beobachtungen kritisch sichtet und yon

den klareren Verh~ltnissen ausgeht.

Die moderne Erblichkeitslehre unterscheidet zun~chst zwischen der Variabilit~it bei ,,Populationen", d.h. einem in seinen Erbanlagen nicht einheitlichen Material, und innerhalb yon ,,reinen Linien". Durch ~u6ere Bedingungen, bewu6te oder unbewu•te Auslese, kann bei Populationea allein dutch Verschiebung der Zahlenverhi~ltnisse der in ihr enthaltenea verschiedenen Rassen scheinbar erbliche Ver~nderung erzielt werden, ohne da6 eine Ver~tnderung vorhandener oder Bildung neuer Formen erfolgt.

Demgegentiber sind bei hOheren Lebewesen tats~chliche Neu- oder Umgestaltungen yon dreierlei Art zu unterscheiden: Kombinationen, Modifikationen und Mutationen.

K o m b i n a t i o n e n beruhen auf der Verteilung und dem Zusammen- treffen verschiedener Erbanlagen, sind also nur im Zusammenhang mit Befruchtungsvorg£ngen m(iglich.

Als M o d i f i k a t i o n e n bezeichnen wit jede Ver~inderung, die die Keimesanlagen (Gene) nicht bertihrt, also nicht erblich im strengen Sinne ist, wi~hrend s~imtliche erblichen Yeri~nderungen - - gleichgtiltig unter

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welchen Umstiinden sie entstanden, oder wie grofl sie s i n d - - n n t e r den ]3egriff der M u t a t i o n fallen, der damit eine etwas andere, aber schtirfere Fassung erh/ilt, als sie de Vries ihm ursprtinglich gab.

Andere Bezeichnungen, wie Fluktnationen, Adaptionen und dergl.

erscheinen, wie auch besonders schon E. B a u r ausgeftihrt hat, ftir die Fragen tier Vererbung tiberfltissig, da sie stets unter einen der genannten Begriffe fallen und nur die Klarheit der Vorstellungen st(iren.

Versuchen wir nun diese Begriffsbestimmung auf die bei den Mikro- organismen festgestellten Tatsachen anzuwenden: Beginnen wollen wir hierbei mit den Infnsorien; bietet uns doch diese Protozoengruppe den grot~en Vorteil, da6 neben praktisch unbegrenzter vegetativer Ver- mehrung, die der tier Bakterien, Trypanosomen nnd anderen durchaus entspricht, auch regultire Befruchtungsvorgtinge stattfinden. Und d a d e r Untersucher es einigermaflen in der Hand hat, die Konjugation experi- mentell auszul~sen oder zu unterdriicken, so ist damit bei den Infnsorien die MOglichkeit gegeben, das Verhalten yon Vertinderungen sowohl bei rein vegetativer Vermehrung, wie auch nach der Befruchtung zu pri~fen.

Auch bei den Variationserscheinungen der I9fusorien mtissen wit zun~chst zwischen dem Verhalten yon Populationen und reinen Linien unterscheiden. Dutch die Arbeit~n yon J e n n i n g s ist n/~mlich fiir Para- maecium gezeigt worden, da6 innerhalb der Art zahlreiche verschiedene Rassen vorhanden sind. Die Variabilit~t der Paramaecien eines Gewtissers oder einer Kultur kann also schon im wesentlicheu allein auf der An- wesenheit mehrerer solcher verschiedener l~assen beruhen. Und dutch Selektion aus einer derartigen Population 1/il~t sich anch gerade bei den Infusorien eine scheinbare erbliche Verschiebung der Reaktionsnorm ver- ht~ltnismttl~ig leicht nachweisen ( J e n n i n g s , J o l l o s ) .

Derartige Verh~ltnisse mSgen bei mancher ,,Mutation" yon Mikro- organismen eine Rol!e gespielt haben, sind aber theoretisch so welt klar, dab w i t sie hier nicht eingehender zu behandeln b r a n c h e n . - Auch die Kombinationen, die erste der yon uns unterschiedenen Arten der Varia=

bilit/itsbildung, sind fiir unsere Betrachtung nut yon geringer Wichtigkeit.

Erwtthnt sei nut, dab ftir Infusorien die Entstehung neuer Varianten durch Kombination nachweisbar war (vergl. J o l l o s 1913a). Ftir die

~neisten anderen zu experimentellen Forschungen herangezogenen Mikro- organismen (Bakterien, Trypanosomen u. a.) kommt sie dagegen wegen des Fehlens oder der Seltenheit von Befruchtungsprozessen bisher nicht in Frage.

Anders die Modifikationen und Mutationen. Ihre Bedeutung ftir die Infusorien sei an der Hand yon Versuchen tiber Temperatur- und Giftwirkung (Jollos 1913) genauer geprtift:

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Variabilit~it und Vererbung bei ~[ikroorganismen. 17

Bei sorgfiiltig gleichgehaltenen Kulturbedingungen lii~t sich ftir reine Linien yon Paramaecium ein bestimmtes, bei verschiedenen Rassen h~tufig verschiedenes, bei tier gleichen aber nur ger~ngen Schwankungen unterworfenes Maximum der Temperatur, sowie der Giftkonzentration feststellen, bei dem die Infusorien noch existieren k(innen. Steigert man nun yore Optimum ausgehend die Temperatur oder die Giftkonzentration ganz allm~thlich, so kann man manchmal eine Uberschreitung der ur- spriinglichen Grenze erzielen. In den meisten F~illen ist diese Uber- schreitung nur gering; neuerdings konnten aber bei einigen Linien yon Paramaecium auch betr~chtliehere Verschiebungen der Grenzkonzentration yon arseniger S~ture erreicht werden, dergestalt, daft schlieftlich eine Giftmenge noch ohne Sch~digung ertragen wurde, die bei unmittelbarer Einwirkung auf nicht vorbehandelte Individueu der gleichen Linie bald zum Tode fiihrte. Bringt man nun eine derartige, an h(ihere Temperatur oder Giftkonzentration gewShnte Kultur wieder unter die ursprtinglichen Bedingungen, um dann nach kurzer oder langerer Zeit ihr Verhalten gegeniiber den frtiheren extremen Verh~ltnissen yon neuem zu prtifen, so zeigt sich, daft die Paramaeeien ihre friihere erhShte Resistenz voll- st~indig eingebtiftt haben und sich nicht mehr von unbehandelten Infusorien gleicher Rasse unterscheiden, gleichgiiltig, wie grofl die Erh(ihung der Widerstandsf~higkeit frtiher gewesen war.

Auch Veriinderungen der Gestalt und GrOfte tier Infusorien, wie man sie bei solchen, an h(ihere Arsenkonzentrationen gew(~hnten Para- maecien beobaehten kann, schwinden nach Versetzung in ein arsenfreies Medium gleichzeitig mit der erhtihten Resistenz.

I n all d i e s e n F ~ ] l e a hubert w i r e s also m i t M o d i f i k a t i o n e n , g a n z w i e bei h ( i h e r e n L e b e w e s e n , zu tun.

Neben solchen Modifikationen sind aber bei Paramaecium aueh echte Mutationen beobachtet worden. In einer reinen Linie, die li~ngere Zeit bei 31° einer ftir diese Infusorien zwar relativ hohen, aber doch erheblich unter dem Maximum (37 his 38 °) fiir die betreffende Rasse gelegenen Temperatur gehalten wurde, traten nach l~nfferer Zeit neben der Aus- gangsform Paramaecien auf, die in ihrer Gr(il~e nicht unerheblich yon ihr abwichen. Isolierte Aufzucht solcher abweichenden Individuen zeigte, daft es sich bei ihnen um eine konstante neue Rasse handelte, die sich yon ihrer Stammform nieht nur durch ihre geringere Grii~e, sondern auch (lurch ein h~heres Temperaturmaximum unterschiedl), und diese

~) Sie konnte ohne weiteres bei 39 o kultiviert werden~ eine Temperatur, bei der sich weder die ±usgangsform noch ~rgend ein anderer meiner Paramaecienst~mme l~ingere Zeit zu halten vermochte.

Induktive Abstaramungs- und Verel"bungslehre. XII. 2

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abweichenden Eigenschaften w~thrend vieler Monate und unter den ver- schiedensten Lebensbedingunge~ behielt (bis sie durch ungfinstigen Zu- fall einging). Von besonderer Wichtigkeit erscheint aber der Umstand, da~ die abweichende Reaktionsnorm sich ebenso wie bei vegetativer Ver- mehrung auch nach Konjugation als konstant erwies. D a m i t ist also b e w i e s e n , dal3 es sich in diesem F a l l e um e i a e V e r ~ n d e r u n g der E r b a n l a g e n h a n d e l t . Und da die Ver~ndernng in einer yon einem einzigen Paramaecium abstammenden Kultur unter Temperatur- und Ernithrungsbedingungen auftrat, die zuf~llige Konjugation, soviel wir wissen, ausschliel~en, so haben wir es bier also mit einer echten M u t a t i o n zu tun.

(Es mag dabei noch erwahnt sein, daft unserer Mutante, obwohl sie bei verh~ltnism~6ig hoher Temperatur entstand, and ein erh~htes Temperaturmaximum gegenfiber dem Ausgangsstamm besal3, dennoch jede adaptive Natur felflt. Bei 31 o hielt sie sich n~tmlich nur bei isolierter Aufzucht; sowohl in dem Kulturglas, in dem sie entstanden war, wie auch ia anderen Mischkulturen wurde sie dagegen yon der Stammform ,,fiberwuchert" und war naeh einiger Zeit nicht mehr nachweisbar, eine Beobachtung, die zeigt, wie leicht Mutationen auch bei sorgf~ltig ge- fiihrten Kulturen dem Untersucher entgehen k6nnen).

Neben diesen bisher ~ u 6 e r s t selten beobachteten echten Muta- tionen and neben den zuvor beschriebenen ~odifikationen sind bei In- dividuallinien yon Paramaecium unter der Einwirkung von arseniger S~ure nun aber noch Ver~nderungen dritter Art festgestellt worden.

Bei langdauernder Einwirkung wechselnder und gelegentlich ftir kurze Zeit auch fiber die Grenzdosis gesteigerter Konzentrationen des Giftes wurde in einer Anzahl yon F~llen bei verschiedenen Linien recht erhebliche Giftfestigung erzielt. Und zwar steigerte sieh die Resistenz meist schrittweise, kam aber in einem Falle auch auf einmal zustande.

W~hrend die Ausgangslinien stets bei einer Konzentration yon 0,8 bis 1,1:100 der verwandten LSsung arseniger S~ure innerhalb 48 Stunden eingingen, konnten sie sp~terhin noch his 5 : 100 vertragen, ohne erkenn- bar geschiidigt zu werden.

Von den als Modifikationen erw/~hnten, an h6here Arsen-Konzen- trationen allmhhlieh gew(ihnten Paramaecien unterscheiden sich diese gefestigten St~mme, abgesehen yon tier wesentlich h(iheren Resistenz, h~ufig auch in ihrem Habitus: die an arsenige S~ture gew(ihnten In- fusorien sind meist gr(ifer als der unbehandelte Ausgangsstamm, die gefestigten nicht. Der wesentlichste Unterschied liegt aber darin, da6 die gefestigten St~mme ihre erh(ihte Widerstandsfi~higkeit bewahren, auch

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Yariabilitiit und Vererbung bei Mikroorganismem 19 wenn sie lange Zeit in arsenfreiem Medium weitergefiihrt werden. Sie verhalten sich zun~chst also ganz wie Mutationen, yon denen sie den- noch prinzipiell geschieden werden miissen, wie sich bei genauer Prtifung klar ergibt.

Wird n~mlich die Beobachtung der ver~nderten St~mme geniigend lange fortgesetzt, so kann man sch]ie61ich - - wenn auch meist erst nach geraumer Z e i t - schon unter normalen Bedingungen nnd bei rein vege- tativer Vermehrung eine allm~hliche Riickkehr zur Ausgangsnorm nach- weisen. So behielt z . B . ein Stature (B1), d e r bis gegen 5 : 1 0 0 der benutzten Liisung arseniger 8~ture gefestigt worden war (w/~hrend die Ausgangslinie B bereits dutch 1,1:100 stets abgetftet wurde), diese Resistenz bei arsenfreier Kultur w/ihrend 7 Monaten unver~ndert bei.

Anders wurde dies jedoch im achten Monat; jetzt starben Proben aus der Kultur unter sonst gleichen Bedingungen bei dieser Konzentration regelm/~l~ig, vertrugen aber noch 4 : 1 0 0 ; dann jedoch ging die Gift- festigkeit immer weiter und schneller zuriick: Nach 91/2 Monaten betrug die ,,maxima-tolerata"-Dosis nur mehr 2,5 : 100, nach 101/2 Monatea end- lich 1:100. Es war also wieder der Zustand der Individuallinie B, der Ausgangslinie yon B1 erreicht und wurde dann dauernd welter bei- behalten. - - In gleicher Weise, nur in etwas ktirzerer Zeit, ging auch die Giftfestigkeit aller anderen St~mme im arsenfreien Medium verloren, ohne dal~ dabei geschlechtliche Vorg~nge mitspielten.

Beschlennigen lassen sich diese Riickbildungen durch tiefgreifende

~ul~ere Einwirkungen: Bei einem his gegen 3,5:100 gefestigten Stamme wurde ein Teil in normaler Kultur gehalten, ein anderer einem h~ufigen und schroffen Wechsel der Ern~hrungs- und Temperaturbedingungen ausgesetzt. Die derartig behandelten Paramaecien verloren nun bereits nach 2 Monaten ihre Giftfestigkeit, w~hrend sie bei dem unter normalen Verhiiltnissen belassenen Tefl des gleichen Stammes erst nach 31/2 Mo- naten zurtickzugehen anfing.

Da die Giftfestigkeit also bei rein vegetativer Vermehrung wieder vollst~indig schwand, so kann es sich bei diesen resistenten Sti~mmen nicht um eine Ver~nderung der genotypen Grundlage, eine Mutation der Ausgangslinie gehandelt haben. Und vOllige Klarheit hiertiber bringt endlich ihr Verhalten nach der Befruchtung: Bei einem giftfesten Para- maeciumstamm, der noch eine Konzentration yon 3 : 100 vertrug, w~hrend er nrsprtinglich durch 1 : 100 abgetStet worden war, traten nach 1 Monat arsenfreier Kultur vereinzelte Kbnjugationsp~trchen auf, die yon den iibrigen Infusorien getrennt weitergeziichtet wurden. E s e r g a b s i c h n u n , da~ die a u s d e n E x k o n j u g a n t e n h e r v o r g e g a n g e n e n K u l -

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t u r e n i h r e G i f t f e s t i g k e i t s o f o r t u n d m i t e i n e m S c h l a g e v e r - l o r e i i h a t t e n . Schon bei der ersten Prtifung (2 Wochen nach der Konjugation), und ebellso bei allen sp~teren, wurdell sie, ganz wie die Ausgangslinie, durch eine Konzelltration yon 1 : 1 0 0 wieder abget0tet, w~hrend der andere Teil der Illfusorien, der keille Konjugatioll durch- gemacht hatte, erst llach weiterell 3 Monatell, und dann allm~thlich, ganz entsprechelld dem oben beschriebeneii Falle des Stammes B1, die Wider- stalldsf~higkeit gegen arsenige S~ure zuriickbildete.

D i e s e B e o b a c h t u n g e l l z e i g e n w o h l z u r G e n t i g e , da6 a u c h bei u n s e r e n , , g i f t f e s t e n " P a r a m a e c i u m s t ~ m m e i i k e i n e B e e i n - f l u s s u n g tier , , g e n o t y p e n G r u n d l a g e " e r f o l g t w a r , s o l l d e r n dal~

es s i c h b e i d i e s e r R e s i s t e n z n u r um e i n e d e r Z e l l e n u r i~u6er- l i c h a u f g e z w u n g e n e V e r ~ n d e r u n g h a n d e l t , die i h r e p o t e l l t i e l l e n F ~ h i g k e i t e n i i b e r h a u p t n i c h t v e r ~ n d e r t e , sie z w a r e i n i g e Z e i t n i c h t z u r G e l t u i i g k o m m e n liel~, a b e r s c h l i e 6 1 i c h doch y o n i h n e n i i b e r w u n d e n w u r d e , l a l l g s a m u n d e r s t llach l a n g e r Z e i t bei I I o r m a l e n B e d i n g u n g e n , s c h n e l l e r b e i w e c h s e l n d e l l , die die be- t r e f f e n d e n I n d i v i d u e n zu m a n n i g f a c h e n R e a k t i o n e l l z w i n g e n , m i t e i n e l n S c h l a g e d u r c h die iln Z u s a m m e n h a n g mit d e r K o n - j u g a t i o n e r f o l g e l l d e t i e f g r e i f e n d e U m g e s t a l t u i i g des P a r a -

m a e c i u m k ~ r p e r s .

Das Fehle~ der Beeinflnssuiig der Erbanlage, wie es sich besonders klar bei dem Verhalten linch der Koiijugation zeigte, trellnt die yon uns behandelteii Fglle prinzipiell yon Mutationen. Sie mtissen also nach unserer eingangs gegebenen Begriffsbestimmung als Modifikationen be- wertet werdell. Da sie sich aber andererseits auch yon den gew0hn- lichen Modifikationen, wie wir sahen, durch ihre langdauernde - - im Falle yon B, sich ~lber 600 Teilungsschritte erhaltende - - Konstanz bei Zurtickversetzullg in die ursprilnglichen Lebeiisbediiignngell wesenttieh llnterscheiden, so erscheint es notwendig, for derartige Vergllderungen eillell lleuen Begriff zu schaffen. Wir haben sie daher als , , D a u e r - m o d i f i k a t i o n e n" bezeichiiet.

Zwischeii den Dauermodifikatiollen und den gew{}hnlicheii Modi- fikationen ist llaturgemgl~ keine s c h a r f e Grenze zu ziehen, da beide Gruppen durch zahlreiche {3berggllge - - k~rzere oder l~tngere ,,blach- wirkungserseheinungen" - - miteinander verbunden sind. Praktisch wesentlieh sehwieriger gestaltet sich aber die begrifflich absolut scharfe Treniiung voll Dauermodifikatioiieii und Mutationen: Beides sind ja, wie wir sahen, Vergnderungen, die sich weder ill ihrer Gr56e, noch in der Art ihres Zustaiidekommens zu unterscheiden brauchen und bei der

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Yariabilit~t und Yererbung bei Mikroorganismen.

,vegetativen" Vermehrung wiihrend langer Zeit vSllig gleich erscheinen k6nnen. Bei den Infusorien zeigte uns das verschiedene Verhalten nach der Konjugation den prinzipiellen Unterschied zwischen beiden Erschei- nnngen aufs klarste. Wo nun eine Befruchtung fehlt oder nicht be- kannt ist, sind wir allein auf die iibrigen bei den Paramaecien fest- gestellten Unterschiede angewiesen: Wir miissen also daran festhaIten, daB, w~hrend Mutationen unter allen Umst~inden konstant bleiben, Dauer- modifikationen Each einiger, wenn auch h~ufig s e h r langer Zeit wieder zur Stammform zuriiekschlagen. Durch Ausl~sung durchgreifender Reak- tionen, besonders also durch schroffen Wechsel und ungiinstige Lebens- bedingungen, lassen sich derartige Rilckschl~ge beschleunigen, und es wird daher Aufgabe der kiinftigen Forsehung sein, besondere Methoden hierffir auszuarbeiten. - -

Ehe wir nun die Verbreitung und Bedeutung der Dauermodifikationen bei anderen Mikroorganismen untersuchen, miissen wir uns aber noch mit einer in jangster Zeit weitverbreiteten Vorstellung auseinandersetzen:

Besonders bei Bakterien sind Ri]ekschl~ge vorher lange konstanter End daher als Mutationen aufgefaBter VeranderuEgen beobaehtet und als ,Atavismus" erkl~rt worden. Die betreffenden Forseher identifizierten diese Erscheinungen bei den Bakterien mit Riickschl~gen, wie sie de Vries bei einigen seiner Mutationen yon Oenothera festgestellt hatte, und kamen zu dem SchhtB, dal~ Mutation und Atavismus gleiehartige, nur in verschiedener Richtung verlaufende Prozesse seien, ein Stand- punkt, den wir natiirlich durchaus ablehnen m~issen.

Die mit dem Begriffe ,Atavismus" friiher verbundenen ziemlich unklaren Vorstellungen sind ja durch die neueren mendelistischen Unter- suchungen so weir gekl~rt worden, dal~ wir alle derartigen F~ile bei h6heren Lebewesen auf das Zusammentreffen getrennter Erbanlagen (Gene) bei Neukombination zuriiekf[ihren miissen. In gleieher Weise d~rften sich auch die erw~hnten Beobachtungen yon de Vries erkl~ren, also iiberhaupt keine Mutationen, sondern Kombiuationen darstellen, wie dies aueh besonders durch die Untersuchungen yon H e r i b e r t - N i l s s o n wahrseheinlich gemacht worden ist. Und auch bei den Mikroorganismen haben Mutation und ,Atavismus" niehts miteinander zu tun, zeigen doch unsere an den klareren Verh~ltnissen der Infusorien gewonnenen Ergeb- nisse wohl eindeutig, da6 es sich bei derartigen zur Stammform zur~ick- schlagenden Ver~nderungen nur um Dauermodifikationen handeln kann, w~hrend eehte Mutationen sich aueh hier, wie bei den Metaphyten und Metaz0en, stets unver~ndert erhalten.

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~2 J o l l o s .

I n den Rfickschli~gen z u r S t a m m f o r m h a b e n w i r also bei v e g e t a t i v e r V e r m e h r u n g g e r a d e das b e s t e K e n n z e i c h e n daffir, da6 es s i c h bei d e n b e t r e f f e n d e n V e r a n d e r n n g e n nm k e i n e Ver-

~ n d e r u n g d e r G e n e , s o n d e r n um D a u e r m o d i f i k a t i o n e n h a n d e l t . Aber auch in dem Verlauf der t~tickschlfige und der Art ihres Zustande- kommens werden wir in manchen F~llen tiberraschend weitgehende und damit woht auch den letzten Zweifel beseitigende IJTbereinstimmungen mi£ dem beschriebenen Verhalten der Dauermodifikationen der Infusorien feststellen k(Jnnen.

Bei unserem Uberblick fiber solche bisher meist for Mntationen er- klgrte Ver~nderungen bei den verschiedenen Mikroorganismengruppen wollen wir demgem~iB mit Erscheinnngen beginnen, die auf dem gleichen Gebiete wie die bei den Infusorien besprochenen liegen, und betrachten daher zun~tchst die Umstimmung mancher Protisten unter der Einwirkung yon Chemikalien.

Durch E h r l i c h nnd seine Mitarbeiter ist nachgewiesen worden, daft Trypanosomen und Spirochgten gegen verschiedene Gifte (vor allem Arsenverbindungen und saure Azofarbstoffe der Benzopurpurinreihe) ge- festigt werden k0nnen. Die hgufig sehr betr~tchtliche Resistenzerh6hung wird meist durch Behandlung mit allm~hlich steigenden Dosen erzielt.

Bei manchen Verbindungen geniigt auch die einmalige Einwirkung einer subletalen Dosis. E h r l i c h land n u n , daft die einmal erworbene Gift- festigkeit monate-, ja selbst jahrelang bei den Trypanosomen erhalten blieb, auch wenn sie in dieser Zeit mit den Giften nicht wieder in Be- riihrnng kamen und dabei auf die verschiedensten Wirtstiere tiberimpft wurden. Die gleichen Erscheinungen treten anch anf, wenn man mit Trypanosomenstgmmen arbeitet, die dnrch Vermehrung eines einzigen Parasiten entstanden sind (Oehler). Dennoch handelt es sich auch bier am keine Ver~tnderung der Erbanlagen, keine Mutation; konnte doch G o n d e r zeigen, dab ein derartig konstant giftfester Stamm mit einem Schlage seine Widerstandsf~higkeit verliert, sobald er den Darm des fiber- tragenden Insektes passiert. Fiir uns ist es hierbei gleichgtiltig, ob dieser Rfickschlag im AnschluB an einen Befruchtungsvorgang, oder allein unter dem Einflnsse der dnrchgreifenden Vergnderung der ~iuBeren

Lebensbedingungen erfolgt: In dem einen wie in dem anderen Falle beweist er uns, dab die ktinstlich erzeugte Giftfestigkeit trotz ihrer jahrelangen (~bertragung bei der Vermehrung im Tierk6rper doch nur

eine Dauermodifikation, keine Mutation, darstelltl).

1) Damit soll natiirlich nieht gesagt sein~ dab Giftfestigkeit niemals durch ~[ufation entstehen k ( i n n t e - - es miil~te dies aber erst dutch planm~gige Priifung bewiesen werden.

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Yariabilititt und Vererbung bei 3likroorganismen. 23 Fast noch klarer als bei der Giftfestigkeit liegen die Verh~ltnisse bei der ihr analogen ,,Serumfestigkeit" der Trypanosomen. Auch hier ist yon E h r l i c h eine jahrelange ,,Vererbung" der erworbenen Eigen- schaft beobachtet worden, w~hrend bei entsprechenden Versuchen anderer Forscher die Serumfestigkeit h~ufig nach mehr oder weniger zahlreichen Passagen wieder verloren ging. Besonders schSn zeigen dies die An- gaben yon B r a u n und T e i c h m a n n , die die a l l m ~ h l i c h e Riickkehr derartig gefestigter Trypanosomen zum typisehen Ausgangsstamm im Verlaufe yon 63 Passagen verfolgen konnten. Demgem~B kommen sie auch zu einem mit unseren Ansehauungen aufs beste t~bereinstimmenden Schlul3, wenn sie sagen: ,,Die einmal erworbene Serumfestigkeit wird also nicht dauernd vererbt. Sie stellt vielmehr einen Zwangszustand dar, der dem Trypanosoma durch die auf es wirkenden Sch~dlichkeiten sozusagen aufoktroyiert wird. Dieses ist daher bestrebt, sobald die

~ul3eren Einfliisse wegfallen, sich der Ver~nderung wieder zu entledigen und zum Ausgangsstamm zurt~ckzukehren . . . . "

Ahn]iche Gifteinwirkungsversuche, wie bei den Trypanosomen und Spiroch~ten sind auch mit Hefen angestellt worden und ft~hrten auch bier vom Standpunkt der Erblichkeitslehre zum gleichen Ergebnis: So gelang es E f f r o n t , yon einer Konzentration yon 200 Milligramm F1NH~

pro Liter ausgehend, GewShnungen his an 3000 mg zu erzielen. ,,Die an 2000 mg gew6hnte Hefe kann 2 Passagen dureh Wt~rze aushalten, ohne die F~thigkeit zu verlieren, Wt~rze mit dem urspr~inglichen Fluorgehalt zu verg~tren. Naeh 10 Passagen ist sie gegen 1000 mg sehon empfind- licit, und nach 20 Passagen kann sie 400 mg gerade noch ver- tragen! ''1) - - Also auch hier eine Dauermodifikation, die allm~hlich zurt~ckgebildet wird.

Wenden wir uns numuehr den bei Bakterien festgestellten, an- scheinend erblichen Ver~nderungen zu, so woUen wir gleichfalls mit einer Untersuchung t~ber kilnstlich erzeugte Giftfestigung beginnen:

M a r k s behandelte ein Bakterium der Hog-Choleragruppe mit steigenden Dosen arseniger S~ture und erzielte St~mme, die noch gegen das acht- lathe der ursprt~nglich t6dliehen Konzentrationen gefestigt waren. Vom Ausgangsstamm untersehieden sie sich ferner durch ihre Unbeweglich- keit und dadurch, dab sie auf Endo-agar zum Tell rote Kolonien (start weifier) bildeten. Wurden derartig ver~nderte St~tmme auf arsenfreien N~hrb6den weiter kultiviert, so schwanden die Ver~nderungen nach einiger Zeit allm~hlich: beim Abstechen roter Kolonien erhielt M a r k s dann zu-

1) Zitlert nach H. Pringsheim.

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n~chst weitte und rotweil~e, und ebenso beim weiteren Abimpfen yon den entstandenen rotwei$en aus. Wurde dies jedoch mebi'fach fortgesetzt, so bildeten sich schlie$1ich nur mehr weige Kolonien. Ganz entsprechend wurde auch die urspriingliche Beweglichkeit und Giftempfindlichkeit, also die Reaktionsnorm des Ausgangsstammes wieder erlangt, und zwar be- durfte es hierzu desto mehr Passagen, je weiter die Giftfestigkeit hinauf- getrieben war. - - Auch diese experimentell erzeugten Vergnderungen entsprechen demnach durchaus den Dauermodifikationen der Infusorien.

Aus der Fiille der als ,,Mutation" beschriebenen, aber nunmehr als Dauermodifikationen aufzufassenden Ver/~nderungen bei Bakterien kSnnen wir bier natiirlich nur wenige charakteristische Beispiele an- fiihren, umsomehr, da gerade auf diesem Gebiete besonders kritische Sichtung der einzelnen Versuchsergebnisse erforderlich scheint. Dtirfte doch so manche ,,Bakterienmutation" nur auf nicht erkannte Misch- infektion oder andere technische Fehler zuriickzufiihren sein, wghrend manche andere Beobachtung schon den alten Bakteriologen wohl bekannt war, aber erst in der Mutationsgra far bedeutungsvoll angesehen wurde.

Daneben sind freilich eine ganze Reihe interessanter neuer Feststellungen gemacht worden, so vor allem auf dem Gebiete der Fermentbildung.

N e i s s e r und Massini konnten zuerst bei einem Colistamme die merkwiirdige Beobachtung der sogenannten ,,Knopfbildung" und der im Zusammenhange damit stehenden Ausbildung yon Laktase nach Kultur auf milchsgurehaltigem Nghrboden machen. Kultiviert man dieses ,,Bac- terium coli mutabile" auf Endo-Agarl), so bildet es anfangs nur weiBe Kolonien, veto zweiten Tage an treten zwischen diesen aber knopfartige Verdichtungen (Sekundgrkolonien) auf, die den Milchzucker des N/ihr- bodens verggren; Abimpfung von diesen Knepfen ergibt zun/~chst meist rote und wei$e Kolonien (da es kaum gelingt, bei der Abimpfung vom Kn~pfchen die umgebenden weil3en Kolonien ganz zu vermeiden), w~h- rend aber die weiBen Kolonien immer wieder Knopfbildung und dem- gemKfl Aufspaltung in wei~e und rote zeigen, entstehen aus den roten stets nur rote, d.h. Laktase bildende Abkfimmlinge, die diese offenbar

• unter dem Einflusse der milchzuckerhaltigen Substrate erworbene Eigen-

1) Der l~achweis der Entstehung bezw. des Verlustes der Fermentbildung wird durch den Gebrauch der in der medizinischen Bakteriologie iiblichen N~ihrb~dea mit Farbstoffzusatz sehr erleichtert; in Frage kommen vor allem Lackmus-Milchzuekeragar

• (naeh D r i g a l s k i - C 0 n r a d i ) und Milchzucker-Fuchsinagar (nach Endo). Wird der ~[ilch- zucker (an dessen Stelle natiirlich auch ein anderes Kohlenhydrat treten kann) yon dem betreffenden Bacterium zerlegt, so ist auf beiden N~hrbi~den unter der Einwirkung der entstehenden ]gilchs~iure Rotf~rbung der Laktase bildenden Ko]onien zu bemerken.

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Variabilitiit und Vererbung bei Mikroorganismen. '25 scMft behalten, auch wenn man sie dann lange Zeit auf milchzucker- freiem Ni~hrboden welter fiihrt.

Diese Feststellungen M a s s i n i s sind in der Folge yon verschie- denen Untersuchern best~ttigt und erweitert worden. B e n e c k e und K o w a l e n k o konnten die gleichen Erscheinungen auch bei St~mmen nachweisen, die aus einem einzigen Keim mit Hilfe der B u r r i s c h e n Tuschepunktmethode erhalten waren, wo also der Einwand der M(iglich- keit einer Mischkultur sicher fortfiel. Von anderen Forschern, besenders R e i n e r M Jill er, wurden dann ana]oge Fermentbildungen fill" verschiedene andere Bakterien festgestellt, und zwar konnten entsprechend der Wahl des dem N~ihrboden zugesetzten Kohlehydrats auch die verschiedensten Fermente kiinstlich hervorgerufen werdenl).

Von N e i s s e r und M a s s i n i ist die Erwerbung des Laktasebildungs- verm(igens durch das Bacterium coli mutabile wegen der ,,pl5tzlichen"

Entstehung und anscheinend beliebig langen Ubertragung auch bei milch- zuckerfreier Kultur als Mutation aufgefal~t worden, eine Anschauung, der sich auch andere Untersneher (R. Milller, B a e r t h l e i n u. a.) an- schlossen, w~thrend M. N e i s s e r selbst sie sp~terhin wieder zurilckzog.

In der Folge wurde n~tmlich vielfach die Frage diskutiert, ob es sich bei diesen Erseheinnngen wirklich um Neuerwerbungen handle oder nur um die Ausl(isung bereits latent vorhandener oder auch frilher wirk- samer Anlagen, ein Ausweg, zu dem manche Forscher griffen, besonders als die Zahl der Mutationen sich andauernd vermehrte und andererseits yon B u r r i der ~Nachweis gefilhrt werden konnte, da~ bei geeigneter Versuchsanordnung sich s~mtliche Bakterien einer Kultur in gleicher Weise verSndern, Feststellungen, die doch nicht recht mit den allgemeinen Vorstellungen tiber Mutation and Artbildung iibereinstimmen wollten.

Bei unserer Auffassung dagegen fallen diese theoretischen Schwierig-

1) Immerhin darf die Fiihigkeit der Bakterien, in spezifischer Weise auf die ver- schiedenen Aul~eneinfliisse zu reagieren~ auch nicht zn sehr iibel'schiitzt werden, und man daft nicht iibersehen~ dag derartige Fermentbildungen keineswegs mit jedem Bak- terienstamm gegeniiber jedem Kohlehydrat miiglich sind. Andererseits kommen solche scheinbar streng spezifischen Reaktionen auch ~nter g~inzlich anderen Einwirkungen zu- stande. So fand S e i f f e r t , dal~ ein Paratyphusstamm nach Behandlung mit Malachitgriin die F~ihigkeit erlangt hatte, Rohrzucker zu vel:giiren, so zeigten sich z. B. in den yon uns erw~il-mtea Versuchen yon M a r k s die an eine 8-fache Desis arseniger S~iure ge- w~ihnten Bakterienst~imme gleichzeitig gegen das 40-fache der sonst vertragenen Antimon- konzentration gefestigt, so erwiesen sich endlich (nach B e r n h a r d t und O r n s t e i n ) manche aus alten Kulturen herausgeziichtete Variet~iten von Typhusbazillen als viillig serumfest. - - Die Reaktionsm~iglichkeiten der Bakterien sind demnaeh zwar seh r mannig- faltig: abel' dech nicht unbegrenzt.

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26 Jollos.

keiten und damit auch die Notwendigkeit der Zuriickschiebung auf ,,im Entstehen begriffene" Anlagen natfirlich fort. Gewi6 bleibt die groSe aber, wie wir sahen, doch nicht u n b e g r e n z t e - Mannigfaltigkeit der Enzymbildung unerkl~rt. Aber far uns, die wir darin bei den Bakterien nur Dauermodifikationen sehen, liegen die R~tsel ausschlief~lieh auf physiologiseh-chemischem und nicht auf vererbungstheoretischem Gebiete - - ganz wie bei der entsprechenden Fermentbildung im Blute yon Wirbel- tieren auf parenterale Zufiihrung yon Eiwei$- oder Kohlehydratverbin- dungen hin.

Daft es sieh aber auch bei diesen Fermentbildungen der Bakterien um Dauermodifikationen handelt, zeigen uns wiederum und hier besonders seh6n die beobachteten Riiekschl~ige zur Ausgangsform. Spontaner Ver- lust des erworbenen G~rvermfigens bei einem Tell der Kultur, also Bil- dung auch wieder weil~er Kolonien auf Endoagar, ist yon verschiedenen Forschern besonders bei lange fortgesetzter Untersuchung festgestellt worden, regelm~l~iger lieflen sich derartige partielle Riicksehl~ge dureh Tierpassagen erzielen ( B e r n h a r d t 1 ) , L e n t z , S a i s a w a ) , und eine totale also sich auf s~mtliche untersuchten Keime erstreckende Umkehr zur Ausgangsnorm erhielt bereits M a s s i n i bei Kultur des abge~nderten B. coli mutabile auf Karbolagar. - - Ganz wie bei den giftfreien Infu- sorien oder Trypanosomen wird also auch bier die R~ckbildung der Dauermodifikation durch tiefgreifendeVerKnderung der Lebensbedingungen begiinstigt.

Ein weiteres recht instruktives Beispiel yon Dauermodifikationen des G/~rverm~gens yon Bakterien ergibt sich aus Beobachtungen yon S S r e n s e n : Bei einem an Pneumaturie erkrankten Diabetiker fanden sich bei mehreren in Abstand yon 3/t Jahren vorgenommenen Unter- suchungen als Verursaeher der starken Gasbildung in tier Blase stets zahlreiche als B. 2neumaturiae bezeichnete Bakterien, die sich auch in Kulturen durch ein starkes Zuckerverg~rungsvermfigen auszeichneten.

Nach ~ Jahren verschwanden die klinischen durch die Gasbildung in der Blase hervorgerufenen Symptome spontan. Die bakteriologische Prtifung ergab wiederum Bakterien yon gleichem Aussehen und kultu- rellem Verhalten wie zuvor, die jetzt aber Zucker nieht verg~rten. Der Stature wurde welter fortgefiihrt und zeigte auch bei wiederholter Prii- lung w~hrend 11 Monaten kein G~rvermSgen. - - Dann aber konnten die Bakterien der Kulturen mit einem Male wieder Zucker s p a l t e n -

1) Bernhardt bezeichnet die Veranderungen daher sehon richtig als ,Modifi- kationen :~.

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Variabilit~t und Vererbung bei Mikroorganismen. 27 und nach 7 weiteren Monaten erkrankte auch der Patient wieder an Pneumaturie.

An diesem der Praxis entnommenen Beispiele interessiert uns vor allem die Feststellung, dal~ die Bakterien die Dauermodifikation im K6rper des Patienten weit l~tnger beibehielten als in den Kulturen. Often- bar waren sic eben dort noch ~ul~eren Einflfissen ausgesetzt, denen gegeniiber ihre innere Potenz sich weniger leicht durchsetzen konnte.

Einen Fall ~hnlicher Art zeigen ferner wohl die ~tlteren Unter- suchungen yon S c h i e r b e ck ~ber die Variabilit~t der Milchs~urebakterien:

Durch l~ngere Zucht in Milch mit Karbols~urezusatz konnte das G~rungs- vermSgcn betr~chtlich herabgesetzt werden, und diese Herabsetzung blieb auch bei Ubertragung der Bakterien in karbolfreie Milch lange Zeit erhalten. In monatelang steril gehaltener und dann autoklavierter Milch wurde dann Riickkehr zur Ausgangsnorm erzielt, wahrend ein anderer Tell der Bakterien, der diese letztgenannte Passage nicht mitgemacht hatte, noch weiterhin herabgesetztes G~rungsverm~gen aufwies, ein Ver- halten, das S c h i e r b e c k auf sch~dliche, d.h. die Wiedergewinnung des normalen G~rverm0gens hindernde Faktoren des N~hrsubstrates zurack- filhrt.

Neben derartigen Ver~nderungen der Fermentproduktion, die, wie wir sahen, wohl s~mtlich als Dauermodifikationen aufgefafit werden miissen, sind ,,Mutationen" bei Bakterien besonders h~ufig auch auf dem Gebiete der Farbstoffbildung, speziell bei B. prodigiosus beobachtet worden ( B e i j e r i n c k , Wolff u.a.). Viele dieser sich lange haltenden Umbildungen weisen aber wiederum Rfickschl~ge auf und geben sich uns damit gleichfalls als Dauermodifikation zu erkennen. In einem der.

ver~nderten St~mme yon Wolff erfolg~en derartige Riickschl~ge ganz rege]m~l]ig nach einiger Zeit. Da sic sich aber hie auf s~mtliche Bak- terien einer Kultur erstreckten und die verhnderte Form sich also durch Selektion st~ndig weiterffihren ]ie~, so spricht Wolff auch in diesem Falle die Ver~nderung als Mutation an, eine Auffassung, der wir nicht zustimmen k0nnen: Gerade tier Umstand, dab die Rficksch]~ge immer wieder und in s ~ m t l i c h e n Kulturen auftraten, zeigt wohl klar, dal~

keine Ver~tnderung der Erbanlage, sondern nur Dauermodifikationen vor- ]agen. Und wenn sich diese zum mindesten in einzelnen Keimen st~tndig w~hrend tier ganzen Versuchsdauer hielten, so ist dies wohl entsprechend den friiher erwShnten Beobachtungen yon Marks, S S r e n s e n oder S c h i e r b e c k auf doch nicht lange genug fortgesetzte Kultur der nicht zur~ckschlagenden Keime oder das Vorhandensein den Umschlag stOren- der Faktoren des Substrates zur~ckzuffihren.

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28 Jollos.

Da Ver~nderungen bei Bakterien haupts~chlich yon medizinischer Seite untersucht worden sind, so spielen feruer ,,erbliche" Verschiebungen im serologischen Verhalten und der Virulenz neuerdings keine geringe Rolle. Daft es sich auch bier um Dauermodifikationen handelt, sei durch einige weitere Beispiele belegt:

In ihren Beitr~gen zur Biologie der Enteritisbakterien schreiben S o b e r n h e i m und S e l i g m a n n tiber Ver~nderungen zweier (als ,,Rum- fleth" und ,,Hanstedt" bezeichneter) Stitmme des B. enteritidis G i i r t n e r : ,,Nach agglutinablem und antigenem Verhalten repr~sentierten diese Stiimme, als sie in unseren Besitz gelangten, einen Sondertypus, der nicht mehr als G i i r t a e r zu erkennen war; auch in kultureller Itinsicht bestanden kleine Abweichungen. Mit der Zeit erfolgte die Riickbildung zum Giirtner-Typus, wobei es uns gelang, aus der Ausgangskultur eine t~eihe yon TSchterst~mmen herauszuztichten, die nach Agglutinierbarkeit, Agglutiniubildung und kulturellen Eigenschaften den verschiedensten 0bergangs- nnd Umwandlungsstufen entsprachen. In einem Falle (Han- stedt) konuten wir alsdann abermals die Umbildung des C-~rtner- zum Sondertypus in ihren Anf~ngen verfolgen."

Ein weiteres Beispiel bieten uns die Untersuchungen yon Cohn tiber die hnmunisierung yon Typhusbazillen gegen die bakteriziden Kr~fte des Serums. Bei Kultur in Bouillon bei Zimmertemperatur ging die erzielte Festigung der Bakterien nur langsam und allmlihlich zurtick, wShrend sie bei Versetzung der Stlimme in den Thermostaten sehr rasch verloren wurde.

Bekannt sind ferner Verluste der Virulenz mancher pathogener Bakterien und ihre Wiedergewinnung. So konnte Kolle avirulent ge- wordene Pestkulturen durch zehnmalige Tierpassage wieder hochvirulent machen.

Zn erw~thnen haben wir endlieh noch Ver~nderungen der Kolonie- bildung, mit denen h~ufig auch ansgesprochene morphologische Unter- schiede der einzetnen Bakterien abweichend wachsender Kolonien parallel gehen. Das Auftreten solcher atypischer Kolonien ist schon seit langem bekannt uud besonders fiir die Choleravibrionen eingehend beschrieben worden (Koch, Gaffky, F r i e d r i c h , M e t s c h n i k o f f , K r u s e u. a.).

W~h,rend aber die ~tlteren Autoren derartigen Erscheinungen nur praktiseh- diagnostische Bedeutung beima6en, wollen neuere Untersucher auch hierin echte Mutationen erkennen, so vor allem B a e r t h l e i n , der bei verschie- denen Bakterienarten aus derartigen abweichenden Kolonien konstant in gleicher Weise abweichende St~mme ziichtete. Aus Aussaaten alter Kulturen konnte er auf diese Weise mit grofler Regelmiifigkeit

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Variabilitiit und Vererbung bei ~ikroorganismen. 29 ,,Mutationen" erhalten. Schon K r u s e hat jedoch berichtet, dal~ derartige auf Gelatineplatteu konstant atypisch wachsende CholerastSmme durch zahlreiche Meerschweinchen-Passagen wieder zur Stammfornl zurtick- geftihrt werden kSnnen, und in gleicher Weise traten auch bei allen ,,Mutationsst~mmen" B a e r t h l e i n s RtickscM~ge zum Ausgangsstamm auf, besonders wenn man sie nach einiger Zeit wieder in die Kulturbedin- gungen versetzte, die die Entstehung der ,,Mutation" zuerst hervor- gerufen hatten. - - Aueh diese VerSnderungen tier Gestalt und tier Kolonie- bildung sind demnach Dauermodifikationen. - -

Wir stehen damit am Ende unserer (:Tbersieht: Mit Hilfe der dureh den Einblick in die klareren Verh~ltnisse bei den Infuso~ien gewonnenen Kriterien konnten wir Dauermodifikationen bei den verschiedensten Mikro- organismen und unter den versehiedenartigsten Ver~nderungen nach- weisen. Vor allem zeigte sieh hierbei aueh, daft wohl die weitaus gr(~l~te Zahl der bisher als ,,Mutationen" bei Protisten beschriebenen Erschei- nungen in Wahrheit gleichfalls Dauermodifikationen darstellen. Ja, wenn wir einem der eifrigsten Vertreter der ,,Mutationsanschauungen" folgen wollten, mtif~ten wir sogar s ~ m t l i c h e bisherigen ,,Mutationen" der Mikroorganismen in dieser Weise umdeuten, nimmt doch B a e r t h l e i n (und in 5hnlicher Weise auch B eij e r i n c k ) bei allen derartigen Veriinde- rungen das regelm~l~ige Auftreten yon Rtiekschlhgen zur Reaktionsnorm der Ausgangsform an, ein Standpunkt, tier aber entschieden nieht mit den Tatsaehen tibereinstimmt: Einen sicheren Fall nieht zur Stammform zurtickschlagender Umgestaltung, also eehter Mutation, haben wir ja bereits bei den Veriinderungen der Infusorien behandelt, weitere echte Mutanten diirften z. B. in manchen Ver~tnderungen der Farbstoffbildung bei Bakterien und Pilzen, wie sic besonders yon W o l f und S c h i e m a n n nachgewiesen worden sind, sowie in dem (18 Jahre konstanten!)Verlust des SporenbildungsvermSgens bei einer yon H a n s e n untersuchten Hefe- rasse gegeben seinl).

Und gerade in der Feststellung des Vorhandenseins zweier bei vegetativer Vermehrung zwar schwer unterscheidbarer, aber nicht etwa nur quantitativ, sondern prinzipiell verschiedener Arten yon auf die Nachkommen tibertragbaren Ver~nderungen bei Mikroorganismen, liegt j a d a s Wesentlichste der Aufklltrung, die wir den gtinstigeren Verhalt- nissen bei den Infusorien verdanken. Und wie wir dort die verschiedenen

1) Es ist iibrigens nicht ohne Interesse, dab es sich auch bei diesen Mutanten yon Mikroorganismen, deren Zahl sich bei planm~i$iger Priifung sicher stark vermehren wird, bisher vorzugsweise um Verlustmutationen handelt - - ganz wie bei den htiheren Lebewesen !

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30 J o l l o s .

Kategoriea der Ver~nderungen bei der gleichen Art nachweisen konuten, so linden sie sich nebeneinander auch bei Bakterien und anderen nie- d e r e n Organismen. Als Beleg hierftir seien noch die eingehenden Ver- suche yon B a r b e r angeftihrt:

B a r b er legte Individuallinienkulturen yon verschiedenea Bakterien und Hefen an und entnahm ihnen mit Hilfe einer besonders ausgearbei- teten Methode einzelne bei mikroskopischer Prtifung in irgend einer Hinsicht yon der Norm abweichende Zellen. Diese ziichtete er isoliert welter in tier Absicht, auf solche Weise abweichende neue St~mme zu erhalten. Es ergab sich nun, da6 die meisten der isolierten atypischen Individuen bei ihrer Vermehrung sogleich oder nach sehr kurzer Zeit zur Stammform zurtickkehrten, also nur Modifikationen dargestellt batten.

Wesentlich seltener fanden sich F~tlle, in denen die Ver~nderung zu- n~tchst erhalten blieb, um aber nach einiger Zeit doch gleichfalls wieder zurtickgebildet zu werden. So schlug z. B. eine durch Isolierung einer besonders langgestreckten Zelle gewonnene Typhuskultur am 53. Tage wieder zur normalen Ausgangsform zurtick. Hier handelt es sich also u m I)auermodifikationen.

Einige weitere der aus aberranten Individuen kultivierten St~mme endlich bewahrten ihr abweichendes Verhalten konstant bei einer Beob- achtungsdauer yon bis iiber zwei Jahren und unter den verschiedensten au6eren Bedingungen, erwiesen sich somit wohl als Mutationen 1). Beson- ders hervorzuheben ist bei diesen Beobachtungen noch, dab Mutationen, Dauermodifikationen und Modifikationen sich zuniichst in keiner Weise unterscheiden. Nur aus dem Verhalten der Nachkommenschaft l~l~t sich also das Wesen der Ver~nderung beurteilen.

Die B a r b e rschen Untersuchungen geben sodann noch gewisse Auf- schliisse fiber die H~iufigkeit yon Mutanten: Zun~tchst einmal erwiesen sich aberrante Individuen tiberhaupt als relativ selten, offenbar da die Kulturbedingungen recht gleichmal~ige waren und demgem~6 keinen An- ]aI~ fiir das Auftreten zahlreicher Modifikationen boten. In einzelnen F~llen kam eine atypische Zelle auf etwa 5000

,,normale",

in anderen auf etwa 48 000, in noch weiteren endlich erst auf viele Hunderttausende oder gar Millionen; und unter diesen atypischen Zellen fanden sich wiederum nur selten echte Yfutationen, die meisten waren, wie das Ver- halten ihrer Nachkommen zeigte, nur Modifikationen: So schlugen yon 1) Hierfiir spricht auch der Umstand~ da~ die erzielte Ver~nderung weder durch weitere sich in gleicher Richtung bewegeade Selektion vergriigert~ noch durch kontr~ire riickgebildet werden konnte. Die Wahrscheinlichkeit bei derartigen Selektionsversuchen, wiederum auf eine Mutante zu stol~en, ist eben naturgemi~ sehr gering.

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Variabilitiit und Vererbung bei l~ikroorganismeu. 31 140 isoliert welter kultivierten atypischen Individuen yon Bacterium coli 139 wieder zur Normalform urn, und nur ein einziges ergab einen kon- stant abweichenden Stature und erwies sich damit als Mutation.

Ganz wie bei den Infusorien sind also offenbar aueh bei den Bak- terien e c h t e Mntationen relativ selten nnd treten hinter den Modi- fikationen und Dauermodifikationen stark zuriick.

Unsere Priifung der bei den Bakterien festgestellten Ver~nderungen ftihrt uns somit zu einem von den in jtingster Zeit httufig hervor- getretenen Anschauungen wesentlich abweichenden Standpunkt: Im Gegensatz zu manchen Forschern, die heute auf Grund der zahlreichen, irrttimlich als Mutationen ausgelegten Dauermodifikationen ~uf Schritt und Tritt ,,Mutanten" linden und nur alte, flilssige Kulturen auszustien brauchen, um derartige ,,erbliche Ver~nderungen" zu erzielen, m[lssen wit nach Sichtung der vorliegenden Beobachtungen gerade die gro$e Konstanz der Bakterien und die Seltenheit der bei ihnen bisher fest- gestellten Verttnderungen der ,genotypen Grundlage" betonen. Unser Standpunkt entspricht damit durchaus wieder den Anschauungen tier klassischen Bakteriologie nnd findet ja auch in den praktisch medizini- schen Erfahrungen seine Besttitigung. Denn handelte es sich bei den Ver/inderungen wirklich um eine Beeinflussung der Erbanlagen und nicht nur um Dauermodifikationen, wie schnell h~tte dann der stolze Bau der bakteriologischen Diagnostik in sich zusammensinken miissen! Denn wie wi~re besonders bei unseren, rein biologisch betrachtet, recht un- vollkommenen Kenntnissen und Hilfsmitteln eine sichere Identifizierung mSglich, wenn so leicht und schnell immer neue, erblich verschiedene Formen entst/~nden? 1)

Unsere Betraehtung der Variabiht~tserscheinungen bei Protisten zeigt uns ferner, dal3 keinerlei Widerspruch gegentiber den Erfahrungen bei htiheren Lebewesen besteht. Hier wie dort sind - - wenn wir yon den Kombinationen a b s e h e n - Modifikationen und Mutationen zu unter- scheiden, Veriinderungen, die sich bei beiden Organismengruppen v~llig tibereinstimmend verhalten. Was die Mikroorganismen daneben aus- zeichnet, sind die Dauermodifikationen, Modifikationen besonderer Art, 1) Jedoch darf die Bedeutung der Dauermodifikationen gerade fiir die medizinisehe Bakterioloffi e auch nicht unterschiitzt werden: In manchen Fitllen mfissen sie die Diagnose recht erschweren; welche Rolle sie beim Verlaufe yon Erkrankungen spielen kSnnen~

zeigten uns die Mitteilungen yon S.iirensen; und es liegt auch sehr nah% manche epidemiologischen Beobachtungen mit Dauermodifikationen der betreffenden Erreger in Zusammenhang zu bringenl

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32 Jollos.

deren weite Verbreitung aus den Besonderheiten der Vermehrung der niederen Lebewesen unschwer zu verstehen ist:

Wenn eine Spirogyrazelle durch bestimmte Ein~4rkungen an der Plasmateilung verhindert und damit doppelkernig gemacht wird (G e r a s s i- ra o w), so sind auch alle durch Teilung aus ihr hervorgehenden Abk(imm- linge entsprechend veriindert, und man erhglt demgemgl~ bei vegetativer Vermehrung einen konstant at)~pischen Stamm. Da6 hierbei die Erb- aniagen in keiner Weise beeinfluflt worden sind, ist wohl ohne weiteres klar; aber die Spirogyrazelle kann eben die ihr einmal aufgezwungene Vergnderung im Verlaufe ihrer sich nach strenger Norm vollziehenden vegetativen Vermehrung nieht wieder ausgleichen. Anders bei der Be- fruchtung: Hier kommen nur die erblich fixierten Anlagen zur Geltung, und demgemii~ geht die aufgezwungene Doppelkernigkeit bei der Kopu- lation sofort wieder verloren.

Wenn bei Trypanosomen der Blepharoplast, ein sich bei der vege- tativen Vermehrung selbstgndig teilender, ftir die Lebensfunktionen nicht unbedingt notwendiger Bestandteil der Zelle, durch spezifisch wirkende Chemikalien zerstSrt wird, so k(innen naturgemi~l~ die Abk(immlinge eines-:

derartig vergnderten Trypanosomas bei der Teilung keinen Blepharoplast i erhalten, es entsteht demgemgB ein wi~hrend der vegetativen Vermehrung konst~ant veranderter Stature. Auch hier ist es wohl ohne weiteres klar, da6 die Ver~nderung auf keiner Beeinflussung der Erbanlagen beruht, wird doch (naeh den Angaben S c h a u d i n n s ) der Blepharoplast im Laufe der Entwicklung vom ,,totipotenten" Kern aus gebildet. Da aber eine solche Neubildung fiir gew0hnlich nur im Anschlu6 an eine Befruchtung erfolgt, so kommen die der Zelle eigenen erblichen Potenzen fiir die Blepharoplastbildung in unserem FaUe vorher nicht zur Geltung, es sei denn, dal3 durch starke gu6ere Einwirkungen oder durch allmghliche Summierung yon Sehgdigungen tiefgreifende Reaktionen und Regene- rationen ausgel0st wer~den.

tIier wie bei

Spirogyra

geben uns also schon allein die morpho- logisehen Verhgltnisse einen Einblick in das Wesen und Zustandekommen yon Dauermodifikationen. Die anderen der morphologischen Basis ent- behrenden Fiille sind danach wohl in prinzipiell ~hnlicher Weise zu er- klgren. Demgemii6 k(innen wir auch ohne weiteres verstehen, daft diese bei den Protisten welt verbreitete Kategorie yon Vergnderungen sich bei Tieren und Pflanzen, wenn iiberhaupt, nur relativ selten finden kann:

Die l J b e r t r a g u n g y o n V e r l i n d e r u n g e n bei d e r V e r m e h r u n g d u r c h T e i l u n g i s t , dies m t i s s e n w i r g e g e n t t b e r tier h e r r s c h e n - den A n s i e h t b e s o n d e r s b e t o n e n , eben doeh n i c h t ohne w e i t e r e s

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Yariabilit~t und Yererbung bei Mikroorganismen. 33 m i t d e r d u r c h K e i m z e l l e n v e r m i t t e l t e n V e r e r b u n g b e i h S h e r e n L e b e w e s e n zu v e r g l e i c h e n .

In seinen tiefgriindigen theoretischen Abhandlungen stellt A u g u s t W e i s m a n n die Protisten in prinzipiel]en Gegensatz zu allen h~iheren Lebewesen: Wiihrend bei den h~heren 0rganismen eine Differenzierung in Soma und Keimplasma eingetreten ist, gibt es bei den Einzelligen keine derartige Scheidung; w~hrend dort die meisten Veri~nderungen nur das Soma bertthren, ohne das Keimplasma beeinfiussen zu kiinnen, m u f bier jede Umbildung auch erblich sein. Diese zu ihrer Zeit woht be- griindeten Anschauungen entsprechen nicht mehr unseren heutigen erweiterten Kenntnissen der Mikroorganismen, sind doch die Protisten keineswegs jene einfachsten Lebewesen, die die friihere Forschung in ihnen sehen wollte. F a r die Infusorien hat W e i s m a n n selbst seine An- schauung modifiziert, da bei ihnen eine Trennung yon somatischer und generativer (keimplasmatischer) Komponente morphologisch-entwicklungs- geschichtlich klar hervortritt. Und unsere Analyse der Variabilit~ts- und Vererbungserscheinungen bei Mikroorganismen beweist wohl zur Geniige, daf auch bei allen anderen Protistengruppen die Verh~ltnisse hn Prinzip ebenso liegen miissen, und dal3 in vererbungstheoretischer Kinsicht kein Gegensatz gegenfiber den h(iheren Lebewesen besteht. Das Vorhanden- sein yon Modifikationen und Dauermodifikationen und daneben die rela- tive Seltenheit yon Mutationen zeigt eben, daft auch dort, wo jede klare morphologische Trennung fehlt, die Erbanlagen dem Getriebe der vege- tativen Lebensprozesse bis zu einem gewissen Grade entzogen sind.

~Ifissen wir somit auch die W e i s m a n n s c h e n Anschauungen fiber die Vererbung bei Protisten gem~f unseren heutigen erweiterten Kennt- nissen modifizieren, so wird andererseits doch gerade der Kern seiner Lehre durch unsere Feststellungen aufs gl~nzendste best~tigt. Denn was kann die grofle Unabh~ngigkeit der Determinanten yon somatischen Ver~tnderungen besser zeigen, als das Vorhandensein yon Dauermodi- fikationen bei Mikroorganismen, also yon Umgestaltungen, die sich an der gleichen Zelle abspielen, monate- und jahrelang und w~hrend zahl- loser Teilungen erhalten bleiben - - und dennoch die Erbanlagen nicht gleichsinnig beeinflussen!

Die Ergebnisse der Protistenforschung k(innen hier somit schon zur Aufhellung allgemeinervererbungstheoretischerFragen beitragen. Ein wei- teres Eingehen auf derartige Fragen liegt auflerhalb des Rahmens unserer Er- 5rterung und erscheint bei den gegenw~trtigen Kenntnissen noch verfriiht.

Bei unserer Prfifung der Variabilit~ts- und Vererbungserscheinungen bei den Mikroorganismen mul~ten wir uns demgem~fl auch mit einer

Induktlve Abstammungs- und Verorbungsleh~e. XII. 3

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34 Jollos.

Sichtung des meist wenig systematisch gewonnenen Materials und einer Ordnung der festgestellten Veri~nderungen nuch einheitlichen Gesichts- punkten begnfigen. Sehon fiber die Bedingungen des Auftretens der verschiedenen Kutegorien der Umgestultung der Reuktionsnorm liefl sich kaum etwus uussagen. Mit der Beseitigung der vielfachen Widerspriiche und dem Nuchweis der bei richtigem Vergleich vollst~ndigen l~berein- stimmung mit dem VerhMten der h(iheren Lebewesen dfirfte aber auch die Basis f fir eine plunm~$ige und vertiefte Erforschung der Grundlagen und Bedingungen der Vererbungserscheinungen bei den Protisten ge- geben sein. Und da bei ihnen doch in muncher Hinsicht einfachere und klarere Verh~tltnisse vorliegen, so kSnnen wir yon dieser Forschung wiederum uuch die Kl~rung muncher allgemeiner Vererbungsprobleme erhoffen.

L i t e r a t u r .

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