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Was tun gegen nitrat?

Stefan Wenzel und Johann Hans erläutern ihre Vorschläge zum Schutz des Grundwassers.

s.28 s.38

s.12

Wo spielt die musik?

Christian Haferkamp und Thomas Mahlbacher diskutieren die kommenden Herausforderungen für den Energievertrieb.

Wie WicHtig ist das netz?

Matthias Trunk und Christoph Born über die Frage, welche Aufgaben Stadtwerke selbst übernehmen müssen.

die energie- und Wasserwirtschaft im dialog | das magazin 04|2013

Streitfragen!

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wenn dieses Magazin erscheint, ist der Mitgliederentscheid der SPD über die Zu- stimmung zu einer großen Koalition gelaufen. In langen Koalitionsverhandlungen hatten CDU, CSU und SPD unter anderem ihre Ziele für die Energie- und Wasser- wirtschaft und insbesondere für die Energiepolitik, die für unsere Mitgliedsunter- nehmen von großer Bedeutung sind, festgeschrieben.

Die Energiewende bedeutet Zukunft und Erneuerung. Sie ist verbunden mit Verän- derungen, in denen die Kommunen eine ganz wichtige Rolle spielen: Städte und Gemeinden treffen nicht nur viele Belastungen, die aus den energie- und infrastruktur- politischen Entscheidungen und Entwicklungen resultieren. Kommunen, Stadt- werke, Genossenschaften haben auch die Möglichkeit und die Chance, der Energie- wende neue Geschäftsfelder, große Bürgernähe und erweiterte Gestaltungsspielräume abzugewinnen.

liebe leserin, lieber leser,

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Wo sich etwas verändert, stellen sich viele Fragen, auf die nicht nur, aber vor allem die Stadtwerke und kleinen und mittleren Unternehmen im BDEW Antworten geben müssen. In dieser Ausgabe von „Streitfragen!“ gehen wir – wie immer kontrovers – diesen Fragen nach. Was sind mögliche Gründe für die Renaissance von Stadtwerken?

Was kann kommunale Energiepolitik erreichen und welche Risiken gibt es? Welche Herausforderungen kommen, gerade auch vor dem Hintergrund aktueller Diskus- sionen über das künftige Marktdesign, auf die Vertriebe zu?

Viele Kommunen sind in Finanznöten. Ein Stadtkämmerer beschreibt die Lage in seiner Stadt und die Auswirkungen der Energiewende auf die Kommunen. Ist der Kauf des Stromnetzes ein Weg, um mehr Geld in die städtische Kasse zu bekommen?

Sollte ein Stadtwerk immer auch ein Netz betreiben? Das sind Fragen, die Kommunen und Stadtwerke ganz unterschiedlich beantworten können.

Neue Geschäftsfelder und neue Technik – dafür brauchen wir neue Köpfe: Wann und in welchen Bereichen erwarten die Unternehmen der Energie- und Wasserwirtschaft einen Nachwuchsmangel? Welche personellen Ressourcen erfordert die Energie- wende? Wie können zukünftig junge Menschen für die anspruchsvollen Ausbildungs- berufe und Einsatzfelder in der Energie- und Wasserwirtschaft begeistert werden?

In unseren Kommunen sind die Gegebenheiten und Herausforderungen sehr unter- schiedlich – ebenso wie die Strategien, mit denen wir die Energiewende voranbringen.

Weil es nicht den einen richtigen Weg, sondern viele richtige Wege der kommunalen Energiepolitik gibt, lohnt sich die Diskussion. Auch in dieser Ausgabe, deren Bildwelt wir unter dem Motto „Heimat“ an den Schwerpunkt anlehnen, werden wir die

„Streitfragen!“ deshalb wieder offen ansprechen. Heißt: nach Lösungen suchen, eigene Positionen kritisch überprüfen und im Diskurs wieder ein Stück weiter kommen.

Viel Freude beim Lesen!

Hildegard Müller

P.S.: Vom 24. bis 26. Juni 2014 findet der BDEW-Kongress 2014 statt. Melden Sie sich unter www.bdew.de/kongress an.

01 strEitfragEn 04|2013

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Dr. Gerd Landsberg (l.), Deutscher Städte- und Gemeindebund, und Dr. Dieter Steinkamp, RheinEnergie AG, über die Umsetzung der Energiewende in den Kommunen.

misstrauen gegen politik und WirtscHaft

Prof. Dr. Franz Walter über die neuen Protestbewegungen und den Ansehensverlust von Politikern und Unternehmen.

s.46

s.06

global denken, lokal Handeln

Wo spielt die musik?

Christian Haferkamp (r.), EWE VERTRiEB GmbH, und Thomas Mahlbacher, Stadtwerke Fellbach, diskutieren die kommenden Herausforderungen für den Energievertrieb.

s.12

»die strombörse steHt für transparenz und WettbeWerb.«

Peter Lintzel, Stadtwerke Leipzig, hält den Energiehandel der Stadtwerke für unverzichtbar.

s.20

02 strEitfragEn 04|2013

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s.06

s.12

s.17 s.18

s.20

s.24 s.28

s.32

s.34

s.38

s.42

s.45

s.46

s.50

kommunale energiepolitik global denken, lokal Handeln

Dr. Gerd Landsberg, Deutscher Städte- und Gemeindebund, und Dr. Dieter Steinkamp, RheinEnergie AG, über die Energiewende in den Kommunen.

Wo spielt die musik?

Christian Haferkamp, EWE VERTRiEB, und Thomas Mahlbacher, Stadtwerke Fellbach, zu den kommenden Herausforderungen für den Energievertrieb.

telekommunikation – kein selbstläufer Klaus Steiner, Stadtwerke Lindau, über die Voraussetzungen für gute Geschäfte mit Telefon, internet und TV.

energieWende von unten

Dr. Eckhard Ott, Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband, sieht noch großes Potenzial für Energiegenossenschaften.

»die strombörse steHt für transparenz und WettbeWerb.«

Peter Lintzel, Stadtwerke Leipzig, hält den Energiehandel der Stadtwerke für unverzichtbar.

geplatzte blütenträume

Der Essener Kämmerer Lars Martin Klieve beschreibt die finanziellen Folgen der Energiewende für seine Stadt.

Wie WicHtig ist das netz?

Matthias Trunk, Stadtwerke Neumünster, und Christoph Born, Stadtwerke Stade, über die Frage, welche Aufgaben Stadtwerke selbst übernehmen müssen.

klares votum für stadtWerke

Dr.-ing. Kurt Berlo und Oliver Wagner, Wuppertal institut, räumen neuen Versorgern in kommunaler Hand

gute Chancen ein.

dezentrale zukunft

Ralf Schürmann, Stadtwerke Peine, rechnet mit einem Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung in privaten Haushalten.

WasserWirtscHaft Was tun gegen nitrat?

Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel und Johann Hans, Wasser- und Abwasser-Zweckverband Niedergrafschaft, erläutern Vorschläge zum Schutz des Grundwassers.

nacHWucHs

»die energieWende macHt die brancHe Wieder sexy.«

Andreas Henrich, RWE Deutschland AG, über die Suche nach Talenten.

tecHniker Werden mangelWare Peter Asmuth, Stadtwerke Aachen, plädiert für branchenweite initiativen zur Nachwuchssicherung.

akzeptanz

misstrauen gegen politik und WirtscHaft Prof. Dr. Franz Walter, Universität Göttingen, über die neuen Protestbewegungen und den Ansehensverlust von Politikern und Unternehmen.

»akzeptanz ist der entscHeidende faktor.«

Dr. Volker M. Brennecke, VDi, zur neuen Richtlinie für die Beteiligung der Öffentlichkeit bei industrie- und infrastrukturprojekten.

impressum

Herausgeber BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.

Reinhardtstraße 32 10117 Berlin

streitfragen@bdew.de www.bdew.de

redaktion Mathias Bucksteeg Sven Kulka

konzept und realisierung Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter redaktioneller Mitarbeit von Wolf Szameit und Wolf-Dieter Michaeli.

Meltem Walter (Bildwelt), Ricarda Eberhardt und Anastasiya Broytman, BDEW.

druck und verarbeitung Druck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen

bildnacHWeis

Asbach/laif: Titelseite. Chaperon: Editorial.

Horn: S. 4 – 16, S. 20 – 28, S. 43, S. 46.

Schuering: S. 18, S. 34. Stuhlmann: S. 45.

©iStock.com: VvoeVale: Editorial, S. 20, Turnervisual: S. 4, aurigadesign: S. 18, S. 45, thumb: S. 6, S. 9, Elementalimaging: S. 10, billnoll: S. 6. LeonART-Fotial.com: S. 10, S. 17, S. 45

Redaktionsschluss:

Dezember 2013 03

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mehrheitlich kommunale Energie- und Wasserbetriebe sind Mitglied des BDEW – Tendenz steigend. Denn immer mehr Städte und Gemeinden gründen eigene Versorgungsunternehmen. Insgesamt ist die Zahl kommunaler Betriebe innerhalb von zehn Jahren um 22 Prozent gestiegen. Damit sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt beträgt zehn Prozent.

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(Skulptur „Liebe deine Stadt“ von Merlin Bauer an der Kölner Nord-Süd-Fahrt, 2005, Dibond, Metall, 26,0 x 3,6 x 4,5 m, www.liebe-deine-stadt.de, www.merlinbauer.de)

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dr. gerd landsberg

(links) ist geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Der kommunale Spitzenverband vertritt etwa 11 000 große, mittlere und kleinere Städte und Gemeinden in Deutschland mit insgesamt über 50 Millionen Einwohnern.

dr. dieter steinkamp

(rechts) ist Vorstandsvorsitzender der RheinEnergie AG. Mit zuletzt knapp 3,7 Milliarden Euro Umsatz und rund 3 100 Beschäftigten gehört das Unternehmen zu den bedeutendsten kommunalen Versorgungsunternehmen des Landes.

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» bei stadtWerken Hat

der bürger das gefüHl, dass er Einfluss hat.«

» Man Darf DiE EigEnEn fähig- kEitEn nicht überschätzen.«

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 07

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› Global denken, lokal handeln: Die Energiewende findet zu großen Teilen in den Städten und Gemeinden statt. Was kann eine kommunale Energiepolitik erreichen? Welche Risiken entstehen? Ein Verbandsmanager und ein Stadt- werke-Chef diskutieren.

Herr Dr. Landsberg, Herr Dr. Steinkamp, welche Bedeutung hat der Bereich Energie für Städte und Gemeinden? Gibt es überhaupt so etwas wie kommunale Energiepolitik?

dr. gerd landsberg Eindeutig gibt es kommunale Ener- giepolitik. Denn die Energiewende wird unser Leben grundlegend verändern. Ich sehe zwei Möglichkeiten: Es klappt, dann werden wir Wohlstand haben und das führende Energieland der Welt sein.

Oder es klappt nicht, dann bekommen wir Wohlstandsverluste und Arbeitslosigkeit. Das wirkt sich auf die Kommunen aus. Auch der Umstieg auf eine dezentrale Erzeugung macht Energie zu einem wesentlichen kommunalen Thema, schon weil viele Erzeugungsan- lagen für alternative Energien in den Städten und Gemeinden ste- hen. Dort müssen auch die Verteilnetze ausgebaut werden.

dr. dieter steinkamp Die RheinEnergie ist nicht nur in der Kernstadt Köln unterwegs, sondern auch über zahlreiche Beteili- gungen an Stadtwerken fest mit dem Umland verbunden. Überall wollen die Städte Einfluss auf die Infrastruktur nehmen, und ins- besondere auf den Aufbau moderner Infrastruktur. Daneben spielt der lokale Klimaschutz eine Rolle. Es gibt ein großes Inter- esse, vor Ort etwas für die CO2-Reduzierung zu tun. Und drittens:

Wo Stadtwerke vorhanden sind, geht es auch um Wertschöpfung und Einnahmen für die kommunalen Haushalte.

Infrastruktur-Entwicklung und Klimaschutz können Kom- munen auch mit privaten Partnern betreiben. Was spricht für Versorgungsunternehmen in kommunaler Hand?

landsberg Ob es für eine Kommune sinnvoll ist, ein Stadt- werk zu betreiben, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Na- türlich gibt es auch private Unternehmen, mit denen Städte und Gemeinden gut zusammenarbeiten. Aber bei der 100-prozentigen

Eigentümerschaft hat die Kommune selbstverständlich mehr Steuerungsmöglichkeiten. Außerdem ist die Erwartung der Bür- ger, dass ihre Gemeinde sich kommunalwirtschaftlich engagiert, viel größer geworden. Stadtwerke genießen in der Bevölkerung unstreitig ein besonderes Vertrauen.

steinkamp Die Kölner kennen uns, wir haben viele Verbin- dungen in die Stadt hinein und sind dort präsent. Wir engagieren uns für Soziales, Kultur, Bildung und Ausbildung. Da tut ein kom- munales Unternehmen am Ende mehr – und das wissen die Men- schen. Wir bekommen eben mit, was vor Ort passiert. Das gilt auch für die Stadtplanung. Dadurch können sich Stadt und Unter- nehmen miteinander entwickeln, das ist ein Riesenvorteil. Die konkreten Projektentscheidungen spiegeln das wider.

Gibt es dafür ein Beispiel?

steinkamp Wir haben in Köln beschlossen, ein neues Kraft- werk zu bauen. Der Baubeschluss war ganz und gar unkritisch. Ich bin sicher: Hätte ein auswärtiges Unternehmen die Anlage bauen wollen, hätte das zumindest mehr Diskussionen gegeben. Trotz- dem müssen wir transparent bleiben, in die Öffentlichkeit gehen und unser Handeln begründen. Anders als der Bau des Kraftwerks wurde beispielsweise das Verlegen der Leitung für den Anschluss ans Übertragungsnetz sehr kritisch beobachtet. Wir konnten das erfolgreich abschließen, weil wir in einem breit angelegten Kom- munikationsprozess erläutert haben, warum wir das machen, und weil wir Anregungen aus der Bürgerschaft aufgenommen haben.

Das klingt alles sehr harmonisch. Sehen Sie keinen Konflikt zwischen dem Wunsch der Kommune nach Einfluss und Ein- nahmen und dem Interesse der Bürger an niedrigen Preisen für Energie und Wasser?

strEitfragEn 04|2013 kommunale energiepolitik 08

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landsberg Ich sehe das nicht als Interessenkonflikt. Viele Bürger sind bereit, mehr für Strom zu bezahlen, wenn er ökolo- gisch produziert wird. Für die Städte steht das Geldverdienen nicht im Vordergrund. Stadtwerke dienen der Daseinsvorsorge, der Arbeitsplatzsicherung und der lokalen Wertschöpfung. Das verstehen die Bürger. Und die Strompreise steigen ja nicht wegen der Stadtwerke – sie steigen, weil es die Energiewende nicht zum Nulltarif gibt.

steinkamp Man kann nicht oft genug darauf hinweisen, dass sich die Preise für Strom und Gas im Markt bilden. Wenn wir irgendwo Wettbewerb geschaffen haben durch Liberalisierung, dann hier.

Unternehmerische Tätigkeit ist mit Risiken verbunden, auch für Kommunen und Stadtwerke. Momentan häufen sich die Meldungen über Probleme durch Beteiligungen an konven- tionellen Erzeugungsanlagen. Rechnen Sie mit einer neuen Diskussion über die Begrenzung kommunaler Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten?

landsberg Ich sehe das nicht. Natürlich machen Unterneh- men Fehler, auch Stadtwerke. Aber der Grund für die Renaissance der Stadtwerke liegt tiefer: Die Leute haben Angst vor der fort-

schreitenden Globalisierung. Sie suchen Schutz in ihrer Region und misstrauen großen Unternehmen. Bei Stadtwerken hat der Bürger das Gefühl, dass er Einfluss hat.

steinkamp Ich habe die Sorge, dass Städte durch diese Betei- ligungen ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. Das wäre Futter für die Neoliberalen, die dann sagen: „Wir haben immer schon ge- wusst, dass die Kommunalen nicht mit Geld umgehen können.“

Ich bin überzeugt, dass unsere gesamte Branche das dann wieder vorgehalten bekommt. Dabei zeigt es nur: Bei einer Rekommuna- lisierung darf man die eigenen Fähigkeiten nicht überschätzen.

Viele Kommunen nutzen den sogenannten steuerlichen Querverbund, um mit den Gewinnen aus dem Energie- und Wassergeschäft Defizite beispielsweise im öffentlichen Nah- verkehr zu decken. Manche kritisieren das als Quersubventi- on. Wie lange ist das noch erlaubt?

landsberg Wir halten am Querverbund fest. Wir meinen aber auch, dass man das offen kommunizieren muss. Wenn Sie die Bürger fragen: „Wollt ihr, dass es das Schwimmbad weiter gibt und dass Bus und Bahn bezahlbar bleiben?“, dann werden Sie da- für eine Mehrheit finden. Für viele Kommunen ist der Querver- bund alternativlos. Einen Großteil ihrer Leistungen könnten sie

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 09

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10 strEitfragEn 04|2013 kommunale energiepolitik

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ohne ihn gar nicht mehr anbieten. Für den weiteren Bestand des Querverbunds werden wir uns sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene vehement einsetzen.

steinkamp Ich wehre mich gegen den Begriff Quersubventio- nierung. Wenn der Stadtrat entscheidet, mit Gewinnen aus der Energieversorgung Nahverkehrsleistungen zu bestellen, ist das eine klassische kommunale Entscheidung. Anschließend nutzen wir wie jedes andere Unternehmen die legitimen Möglichkeiten, unsere Steuerlast zu reduzieren. Wie die EU das sieht, ist eine an- dere Frage. Aus Brüsseler Sicht ist unsere Kommunalwirtschaft ein Exot. Aber ich denke, auch hier muss die EU unseren Födera- lismus und bestehende Systeme akzeptieren. Daher bin ich nicht so skeptisch.

Voraussetzung für den Querverbund sind Überschüsse. Wie viel Gewinn kann ein Stadtwerk im Wettbewerb dauerhaft erzielen?

landsberg Sorgen machen uns viele Stadtwerke, die Gas- kraftwerke gebaut haben, auch auf Initiative der Politik. Die Anla- gen fahren sie im Moment mit Verlusten. Dabei sind gerade die klimafreundlichen Gaskraftwerke für die Sicherung der Grundlast unverzichtbar. Deshalb brauchen wir von der neuen Bundesregie- rung eine Reform der Energiegesetze mit mehr Markt- und weni- ger Planwirtschaft – und natürlich muss die Grundlast gesichert sein.

steinkamp Durch den zunehmenden Wettbewerb und durch die Verwerfungen des Markts sind die Ergebnisse von Energiever- sorgern allgemein unter Druck. Dass es im Moment die Gaskraft- werke trifft, liegt ja auch daran, dass der Emissionshandel nicht funktioniert. Besser sieht es dort aus, wo moderne Gaskraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung laufen: Die reine Stromproduktion ist problematisch, aber Fernwärme bleibt profitabel.

Stichwort Wärmemarkt: Welche Rolle spielt er für kommu- nale Energiepolitik?

steinkamp Zunächst mal wird der Wärmemarkt immer inho- mogener. Wir haben die klassische Gasversorgung und daneben in den Ballungsräumen die Fernwärme. Zunehmend kommen Nahwärmenetze dazu. Die Bedeutung von Kraft-Wärme-Kopp- lung wird wachsen, auch weil wir damit schnell und zu relativ ge- ringen Kosten viel CO2 sparen können. Und wir diskutieren den Stromwärmemarkt neu. Da kann man sich Geschäftsmodelle vor- stellen mit Systemen, die überschüssigen Strom aus den Erneuer- baren Energien aufnehmen und als Wärme speichern. Das dürfte in fünf oder zehn Jahren relevant werden.

Wenn der Stromwärmemarkt ein Geschäftsfeld mit Zukunft ist – welche weiteren lukrativen Bereiche können Stadtwerke erschließen?

landsberg Um die Zukunft der Stadtwerke ist mir nicht bange, weil sie immer neue Geschäftsfelder finden werden. Ein Beispiel: Es gibt in Deutschland 8,5 Millionen Straßenlaternen. Die sind zum Teil 60 Jahre alt und brauchen viel Energie und viel Wartung. Würde man die auf LED-Technik umstellen, könnten Städte und Gemeinden nach unseren Berechnungen rund 600 Millionen Euro Energiekosten sparen. Die Kredite dafür sind momentan günstig. Mit modernen Be- leuchtungsanlagen lässt sich eine Stadt regelrecht designen und schöner machen. Man sieht: Es geht im Energiebereich nicht immer nur um Geld und ums Sparen, man kann auch gestalten.

steinkamp Wir werden langfristig ein Zusammenwachsen von Systemen unter der Überschrift Smart Energy haben. Das können wir bisher erst in Ansätzen erkennen. Im Modellversuch SmartCity Cologne testen wir gerade ein intelligentes Netz mit al- lem, was heute technisch möglich ist. Wir sind hier der System- dienstleister, der die Einzelansätze integriert. Damit entwickeln wir eine wichtige Fähigkeit für ein Geschäftsfeld von morgen.

Denn so eine smarte Plattform, wie wir sie jetzt im Kleinen aus- probieren, brauchen wir am Ende für ganz Deutschland.

» Wir Halten am

Querverbund fest.«

» ich wehre Mich gEgEn DEn BEgriff QuEr-

suBvEntioniErung.«

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» in zukunft muss sicH die Nachfrage dem

angebot anpassen.«

» BishEr War iMMEr DEr Kunde DiE

führungsgrössE.«

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tHomas maHlbacHer

(links) ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Fellbach GmbH. Das kommunale Unternehmen versorgt den größten Teil der Einwohner der Stadt mit Strom, Gas, Wasser und Wärme.

cHristian Haferkamp

(rechts) ist Geschäftsführer der EWE VERTRiEB GmbH.

Die Gesellschaft mit Sitz in Oldenburg beliefert rund eine Million Kunden mit Strom und etwa 700 000 Kunden mit Erdgas.

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Herr Haferkamp, Herr Mahlbacher, der Ausbau der Erneuer- baren Energien stellt das Energiesystem nicht nur technisch vor enorme Herausforderungen. Auch die Vertriebe müssen sich ändern. Was bedeutet es für die Vermarktung, wenn die Erneuerbaren immer mehr Strom produzieren?

cHristian Haferkamp Ich sehe zwei Entwicklungen. Der Vertrieb wird nicht mehr in erster Linie Kilowattstunden verkau- fen, sondern Lasten und Kapazitäten managen. Der zweite Block ergibt sich aus der zunehmend dezentralen Bereitstellung von Energie für Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen. Hier kann der Vertrieb die Energielösungen vor Ort managen.

tHomas maHlbacHer Bei einem Erneuerbaren-Anteil von beispielsweise 50 Prozent sehe ich eine Gefahr für Unternehmen, die stark auf Ökostrom-Tarife gesetzt haben. Wenn ohnehin so viel Ökostrom im Netz ist, braucht man solche Tarife nicht mehr.

Eine andere Frage für den Vertrieb ist: Wie bleibt Strom bezahl- bar? Wenn es uns nicht gelingt, die EEG-Umlage und die anderen Umlagen konstant zu halten, dann wird sich ein eigener Energie- markt für Menschen mit geringem Einkommen abspalten.

Was passiert auf diesem Markt?

maHlbacHer Dort wird die Energie für wirtschaftlich schwä- chere Kunden auf irgendeine Weise bezahlbar gemacht. Dafür müssen aber die Übrigen mehr bezahlen. Die Mittelschicht kommt so von zwei Seiten in die Bredouille: auf der einen Seite durch die Entlastung der energieintensiven Unternehmen, auf der anderen Seite durch die Unterstützung für ärmere Bürger.

Herr Haferkamp, der BDEW-Lenkungskreis Energievertrieb hat sich mit langfristigen Szenarien beschäftigt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Haferkamp Wir haben eine Studie durchführen lassen zum künftigen Design des sogenannten Retail-Markts, also des End- kundenmarkts. Die Kernthese lautet: Mit dem Ausbau der Erneu- erbaren Energien bekommen wir statt der von der Nachfrage ge- triebenen eine von der Erzeugung abhängige Preisbildung. Das ist ein Paradigmenwechsel. In Zukunft muss sich also die Nachfrage dem Angebot anpassen.

Herr Mahlbacher, wie viel Anpassung kann der Vertrieb dem Kunden abverlangen?

maHlbacHer Für den Kunden ist wichtig, dass die Energie einfach da ist, wenn er sie haben möchte. Bisher war deshalb im- mer der Kunde die Führungsgröße. Wenn er sich künftig an die Erzeugung anpassen soll, werden wir nicht auf Verständnis sto- ßen. Oder der Kunde verlangt einen extrem hohen Preis in Form einer Spreizung zwischen Hoch- und Niedrigtarif.

Wie groß ist denn der Spielraum für Preisanreize?

maHlbacHer Bei einem Börsenpreis von 3,5 Cent für die Kilo- wattstunde kann man die Tarife nicht mehr sehr stark spreizen. Ich glaube deshalb nicht, dass wir viele Privatkunden für Lastmanage- ment begeistern können. Das ist ja bei Industriekunden schon schwierig genug. In der Realität haben die ganz andere Prioritäten, als über den eigenen Verbrauch ihre Energiekosten zu steuern.

› Wenn die Erneuerbaren Energien den größten Teil des Stroms liefern sollen, braucht Deutschland neue Mechanismen für den laufenden Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Christian Haferkamp, Geschäftsführer bei EWE VERTRIEB GmbH, und Thomas Mahlbacher, Geschäftsführer der Stadtwerke Fellbach, diskutieren kontrovers unter anderem darüber, welche

Arbeitsteilung zwischen Vertrieben und Netzbetreibern künftig sinnvoll ist und welche neuen Geschäftsfelder entstehen.

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Herr Haferkamp, teilen Sie die Skepsis?

Haferkamp So pauschal nicht. Bei einigen Gewerbekunden geht Laststeuerung sehr gut, etwa bei Kühlhäusern und Mahlwer- ken. Dort ist Energie ein wesentliches Produktionselement. Au- ßerdem lassen die technischen Rahmenparameter einen flexiblen Betrieb zu.

Und wie sieht es mit den Haushalten aus?

Haferkamp Ich denke an Kunden, die eine Photovoltaik-An- lage auf dem Dach haben. Heute speisen sie den erzeugten Strom ein, aber schrittweise gehen sie zur Eigenversorgung über. Noch achten sie dabei nicht aufs Netz. Viele von ihnen werden außer- dem Stromspeicher einbauen. Und dann ist die Frage: Kann ich das Einspeise- und Entnahmeverhalten dieser Kunden so steuern, dass es das Netz stabilisiert? Ein weiteres Klientel sind die Nacht- speicherkunden. Wir prüfen gerade, ob wir die Geräte ansteuern können, um sie sozusagen als Windspeicherofen zu nutzen.

Wer soll die Nachfrage regeln? Der Vertrieb? Der Netzbetrei- ber? Der Kunde?

Haferkamp Das kann nicht der Einzelkunde sein, das müs- sen die Vertriebe übernehmen. Die Herausforderung wird darin liegen, erstens die Kunden zum Mitmachen zu bewegen und zwei- tens das Netz stabil zu halten.

maHlbacHer Also, wenn einer Solaranlagen und Pufferspei- cher ins System integrieren kann, dann der Netzbetreiber. Denn nur er kennt die Lage in jedem einzelnen Ausläufer des Netzes.

Der Vertrieb sitzt doch im Extremfall ganz woanders und kann den Zustand des Netzes gar nicht einschätzen.

Haferkamp Aber mit moderner Informations- und Kommu- nikationstechnik kann das Netz in Echtzeit Informationen an den Vertrieb senden. Der Vertrieb schickt dann entsprechende Signale an die Anlagen. Im Interesse des Vertriebs will ich den freien Markt so weit wie möglich ausdehnen. Dazu sollten wir in der Am- pellogik denken: Bei Grün herrscht freies Spiel der Kräfte. Bei Gelb sendet der Netzbetreiber das Signal „Bitte tut was für Stabilität“.

Da greift immer noch der Marktmechanismus. Erst bei Rot, also in kritischen Situationen, sollte der Netzbetreiber eigene Schaltvor- gänge zur Stabilisierung einleiten.

maHlbacHer Jetzt denke ich mal an einen kleinen Netzbe- treiber in einer ländlichen Region. Der hat einen Netzausläufer mit 40 Einfamilienhäusern, alle mit Solaranlage. Plötzlich geht die Spannung durch die Decke oder es droht Unterspannung. Und nun muss der Netzbetreiber den schätzungsweise 300 Vertrieben der Republik erklären: „In dem Gebiet könnten wir ein Signal zur Steuerung brauchen.“ Und dann stelle ich mir vor, dass ein bun- desweiter Vertrieb sämtliche Netzausläufer in den ländlichen Re- gionen im Blick behalten soll. Der Vertrieb wird sich das verbitten.

Viele Hoffnungen richten sich auf sogenannte intelligente Energie-Dienstleistungen als neues Geschäftsfeld. Welche Potenziale sehen Sie dort?

Haferkamp Die zunehmende Verzahnung von Gas und Strom ist wichtig für die Optimierung des Gesamtsystems. Das geht kleinteilig bei Brennstoffzellen, die als Strom erzeugende Heizung vermarktet werden. Wenn immer mehr Altbauten mit dieser Technik ausgerüstet werden, können wir die Stromproduk- tion netzfreundlich steuern. Im großen Maßstab reden wir zum Beispiel über Power to Gas.

maHlbacHer Ich sehe im Moment viele Kopfgeburten. Ohne Frage ist technisch vieles möglich. Aber die meisten Kunden wol- len sich mit ihrem Strom gar nicht so intensiv befassen. Deshalb haben doch viele Unternehmen noch mehr als 50 Prozent der Kun- den in der Grundversorgung. Diese Menschen wollen in Ruhe ge- lassen werden. Denen kann ich auch kein Smart Meter verordnen.

Smart Meter gelten aber als Voraussetzung für viele neue Energie-Dienstleistungen. Noch ist allerdings nicht ganz klar, wer künftig die Daten aus diesen Geräten abrufen, ver- walten und aufbereiten darf.

maHlbacHer Es gibt auf Ministerialebene die Überlegung, bundesweit 70 sogenannte Data Access-Point Manager (DAM) zu- zulassen. Die sollen Verbrauchsdaten sammeln und anderen Marktteilnehmern zur Verfügung stellen. Dazu kommt der Vor- schlag, ihnen auch den Betrieb virtueller Kraftwerke zu übertra- gen und vielleicht noch die Netzausbauplanung.

Welche Folgen hätte das?

maHlbacHer Das rührt an die Grundfesten insbesondere der kleinen Verteilnetzbetreiber. Wie weit sind wir dann noch von der Deutschen Netzagentur oder vom Volkseigenen Betrieb Netze ent- fernt? Und ich habe ein Riesenproblem mit dem Datenschutz, wenn im DAM die Lastprofile der Kunden mit registrierender Leistungsmessung und der Standardlastprofil-Kunden aus den Smart Metern vorgehalten werden. Wir bauen da eine Datenkrake auf. Ich frage mich, wann kommt das Finanz- oder das Sozialamt und verlangt die Daten? Und was passiert, wenn die Öffentlichkeit von der Übermittlung der Informationen an Behörden erfährt?

Haferkamp Ich sehe die Schwierigkeiten und Herausforde- rungen. Aber der Umgang mit Massen von Kundendaten ist nichts Neues, das üben wir in anderen Branchen: Telekommunikations-

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»n a c H fr a ge regelung müssen die v ertriebe überne H men »Privatkun DE n las sE n sich sch WE r für D as Lastmanagement BE g Eist Ern

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 15

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unternehmen speichern schon lange riesige Mengen solcher In- formationen und löschen sie nach einer gewissen Zeit wieder. In erster Linie ist mir wichtig, dass wir hier keine Monopolstruktu- ren aufbauen, sondern diskriminierungsfrei und kostengünstig neue Märkte schaffen.

Letzte Frage: Welches Marktdesign eignet sich aus Sicht des Vertriebs, um kostengünstig die Versorgungssicherheit zu erhalten?

maHlbacHer Die Idee, dass Leistung etwas wert sein muss, ist in Ordnung. Aber den im Moment diskutierten Kapazitäts- markt mit Versorgungssicherheitsnachweisen halte ich aus ver-

schiedenen Gründen für einen Irrweg, unter anderem, weil er zu- kunftsgerichteten Investitionen in schnell regelbare Kraftwerke und in Speicher nicht dienlich ist. Ich sehe für die Vertriebe große kommunikative Probleme, wenn sie bei den Stromkunden Geld für Braun- und Steinkohlekraftwerke einsammeln sollen.

Haferkamp Ob Versorgungssicherheitsnachweise genau das richtige Instrument sind, hängt davon ab, was genau es für den normalen Haushaltskunden bedeuten würde. Ich halte es für sinnvoll, Versorgungssicherheit auf regionaler Ebene zu organi- sieren. Und das muss marktwirtschaftlich passieren, vielleicht über eine Ausschreibung im Sinne der strategischen Reserve.

strEitfragEn 04|2013 kommunale energiepolitik 16

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01

die stadtWerke lindau sind bereits 1998 ins telekommuni- kationsgescHäft eingestiegen und Haben damit ein neues ge- scHäftsfeld etabliert. Warum?

Die energiewirtschaftlichen Rahmenbedin- gungen erfordern die Erschließung neuer Geschäftsfelder. In der smarten Welt von morgen mit dezentraler Erzeugung und intelligenter Steuerung von Netz und Spei- chern findet Energiewirtschaft zunehmend virtuell statt. Die wachsende Zahl von Mess- daten und die zunehmende Komplexität der Prozesse werden dazu führen, dass sich Telekommunikation, IT und Energie immer stärker verbinden. Außerdem zeichnet sich bei unseren Industriekunden ein Trend zur Auslagerung von IT-Aktivitäten ab – das funktioniert nur mit einer guten Anbindung an ein Glasfasernetz. Für Kommunen ist die Verfügbarkeit von Breitbandanschlüs- sen heute bereits ein harter Standortfaktor.

Energieversorger sind für diese Aufgabe prädestiniert, denn sie haben Erfahrung mit mediengebundenen Leitungssystemen und kennen das Massenkundengeschäft.

02

verlegen sie die kabel fläcHen- deckend oder bescHränken sie sicH aus kostengründen auf dicHt besiedelte bereicHe?

Für das Stadtgebiet von Lindau am Boden- see haben wir uns für den flächendecken- den Ausbau entschieden, da wir beim Tief- bau erhebliche Synergien mit den anderen Netzen erzielen konnten. In Randlagen führen wir mit den Kommunalpolitikern und Bürgern intensive Gespräche und können durch flächendeckende Kunden- gewinnung häufig doch zu wirtschaftlich erträglichen Bedingungen investieren. Im Umland von Lindau bauen wir VDSL aus.

Damit können wir Bandbreiten mit bis zu 50 MBit/s realisieren.

03

können sie anderen stadtWer- ken empfeHlen, in die telekom- munikation einzusteigen?

Zur Wahrheit gehört: Das Telekommuni- kationsgeschäft ist kein Selbstläufer. Ein Stadtwerk sollte sich gut überlegen, welche Kompetenzen es mitbringt, wenn es in die- sem Markt mitspielen möchte. Am besten spricht man zunächst mit kommunalen Un- ternehmen, die den Einstieg in diesen Markt erfolgreich bewältigt haben. Entscheidend ist, welche Wertschöpfungsstufen ein Stadt- werk besetzen möchte. Die Erstellung passi- ver Infrastruktur setzt eine hohe Planungs- kompetenz voraus. Wer in Breitbandnetze investiert, muss wissen, dass die langfristige Kapitalbindung im Verhältnis zu den kurz- fristig erzielbaren Umsätzen nicht ohne Ri- siko ist. Der Betrieb eines aktiven Netzes ist technisch anspruchsvoll und kann in aller Regel nicht mit dem vorhandenen Personal abgedeckt werden. Im Endkundengeschäft mit Telefon- und Fernsehdiensten stehen wir im Verdrängungswettbewerb.

04

Wie kann ein stadtWerk auf die- sem Hart umkämpften markt besteHen?

Sie müssen vom ersten Tag an bereit sein, den Markteintritt hartnäckig und unter- nehmerisch anzugehen. Sie können mit Regionalität bei den Kunden punkten, müssen aber einen guten Service bieten.

Die derzeit viel diskutierten Breitband- Funknetze sind für uns noch nicht als Konkurrenz erkennbar. TV-Dienste las- sen sich im Moment gar nicht über Funk realisieren.

vier

fragen an

Klaus Steiner

klaus steiner

ist Geschäftsführer der Stadtwerke Lindau.

Eine Tochtergesellschaft des Unternehmens bietet Dienstleistungen rund um internet, Tele- fonie, Fernsehen, Rechenzentrum, iT-Service und Breitbanderschließung an.

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 17

(20)

energie-

Wende von

unten .

strEitfragEn 04|2013 kommunale energiepolitik 18

(21)

› In Deutschland investieren bereits 700 Energiegenossen- schaften mit insgesamt 150 000 Mitgliedern vorrangig in Windräder, Solar- und Biogasanlagen. Künftig könnten sie noch mehr Aufgaben übernehmen, meint Dr. Eckhard Ott.

Welchen Stellenwert haben Stadtwerke als Partner für Ener- giegenossenschaften? Würden Sie von einem neuen Bündnis der Kommunen mit ihren Bürgern sprechen?

dr. eckHard ott In vielen neuen Energiegenossenschaften sind Kommunen oder auch Stadtwerke aktiv engagiert. Zudem denken viele Energiegenossenschaften über Möglichkeiten der Vermarktung ihrer selbst produzierten Energie nach. Hier kom- men mögliche Partnerschaften und Vertriebskooperationen ins Spiel. Ich meine, die örtlichen Stadtwerke sind aufgrund ihres Know-hows in der Stromvermarktung und ihrer regionalen Kun- dennähe ideale Partner für Bürgerenergiegenossenschaften.

Was ist das wichtigste treibende Motiv bei der Gründung sol- cher Genossenschaften?

ott Die Menschen möchten vor allem die Energiewende aktiv unterstützen und mit ihrem Geld die Wertschöpfung in ihrer Hei- matregion stärken. Diese Motive sind viel wichtiger als zum Beispiel eine möglichst hohe Dividende. Die Rechtsform der Genossenschaft wird gewählt, weil durch die demokratische Entscheidungsstruktur eine echte Beteiligung möglich ist. Energiegenossenschaften bieten eben eine aktive Mitgestaltung vor Ort.

Energieprojekte erfordern hohe Investitionen. Was bringen Kooperationen in der Finanzierung?

ott Kurz gesagt: mehr Geld für größere Investitionen. Und die Beteiligung von Menschen, die einzeln jeweils nur einen geringen finanziellen Spielraum haben, sich aber aktiv an der Energiewende beteiligen möchten. Eine Beteiligung ist in vielen Genossenschaften bereits mit weniger als 100 Euro möglich. Doch Genossenschaft be- deutet nicht nur, Investitionssumme und Finanzierungsrisiko auf mehrere Schultern zu verteilen. Durch die Zusammenarbeit wird vor allem auch Know-how gebündelt.

Vielerorts protestiert die Bevölkerung gegen Energieprojek- te. Steigt die Akzeptanz mit der genossenschaftlichen Ge- winnbeteiligung?

ott Es geht ja nicht nur um Gewinnbeteiligung. Genossen- schaften sind nicht mit einem Investmentfonds zu verwechseln.

Und das ist der Grund, warum Energiegenossenschaften die Ak- zeptanz in der Bevölkerung für Erneuerbare Energien und die

Energiewende insgesamt erhöhen. Sie sind nachhaltige Unter- nehmen, mit echter Teilhabe, lokaler Verwurzelung, einem hohen Grad an Mitbestimmung und Transparenz. Die Menschen sind viel eher bereit, ein Windrad oder eine Biogasanlage im eigenen Umfeld zu akzeptieren, wenn sie ein Teil davon sind.

Energiegenossenschaften sind eine relativ junge Spielart.

Wie passen sie sich ins Gesamtgefüge des Genossenschafts- wesens ein?

ott Die 700 Energiegenossenschaften mit ihren 150 000 Mit- gliedern sind schon rein zahlenmäßig ein bedeutender Teil der ge- nossenschaftlichen Gruppe. Es gibt hier aber auch interessante Querverbindungen. So unterstützen viele Volksbanken und Raiff- eisenbanken die Gründung von Energiegenossenschaften vor Ort.

Für die Gruppe der Energiegenossenschaften haben wir beim DGRV eine Bundesgeschäftsstelle eingerichtet. Sie soll den Ener- giegenossenschaften nicht nur eine Stimme in der bundespoliti- schen Debatte um die Energiewende geben, sondern auch, gemein- sam mit unseren Mitgliedsverbänden, bei der unternehmerischen Entwicklung weiterhelfen.

Welche Perspektive sehen Sie für Energiegenossenschaften?

Ist das Potenzial ausgereizt oder gibt es noch viel zu wenige?

ott Das Potenzial ist noch lange nicht ausgereizt. Es gibt noch viele Aufgaben, die genossenschaftlich angegangen werden kön- nen. Derzeit wird vor allem Strom aus Photovoltaikanlagen produ- ziert. Zukünftig werden die Windenergie und vor allem die Wär- meerzeugung und -verteilung an Bedeutung gewinnen. Bei der Energiewende wird für meinen Geschmack übrigens viel zu wenig über Wärme und Wärmenetze gesprochen. Aber auch Geschäfts- felder wie Direktvermarktung, Mitgliederversorgung, Energieeffi- zienz oder Elektromobilität bieten noch viele Möglichkeiten.

dr. eckHard ott

ist Vorstandsvorsitzender des DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V.

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 19

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peter lintzel

ist Leiter Großhandel/Erzeugung bei den Stadtwerken Leipzig. Über die Manage- ment-Holding LVV befindet sich das Unter- nehmen zu 100 Prozent im Besitz der Stadt Leipzig.

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» die strom börse steHt für

Transparenz und

Wettbewerb.«

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Herr Lintzel, Sie sind Ingenieur und Energiehändler. Passt das zusammen?

peter lintzel Natürlich. Ich bin Diplom-Ingenieur für Infor- mationsverarbeitung, und was wäre der Energiehandel ohne funk- tionierende Datenverarbeitung? Aber ernsthaft: Ich habe zehn Jah- re lang den Bereich Energiewirtschaft bei den Stadtwerken Leipzig geleitet und in dieser Funktion war ich mit dem Start des Energie- handels in Deutschland der Überzeugung, dass eine optimale Be- schaffung für den Vertrieb und eine bestmögliche Vermarktung der Kraftwerke nur über einen funktionierenden Energiehandel mög- lich ist. Deshalb habe ich einen Energiehandel bei den Stadtwerken Leipzig aufgebaut und dazu auch Mitarbeiter aus dem Bankenbe- reich eingestellt, von denen ich auch noch einiges lernen konnte.

Welche Funktion hat der Energiehandel in der Beschaffung von kommunalen Unternehmen?

lintzel Der Energiegroßhandel ist der Zugang der Stadtwerke zu den Großhandelsmärkten. Die fundamentale Aufgabe des Energiegroßhandels besteht darin, die kostengünstige Beschaf- fung des Energie- und Rohstoffbedarfs der Stadtwerke am Markt zu sichern. Hier geht es zum Beispiel um Strom, Öl, CO2 und Gas, aber auch Fernwärme und Holz. Außerdem sind unter Beachtung der Versorgungssicherheit die Vermarktung und der Einsatz der Eigenerzeugungsanlagen zu steuern: Gas- und Dampfturbine, Heizwerke, Biomassekraftwerke, Windkraftanlagen. Damit ist der Energiehandel die zentrale Drehscheibe zwischen Erzeugungs-

anlagen, dem Vertrieb und dem Großhandelsmarkt. Integraler Bestandteil des Energiehandels ist dabei das Risikomanagement zur Steuerung und Überwachung des Handels. Der Energiehandel hat wesentlich dazu beigetragen, eine versorgungssichere und wirtschaftliche Energieinfrastruktur nicht nur in Leipzig, sondern auch bundesweit aufzubauen und zu gewährleisten.

Die Stadtwerke Leipzig sind Gründungsmitglied der Energie- börse EEX, seitdem hat sich viel verändert. Wie ist Ihr Fazit heute und welche Chancen bieten sich für kommunale Unter- nehmen?

lintzel Wie Sie richtig sagen, waren wir eines der ersten kom- munalen Unternehmen, die sich als Energiehändler an der Ener- giebörse in Leipzig engagiert haben. Die Börse steht mehr denn je für Transparenz in der Preisbildung und unabhängigen Wettbe- werb. Mit zunehmender Transparenz und dem kontinuierlichen Ausbau der Liquidität entstanden aus monopolistischen Versor- gungsstrukturen mehr und mehr Wettbewerbsmärkte. Mittlerwei- le nutzt die überwiegende Mehrzahl der kommunalen Marktakteu- re die Möglichkeit einer strukturierten Beschaffung, um damit ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, neue Märkte zu erschließen und Risiken des Vertriebs abzusichern. Die Rolle der Börse kann in diesem Zusammenhang gar nicht überschätzt werden.

› Die Stadtwerke Leipzig waren Mitbegründer der größten kontinentaleuropäischen Strombörse EEX. Bis heute ist der Energiehandel für das Unternehmen als zentrale Drehscheibe zwischen Erzeugungsanlagen, Vertrieb und Großhandelsmarkt unverzichtbar, meint Peter Lintzel.

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Ist die zunehmende Direktvermarktung der Erneuerbaren Energien eine Chance für den kommunalen Energiehandel?

lintzel Eindeutig ja, die SW Leipzig vermarkten ihre Biomas- seanlagen über das Marktprämienmodell und nutzen dafür das Know-how und die Infrastruktur des Energiehandels.

Dem aktuell veröffentlichten Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD ist zu entnehmen, dass für neue regelbare An- lagen über 5 Megawatt die Direktvermarktung über eine geleiten- de Marktprämie verpflichtend wird und diese Grenze schrittweise weiter abgesenkt werden soll. Schon jetzt ist die Mehrzahl der Wind- und Biomasseanlagen in der Direktvermarktung.

Der Energiehandel in Europa ist sehr international. Kann man da noch lokal denken?

lintzel Nein. Die nationalen Märkte werden im Großhandel durch Marktkopplungen immer weiter zusammengelegt, der Energiehandel ist europäisch und wird noch internationaler wer- den. Im Gashandel kann zum Beispiel der Ausfall eines größeren Gasfeldes in Norwegen oder die Anlandung eines LNG-Schiffs in Großbritannien zu unerwarteten Preisausschlägen führen. Oder der Ausfall eines Kraftwerks in Frankreich führt zu Stromexport von Deutschland nach Frankreich und damit zu einem Preisan- stieg in Deutschland. Ähnliche Auswirkungen haben Wetterände- rungen mit ihrem Einfluss auf die Produktion von Erneuerbaren Energien. Wer im Energiehandel arbeitet, muss ständig den euro- päischen Energiemarkt im Blick haben.

REMIT, EMIR und viele weitere Meldepflichten gilt es zu be- achten, macht da Energiehandel überhaupt noch Spaß?

lintzel Derzeit ja. Ich bin eindeutig für Transparenz und das Verbot von Insiderhandel. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass alle Marktteilnehmer potenziell mit dem gleichen Know-how am Handel teilnehmen. Aber: Die Margen sind im Energiehandel, wie in allen transparenten Commodity-Märkten, gering. Die Melde- pflichten der europäischen Regulierungen und deren nationale Umsetzung verursachen zusätzliche Kosten zum Beispiel für Be- richtssoftware. Wir gehen davon aus, dass bei der Umsetzung der Regulierungen zumindest die gleichen Berichtsformate verwen- det werden und Doppelmeldungen an verschiedene Behörden ver- mieden werden können, um die Kosten noch im Griff zu behalten.

Ich hoffe, dass mit der jetzt anstehenden MIFID-Neufassung mög-

lichst wenig zusätzlicher Aufwand auf den Energiehandel zu- kommt, um auch weiterhin als kommunaler Energiehändler am Markt teilnehmen zu können.

Die Weiterentwicklung des Marktdesigns wird intensiv dis- kutiert. Welcher Vorschlag ist aus Ihrer Sicht von besonderer Bedeutung?

lintzel Die Verbände der Energiewirtschaft haben der Politik Vorschläge zur Anpassung des Energiemarkts an die neuen Markt- bedingungen, insbesondere zur Berücksichtigung des steigenden Anteils Erneuerbarer Energien im Markt, gemacht, die ich unein- geschränkt unterstütze. Dabei ist es mir besonders wichtig, dass die notwendige Umgestaltung des Markts den Wettbewerb stärkt und nicht durch dirigistische Eingriffe, wie zum Beispiel mit der intransparenten Reservekraftwerksverordnung, den wettbewerbli- chen Anteil im Markt immer kleiner macht. Ich begrüße, dass es im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis zu einem Marktdesign gibt, in dem zukünftig verschiedene Mechanismen geprüft werden, um er- forderliche Kapazitäten langfristig im Markt zu halten.

Was müssen kommunale Unternehmen beachten, um erfolg- reiche Energiehändler zu sein?

lintzel Der Energiehandel setzt vor allem drei Dinge voraus.

Zunächst müssen gut ausgebildete Mitarbeiter vorhanden sein oder eingestellt werden. Dabei ist oft eine Sondervereinbarung mit dem Betriebsrat zur Vergütung notwendig, um wettbewerbs- fähige Gehälter zahlen zu können. Zweitens ist die Investition in eine leistungsfähige, dem Handelsvolumen angepasste Software notwendig, um alle Prozesse des Handels möglichst weitgehend zu automatisieren. Am wichtigsten ist aber eine Handels- und Ri- sikostrategie, die von der Geschäftsführung und den Gesellschaf- tern unterstützt wird. Diese muss von einem gut arbeitenden Ri- sikomanagement überwacht werden. Kommunale Unternehmen, die den damit verbundenen Aufwand nicht leisten wollen, kön- nen sich einem der vorhandenen kommunalen Gemeinschafts- unternehmen anschließen.

Letzte Frage: Vollversorgung oder strukturierte Beschaffung?

lintzel Eindeutige Antwort: strukturierte Beschaffung. Nur damit sind die Unabhängigkeit von einem Vorlieferanten und auf Dauer wettbewerbsfähige Preise für den Vertrieb zu sichern.

» d ie b örse ste H t für Transparenz und unab - H ängigen Wet tbe W erb.«

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lars martin klieve

war nach einer Banklehre und einem Jurastudium als Kämmerer in Hürth und Gelsenkirchen tätig, bevor er im Oktober 2009 Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Essen wurde.

(27)

› Kommunen, die in der Vergangenheit von der

Existenz großer Energieversorgungsunternehmen in ihren Mauern profitiert haben, kämpfen nach der Energiewende mit großen Problemen. Lars Martin Klieve, Kämmerer der Stadt Essen, erläu- tert die Folgen der neuen deutschen Energiepolitik für die selbst ernannte Energiemetropole Europas.

geplatzte

Blütenträume

Herr Klieve, für viele Kommunen war die Energie- wende auch ein Aufbruch in neue Betätigungsfel- der. Sie wollten die Energieversorgung wieder in eigene Hände nehmen, die Energiewirtschaft auf ihrer kommunalen Ebene klimafreundlich und nachhaltig gestalten. Auch wenn die Energiewende erst vor zwei Jahren eingeleitet worden ist – kann man heute schon sagen, dass sich die Kommunen auf dem richtigen Weg befinden?

lars martin klieve Unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten ist es durchaus denkbar, dass die Energieversorgung in kommunaler Hand ist. Denn die Versorgung der Bürger auch mit Elektrizität gehört zum Bereich der Daseinsvorsorge. Und das ist eine Grundaufgabe der kommunalen Verwaltung.

Aber ist es noch zeitgemäß?

klieve Im Zuge der Konzentration der Energiever- sorgung auf immer weniger Unternehmen und auch der Liberalisierung der Energiewirtschaft, die markt-

wirtschaftliche Elemente in diesen Bereich gebracht hat, ist der Aspekt der kommunalen Daseinsvorsorge etwas aus dem Blick geraten. Aber die Geschichte der Elektrizitätswerke in Deutschland ist lange Zeit eng mit den Kommunen verbunden.

Muss man deshalb gleich wieder das Rad der Ge- schichte zurückdrehen und Stadtwerke neu grün- den, Netze in kommunale Hand überführen, Er- zeugung in kleineren Einheiten betreiben? Geht man damit nicht ein großes Risiko ein?

klieve Mit der Energiewende verbunden war auch die Erwartung, dass die Energieversorgung kleinteili- ger wird, dass sie wieder dichter an den Bürger heran- rückt. Die ersten Erfahrungen zeigen aber, dass bei der Rekommunalisierung der Energiewirtschaft nicht alle Blütenträume aufgegangen sind. Das gilt insbesonde- re für den Preis, den die Bürger dafür zahlen müssen.

Erst werden sie immer stärker durch die Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien belastet. Jetzt

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 25

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droht ein zweiter Preisschub. Sie müssen nämlich auch noch Geld aufbringen für die Stromerzeugung in konventionellen Kraftwer- ken ihrer Stadtwerke, die zur Aufrechterhaltung der Versorgungs- sicherheit auch in der Zukunft notwendig sein werden.

Für Essen hat sich die Energiewende indes negativ bemerk- bar gemacht, zumindest finanziell. Bei Ihnen klafft ein dickes Loch in der Stadtkasse, seit Energiepolitik in Deutschland nach anderen Regeln läuft.

klieve Essen ist die Energiestadt in Europa. Die Energiewen- de-Beschlüsse haben deshalb auch starke Auswirkungen auf die Stadt Essen und auf den Haushalt der Stadt, weil Essen Sitz von zwei großen Betreibern von Kernkraftwerken ist, die abgeschaltet werden, weil der Strompreis im Großhandel dramatisch verfallen ist und weil sich deshalb die Ertragssituation der beiden Energie- unternehmen substanziell verschlechtert hat.

Die Folge ist, dass das Gewerbesteueraufkommen der Stadt – allerdings nicht nur wegen der beiden Energieunternehmen – 2013 um etwa 70 Millionen Euro hinter dem Voranschlag von 340 Millio- nen Euro zurückbleiben wird.

Auch Ihre Kapitalbeteiligung dürfte Ihnen unter diesen Um- ständen wenig Freude bereiten.

klieve Die Stadt Essen ist seit langer Zeit am RWE-Konzern beteiligt und hat in der Vergangenheit daraus auch immer eine an- ständige Dividende bezogen. Die ist schon für das vergangene Jahr um rund 30 Millionen Euro gesunken. Und wenn der Vor- schlag einer Dividendenhalbierung auf der nächsten Hauptver- sammlung angenommen wird, dann würden uns noch einmal knapp 19 Millionen fehlen.

Und als wir Ende 2010 beschlossen, uns gemeinsam mit an- deren Stadtwerken an der STEAG zu beteiligen, gab es dafür unter anderem einen wichtigen Punkt: Vieles sprach damals schon für eine immer kleinteiligere Energieversorgung. Vor diesem Hinter- grund fanden wir es gut, gemeinsam mit anderen Stadtwerken eine eigene Erzeugungsbasis in der Region zu haben.

Nach dem Energiewende-Beschluss, die Kernkraftwer- ke schrittweise abzuschalten, hätten Sie doch sogar jubeln müssen.

klieve In der Tat hatten wir erwartet, dass nach dem Ende des Atomstroms konventionelle Kapazitäten erst recht benötigt wür- den. Was wir wie viele andere auch nicht erwartet hatten, war, dass die regenerativen Energiequellen so dynamisch zulegen würden wie sie es in den vergangenen Jahren getan haben und auf diese Weise konventionelle Kapazitäten aus dem Markt drängen bezie- hungsweise für einen dramatischen Preisverfall am Großhandels- markt sorgen würden.

Und dennoch wird darüber diskutiert, ob Essen nicht das Stromnetz in der Stadt übernehmen soll. Verheben Sie sich damit nicht angesichts der finanziellen Situation der Stadt?

klieve Das ist ein laufendes Verfahren, über das ich nicht spre- chen kann. In einer der nächsten Ratssitzungen werden wir aber darüber zu entscheiden haben, wer die Konzession bekommt.

Eine denkbare Option ist dabei auch, die Netze in kommunale Hand zu überführen.

Allgemein gefragt: Ist es für eine Kommune attraktiv, über das Stromnetz selbst zu bestimmen?

klieve Die Übernahme des Stromnetzes bringt eine sehr gute Eigenkapitalverzinsung. Andererseits darf man nicht übersehen, dass mit dieser Chance zugleich auch Risiken verbunden sind. Es muss vor einem Kaufentscheid deshalb immer zu einer gründli- chen Abwägung aller Aspekte kommen.

» die Energiewende

Hat es nicHt

gut gemeint mit essen.«

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Zu den Risiken zählt beispielsweise der möglicherweise hohe Investitionsbedarf, der auf die Verteilnetze im Zuge der Ener- giewende zukommen wird.

klieve Es bestehen beachtliche und prinzipiell auch gut kalku- lierbare Erlöschancen. Ob das am Ende aber auch Gewinne sind, bestimmen die Risiken, die auch eintreten können. Insbesondere kann der eventuell hohe Investitionsbedarf die finanzielle Kapazi- tät einer Stadt, die sich möglicherweise auch noch in einer schlechten finanziellen Verfassung befindet, übersteigen. Das kann man nicht ausschließen, das muss man sehr genau prüfen.

Gibt es aus Ihrer Sicht positive Aspekte der Energiewende?

klieve Die Sicht des Kämmerers ist ja in erster Linie etwas ein- geengt auf das Finanzielle. Und da fällt mir nicht viel Positives ein.

Aber ich will nicht bestreiten, dass ein wesentliches Ziel der Ener- giewende, nämlich der Ausbau der regenerativen Stromerzeugung und damit die CO2-Vermeidung, auf einem sehr guten Weg ist.

Der Kämmerer sagt trotzdem: weg mit der Energiewende?

klieve Die meisten Bürger begrüßen heute die Energiewende.

Auch die Stadt Essen steht hinter der Energiewende. Sie betreibt ein sehr ambitioniertes Energie- und Klimakonzept. So hat die Stadt beispielsweise Anfang dieses Jahres beschlossen, dass sie zu 100 Prozent mit Ökostrom versorgt wird. Die Neuorientierung der deutschen Energiepolitik muss aber für den Bürger bezahlbar bleiben. Und es muss einen Weg geben, dass es für die Vorhaltung von Erzeugungskapazitäten und damit für die Aufrechterhaltung von Versorgungssicherheit eine Vergütung gibt, mit der man zu- mindest die Kosten decken kann. Als Kämmerer, der für die finan- zielle Situation dieser Stadt Verantwortung trägt, kann ich derzeit nur sagen: Die Energiewende hat es wahrlich nicht gut gemeint mit der Stadt Essen.

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(30)

» WEr Das nEtz hat, hat DiE Macht

stimmt nicht mehr.«

cHristopH born

(rechts) ist seit September 2013 alleiniger Geschäfts- führer der Stadtwerke Stade. Zuvor hatte er seit 2009 den kaufmännischen Bereich des Unternehmens geleitet.

mattHias trunk

(links) ist seit Januar 2011 Geschäftsführer, seit 2012 Alleingeschäftsführer, der Stadtwerke Neumünster und des SWN-Konzerns. Zuvor arbeitete er elf Jahre bei den Stadtwerken Düsseldorf.

(31)

»Wer das netz Hat, Hat die verantWortung

muss es heißen.«

(32)

Welche Rolle spielt das Netz in Ihrem Stadtwerk?

cHristopH born Wir haben zwei große Bereiche in unserem Unternehmen, die Geld verdienen müssen. Das ist einmal der Ver- trieb und das ist zum anderen das Netz. Deshalb spielt das Netz in unserem Unternehmen eine ganz wichtige Rolle.

Gäbe es ohne das Netz die Stadtwerke nicht?

born Die Stadtwerke Stade wären ohne die Netze – neben Strom sind das noch das Gas- und das Wassernetz – ein ganz ande- res Unternehmen.

Herr Trunk, wenn ich Herrn Born folge, haben Sie einen großen Fehler gemacht. Sie haben das Netz aus Ihrem Unternehmen ausgegliedert und in einen größeren Verbund eingebracht.

mattHias trunk Wir haben das Netz eingebracht in die Schleswig-Holstein Netz AG. Wir sind damit sehr zufrieden. Wir brauchen keinen eigenen Netzbetrieb.

Das ist ohne Probleme verlaufen?

trunk Wir hatten natürlich anfangs eine schwierige Phase. Die Mitarbeiter waren verunsichert und haben gefragt: Wie geht das ohne Netz? Doch inzwischen klappt das hervorragend. Wir haben uns mit diesem Schritt deutlich optimiert. Themen wie Netzregu- lierung können viel besser gemanagt werden in einer größeren Ein- heit. Auch vom Ergebnis her ist der jetzige Zustand für uns viel besser.

Aber so ganz ohne Mitarbeiter der Stadtwerke Neumünster läuft doch auch bei Ihnen der Netzbetrieb nicht?

trunk Das ist richtig. Wir stellen gut 90 Mitarbeiter für den Netzservice im Auftrag der Schleswig-Holstein Netz AG vor Ort ab.

Das ist sehr wichtig. Wir haben so die Wertschöpfung vor Ort erhal- ten, aber die Komplexität deutlich reduziert.

Herr Born, Sie müssen alles selbst im Haus machen. Sie müs- sen sich mit den immer umfangreicheren Vorschriften für den regulierten Netzbetrieb beschäftigen. Sind Sie als Unterneh- men damit nicht überfordert?

born Es ist in der Tat richtig, dass man personelle Ressourcen, aber auch IT-Systeme benötigt, die zunächst einmal Geld kosten.

Wir schaffen das aber. Es hat sich vieles gewandelt, es sind viele Aufgaben dazugekommen. Aber das ist auch eine Herausforderung für die Mitarbeiter und das Unternehmen insgesamt, der wir uns gern stellen.

Würden Sie denn aufgrund der Erfahrungen, die Sie mit dem Netzbetrieb gemacht haben, anderen Stadtwerken bezie- hungsweise Kommunen empfehlen, den Netzbetrieb wieder in Eigenregie zu übernehmen?

born Das kommt auf den Einzelfall an. Eine Kommune sollte sich gründlich überlegen, welche Ziele sie mit der Übernahme ver- folgt. Den Netzbetrieb einfach so zu übernehmen, ohne vorher ge- machte Erfahrungen, ohne ausreichendes Know-how, halte ich für sehr problematisch. Zu einem bestehenden Stadtwerk aber passt der Netzbetrieb gut dazu.

trunk Ich halte die Rekommunalisierung gerade in kleinen Einheiten für völlig falsch. Wenn die Kommunen ahnen würden, was da auf sie zukommt an Regulierungsvorschriften, an anderen Regelungen, dann würden sie wahrscheinlich sehr schnell von dem Vorhaben Abstand nehmen.

born In diesem Punkt gebe ich Ihnen völlig Recht. Ich beob- achte mit ein wenig Sorge, dass Kleinstädte – häufig auch durch Be- rater getrieben – sich in das Abenteuer Netzerwerb stürzen, ohne bisher in dem Geschäft engagiert gewesen zu sein. Da werden häu- fig wirtschaftliche Erwartungen geweckt, die sich insbesondere in kleinen Gemeinden nicht realisieren lassen.

› Vom Betrieb des Stromnetzes in Eigenregie versprechen

sich die einen Stadtwerke eine große Bürgernähe. Die anderen setzen dagegen auf größere Einheiten, um den Kopf für

andere Aufgaben frei zu bekommen. Welcher Weg ist viel- versprechender? Ein Streitgespräch.

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(33)

Netzbetrieb bindet Kapital. Wäre es nicht besser, dieses Kapital vor dem Hintergrund der Energiewende in zukunftsorientier- tere Bereiche zu investieren, wie das andere Stadtwerke tun?

born Als Stadtwerk verwalten wir kommunales Vermögen.

Das, was wir im Rahmen der Energiewende derzeit sehen, ist auch eine Umgestaltung des Lebensraumes Stadt. Wir haben als Stadt- werk die Pflicht, diese Umgestaltung aktiv mit zu gestalten. Und dazu gehören Netze, Erzeugung, Energieeffizienz, um nur einige Aufgabenfelder zu nennen. Wenn wir uns beispielsweise nur auf den Bereich Erzeugung konzentrieren würden, würden wir eine sehr risikoreiche Strategie fahren. Es ist meiner Ansicht nach besser, das Kapital auf verschiedene Felder der Wertschöpfungskette zu vertei- len, um auf diese Weise eine risikoärmere Strategie zu fahren.

Ihr Kollege Herr Trunk geht aber einen anderen Weg.

trunk Wir haben derzeit einen sehr hohen Investitionsbedarf.

Wir müssen massiv investieren, um zukunftsfähig zu bleiben. Das Geschäftsfeld Netze ist aber ein Feld, in dem Sie höchstens noch Bestandssicherung betreiben können angesichts der immer schlechteren Margen, gerade vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Regulierungsvorschriften. Wir entwickeln deshalb beispielsweise die Breitbandtechnologie als ein neues Geschäfts- feld mit Zukunftsperspektive und investieren auf breiter Basis in die Energiewende.

born Wir wollen auch wachsen. Wir haben aber entschieden, im Bereich Energie zu wachsen – einmal auf der Seite des Vertriebs, indem wir den Kunden neue Dienstleistungen anbieten und hier die Wertschöpfungskette verlängern, zum anderen auf der Seite der Erzeugung, indem wir die Potenziale der regenerativen Energie- erzeugung in unserer Region heben.

trunk Da stimme ich mit Ihnen überein. Aber dazu benötigen Sie Kapital und Managementkapazitäten. Beides aber wird durch den Netzbetrieb in erheblichem Umfang gebunden. Das betrifft insbesondere die Managementkapazitäten angesichts der steigen- den Komplexität des Netzbetriebs.

Ist also der Netzbetrieb für die Stadtwerke kein Geschäftsfeld mit Zukunftsaussichten?

trunk Beim Netz geht es bestenfalls um die Sicherung des Sta- tus quo und die Verwaltung bestehender Strukturen. Zukunft ge- stalten sieht anders aus.

born Widerspruch! Wer sollte es denn besser machen? Wir ha- ben als Stadtwerk Stade in den letzten 154 Jahren bewiesen, dass wir es können. Der klassische Netzbetrieb ist eine regionale Aufgabe.

Allerdings gehört für mich dazu auch eine ständige kritische Refle-

xion: Kann ich die Professionalität wahren? Wie bin ich aufgestellt?

Wo kann ich mich optimieren und wo gehe ich strategische Part- nerschaften ein, um das Unternehmen weiterzuentwickeln?

Dazu dürften auch die Anforderungen gehören, die im Zusam- menhang mit der Energiewende auch auf die Verteilnetze zu- kommen. Stichwort: Smart Grid. Sind Sie als Stadtwerk – mit Netz der eine, der andere ohne – darauf vorbereitet?

born Im aktuellen Marktdesign gibt es so gut wie keine positi- ven Effekte, die die erheblichen Investitionen rechtfertigen würden.

Die bisherige Anreizregulierung setzt Anreize, so wenig wie mög- lich in den Ausbau von Verteilnetzen zu investieren. Diese Ausrich- tung passt überhaupt nicht mehr in die aktuelle Situation, in der von uns erwartet wird, dass wir die Netze ausbauen und moderni- sieren sollen. Sollten wir zu einem Marktdesign kommen, das sich zum Beispiel stärker an vorzuhaltender Kraftwerksleistung orien- tiert, dann könnten positive Effekte entstehen.

trunk Wir stehen technisch und gesellschaftlich vor großen Herausforderungen, die von uns allen erhebliche Anstrengungen erfordern werden. Die Stadtwerke werden beweisen müssen, wie groß ihre Veränderungsbereitschaft und ihr Anpassungsvermögen sind. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir es schaffen werden:

überlegt, aber nicht zögerlich, kreativ und Neuem mit Neugier be- gegnend.

Das wollen Sie, Herr Trunk, ohne Netz, und Sie, Herr Born, mit Netz anstreben. Der eine gibt die Macht, die angeblich mit dem Netz verbunden sein soll, auf, der andere will sie möglicher- weise noch ausbauen.

trunk Der Satz „Wer das Netz hat, hat die Macht“ stimmt spä- testens seit der Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes und der damit eingeführten Anreizregulierung nicht mehr. Ein großer Teil dieser Macht ist nach Bonn zur Bundesnetzagentur gewandert.

Und mit dem gesetzlich festgelegten diskriminierungsfreien Zu- gang zum Netz ist dieser Machtfaktor endgültig entfallen.

born Nicht „Wer das Netz hat, hat die Macht“ muss es heißen, sondern „Wer das Netz hat, hat die Verantwortung“. Die Netze sind die Lebensadern einer Stadt und einer Region. Die Menschen wol- len dem, der diese Verantwortung hat, vertrauen können. Vielleicht müssen wir den Trend zur Rekommunalisierung auch vor der Frage sehen: Haben die bisherigen Betreiber der Netze es geschafft, dass die Menschen ihnen vertrauen beziehungsweise zutrauen, dass sie die Belange einer Stadt im Blick haben?

kommunale energiepolitik strEitfragEn 04|2013 31

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Sie haben für Ihre Studie mehr als 70 Neugründungen von Stadtwerken untersucht. Welche Motive stecken hinter dieser

„Gründungswelle“?

dr.-ing. kurt berlo Die Motivlage ist eindeutig. Die örtli- chen Entscheidungsträger wollen ihre Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne der Energiewende stärker nutzen. Auf der Erzeugungs- seite steht der Ausbau erneuerbarer Energien und im Vertrieb ste- hen Ökostromprodukte und Energiedienstleistungen im Vorder- grund. Viele kommunale Akteure sind unzufrieden mit den Alt- konzessionären und deren Unternehmensentscheidungen. Oft spielen auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Stärkung der re- gionalen Wertschöpfung, Nutzung des steuerlichen Querverbun- des und Gewinnabführungen sowie Arbeitsplatzeffekte sind hier

die wichtigsten Beweggründe. Bei Netzübernahmen wird zudem stärker in die Sanierung und Instandhaltung investiert, um die Versorgungssicherheit zu verbessern.

Sie erwarten, dass in den kommenden Jahren noch zahlrei- che Stadtwerke neu gegründet werden, weil bis 2016 viele Konzessionen für Strom- und Gasverteilnetze auslaufen. Wie wichtig ist der Netzbetrieb für die Erfolgsaussichten einer Neugründung? Geht es auch ohne Netz? Gehört Stromerzeu- gung zwingend zum Aufgabenfeld eines Stadtwerks?

oliver Wagner Die meisten Möglichkeiten haben Unter- nehmen, die auf allen Wertschöpfungsstufen aktiv sind. Natür- lich gibt es auch Fälle, in denen nur der Vertrieb zum Geschäfts- feld gehört. Doch meist wird eine Stufenstrategie verfolgt.

» die Bedenken gegen

stadtWerke-

gründungen sind Widerlegt!«

› Landauf, landab gründen sich neue Stadtwerke. Das

Wuppertal Institut räumt neuen Versorgern in kommunaler Hand gute Chancen ein. Die Experten sehen lokale Unter- nehmen als wichtige Akteure im dezentralen Energiesystem von morgen.

strEitfragEn 04|2013 kommunale energiepolitik 32

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Zunächst Vertrieb, dann bescheidener Aufbau einer Eigenstrom- erzeugung, etwa durch PV-Anlagen und BHKW, dann Netzüber- nahme und Ausbau der Eigenstromerzeugung und Nutzung der Chancen im Wärmemarkt. Schließlich bieten Energiedienstleis- tungen ein attraktives Geschäftsfeld.

Ihre Studie betrachtet Städte und Gemeinden als Schlüssel- akteure der Energiewende. Welche Rolle spielen Stadtwerke für eine kommunale Energiepolitik, die auf die Umsetzung der Energiewende zielt? Wie groß sind die Spielräume über- haupt, wenn Stadtwerke sich bei der Gas- und Stromversor- gung im Wettbewerb behaupten müssen?

berlo Stadtwerke sind nah am Verbraucher und nah an den örtlichen Entscheidungsträgern. Das ist ein Vorteil, wenn es dar- um geht, Lösungen zu finden, den Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort dezentral voranzubringen und Energieeinsparpotenziale zu erschließen. Gerade neue Unternehmen nutzen ihre Möglich- keiten, durch ein schlankes Unternehmen mit kurzen Entschei- dungswegen und proaktiver Kooperationsbereitschaft wirtschaft- lich erfolgreich zu sein. Das ist übrigens auch keine Frage der Größe. Selbst Deutschlands kleinstes Stadtwerk in Hagnau am Bodensee, 1 400 Einwohner, schreibt schwarze Zahlen.

Die Rekommunalisierung der Energieversorgung wird auch kritisch gesehen. Das Bundeskartellamt warnt vor einer Frag- mentierung und Zersplitterung der Verteilnetzlandschaft.

Andere meinen, die Kommunen unterschätzten den Investi- tionsbedarf für die notwendige Ertüchtigung von Netzen im Zusammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Was entgegnen Sie den Kritikern? Welche Optionen haben Kommunen, um effizienten Netzbetrieb zu gewährleisten und Mittel für Investitionen im Energiesektor zu mobilisieren?

Wagner Die formulierten Bedenken sind durch die Realität widerlegt. Wir zeigen in unserer Studie sogar Fälle von Netzüber- nahmen großer Betreiber, bei denen – nach erfolgter Übereignung des Netzes an die Kommune – erhebliche Wartungs- und Instand- haltungsdefizite erkannt wurden. Die meist abwertend benutzte Bezeichnung einer Zersplitterung der Verteilnetzlandschaft ent- spricht in Wahrheit der technischen Entwicklung zu dezentralen Lösungen. Die Zersplitterung ist kein Nachteil, sondern vielmehr ein Vorteil, weil so Netzstruktur, Unternehmensstruktur und technische Entwicklung zusammenpassen. In der Vergangenheit, als die technische Entwicklung zu immer größeren und kapital- intensiven Kraftwerken führte, war die Entwicklung großer Un- ternehmen die logische Folge. Heute ist es umgekehrt. Die zuneh- mende Zahl von Verteilnetzübernahmen ist zudem unter wettbewerblichen Aspekten ein Vorteil. Mancher Altkonzessionär hat sich in den letzten Jahren zu gemütlich eingerichtet, Investiti- onen ins Netz unterlassen und lediglich nach der sicheren und attraktiven Rendite geschielt. Die Kommunen aber wissen, dass ein gutes Stromnetz auch einen Standortvorteil darstellt. Ihre Wirtschaftlichkeitsberechnungen beziehen daher volkswirt- schaftliche Aspekte stärker ein und ihre Bereitschaft zu investie- ren ist daher größer. Denn die Erwartung von Aktionären großer Stromkonzerne ist eine andere als die eines kommunalen Gesell- schafters. Die Rendite einer Kommune drückt sich auch in der Steigerung des Gemeinwohls aus, die Aktionäre von Großunter- nehmen hingegen haben den Shareholder Value im Blick. Größen- und Know-how-Nachteile machen die kommunalen Unterneh- men durch Partnerschaften bzw. Kooperationsmodelle mehr als wett. Hier zeigen sich gerade neue Stadtwerke sehr kreativ, indem sie beispielsweise mit anderen Stadtwerken und Genossenschaf- ten zusammenarbeiten.

dr.-ing. kurt berlo

ist Projektleiter am Wuppertal institut für Klima, Umwelt, Energie. 2013 veröffentlichte er mit Oliver Wagner eine Studie zu Stadtwerke-Neu- gründungen und Rekommunalisierungen.

oliver Wagner

beschäftigt sich als Projektleiter am Wuppertal institut vorrangig mit kommunaler Energie- wirtschaft und mit Stadtwerke-Kooperationen.

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ralf scHürmann

ist Geschäftsführer der Stadtwerke Peine.

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