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prozent der messstellen überscHreiten den Grenzwert

Im Dokument Streitfragen!: (Seite 41-54)

39 WasserWirtscHaft strEitfragEn 04|2013

Wir braucHen dringend eine novellierte düngeverordnung

In Niedersachsen unterstützen die Wasserversorgungsunterneh-men die vom Land vorrangig favorisierten freiwilligen Koopera-tionen mit der Landwirtschaft. Hierbei werden Bewirtschaftungs-einschränkungen – reduzierte Stickstoffdüngung, kein Mais- und Kartoffelanbau – und Auflagen – etwa Maisuntersaaten – verein-bart und der wirtschaftliche Nachteil ausgeglichen. Mit diesen Maßnahmen wurden in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge erzielt. Bei der derzeit in weiten Teilen des Landes stattfindenden Intensivdüngung reichen diese auf Dauer in den Veredlungsregi-onen aber nicht aus, um den Grenzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter einzuhalten.

Wir brauchen dringend eine novellierte Düngeverord-nung, die endlich auch die Vorgaben der Nitratrichtlinie und der Wasserrahmenrichtlinie berücksichtigt und dazu beiträgt, dass Deutschland die Grenzwerte wieder einhalten kann. Feinjustie-rungen helfen nicht weiter, eine generelle Überarbeitung der Ver-ordnung ist erforderlich. Diese Überarbeitung muss auf Basis der Vorgabe „Wasserrecht taktet das Düngerecht“ erfolgen.

Im Jahr 2010 wurde im ersten Bewirtschaftungsplan nach Wasser-rahmenrichtlinie gegenüber der EU-Kommission berichtet, dass die Grundwasserkörper auf einer Fläche von 60 Prozent Nieder-sachsens aufgrund der Nitratbelastung in einem schlechten Zu-stand sind. Hierbei ist zu beachten, dass diese Grundwasserkör-per nicht auf ihrer gesamten Fläche nitratbelastet sind, sondern jeweils in der als sogenannte Zielkulisse ausgewiesenen Teilflä-che. Diese umfasst ca. 12 700 Quadratkilometer, etwa 25 Prozent der Landesfläche, mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 7 300 Quadratkilometern.

erfolge Werden konterkariert

Die aktuellen Auswertungen zur Nitratkonzentration an den über 1 000 Wasserrahmenrichtlinien-Messstellen lassen für einige Messstellen einen fallenden, für andere einen steigenden Trend erkennen. Hier ist in einigen Bereichen eine Verschlechterung der Situation eingetreten.

Gleiches gilt für die Entwicklung in den Wasserschutzge-bieten. Auch hier gibt es Gebiete mit einer fallenden Belastung, aber auch solche, in denen gerade in den oberflächennah verfilter-ten Messstellen ein Anstieg der Nitratkonzentration zu verzeich-nen ist.

Die EU-Kommission kommt aufgrund des Berichtes zur Umset-zung der Nitratrichtlinie zu der Feststellung, dass bezüglich der Aktionsprogramme Klärungsbedarf besteht. Sie hat erkannt, dass die in Deutschland bislang eingeleiteten Maßnahmen die Vorga-ben der WRRL und der Nitratrichtlinie nicht erfüllen.

Der Nährstoffausgleich zwischen Gebieten mit hohem und vergleichsweise niedrigem Nährstoffaufkommen muss intensi-viert werden. Ein vollständiger Informationsabgleich zwischen den Landkreisen und der Landwirtschaftskammer ist für eine um-weltgerechte Nährstoffverwertung erforderlich. Die qualifizierten Flächennachweise müssen turnusmäßig überprüft werden. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Einführung eines Düngekatasters ziel-führend sein könnte.

Bislang fehlt es an ausreichenden Lagerkapazitäten für Nährstoffe. Dies führt dazu, dass in der vegetationsarmen Zeit Nährstoffe ausgebracht werden müssen, die von den Pflanzen nicht mehr aufgenommen und dann während der Grundwasser-neubildung mit ausgewaschen werden.

Vor dem Hintergrund, dass in Niedersachsen im Rahmen des sogenannten Kooperationsmodells seit 20 Jahren in Wasserge-winnungsgebieten auf freiwilliger Basis in Zusammenarbeit von Wasserversorgungsunternehmen und Landwirten Maßnahmen zum Trinkwasserschutz sowie eine intensive Beratung finanziert werden, ist die Entwicklung hin zu wieder steigenden Nitratge-halten alarmierend. Die nachweisbaren Erfolge vieler Kooperati-onen werden offensichtlich durch falsche Anreize und unzurei-chende Anforderungen und Umsetzung des landwirtschaftlichen Fachrechts konterkariert.

niedersacHsen Hat ein näHrstoffverteilungs- und näHrstoffüberscHussproblem

Der jüngst von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vor-gelegte Nährstoffbericht dokumentiert regional hohe Überschüs-se von Stickstoff und Phosphor aus dem Aufkommen an Wirt-schaftsdünger. Berücksichtigt man zudem die in Niedersachsen eingesetzte Menge an Mineraldünger, ergibt sich auch im lan-desweiten Durchschnitt ein Stickstoffüberschuss, der den Pflan-zenbedarf weit übersteigt und zu Belastungen des Grundwassers geführt hat. Es ist deutlich geworden, dass Niedersachsen nicht nur ein Nährstoffverteilungsproblem hat, sondern auch ein

Nähr-das einHalten des Düngerechtes ist

eine grundvoraussetzung.

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stoffüberschussproblem. Ein Export von Wirtschaftsdünger in Bedarfsregionen ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Prob-lems, wird allein jedoch nicht reichen, um den Nitratbelastungen des Grundwassers wirkungsvoll zu begegnen. Es ist insgesamt zu viel Stickstoff im System, der Gewässer und Natur belastet.

Sowohl für die Sicherung der Trinkwasserqualität als auch für die Zielerreichung nach Wasserrahmenrichtlinie ist das Ein-halten des bestehenden Düngerechtes zunächst eine Grundvor-aussetzung. Niedersachsen plant daher, mehrere Instrumente zur Kontrolle der ordnungsgemäßen Düngung in Form eines Dün-gekatasters zu etablieren. Die Meldeverordnung für Wirtschafts-dünger ist ein Schritt in die richtige Richtung. Über den Nähr-stoffanfall und dessen ordnungsgemäße Verwertung innerhalb eines Betriebes können aus diesen Daten jedoch noch keine Aus-sagen abgeleitet werden. Daran arbeiten wir. Der nächste Schritt wird die Erfassung und Kontrolle der Nachweisflächen sein, die für Tierhaltungs- und Biogasanlagen zur Ausbringung von Wirt-schaftsdüngern und Gärresten gebunden sind.

düngekataster als kontrollinstrument

Auf Bundesebene wird sich Niedersachsen dafür einsetzen, dass im Rahmen der Novellierung der Düngeverordnung fachrecht-liche Anforderungen konkretisiert und verstärkt werden, um die Trinkwasserqualität sichern und die Qualitätsanforderungen der Wasserrahmenrichtlinie erreichen zu können. Dazu gehören bei-spielsweise Regelungen für aussagekräftige Nährstoffvergleiche einschließlich wirkungsvoller Kontrollmöglichkeiten ebenso wie die Verlängerung von Sperrfristen zur Ausbringung organischer Düngemittel, die Ausweitung von Mindestlagerkapazitäten sowie erhöhte Anforderungen an die Ausbringungstechnik organischer Düngemittel. Auch die Begrenzung der Phosphorzufuhr bei hoch-versorgten Böden und die Einbeziehung von Gärresten pflanzli-cher Herkunft in die Obergrenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar für die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern sollten bei der No-vellierung berücksichtigt werden.

Die gemeinsame Analyse landwirtschaftlicher und wasserwirt-schaftlicher Daten und Modellergebnisse kann zur Identifikation möglicher Verletzungen des Ordnungsrechtes und der damit ver-bundenen Konsequenzen für die Wassergüte beitragen. Ich halte den kooperativen Ansatz im Trinkwasser- und Grundwasser-schutz auch weiterhin für den richtigen Weg: Das Umweltminis-terium stellt dafür jährlich rund 18 Millionen Euro zur Verfügung.

Das Ordnungsrecht muss dafür jedoch eine solide Basis bilden und künftig einen deutlich größeren Anteil zur Lösung des Nähr-stoffproblems beitragen. Falls die genannten Maßnahmen nicht zu einer Verbesserung führen, kann die Ausweisung von Schutz-gebieten zur Vermeidung des Eintrags von Düngemitteln nach

§ 51 (1) Nr. 3 des Wasserhaushaltsgesetzes erforderlich werden.

Hier wären – vergleichbar mit Trinkwasserschutzgebieten – er-höhte Anforderungen an die Flächenbewirtschaftung zu erfüllen.

bioerzeugung macHt geWässerscHutz scHWierig Das Hauptproblem liegt nach wie vor bei einer „durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verursachten Gewässerverunreini-gung“ – wie es die EU-Nitratrichtlinie aus 1991 formuliert. In Nie-dersachsen fallen jährlich rund 39 Millionen Tonnen Gülle, acht Millionen Tonnen Festmist sowie rund zehn Millionen Tonnen Gärreste pflanzlicher Herkunft an. Allein der Anfall an Gärres-ten pflanzlicher Herkunft entspricht somit einem Nährstoffum-fang von rund 50 000 Tonnen Stickstoff und rund 21 000 Tonnen Phosphor (als P2O5). Diese Mengen fallen zusätzlich zum Nähr-stoffaufkommen aus Tierhaltungsanlagen an und werden auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ausgebracht. Negativ für den Gewässerschutz ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass nach Düngeverordnung diese Gärreste nicht in die zulässige Obergrenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr aus Wirt-schaftsdünger einberechnet werden müssen.

Ein weiterer für den Wasserschutz bedeutender Aspekt ist die Ausweitung des Maisanbaus als Energiepflanze, häufig sogar auf umgewandelten Grünlandstandorten, wodurch über Jahre große Mengen an Stickstoff aus dem Boden mineralisiert werden.

Zwar ist es grundsätzlich möglich, Mais auch gewässerschonend anzubauen, in der Praxis wird Mais jedoch – insbesondere in Nährstoffüberschussregionen – häufig über dem Pflanzenbedarf gedüngt. Nach der Maisernte werden regelmäßig hohe Reststick-stoffgehalte im Boden gemessen, die über Winter mit dem Sicker-wasser ins GrundSicker-wasser gelangen.

stefan Wenzel

ist niedersächsischer Minister für Umwelt, Energie und Klimaschutz. Der Grünen-Politiker zog 1998 in den Landtag ein, 2004 übernahm er den Fraktionsvorsitz.

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» die energieWende macHt die brancHe

wieder sexy.«

› RWE will bis 2016 allein in Deutschland mehr als 4 000 Arbeits-plätze abbauen. Trotzdem setzt der Konzern viele Hebel in Bewegung, um talentierte Nachwuchskräfte zu gewinnen.

Andreas Henrich beschreibt die vielfältigen Möglichkeiten eines – immer noch – großen Unternehmens.

Herr Henrich, Personalabbau auf der einen Seite und intensi-ve Bemühungen um Berufsnachwuchs auf der anderen Seite – wie passt das zusammen?

andreas HenricH Wir bauen Personal ab, das ist bekannt.

Das tun wir möglichst sozialverträglich. Zugleich denken wir an die Zukunft und wollen Nachwuchskräfte gewinnen, gerade auch für die Umsetzung der Energiewende. Da brauchen wir Ingenieu-rinnen und Ingenieure, Naturwissenschaftler und Elektrotechni-kerinnen, die Spaß an diesen Dingen haben. Ich benutze bewusst die weibliche Form, weil wir uns vorgenommen haben, den Frau-enanteil im Unternehmen zu erhöhen und junge Frauen und Mäd-chen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern.

Wie langfristig planen Sie denn?

HenricH Wir untersuchen regelmäßig die langfristige Mitar-beiterstruktur, indem wir das gesamte Unternehmen in Job-Famili-en aufteilJob-Famili-en. Anhand der MitarbeiterdatJob-Famili-en könnJob-Famili-en wir früh erkJob-Famili-en- erken-nen, wo wir aufgrund der demografischen Entwicklung möglicherweise Probleme bekommen. Aktuell verlassen die soge-nannten Babyboomer über Altersteilzeit und normale Verrentung das Unternehmen. In den nächsten vier, fünf Jahren sind das bis zu 1 700 Kolleginnen und Kollegen. Das wissen wir heute schon. Das hilft uns beim Personalabbau. Aber viele dieser Stellen müssen wir nachbesetzen mit jungen Leuten. Das Durchschnittsalter unserer Mitarbeiter liegt bei 47,3 Jahren – mit den Nachwuchskräften kön-nen wir die Alterspyramide wieder zurechtrücken.

Wie attraktiv ist die Energiewirtschaft insgesamt für junge Leute?

HenricH Wir haben in den vergangenen Jahren gut aufgeholt im Ranking der attraktiven Arbeitgeber. Wir stehen jetzt wieder im oberen Mittelfeld. Das liegt daran, dass wir im Zusammenhang mit der Energiewende spannende neue Themen anbieten, für die sich junge Menschen begeistern. Da möchten sie mitmachen und mitgestalten. Wenn Sie so wollen: Die Energiewende macht die Branche wieder sexy.

Absolventen von ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengängen werden von vielen Großunternehmen um-worben. Wie bestehen Sie im Wettbewerb mit Siemens, Daimler & Co.?

HenricH Wir sind bei allen maßgeblichen Hochschulmessen präsent, um junge Menschen direkt anzusprechen und ihnen Auskunft zu geben. Wir wollen sie möglichst früh mit dem Unter-nehmen und seinen Möglichkeiten bekannt machen. Außerdem pflegen wir intensive Kontakte zu Hochschulen. Beispielsweise haben wir Mitarbeiter, die dort Lehrtätigkeiten ausüben und da-bei auch das Unternehmen vertreten.

andreas HenricH

leitet das Personalmanagement der RWE Deutschland AG.

Die Gesellschaft bündelt die Vertriebs- und Netzaktivitäten des Konzerns in der Bundesrepublik. im Jahr 2012 setzte die Deutschland-Tochter mit mehr als 19 000 Beschäftigten knapp 24 Milliarden Euro um.

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Welche Möglichkeiten haben Studierende und Absolventen bei Ihnen?

HenricH RWE Deutschland bietet Praktikumsplätze an und betreut Bachelor- und Masterarbeiten sowie Promotionen. Absol-venten können sehr zügig als Trainees einsteigen: Wenn die Be-werberin oder der Bewerber zu uns passt, brauchen wir vom ers-ten Kontakt bis zum Abschluss des Vertrags nur 40 Tage. Ein anderes Beispiel: Der StudyCircle richtet sich speziell an junge Leute, die im Anschluss an ihre Ausbildung bei RWE Vollzeit stu-dieren. Denen geben wir die Möglichkeit, in den Semesterferien bei uns zu arbeiten und ihre Praktika zu absolvieren. Wir betreuen ihre Abschlussarbeiten und halten dadurch den Kontakt. In der Reihe RWE MINTALENTS wenden wir uns mit Infoveranstaltun-gen und Exkursionen speziell an Studentinnen der Mathematik, Informatik, der Naturwissenschaften und der Technik-Fächer.

Wie verändert der Ausbau der Erneuerbaren Energien die Anforderungen an Mitarbeiter in der Energiewirtschaft?

HenricH Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht nur mit Elektrotechnik befassen, sondern sich auch mit In-formationstechnologie auseinandersetzen. Um die dezentrale Er-zeugung zu integrieren, werden wir künftig viel mehr Informa-tions- und Nachrichtentechnik in den Netzen verbauen. Wir brauchen Menschen, die damit umgehen und die Smart Grids der Zukunft steuern können.

Entstehen da neue Berufsbilder?

HenricH Ja, auch deshalb, weil die Bereiche Energie und IT immer stärker zusammenwachsen. So haben wir in Kooperation mit der Hochschule Ruhr West in Mülheim an der Ruhr und Bottrop den Studiengang „Energieinformatiker“ aufgebaut. Mit der Fachhochschule in Jülich kooperieren wir in einem Master-Studiengang, der Elektrotechnikern zusätzliche IT-Kompetenz vermittelt. Außerdem hat RWE die nötigen Ressourcen, vorhan-dene Mitarbeiter gezielt weiter zu schulen. So entwickeln sie die Kompetenzen, die das Unternehmen jeweils braucht.

Welche Rolle spielen Online-Medien und soziale Netzwerke für Ihre Personalarbeit?

HenricH Die jungen Absolventen kaufen heute keine Zeitung und sehen den Stellenteil durch. Heute schaut man sich den Inter-net-Auftritt des Unternehmens an und durchsucht dort die Job-Börse. Die Bewerbung erfolgt per Online-Formular und mit einge-scannten Unterlagen. Das ist für alle einfacher – auch für uns, denn wir können viel schneller Kontakt aufnehmen. Wir legen deshalb großen Wert auf unseren Internet-Auftritt. Außerdem sind wir in Netzwerken wie Xing präsent. Dort können wir selbst nach potenziellen Kandidaten suchen und sie ansprechen.

In den Naturwissenschaften sind nur wenige Prozent der Absolventen weiblich. Wie ließe sich dieser Wert steigern?

HenricH Wir setzen darauf, schon Schülerinnen und Schüler für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern. Speziell die Mädchen laden wir einmal im Jahr zum Girls Day ein. Außerdem bieten wir Schülerpraktika in unseren Ausbildungswerkstätten an. Dann gibt es unser Programm „Mitarbeiter machen Schule“.

Hier geben wir Kolleginnen und Kollegen, die sich engagieren wollen, die Möglichkeit, mit professionell vorbereiteten Unter-richtsmaterialien in die Schulen zu gehen. Dort berichten sie über ihren Job und erzählen, wie spannend der ist.

Wir haben jetzt über die Initiativen eines einzelnen Unter-nehmens gesprochen. Wäre es sinnvoll, wenn die Branche als Ganzes um Berufsnachwuchs werben würde?

HenricH Wir bedienen uns am selben Arbeitsmarkt wie die Kollegen aus dem Mittelstand und bei den Stadtwerken. Da halte ich es für vernünftig zu überlegen: Was können wir gemeinsam tun, um künftig den Nachwuchs beispielsweise bei den Facharbei-tern zu sichern? Das würde die Anstrengungen der einzelnen Un-ternehmen sinnvoll ergänzen und der ganzen Branche guttun.

» Wir setzen d ar a uf , sc H on Schülerinnen und Schüler für n a tur W issensc H af - ten und tec H nik zu begeistern. «

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sie Haben im bdeW die initiative ergriffen und die brancHen-übergreifende nacHWucHssi-cHerung zum tHema gemacHt.

Warum?

Der seit vielen Jahren diskutierte demo-grafische Wandel kommt jetzt in den Un-ternehmen an, und zwar gerade bei den Stadtwerken. Die Mitarbeiterstruktur un-serer Mitgliedsunternehmen ist – auch vor dem Hintergrund einer personellen Konsolidierung in den letzten Jahren – ten-denziell überaltert. In den nächsten zehn Jahren müssen 25 Prozent der Stellen in der Branche trotz Restrukturierung neu besetzt werden. Auch die großen technischen Her-ausforderungen der Energiewende werfen für die Personalplanung der nächsten Jahre Fragen auf. Es wird zunehmend schwerer, im technischen Bereich gut ausgebildete und leistungsbereite Mitarbeiter zu finden.

Noch können wir alle Stellen besetzen, die Bewerberzahlen gehen jedoch signifikant zurück. Aber auch die Diskussion in der deutschen Wirtschaft insgesamt lässt auf-horchen. Da ist vom Wettlauf um Fach kräfte,

von einer Zeitenwende auf dem Lehrstellen-markt und vom Fischen im leeren Teich die Rede. Allein in NRW werden die Zahlen der Schulabgänger, Auszubildenden und Stu-denten um circa 22 Prozent zurückgehen.

Damit müssen wir uns in der Energie- und Wasserwirtschaft auseinandersetzen.

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sie Haben unterneHmen der brancHe befragt. Was ist dabei Herausgekommen?

Der Mangel an Nachwuchskräften wird eindeutig vor allem im technischen Be-reich erwartet. Das betrifft Ingenieure, aber auch die gewerblich-technischen Be-rufe. Manche Berufsbilder, wie etwa der Netzingenieur, entstehen neu oder verän-dern sich in den Anforderungen rapide.

Engpässe erwarten die Unternehmen aber auch bei einigen kaufmännischen und juristischen Kompetenzen, spezialisierte Vertriebler können ebenfalls zum Engpass werden. Die befragten Personaler sehen sich außerdem in einer harten Konkurrenz

zu anderen Branchen, wie zum Beispiel Automobil und IT, aber auch Pharmazie, die aus ihrer Sicht bei den talentierten Nachwuchskräften höher im Kurs stehen.

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an WelcHen punkten Würde eine brancHenübergreifende nacHWucHsarbeit Helfen, Was bleibt besser in der kompetenz der einzelnen unterneHmen?

Die Gewinnung, Entwicklung und Bin-dung der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter sind ureigene UnMitarbei-ternehmensaufgaben.

Die Entwicklung einer starken Arbeitge-bermarke für das eigene Unternehmen kann einem niemand abnehmen. Da ste-hen die Stadtwerke auch sehr gut da. Hier kann im Sinne einer strategischen Perso-nalplanung aber auch noch viel Potenzial gehoben werden. Auf Ebene der Branche dagegen sollte es zumindest einen gut strukturierten Austausch zu diesen The-men geben. Insbesondere Stadtwerke würden darüber hinaus davon profitieren, wenn es gut und jugendgerecht aufbe-reitetes Material über die Branche als Ar-beitgeber, über Karrierewege und Berufe geben würde, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muss. Auch mehr Transpa-renz bei den sich extrem dynamisch ent-wickelnden akademischen Ausbildungs-gängen können wir gemeinsam und für alle organisieren. Bei der Frage: „Welche Themen, welche Arbeitsfelder interessie-ren mich als Abiturient, als angehender Ingenieur?“ konkurrieren nicht die Unter-nehmen miteinander, sondern die großen Wirtschaftsbranchen. Hier müssen wir ge-meinsam ein besseres Image und Standing der Energie- und Wasserwirtschaft erar-beiten. Ein konkretes Beispiel: Die in den Schulen dringend benötigten Materialien zur Berufsorientierung für die Jugendli-chen, aber auch für Eltern und Lehrkräfte muss nicht jeder selber machen, sondern sie können für die ganze Branche erarbei-tet und herausgegeben werden.

dr. peter asmutH

ist Mitglied des Vorstandes der STAWAG Stadtwerke Aachen Aktiengesellschaft.

drei fragen an Peter Asmuth

› Bauvorhaben im Zuge der Energiewende stoßen zunehmend auf gut organisierten Bürgerprotest. Für den Politologen Prof. Dr. Franz Walter ist dieser Widerstand nicht zuletzt Aus-druck eines wachsenden Misstrauens. Nach seinen Erkennt-nissen richtet sich der Argwohn der Bürger aber nicht nur gegen die Politik – auch Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

» viele bürger glauben

Weder politikern nocH unterneHmen.«

Herr Prof. Walter, Sie haben für die jüngste BP-Gesellschaftsstudie ein breites Spektrum von Protestbewegungen untersucht. Wie stehen diese Gruppen zur Politik?

prof. dr. franz Walter Wir registrierten vor allem zu Beginn des Jahrzehnts ein besonders stark ausgeprägtes Misstrauen. Dieses Misstrauen – und nicht der Protest – ist bei vielen Bürgern die erste Reaktion auf spektakuläre politische Entscheidungen und die Ankündigung größerer Projekte. Man glaubt

„denen“ nicht. Speziell bei öffentlich verkündeten Kostenschätzungen haben viele den Eindruck, dass sie bewusst hinters Licht geführt werden, weil die Verant-wortlichen schon wissen, dass es viel teurer wird. Das

Misstrauen trifft aber nicht nur die Politik. Man glaubt auch Medien, Unternehmen und Verbänden nicht.

Kostensteigerungen bei öffentlichen Vorhaben sind nichts Neues. Wie erklären Sie, dass das Miss-trauen in den vergangenen Jahren so stark ge-wachsen ist?

Walter Ein Grund ist sicherlich der Umgang mit dem Begriff „alternativlos“. Den hat die Politik seit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders sehr häufig benutzt.

Die Bürger fühlten sich dadurch zu einem bestimmten Verhalten gedrängt. Aber im Laufe der Zeit stellt man fest: Nicht alles war alternativlos. Inzwischen nennt sich sogar eine Partei „Alternative für Deutschland“.

Schon der Name soll ausdrücken, dass es zu allem Möglichen eine Alternative gibt.

akzeptanz strEitfragEn 04|2013 47

Was heißt das für die Einstellung der Bürger zur Energiewende?

Walter Über Jahrzehnte war auch die Atomener-gie angeblich alternativlos. Nach dem Reaktorunfall in Fukushima änderte sich das über Nacht und nun heißt es: „Die Atomkraftgegner hatten recht.“ Wenn die aber immer recht hatten, wurden die Bürger jahrzehnte-lang verschaukelt. Dann ist nachvollziehbar, dass sie die nächste Heilsbotschaft erst mal skeptisch sehen – und das ist die Energiewende.

Umfragen zeigen ein hohes Maß an Zustimmung zum Atomausstieg und zum Ausbau der Erneuer-baren Energien. Wie passt das mit Protesten gegen Windräder und Stromleitungen zusammen?

Walter Entscheidend ist, wonach gefragt wird.

Allgemein bekennt sich sicherlich eine Mehrheit zur Energiewende. Wenn Sie aber gezielt fragen, ob die Bürger auch hohe Kosten oder gar Engpässe bei der Stromversorgung akzeptieren würden, lehnt die Mehrheit eine zügige Energiewende ab. Das war schon bei den ersten Umfragen nach dem Atomunfall in Ja-pan so. Übrigens: Für Windkraft gibt es derzeit eine Mehrheit – für den Bau von Stromtrassen bei vielen Umfragen nicht.

Was können Planer und Investoren tun, um Zu-stimmung für ihre Projekte zu erhalten? Womit müssen sie rechnen?

Walter Je größer das Projekt, desto eher haben die Verantwortlichen heute eine Art Bringschuld. Sie müssen das Vorhaben erklären. Denn wie gesagt: Viele Bürger sind nicht geneigt, ihnen ohne Weiteres zu glauben. Bemerkenswert ist auch, dass der Protest sich oft erst im Laufe des Prozesses konstituiert und nicht gleich zu Anfang. Dadurch kommt bei Unternehmen und Politikern ein gewisser Groll auf. Die klagen häu-fig: „Wir haben das Projekt vor etlichen Jahren ange-kündigt – da kam keine Reaktion.“ Der Protest regt sich meistens dann, wenn die Auswirkungen für den Einzelnen erkennbar werden.

Müsste man die Interessen der unmittelbaren An-rainer von neuen Anlagen und Infrastrukturein-richtungen noch stärker berücksichtigen?

Walter Das wird ja schon getan. Ein Beispiel ist Gorleben: Im Ort selbst ist der Protest gegen das Atommüll-Lager gleich null, denn man hat die Stadt fürstlich ausgestattet. Widerstand gibt es nur im Um-land. Solche Kompensationsgeschäfte laufen anders-wo im kleineren Stil. Da wird dann vielleicht der Fuß-ballverein finanziell unterstützt. Das ist vermutlich am Ende billiger als zu warten, bis sich Protest regt.

Welche Risiken birgt so eine Bürgerbeteiligung?

Walter Hier setzen sich oft diejenigen durch, die über Eigentum verfügen und eine robuste Ausstat-tung an Bildung mit den erforderlichen Kompetenzen mitbringen. Sie können sich artikulieren und mit an-deren vernetzen, um Interessen durchzusetzen. Aus solchen Konflikten gehen sie unter Umständen als Ge-winner hervor. Die anderen haben es umso schwerer, dafür kennen wir viele Beispiele. Dann kommt das Asylbewerberheim eben dorthin, wo die Anwohner nicht über dieselbe Fähigkeit verfügen, sich zu organi-sieren und zu artikulieren. So kann durch die Proteste eine neue soziale Spaltungslinie entstehen.

» Je grösser das proJekt, desto eHer Haben die

verantWort-licHen Heute eine art

Bringschuld.«

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