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Streitfragen!

Die energie- und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 02|2012

»ginge es nacH Der eu, Dürften Wir nicHt einMal trinkWasser einleiten.«

Prof. Dr. Harro Bode, Ruhrverband, äußert sich kritisch zu Plänen der EU-Kommission

s.38 s.44

s.22

erDgas: sicHer versorgt

Die Gasversorgung in Deutschland ist gesichert, so das Argument von Dr. Heinz Riemer, E.ON Ruhrgas

nicHts ist unMöglicH

EU-Energiekommissar Günther Oettinger über die Modernisierung des europäischen Energiesystems

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die Grundversorgung der Menschen und der Unternehmen in Deutschland mit Energie und Wasser hat einen sehr hohen Stellenwert. Die Bandbreite reicht von Stadtwerken, kommunalen Wasserver- und Abwasserentsorgern bis hin zu privaten Unternehmen, Zweckverbänden, Genossenschaften, ja selbst Bürger- initiativen, die zum Beispiel Windparks betreiben. In dieser Vielfalt herrscht ein Wettbewerb um die besten Lösungen, der zu höchster Qualität, exzellenter Ver- sorgungssicherheit und weitgehend stabilen Preisen für Erzeugung und Vertrieb geführt hat. So liegt die Entwicklung der Preise bzw. Gebühren für Wasser und Abwasser seit Jahren in der Regel unterhalb des Inflationsindexes.

liebe leserin, lieber leser,

eWalD Woste

amtiert seit 2010 als Präsident des BDEW. Seit 2007 ist er Vorstandsvorsitzender der Thüga AG in München.

Wulf abke

ist Vizepräsident des BDEW und Geschäftsführer der Hessenwasser GmbH & Co. KG.

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Demgegenüber sind zum Beispiel bei den Strompreisen seit der Liberalisierung 1998 die Steuern und Abgabenlasten um das bis zu Zehnfache geradezu explodiert.

Das müsste der Politik durchaus zu denken geben. Eigentlich müsste sie ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Doch stattdessen beobachten wir überall den Trend, dass der Staat nicht mehr nur Ziele vorgibt (die mit der Energiewende zu- dem äußerst ambitioniert angelegt sind), sondern auch immer stärker in die Ge- staltung eingreift. In der Steuerung des konventionellen Kraftwerksparks beob- achten wir das, und es begegnet uns, wenn die Kartellbehörden ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort in die Preisgestaltung der Was- serwirtschaft einzugreifen versuchen.

Am Beispiel des BDEW, der 2012 fünf Jahre alt wird, sollte die Politik eigentlich erkennen können, dass unsere Unternehmen durchaus willens und in der Lage sind, selbst den besten Weg und die dazu geeigneten Kompromisse zu finden. Inte- ressenkonflikte, die die Politik lange Zeit lähmen, haben wir im Verband schon im- mer alleine wegen der Bandbreite unserer Mitglieder viel schneller klären müssen – und auch geklärt. Dazu gehören etwa die Kompromisse zwischen Energie- und Wasserwirtschaft in den Fragen von Carbon Capture and Storage (CCS) und der Förderung unkonventionellen Erdgases – keine Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern tragfähige, praxistaugliche Lösungen im Sinne von Energie- und Wasserwirtschaft im BDEW. Dazu gehört aktuell auch ein geord- netes brancheninternes Verfahren zur Klärung von Notwendigkeit und Ausgestal- tung sogenannter Kapazitätsmechanismen.

Diese Diskussionen finden nicht hinter verschlossenen Türen statt. Dafür steht auch das vorliegende Magazin. Die Politik ist herzlich eingeladen, sich an der Debatte über die besten Lösungen zu beteiligen.

Viel Freude beim Lesen Ihre

Wulf Abke eWAld Woste

01 Streitfragen 02|2012

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klAr zur Wende

Erdgaslieferant Hugo Wiemer, Gas-Union, schaut zuversichtlich in die Zukunft

Dr. Jürgen Lenz vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfachs e.V. (DVGW), Dr. Christoph von dem Bussche, GASCADE Gastransport GmbH und Martin Heun von der Gas- und Wasserversorgung Fulda im Gespräch über die Möglichkeiten der Power-to-Gas-Technologie

s.34

HAndelssystem und emissionsminderungen

EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard erläutert die aktuelle Situation des europäischen Emissionshandels

s.10

PoWer to gAs – Hoffnungsträger mit frAgezeicHen

s.18 s.32

drei frAgen An mAttHiAs Jung

Das Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen über das Interesse der Öffentlichkeit am Thema Energie

02 Streitfragen 02|2012

(5)

s.06

s.10

s.16

s.18 s.22 s.26

s.28

s.30

s.32 s.34

s.38

s.42

s.44

intelligentes mArktdesign stAtt PlAnWirtscHAft

Hildegard Müller, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäfts- führung, plädiert für pragmatische Ansätze bei der Umsetzung der Energiewende

zukunft des energieträgers gAs PoWer to gAs – Hoffnungsträger mit frAgezeicHen

Dr. Christoph von dem Bussche, GASCADE, Dr. Jürgen Lenz, DVGW, und Martin Heun, Gas- und Wasserversorgung Fulda, im Gespräch über die Power-to-Gas-Technologie

»nur mit gAs bleibt die energieWende finAnzierbAr.«

Dr. Constantin Alsheimer, Mainova AG, plädiert für eine Art „Energie-Soli“

klAr zur Wende

Erdgaslieferant Hugo Wiemer, Gas-Union, schaut zuversichtlich in die Zukunft

erdgAs: sicHer versorgt

Die Gasversorgung in Deutschland ist gesichert, so das Argument von Dr. Heinz Riemer, E.ON Ruhrgas euroPäiscH denken, AlternAtiven Prüfen Für Dr. Jürgen Tzschoppe, Statkraft, ist der Bau von neuen Gaskraftwerken nur ein möglicher von mehreren Wegen, Versorgungssicherheit zu gewährleisten

Wie entWickelt sicH der erdgAs-mArkt?

Stefan Kapferer, BMWi, und Paul Betts, ExxonMobil, beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven

imPressum

HerAusgeber BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.

Reinhardtstraße 32 10117 Berlin

streitfragen@bdew.de www.bdew.de

redAktion Mathias Bucksteeg Sven Kulka

konzePt und reAlisierung Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter Mitarbeit von Wolf Szameit, Redaktion. Meltem Walter und Julia Dörfler, BDEW.

druck und verArbeitung Druck Center Drake + Huber, Bad Oeynhausen

bildnAcHWeis

Siemens AG: Titelseite; Laif: S.04, 34, 38; Roland Horn: S. 07, 12, 18, 20, 42;

Frank Rümmele: S. 10, 14, 26;

gettyimages: S. 09; EWE AG: S. 30;

Werner Schüring: S. 32; Corbis: S. 37;

BDEW: S. 44; E.ON Ruhrgas AG: S. 23;

Mainova AG: S. 17;

Redaktionsschluss:

Juni 2012 fokus energieWende

»Wir brAucHen die Anerkennung von forscHungskosten.«

Dr. Jörg Hermsmeier, EWE AG, fordert mehr Anreize, um unternehmerische Forschungsaktivitäten zur Energiewende zu stärken

drei frAgen An mAttHiAs Jung

Das Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen über das Interesse der Öffentlichkeit am Thema Energie

»dAs HAndelssystem Wird die vereinbArten emissionsminderungen erbringen.«

EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard erläutert die aktuelle Situation des europäischen Emissionshandels nicHts ist unmöglicH

EU-Energiekommissar Günther Oettinger über die Moderni sierung des europäischen Energiesystems

WAsserWirtscHAft

drei frAgen An Helmut Herdt

Der Sprecher der Geschäftsführung der Städtischen Werke Magdeburg zu zukünftigen Herausforderungen der Wasser- und Abwasserwirtschaft

»ginge es nAcH der eu, dürften Wir nicHt einmAl trinkWAsser einleiten.«

Prof. Dr. Harro Bode, Ruhrverband, äußert sich kritisch zu Plänen der EU-Kommission

03

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200 000 000 $

kostet ein Tanker für Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) im Schnitt. Weltweit sind etwa 200 dieser Schiffe im Einsatz. Die Tanks der größten Exemplare (hier im Bild) fassen mehr als 150 000 Kubikmeter.

Derzeit wird mehr als ein Viertel des weltweit transportierten Erdgases in flüssigem Zustand befördert. Dazu wird das Gas auf unter − 160°C gekühlt.

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intelligentes mArkt-

design stAtt PlAnWirt- scHAft

Wenn das Generationenprojekt Energiewende gelingen soll, muss die Politik sich von überholten Denkmustern verab- schieden. Noch fehlt vielfach das Verständnis für unterneh- merische und energiewirtschaftliche Zusammenhänge – nötig sind pragmatische Ansätze nach der Devise „steuern, nicht rudern“.

Manchmal braucht man einfach einen, der den Kopf noch frei hat. Einen wie Joachim Gauck: „Das ehrgei- zige Projekt, das sich Deutschland als führende Indus- trienation mit der Energiewende vorgenommen hat, wird nicht mit planwirtschaftlichen Verordnungen und Subventionen gelingen.“ So der Bundespräsident Anfang Juni.

Er weiß genau, warum und zu welchem Zeit- punkt er es sagt. Runde 5 000 Tage nach der Liberali- sierung steht in der Energiepolitik altes gegen neues Denken. Auf der einen Seite weht ein kräftiger Hauch von staatlicher Investitionsplanung und Preiskontrol- le durch Abgeordnetenbüros und Amtsstuben. In den Bundesländern feiert eine Planungshybris fröhliche Urstände, die den 70er Jahren zur Ehre gereicht hät- te. Staatlich sanktionierte Eingriffe in den Betrieb der Kraftwerke werden zum Normalfall, der Wirkungs- bereich des Energiemarktes mit freier Preisbildung schrumpft immer weiter.

eeg muss überArbeitet Werden

Auf der anderen Seite steht neues, pragmatisches Denken. In der Debatte um eine Marktintegration der erneuerbaren Energien sind nicht alle Vorschläge neu und sie ergeben auch noch kein Ganzes. Aber die Dis- kussion läuft. Es geht dabei nicht um „Kahlschlag“.

Sondern es geht um Weitsicht: Was wird mit der un- auflöslichen Verknüpfung zwischen fester Vergütung und Einspeisevorrang, wenn die Erneuerbaren einen Anteil von 80 Prozent am Stromverbrauch erreicht haben? Wer hat Vorrang, wenn wir bei Überproduk- tion nur die Wahl haben, PV oder Wind abzuregeln?

Wollen wir dann wirklich einen de facto staatlich fest- gesetzten Strompreis? Das EEG ist eines jener Gesetze, das dazu bestimmt wurde, sich durch seinen eigenen Erfolg überflüssig zu machen. Es muss grundsätzlich überarbeitet werden.

Eine auf rein quantitativen Zuwachs ausgerich- tete Subvention, ohne qualitative Lenkungswirkung – das ist altes Denken. Der Mai 2012 war wieder ein Re-

06 Streitfragen 02|2012

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kordmonat für die PV, es wurden über vier Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Eine Erfolgsmeldung, aber sie hatte einen Preis: Die Mehrkosten gegenüber den Prognosen im Zuge der Berechnung der EEG- Umlage 2012 belaufen sich schon jetzt auf 460 Milli- onen Euro. Der Strompreis an der Börse sinkt durch den Ausbau der Erneuerbaren, doch der Verbraucher hat nichts davon, weil gerade deshalb die Umlage, als Ausgleich zwischen Verkaufserlös und garantierter Vergütung, steigt. Sinnvoll geht anders.

Neues Denken dagegen wäre zum Beispiel, Effizienz und Chancen im Wettbewerb zum Förder- grundsatz zu machen, den Ausbau der Erneuerbaren verbindlich an die Fortschritte beim Ausbau der Infra- struktur, insbesondere bei den Netzen, zu koppeln.

Politik entWickelt ProblembeWusstsein Hoffnung macht das neue Personal. Peter Altmaier hat die notwendigen Investitionen in den konventi- onellen Kraftwerkspark und das Thema Strompreise schon benannt. Er wird absichtlich missverstanden, wenn er die Überprüfung der Ziele der Energiewende ankündigt. Es geht ihm nicht darum, den beschleunig- ten Ausstieg aus der Kernenergie umzudrehen. Der ist verbindliche Grundlage für das Generationenprojekt Energiewende. Auch im BDEW hat niemand Ambi- tionen, diese Diskussion wieder zu führen. Altmaier geht es darum, Prioritäten und ein Management auf der Zeitschiene einzuführen. Mit Gauck und Altmaier in der Ecke des neuen Denkens: der neue Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann, der seinen Ter- minkalender mit Investorengesprächen vollpackt, um frisches Geld der BNetzA für die Netze aufzutreiben.

Dafür sollte er aber auch einen Blick auf die Regulie- rungspraxis werfen.

Das Hauptproblem des alten Denkens ist ein fehlendes Verständnis für unternehmerische und energiewirtschaftliche Zusammenhänge. Ein Beispiel

ist die Mentalität, mit der die „Beschlusskammer 8“ in der Bundesnetzagentur ihr einziges Ziel einer Redu- zierung der Netzkosten verfolgt. Redispatch-Maßnah- men, immer öfter die letzte Barriere vor dem Blackout, will sie auf einem Niveau entschädigen, dass sich kein Kraftwerksbetreiber dafür mehr in die Pflicht nehmen lassen will. Wer auf seinen Kosten sitzen bleibt, wenn er hilft, das System zu stützen – welches Interesse soll er dann künftig an der Bereitstellung von Reservekapa- zitäten haben? Die Beschlusskammer behindert damit auch die Diskussionen im Kraftwerksforum des BMWi – ein Staat im Staate.

Investitionen lassen sich nicht anordnen, Still- legungen nicht verbieten. Auch der Staat kann keine Kraftwerke bauen, deren Betrieb nicht wirtschaftlich ist. Im Jahr 2020 werden konventionelle Kraftwerke im Vergleich zu heute rund 40 Prozent weniger im Betrieb sein. Kraftwerke werden aber nach Arbeit, also den erzeugten Kilowattstunden, bezahlt, nicht nach Leis- tung bzw. Kapazität. Doch die Erlöse aus der Strom- produktion sinken bei abnehmenden Betriebszeiten drastisch, während die Fixkosten, zum Beispiel für das Personal, konstant bleiben.

Von den 84 Bauprojekten der BDEW-Kraftwerks- liste sind 15 noch in der Planung. Insgesamt befinden sich viele in Wartestellung, da die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben ist. Wie lange noch? Es soll Überlegun- gen im Bundeswirtschaftministerium und der Bundes- netzagentur geben, Kraftwerke „par ordre de Mufti“

länger laufen zu lassen. Der baden-württembergische Umweltminister will staatlicherseits festlegen, wie viel Leistung gebraucht wird, und diese dann auktio- nieren. Neues Denken dagegen heißt: Für die Zeit ab 2020 brauchen wir ein Marktdesign, in dem auch die Bereitstellung von Leistung honoriert wird. Heute in- teressieren sich Finanzinvestoren, wenn überhaupt, vornehmlich für den regulierten Teil des Marktes, für Netze und EEG-Anlagen, aber nicht für den liberali- sierten Teil, nicht für die konventionellen Kraftwerke.

Wenn regulierte Bereiche für internationale Finanzin- vestoren attraktiver sind als freie Märkte – dann ist das immer ein Alarmsignal.

HildegArd müller

ist Vorsitzende der Hauptgeschäfts- führung des BDEW.

07 Streitfragen 02|2012

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Die Bundesländer stricken mit an der Illusion staatli- cher Machbarkeit. Kleinstaaterei ist die Folge. Schles- wig-Holstein will deutscher Exportmeister von Strom aus erneuerbaren Energien werden, Bayern dagegen will autark sein. Bayerischer Strom für bayerische Bür- ger. Die Finanzierung läuft im einen wie im anderen Fall über die Taschen aller Bürger in Deutschland. Und Europa, der europäische Energiebinnenmarkt ist in

solchen Momenten ohnehin ganz, ganz weit weg und wird ignoriert. Autarkiedenken ist altes Denken. Neu- es Denken läuft auf Vernetzung und Abstimmung hi- naus. Es muss geklärt werden, wer wie viel Strom pro- duziert und wie man ihn verteilen kann. Wer meint, Überkapazitäten aufbauen zu müssen, sollte sich nicht auf EEG-Umlage und Einspeisevorrang verlassen können.

stromPreis-debAtte beginnt erst

Altes und neues Denken auch bei den Stromprei- sen. Die Summe staatlicher Steuern und Abgaben im Strompreis hat sich seit der Liberalisierung im Jahr 1998 verzehnfacht. Die Stromkunden bezahlen aktu- ell 23,7 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben mit ihrer Stromrechnung, über 14 Milliarden macht die EEG-Umlage aus. Die Bundesregierung bereitet sich jetzt darauf vor, einen weiteren dramatischen Anstieg der EEG-Umlage zu erklären. Die Belastungen für ein- kommensschwache Haushalte werden zum Thema.

Ein alter Reflex darauf ist die Forderung nach Sozial- tarifen. Das wäre so, als würde man zum Inflations- ausgleich nicht den Hartz-IV-Satz erhöhen, sondern die Brotpreise deckeln. Sachsen hat jüngst als Alter- native die Senkung der Stromsteuer vorgeschlagen, auf europäisches Mindestniveau, von 20,50 Euro je MWh auf einen Euro – de facto eine Abschaffung. Das setzt zumindest an der richtigen Stelle an. In jedem Fall aber sollte der Finanzminister die Mehrwertsteu- er auf die EEG-Umlage im System belassen und zur Finanzierung zentraler Vorhaben einsetzen, die an- sonsten die Preise treiben: die Mehrkosten durch eine von vielen geforderte grundsätzliche Erdverkabelung von Übertragungsnetzen etwa oder die Risiken bei der Offshore-Netzanbindung. Gerade Letztere ist ein nati- onales Projekt, ebenso wie die geplanten „Stromauto- bahnen“. Die zentralen Elemente des Netzausbauplans sollten deshalb auch aus der Kleinstaaterei gelöst und zentral geplant und koordiniert – und womöglich auch finanziert – werden.

Das wäre neues Denken, bei dem man auch nicht gleich die Abschaffung des Föderalismus befürchten muss. Es würde schon viel helfen, wenn sich die Poli- tik auf ihre vornehmste Aufgabe in unserer sozialen Marktwirtschaft besinnen würde: Ziele vorgeben, ko- ordinieren, ausgleichen, wo Verwerfungen entstehen.

Steuern, nicht rudern. Und auf den Bundespräsiden- ten hören.

d ie summe st AA tlic H er steuern und Abg A ben im strom Preis HA t sic H seit der liber A lisierung im J AH r 1998 verze H nf A c H t.

08 Streitfragen 02|2012

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Netto-Zubau voN

kraftwerks-kapaZitäteN

6,4 gigAWAtt davon unsicher (in Planung)

23,5 gigAWAtt Brutto-Zubau mit ho- her Verfügbarkeit und hoher Realisierungs- wahrscheinlichkeit 42,5 gigAWAtt

Projekte im Bau, genehmigt, im Genehmigungsver- fahren oder in Planung

12,6 gigAWAtt davon noch im Genehmigungsverfahren

36,1 gW

23,5 gW

16,5 gW

11,1 gW 7,0 gigAWAtt Anlagen ohne oder mit nur geringem Beitrag zur gesicherten Leistung

5,4 gigAWAtt davon an Genehmigun- gen gebundene Stillle- gungsverpflichtungen 7,2 gW

1,2 gW 3,9 gigAWAtt Stilllegungen bis 2020 durch Kernenergie- Ausstieg

6 gigAWAtt bis 2017 erwartbare Stilllegungen durch Verschärfung der Emis- sionsgrenzwerte 7,2 gW

3,9 gigAWAtt Stilllegungen bis 2020 durch Kernenergie- Ausstieg

? gigAWAtt Kraftwerke, deren Renta- bilität unter zukünftigen Rahmenbedingungen fraglich wird

?

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dr. Jürgen lenz

ist Vizepräsident des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs e.V. (DVGW). Der DVGW versteht sich als technisch-wissen- schaftliche Autorität der Gas- und Wasserbranche.

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PoWer to gAs –

Hoffnungsträger mit frAgezeicHen

Die Idee klingt bestechend: Elektrolyse und Methanisie- rung entlasten das Stromnetz und machen überschüssige Elektrizität aus Wind- und Sonnenkraftwerken speicher- bar. Drei Fachleute erklären, was heute getan werden muss, damit Power to Gas morgen funktioniert.

Die Stromeinspeisung aus Windrädern und Solaranlagen übersteigt heute schon phasenweise die Nachfrage, durch den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien dürfte diese Situation immer häufiger auftreten. Was versprechen Sie sich vor diesem Hintergrund von Power to Gas?

dr. cHristoPH von dem busscHe Strom lässt sich nun mal schlecht aufbewahren, aber synthetisches Methan und in Grenzen auch Wasserstoff können wir in unseren Netzen und Speichern hervorragend lagern. Power to Gas wäre eine mögliche Antwort auf die Speicherproblematik – nicht die Zauberformel, die alle Schwierigkeiten beseitigt, aber ein Baustein des künftigen Energiesystems.

Wir verstehen unsere Gasleitungen als große Energieadern quer durch Deutschland, diese Funktion würde durch die Einspei- sung von Wasserstoff und Methan weiter gestärkt.

dr. Jürgen lenz Strom- und Gasnetze sind komplementär, sie ergänzen sich ganz gut. Über die Konvergenz der Energienetze können viele Probleme der Integration regenerativer Energien ge- löst werden. Durch die fluktuierende Einspeisung von Wind und Photovoltaik wird das Stromnetz zunehmend volatil. Das Gasnetz hat eine hohe Flexibilität durch die Kompressibilität des Gases und durch die integrierten großvolumigen Speicher. Die Toleranzbreite im Betrieb ist ja viel größer als beim Strom. Der Reiz liegt darin, ein volatiles und ein flexibles Energiesystem zu kombinieren. Power to Gas ist eine Möglichkeit, die zeitweise entstehenden Stromüber- schüsse durch Speicher nutzbar zu machen und sozusagen den Rest des Jahres davon zu leben.

11 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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dr. cHristoPH von dem busscHe ist Mitglied der Geschäftsführung der GASCADE Gastransport GmbH. Das Unternehmen betreibt in Deutschland ein Fernleitungsnetz von über 2 200 Kilometern Länge.

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Die wichtigsten Prozesse zur Erzeugung von synthetischem Erdgas sind alte Bekannte: Die Elektrolyse kennt wahrschein- lich jeder aus dem Chemieunterricht, die so genannte Saba- tier-Methode zur Methanproduktion ist seit über 100 Jahren etabliert. Trotzdem ist Power to Gas bisher über das Stadium von Pilotversuchen nicht hinausgekommen. Woran liegt das?

mArtin Heun Die Gas- und Wasserversorgung Fulda baut ge- rade eine Biogas-Anlage, die wir später als CO2-Quelle für die Her- stellung von synthetischem Methan nutzen wollen. Den für die Elektrolyse nötigen Strom werden wir durch Solarzellen und eine Windkraftanlage erzeugen. Dabei stellen wir fest: Es gibt für sol- che Systeme keine Serientechnik, wir müssen uns herantasten.

Und dann sind da noch die Lieferfristen. Trotz dieser Unwägbar- keiten sind wir bereit, in die Power-to-Gas-Technik einen zwei- stelligen Millionenbetrag zu investieren, und hoffen, dass wir 2014 mit der Methanerzeugung starten können.

von dem busscHe Grundsätzlich ist das in der Tat alles be- kannte Technologie – Elektrolyse ist nichts Neues, Gasnetze sind nichts Neues. Wir müssen aber schauen, welche Konsequenzen es hat, wenn wir Wasserstoff ins Gasnetz einspeisen. Was passiert bei den Speichern, gibt es Probleme bei den Verdichtern? Das muss erst erprobt werden.

Herr Dr. Lenz, müssen wir mit dem Wasserstoff im Gasnetz wirklich so vorsichtig sein?

lenz Nach dem heutigen Regelwerk ist eine Wasserstoffbeimi- schung im einstelligen Prozentbereich zulässig. Es gibt aber auch Beispiele für wesentlich höhere Anteile: So hat man in Ostdeutsch- land vor der Wende das Netz mit aus Kohle hergestelltem Stadtgas betrieben, das enthielt bis zu 50 Prozent Wasserstoff. Nach oben ist also noch Spielraum. Und zu den Speichern: In den USA wird reiner Wasserstoff in Salzkavernen gelagert, das ist Stand der Technik. Ei- nige Porenspeicher in Deutschland wurden in der Vergangenheit schon für wasserstoffreiches Stadtgas genutzt. Wir sind dabei, die Obergrenze für den Wasserstoff im Gasnetz wissenschaftlich syste- matisch zu ermitteln und nach oben zu verschieben.

Kann denn Deutschland im Alleingang große Mengen Was- serstoff ins Gasnetz pumpen?

von dem busscHe Es ist auch hier wichtig, die europäische Perspektive zu sehen. Denn unsere Netze sind eng verknüpft, sa- lopp gesagt schieben wir alle dasselbe Gas durch die Leitungen.

Hier müssen wir uns auf eine Gaszusammensetzung einigen, die alle europäischen Nachbarn akzeptieren.

lenz Die Signale aus anderen Ländern sind sehr positiv. Groß- britannien etwa produziert so viel Windenergie, dass man dort schnell eine Lösung braucht. Die Briten sind forsch und wollen den Wasserstoffanteil im Gasnetz auf zehn Prozent erhöhen. Auch in Holland fließt schon Wasserstoff aus der Elektrolyse in die Gas- leitungen. Ich bin sicher, über unsere internationalen Verbände können wir hier gute gemeinsame Lösungen finden.

Wann wird Power to Gas in nennenswertem Umfang einge- setzt werden können?

Heun Ich rechne damit, dass Wasserstoff und Methan aus Wind- und Sonnenstrom in signifikanten Mengen erst im Jahr 2030 produziert werden. Denn wir müssen erst mal die Pilotanla- gen bauen und optimieren. Wenn die Technik ausgereift ist, kön- nen wir sie in größerem Maßstab nutzen. Auf jeden Fall müssen wir heute anfangen. Denn noch sind wir First Mover in einem in- ternational beachteten Markt – wie bei Windkraftanlagen. Da er- geben sich neue Exportchancen.

lenz Wenn die Ausbaupläne der Bundesländer realisiert wer- den, haben wir schon 2020 in Deutschland 150 000 MW installierte Leistung aus erneuerbaren Energien, das entspricht dem Doppel- ten des durchschnittlichen Stromverbrauchs. Wenn wir dann nicht genügend Speicherkapazität haben, entsteht ein riesiges Hindernis für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir dürfen nicht warten, bis das Problem da ist, sondern müssen jetzt das Nö- tige unternehmen. Wir brauchen einen Masterplan für den Aus- bau sowie ein Regulierungsregime – oder besser ein Anreizsys- tem. Da müssen viele Fragen geklärt werden, etwa wer die Investitionen trägt, wie der Strom für die Elektrolyse bepreist wird und wie die Speicherfunktion honoriert werden soll.

» e s ist A uc H W ic H tig, die euro Päisc H e Pers Pektive « zu se H en.

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A uc H en einen mA s- ter Pl A n für den A usb A u. «

13 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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mArtin Heun

ist Geschäftsführer der Gas- und Wasserver- sorgung Fulda GmbH. Die hessische Gesell- schaft engagiert sich konsequent für den Klima- schutz und ist als „klimaneutrales

Unternehmen“ zertifiziert.

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Stichwort Kosten: Wie teuer wird Methan, also synthetisches Erdgas, eigentlich?

Heun Das ist noch gar nicht kalkulierbar. Ich könnte mir vor- stellen, dass es in etwa so teuer wird wie Biogas, aber das ist im Moment reine Spekulation.

von dem busscHe Wir dürfen nicht den Eindruck erwe- cken, dass Power to Gas ein Weg zu preiswerterem Gas ist. Das ist meines Erachtens der falsche Ansatz – wir fördern auch Photovol- taik nicht, weil das die günstigste Form der Stromerzeugung ist.

Bei der Energiewende geht es um Ziele wie CO2-Vermeidung, einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und nicht in erster Linie um billige Energie.

lenz Die Innovations-Offensive des DVGW plädiert für eine ganzheitliche Betrachtung des Zusammenwachsens von Strom- und Gasnetzen, der Rückverstromung und der Nutzung von Gas in dezentralen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Dieser integrier- te Ansatz macht sichtbar, dass die CO2-Vermeidung durch Power to Gas wesentlich preiswerter zu erreichen ist als durch die mo- mentan diskutierte energetische Sanierung des Gebäudebestands.

Wenn wir nämlich regenerativ erzeugten Strom in Gas umwan- deln und dieses zum Teil in dezentralen Kraft-Wärme-Kopplungs- anlagen nutzen, entsteht viel kostenlose Wärme. Ein volkswirt- schaftliches Optimum würde erreicht, indem man dort, wo man diese Abwärme nutzen kann, die energetische Sanierung der Ge- bäude auf ein erträgliches Maß reduziert. Eine Studie des For- schungszentrums Jülich verweist auf die durch intelligente Sys-

temtechnik möglichen enormen Kosteneinsparungen bei gleichen CO2-Zielen. Wir könnten die Bürger also im Bereich der Gebäude- sanierung um Milliardenbeträge entlasten. Das muss man be- rücksichtigen, wenn man die Wirtschaftlichkeit von Power to Gas diskutiert.

Mit anderen Worten: Power to Gas könnte sich ohne Subven- tionen durchsetzen?

Heun Meines Erachtens wird das kein Selbstläufer sein, ohne Subventionen wird es nicht gehen. Viele Bürger werden nur auf den Preis sehen. Nicht allen dürfte klar sein, dass Energieproduk- tion immer mit Herstellungskosten verbunden ist, egal ob dabei grüner oder konventioneller, sozusagen grauer Strom entsteht.

von dem busscHe Ich vergleiche das mit der Einführung des bleifreien Benzins in den 80er Jahren. Der durchschlagende Erfolg gelang dem bleifreien Sprit erst, als er billiger war als der herkömmliche Kraftstoff. So wird das auch beim umweltfreund- lich erzeugten Strom und bei Power to Gas sein: Den Durchbruch zum Erfolg gibt es nur mit staatlichen Anreizsystemen.

Unter dem Schlagwort Power to Gas wird die Nutzung regenerativ erzeugten Stroms zur Herstellung von Wasserstoff und – in einem zweiten Schritt – von Methan disku- tiert. Produzieren beispielsweise Offshore- Windräder mehr Strom als gerade gebraucht wird, kann mit Hilfe der überschüssigen Elektrizität per Elektrolyse Wasserstoff er- zeugt werden. Der lässt sich bis zu einer

gewissen Grenze direkt ins Gasnetz einspeisen.

Ist die Grenze erreicht, kann Wasserstoff unter Zugabe von Kohlendioxid „methani- siert“ werden. Das entstehende syntheti- sche Methan ist voll mit herkömmlichem Erdgas kompatibel und kann ohne Ein- schränkung in vorhandenen Leitungen trans- portiert sowie in Speichern gelagert werden.

Befürworter von Power to Gas weisen darauf hin, das sämtliche benötigten Technologien vorhanden und erprobt sind. Außerdem gilt das vorhandene Gas-System schon durch sein Volumen als geeignetes Reservoir für große Energiemengen: Allein das deutsche Leitungsnetz ist rund 500 000 Kilometer lang und umfasst zahlreiche große unterirdische Speicher.

brücke zWiscHen strom- und gAsnetz

15

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» nur mit gAs bleibt die

energieWende finAnzierbAr.«

Dezentrale, mit Gas betriebene Kraft-Wärme-Kopplungs- Anlagen leisten einen entscheidenden Beitrag zu

einer bezahlbaren Energiewende, meint Dr. Constantin Alsheimer. Zur Finanzierung der Wende plädiert der Manager für eine Art „Energie-Soli“.

16 Streitfragen 02|2012 zukunft des energieträgers gAs

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Herr Dr. Alsheimer, Dezentralität ist eine Leitidee der Energiewende. Wie wichtig ist die dezentrale Erzeugung ih- rer Ansicht nach für den erfolgreichen Umbau der Energieversorgung?

dr. constAntin AlsHeimer

Meines Erachtens kann die Energiewende nur gelingen, wenn wir mehr dezentrale Anlagen bauen. Denn je näher wir Erzeu- gung und Verbrauch räumlich zusammen- bringen, desto weniger ist der kostenträch- tige Ausbau der Stromnetze nötig. Daher ist Dezentralität aus meiner Sicht ein entschei- dender Hebel, um die Energiewende finan- zierbar zu halten. Ich glaube: Die Zukunft wird durch dezentrale Erzeugung geprägt sein.

Unterstellen wir, die dezentrale Erzeu- gung setzt sich tatsächlich durch. Was spricht dafür, die übers Land verteilten kleinen und mittelgroßen Anlagen für die Kraft-Wärme-Kopplung, kurz KWK, ausgerechnet mit Gas zu betreiben?

AlsHeimer Dafür sprechen praktische und wirtschaftliche Gründe. Gas ist relativ preisgünstig und im Vergleich zu anderen fossilen Brennstoffen klimaschonender.

Außerdem können Sie kleinere und mittle- re Gaskraftwerke rentabel errichten und betreiben, das ist Voraussetzung für dezen- trale Konzepte. Mit Gas lassen sich kleine und mittelgroße Blockheizkraftwerke rea- lisieren, auch für Industriebetriebe. Ein Miniatur-Gaskraftwerk in Form einer Strom produzierenden Heizung passt ja sozusagen in jeden Keller. Mini-Kohle- kraftwerke in vergleichbarer Weise gibt es dagegen keine.

Kritiker der Kraft-Wärme-Kopplung weisen darauf hin, dass die ganze Wär- me im Sommer gar nicht benötigt wird.

Können Sie diesen Einwand entkräf- ten?

AlsHeimer Heute ist es möglich, mit Wärme nicht nur zu heizen, sondern auch zu klimatisieren. Mainova liefert beispiels- weise an die Universität Frankfurt Wärme.

Dort nutzt man die Absorptionstechnik, grob gesagt ein umgekehrtes Kühlschrank-

prinzip, um Kälte zu erzeugen. So etwas ist vor allem in Großstädten und Siedlungs- schwerpunkten mit einem gut ausgebau- ten Fernwärmenetz möglich. Das wäre schon mal ein großer Beitrag zum Gelingen der Energiewende.

Dezentrale Strom- und Wärmeerzeu- gung durch Privatleute und Betriebe macht aber die traditionelle Leistung von Versorgungsunternehmen teilwei- se überflüssig. Wie wollen Sie im Ge- schäft bleiben?

AlsHeimer In der Tat muss sich das Geschäftsmodell der Energieversorger än- dern. Wir werden nicht mehr nur wie bis- her Lieferant sein, wir werden auch Ab- nehmer sein und mit dem Kunden eng interagieren. Beispielsweise können wir ein Netzwerk dezentraler Anlagen von Kunden intelligent steuern und dadurch einen Mehrwert schaffen. Mainova be- treibt derzeit für ein Frankfurter Woh- nungsbau-Unternehmen zehn Blockheiz- kraftwerke, die zu einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschlossen sind.

Wir steuern dieses System und lassen es zu der Zeit Strom produzieren, wenn der Kun- de dafür den höchsten Börsenpreis erzielt.

Solche Leistungen sowie der Ankauf des vom Kunden erzeugten Stroms werden ne- ben die Lieferung von Energie treten.

Sie haben eingangs das Thema Kosten angesprochen. Was hat der finanzielle Aufwand für die Energiewende mit der künftigen Rolle von Gas zu tun?

AlsHeimer Unter dem Aspekt der CO2-Vermeidungskosten kommen wir mit Kraft-Wärme-Kopplung auf Gasbasis und einem Ausbau der Fernwärme per saldo

wesentlich günstiger weg als etwa bei der Förderung von Photovoltaik zu den derzei- tigen Sätzen. Außerdem brauchen wir beim Gas keinen aufwändigen Ausbau der Übertragungsnetze.

Der verstärkte Einsatz von Gas für dezentrale KWK-Anlagen ist aus meiner Sicht der beste Weg, die Kosten der Ener- giewende zu minimieren. Die werden auch so noch gewaltig sein. Fachleute schätzen die Kosten auf 1,4 Billionen Euro. Das ist dieselbe Größenordnung wie für den Auf- bau Ost nach der Wiedervereinigung.

Die deutsche Einheit wurde zum großen Teil über Steuern finanziert, Stichwort Solidaritätszuschlag. Wie stellen Sie sich die Finanzierung der Energiewen- de vor?

AlsHeimer Auf jeden Fall können wir die Kosten nicht unbegrenzt über Umlagen auf den Strompreis aufschlagen. Das wäre sozial ungerecht und würde die Akzeptanz gefährden, ohne die eine Wende nicht gelin- gen kann. Denn der Stromverbrauch ist re- lativ unflexibel. Sozial Schwache können ihn nur begrenzt reduzieren und werden daher prozentual stärker belastet als andere.

Wir werden deshalb zu anderen Lösungen kommen müssen. Der heutige Solidaritäts- zuschlag hat durch die Steuerprogression eine soziale Komponente – so etwas brau- chen wir meines Erachtens auch für eine faire, sozial ausgewogene Verteilung der Kosten der Energiewende.

dr. constAntin AlsHeimer ist Vorsitzender der Mainova AG, Frankfurt am Main. Er ist zudem Vorsitzender des Vorstandes des LDEW-Landesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft in Hessen/

Rheinland-Pfalz.

17 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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18 Streitfragen 02|2012 zukunft des energieträgers gAs

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klAr zur Wende

Für regionale Ferngasgesell- schaften sahen viele Experten in der „neuen Gaswelt“ keine Zukunft. Dennoch hat bei- spielsweise Gas-Union nicht nur überlebt – das Unterneh- men erfreut sich bester

Gesundheit. Hugo Wiemer erklärt, wie die Gesellschaft den raschen Wandel des Ge- schäfts für sich nutzen kann.

19 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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Gas-Union hat 2011 wieder mehr Erdgas verkauft als im Vor- jahr – obwohl im Allgemeinen der Gasabsatz sinkt. Zugleich lässt sich eine Verschiebung von der klassischen Vollversor- gung hin zur strukturierten Beschaffung beobachten. Wie geht man damit um?

Hugo Wiemer Wir haben uns nicht lange mit einem Lamen- to über die Schwierigkeiten der Systemumstellung und die ständi- gen Änderungen der Regulierung aufgehalten. Unser Unternehmen ist ja eher mittelständisch und wird auch so geführt – ein kleineres, wendiges Schiffchen eben, mit dem wir Wind und Strömung nut- zen können.

Wir haben schnell und flexibel auf die Anforderungen des Marktes und der Kunden reagiert und innovative Liefer- und Dienstleistungsprodukte entwickelt. Die sind auf den Bedarf und die Beschaffungskonzepte unserer Kunden – Stadtwerke und Industrie – abgestimmt und werden laufend angepasst. Unsere unabhängige, dezidiert kommunalfreundliche Haltung ist dabei Grundlage eines nachhaltigen Vertrauensverhältnisses zu unseren Stadtwerkekunden. Last but not least sind Know-how, Innovati- onsstärke, Frische und persönliches Engagement unserer Mitar- beiter und Mitarbeiterinnen Voraussetzung unseres derzeitigen Erfolgs.

Der Gasmarkt hat sich in den letzten Jahren deutlich gewan- delt, insbesondere mit Blick auf die veränderten Rollen und Verantwortlichkeiten der Marktakteure, zum Beispiel durch die Entflechtungsvorgaben. Welche Chancen und Risiken bietet dieses neue Umfeld für ein mittleres Unternehmen wie die Gas-Union?

Wiemer In der alten Gaswelt waren wir in der Rolle einer regi- onalen Ferngasgesellschaft, in einer Sandwichposition zwischen den Erdgasimporteuren und den regionalen Verteilern sowie örtli- chen Stadtwerken. Kluge Strategen haben uns das baldige Ende prophezeit. Sie haben dabei übersehen, dass wir unsere Wert- schöpfung in Richtung Upstream und Downstream ausdehnen und über unser früheres Demarkationsgebiet hinaus aktiv sein konnten. Wir haben uns sehr angestrengt, durch die Regulierung nach „oben“ verlagerte Wertschöpfung durch ein zusätzliches Leistungsspektrum zu kompensieren.

Natürlich gibt es auch mehr und neue Risiken. So basiert unser Erfolg zunehmend auf kurzfristigen Geschäften. Portfolio- und Risikomanagement sind anspruchsvoller geworden, Kon- trahentenausfall- und Marktpreisrisiken müssen wir konsequent beobachten und eingrenzen. Zusätzliche von unseren Kunden gewünschte Produkte sind oft mit höheren Risiken verbunden als in der alten Welt. Die Ergebnisse des Unternehmens sind dadurch weniger planbar geworden.

20 Streitfragen 02|2012 zukunft des energieträgers gAs

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Wie wirken sich die seit kurzem wieder zunehmenden regu- latorischen Eingriffe auf das Gasgeschäft aus?

Wiemer Der Weg in Richtung Sozialisierung durch Umlage- systeme wie die Regelenergieumlage und die Konvertierungsum- lage engt marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen wie unse- res immer mehr ein. Wir können so als Optimierungsspezialisten unser Know-how weniger für unsere Kunden und uns selbst im Markt nutzen. Ganz allgemein sind die Atemlosigkeit der Regulie- rung und die immer schneller aufeinander folgenden regulatori- schen Nachjustierungen für alle Marktteilnehmer eine hohe Be- lastung, die letztlich auch für die Kunden zu Kostennachteilen führt.

Ein stetiges Absinken des Gasverbrauchs einerseits, ein zu- mindest mittelfristig ansteigender Gasverbrauch anderer- seits – beide Entwicklungsrichtungen sind denkbar. Wie stel- len Sie die richtigen Prognosen?

Wiemer Wir gehen davon aus, dass durch die Effizienzsteige- rungen bei der Erdgasanwendung in allen Sektoren der spezifi- sche Erdgasverbrauch stetig weiter sinkt. Hier denke ich vor allem an die Entwicklung im Gebäudebestand. Andererseits ist derzeit noch schwer abschätzbar, inwieweit die Energiewende zu mehr Einsatz von Erdgas in Kraftwerken führt. Auch die Marktentwick- lung dezentraler Kraft-Wärme-Kopplungs-Konzepte ist nicht leicht einzuschätzen. Ich bin hier aber optimistisch. Wir fördern dieses Segment als Unternehmen unter anderem mit Zuschüssen an unsere Kunden. Wir unterstützen den Bau einer Mikro-KWK- Anlage mit bis zu 2 000 Euro.

Grundsätzlich müssen wir Prognosen ständig überprüfen und das Portfolio ständig anpassen. Das ist für uns nichts Neues. Wir haben in Know-how und Prognosesysteme investiert und bieten die Prognose unseren Kunden auch als separate Dienstleistung an.

Unsere Chance: Die zunehmend marktnahe Beschaffung unserer Kunden erzeugt einen Bedarf für Produkte, mit denen Handels- und Dienstleistungsunternehmen wie Gas-Union das Risiko der Mengenschwankung übernehmen.

Wie schätzen Sie die zukünftige Rolle von Speicherproduk- ten angesichts eines immer stärker kurzfristig ausgerichte- ten Marktes ein?

Wiemer Struktur und Flexibilität werden in Lieferangeboten derzeit am Markt nicht voll eingepreist. Das Energiekonzept der Bundesregierung läuft aber darauf hinaus, dass in Zukunft immer mehr Regelleistung erforderlich sein wird. Und wir brauchen in- novative mittelbare Speichersysteme für regenerativ erzeugten Strom, etwa Power to Gas. Deshalb werden mittelfristig auch Strukturierungs- und Flexibilisierungsdienstleistungen und da- mit die Erdgasspeicher entsprechend ihres Beitrages wieder ange- messen bewertet werden. Wir haben daher in jüngster Zeit – ge- gen die allgemeine Markteinschätzung – in Speicherkapazitäten investiert. Grundsätzlich ist es für uns wichtig, darüber hinaus neue Lösungen durch Produkte anzubieten, die vom physikali- schen Speicher losgelöst sind, unter anderem über den Speicher- pool.

Hugo Wiemer

ist Geschäftsführer der Gas-Union GmbH. Gas- Union beliefert seit rund 50 Jahren lokale Energieversorger und große Industrieunterneh- men mit Erdgas. In der britischen Nordsee engagiert sich das Unternehmen auch in der Erdgasförderung.

21 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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cH 4

ERDGAS:

SI ER

VERSORGT

22

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Die wichtigste Botschaft zur Gasliefersituation im Februar 2012 lautet: Trotz der sehr kalten Tempera- turen in Deutschland konnten alle Haushaltskunden zu jedem Zeitpunkt zuverlässig mit Erdgas versorgt werden. Der vergangene Winter hat aber auch gezeigt, dass aufgrund veränderter politischer und regulatori- scher Rahmenbedingungen Verbesserungspotenzial in einzelnen Punkten besteht, um auch in Zukunft ein vielfältiges marktorientiertes Instrumentarium zur sicheren Belieferung der Verbraucher auch in außerge- wöhnlichen Situationen nutzen zu können.

Im Nachgang zur Versorgungssituation im Fe- bruar 2012 hat der BDEW wertschöpfungsstufenüber- greifend eine umfangreiche Analyse des Verlaufs und der vielfältigen Einflussfaktoren vorgenommen sowie daraus Handlungsempfehlungen zur Optimierung einzelner Aspekte (Rahmenbedingungen Regulie- rungs- und Bilanzierungsregime, Behebung von Ka- pazitätsengpässen, Umgang mit zunehmender Kor- relation von Strom- und Gasversorgungssicherheit) abgeleitet.

reduziertes Angebot,

rekordverdäcHtige nAcHfrAge

Die Analyse zeigt, dass die angespannte Versorgungs- situation im süddeutschen Raum in der ersten Feb- ruarhälfte 2012 wesentlich durch eine flächendeckende und andauernde Kältewelle von Russland bis Westeu- ropa ausgelöst wurde. Diese Kältewelle ging einher mit hohen bzw. zum Teil historisch höchsten Gasabsätzen an Letztverbraucher und mit entsprechenden Höchst- auslastungen in nachgelagerten Netzen. Hinzu kam eine zeitweise Reduzierung der Bereitstellung von russischem Erdgas an den Grenzübergangspunkten Waidhaus und Frankfurt/Oder.

Durch Anwendung vielfältiger Maßnahmen konnte diese Versorgungssituation stabilisiert und die Versorgung der Haushaltskunden zu jedem Zeitpunkt gewährleistet werden. Dazu gehörten insbesondere Maßnahmen wie die Maximierung von Erdgastrans- porten von Nord- nach Süddeutschland, der Rückgriff auf unterbrechbare Kapazitätsverträge mit nachgela- gerten Netzbetreibern auf vertraglicher Basis, der Ein-

Im Februar dieses Jahres war die Gasversorgung in Süd- deutschland zeitweise angespannt. Trotzdem musste kein Haushalt auf Gas verzichten. Dr. Heinz Riemer von der E.ON AG erklärt, wie der Engpass entstand und

welche Lehren daraus zu ziehen sind.

dr. Heinz riemer

ist Leiter Gaspolitik bei der E.ON AG und Vorsitzender der BDEW-Projektgruppe

„Versorgungssicherheit/Gaswirtschaft – nationale Umsetzung“.

23 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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satz interner und externer Regelenergie, die Nutzung kontrahierter Lastflusszusagen, die erhöhte Ausspei- cherung aus Erdgasspeichern sowie die Nutzung un- terbrechbarer Lieferverträge mit Industriekunden auf vertraglicher Basis.

In Deutschland insgesamt bestand zu keinem Zeitpunkt ein Problem bei der mengenmäßigen Ver- sorgung des Erdgaskunden. Vielmehr standen im ge- nannten Zeitraum durch diversifizierte Lieferquellen und Transportwege, liquide Handelsplätze sowie gut gefüllte Erdgasspeicher insgesamt gesehen ausrei- chende Erdgasmengen zur Verfügung.

stAbile AusgAngslAge

Die Marktmechanismen wie zum Beispiel die Nachfra- ge und das Angebot an Regelenergie an der EEX und an den virtuellen Handelspunkten der Marktgebiete Net Connect Germany (NCG) sowie GASPOOL haben funktioniert. Dies zeigen entsprechende Signale wie ein steigendes Regelenergievolumen sowie steigende Preise an den Handelspunkten.

Die Erfahrungen im Februar 2012 haben gezeigt, dass der Erdgasversorgung in Deutschland die sehr gute Ausgangslage und die vielfältigen privatwirt- schaftlichen Vorkehrungen zugutekamen, die von den Erdgasunternehmen in der Vergangenheit im Interes- se eines hohen Grads an Versorgungssicherheit getrof- fen wurden. Dazu gehören insbesondere:

Die deutschen Unternehmen beziehen Erdgas aus vielen Bezugsquellen und über verschiedene Trans- portwege, um ihre Kunden auch beim Ausfall eines Lieferanten oder einer Pipeline weiterhin zuverläs- sig versorgen zu können.

Zwei Drittel des Erdgases stammen aus heimischen und westeuropäischen Quellen wie zum Beispiel aus Norwegen (26 Prozent), den Niederlanden (20 Pro- zent) und aus heimischer Produktion (13 Prozent).

Rund ein Drittel des Erdgasbedarfs wird durch russische Produzenten gedeckt.

Deutschland verfügt mit einem Gesamtspeichervo- lumen von etwa 21 Milliarden Kubikmetern Arbeits- gas und 47 unterirdischen Erdgasspeichern über das größte Erdgasspeichervolumen Europas. Dies entspricht rund einem Viertel des deutschen Erd- gasverbrauchs pro Jahr.

Zunehmend liquide Handelsplätze in Deutschland und Europa erhöhen die Verfügbarkeit von Erdgas.

versorgungssicHerHeit im neuen mArktumfeld

Im Ergebnis bleibt jedoch auch festzuhalten, dass sich die politischen und regulatorischen Rahmenbe- dingungen in den letzten Jahren erheblich verändert haben. Hervorzuheben sind in diesem Zusammen- hang zum einen die Beschlüsse der Bundesregierung zur beschleunigten Energiewende aus dem Jahr 2011.

Aufgrund des Moratoriums für sieben Kernkraftwerke gewinnen Gaskraftwerke mit Blick auf die Stromver- sorgungssicherheit erheblich an Bedeutung. Diesem Aspekt muss zukünftig von allen Beteiligten – Politik, Regulierungsbehörden und Unternehmen – ein deut- lich höherer Stellenwert beigemessen werden. Erfor- derlich ist deshalb die Untersuchung der Abhängigkei- ten Strom/Gas aus Netz- und aus Marktsicht sowie die Überprüfung des Einflusses von bestehenden Gesetzen auf die Reaktion und das Zusammenspiel der Markt- teilnehmer. In diesem Zusammenhang sollte auch un- tersucht und geklärt werden, wie mit potenziell „sys- temrelevanten“ Kraftwerken umgegangen wird, um Marktverzerrungen zu vermeiden.

Zum anderen haben sich durch verschärfte Ent- flechtungsvorschriften, die Weiterentwicklung des Bilanzierungsregimes und die Zusammenlegung von Marktgebieten die Spielregeln für die Unternehmen verändert – auch oder gerade in einer angespannten Si- tuation tritt zu Tage, dass es hier nachjustiert werden muss. Ein „integriertes“ Management ist nicht mehr

24 Streitfragen 02|2012 zukunft des energieträgers gAs

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möglich. Hier müssen neue Kommunikationswege und Instrumente gefunden bzw. bestehende Regelun- gen angepasst werden. Deutlich wird dies zum Bei- spiel bei der Bereitstellung lokaler Regelenergie, die von entscheidender Bedeutung für die Versorgungssi- cherheit ist. Das derzeitige Bilanzierungsregime bietet keine umfassende Transparenz zum Systemzustand und zum lokalen Regelenergiebedarf. Deshalb sollte geprüft werden, wie bestehende Prozesse diskrimi- nierungsfrei optimiert und gleichzeitig wirtschaftli- che Anreize für die Händler zur Bereitstellung gesetzt werden können. Gleiches gilt für die kurzfristige Be- reitstellung von Lastflusszusagen.

Nicht zuletzt hat die Situation im Februar 2012 auch gezeigt, dass im Rahmen des gegenwärtigen Regulierungsregimes Instrumente zur Versorgungs- sicherheit, die in der Vergangenheit eingerichtet und zum Teil noch genutzt werden konnten, nicht in aus- reichendem Maß anerkannt werden. Diese für die Ver- sorgungssicherheit wichtigen Instrumente sollten in der regulatorischen Praxis durch die Regulierungsbe- hörden zukünftig wieder verstärkt anerkannt werden.

Dies gilt sowohl für Speicheranlagen in nachgelager- ten Netzen (zum Beispiel Röhren- oder Kugelspeicher) als auch unterbrechbare Verträge zwischen Ausspeise- netzbetreibern und Letztverbrauchern.

konkrete vorscHläge

Wir werden mit Blick auf mögliche Optimierungspo- tenziale im Bilanzierungs- und Regulierungsregime sowie im Ordnungsrahmen zur Strom- und Gasver- sorgungssicherheit in Abstimmung mit Politik und Behörden konkrete Vorschläge erarbeiten. Es ist nicht zuletzt eine Bringschuld der Branche gegenüber der Politik, Lösungen zu entwickeln und vorzuschlagen.

Dies auch deshalb, um ein weiteres Drehen an der Re- gulierungsschraube möglichst zu verhindern.

in deutscHlAnd ins-

gesAmt bestAnd zu kei- nem zeitPunkt ein Pro- blem bei der mengen-

mässigen versorgung des erdgAskunden.

25 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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26 Streitfragen 02|2012 zukunft des energieträgers gAs

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Dr. Jürgen Tzschoppe sieht den Bau neuer Gaskraftwerke als einen von mehreren Wegen, um Versorgungssicherheit

zu gewährleisten. Er verlangt eine unvoreingenommene Prü- fung der Alternativen und will die Entscheidung über den richtigen Mix dem Markt überlassen.

„Wenn wir in Deutschland nicht schnellstens neue Gaskraftwerke bauen, gehen bald die Lichter aus.“ Diese Annahme beherrscht die Diskussion über die Frage, wie viele Kraftwerke und speziell Gas- Kraftwerke Deutschland braucht. Aber die These ist falsch und führt den Verbraucher in die Irre.

Die meisten Fachleute sind sich einig, dass bis 2020 aus- reichend Stromerzeugungskapazität zur Verfügung steht. Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem alte Anlagen ersetzt werden müssen. Ohne Frage brauchen wir zuverlässige sowie leis- tungsfähige Systeme, die einspringen, wenn Sonnen- und Wind- kraftwerke keinen Strom liefern.

Aus meiner Sicht ist aber bisher offen, welche Erzeugungs- technologie hier die richtige ist. In Deutschland schaut man einseitig auf neue Gaskraftwerke und blendet die Alternativen weitgehend aus. Natürlich ist der Bau von Gaskraftwerken eine Möglichkeit, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Er ist aber nicht notwendigerweise der beste Weg zu einem effizienten System und vertretbaren Energiekosten für den Endverbraucher.

netzAusbAu, sPeicHer und lAstmAnAgement

Wir sollten die folgenden Alternativen zum Neubau von Gaskraft- werken unvoreingenommen prüfen. Da ist zunächst der Ausbau der internationalen Netze. Dieser Schritt würde es ermöglichen, Kraftwerke in anderen Ländern „anzuzapfen“, etwa in Skandi- navien. Die Erzeugungsanlagen dort könnten bei Bedarf Abhilfe leisten. Eine zweite Alternative besteht im Ausbau von Speicher- kapazität, beispielsweise in Form von Pumpspeicherkraftwerken.

Die dritte Option ist Lastmanagement, auch bekannt als Demand Side Management. Dieses erlaubt Eingriffe auf der Verbrauchssei- te, um bei geringerem Stromangebot den Bedarf zu reduzieren.

Der Neubau von Kraftwerken und die genannten Alternativen ste- hen in Konkurrenz zueinander – langfristig muss der Markt ent- scheiden, welcher Mix der richtige ist. Das kann nicht politisch vorgegeben werden.

Ich plädiere außerdem dafür, die Frage nach der Zahl der benötigten Kraftwerke im europäischen Kontext zu beantwor- ten. Die nationale Betrachtung führt unter Umständen dazu, dass jedes Land seine eigenen Reserven aufbaut. Summa summarum entstünde dadurch ein heillos überdimensioniertes – und kaum finanzierbares – System. Zwar sind große Gaskraftwerke ver- gleichsweise günstig zu errichten: Eine Anlage mit 450 MW kostet

derzeit alles in allem rund 350 Millionen Euro. Dennoch muss je- der Investor darauf vertrauen können, dass er eine angemessene Verzinsung seines Kapitals erhält. Wenn ein Kraftwerk nur wenige Tage im Jahr laufen kann, sehe ich hier ein großes Fragezeichen.

verscHlecHterte rAHmenbedingungen

Die gegenwärtige Marktentwicklung ist für Investoren tatsäch- lich sehr dramatisch. Statkraft betreibt eine der modernsten europäischen Flotten, aber es gelingt bei den hohen Gaspreisen noch nicht einmal mit hocheffizienten Kraftwerken, die Fixkosten zu erwirtschaften, geschweige denn die Abschreibung. Wir haben im letzten Jahr eine hohe Sonderabschreibung auf unsere Neuan- lagen tätigen müssen. Momentan sind wir eher gezwungen, uns mit der Frage der Auslastung unserer alten und neuen Anlagen zu befassen als mit zusätzlichen Investitionen. Vor diesem Hinter- grund erscheint der Ruf nach Neuinvestitionen geradezu absurd.

Statkraft hat in Emden ein älteres Gaskraftwerk stillgelegt, weil wir keine Aussicht hatten, die Anlage rentabel zu betreiben.

Die Ersatzinvestition haben wir zurückgestellt, weil bei den aktu- ellen Gas- und Strompreisen ein Neubau an diesem Standort wirt- schaftlich keinen Sinn ergibt. In Hürth-Knapsack erweitern wir zwar eine bestehende Anlage – doch dieses Projekt haben wir in besseren Zeiten begonnen. Heute würden wir uns damit vermut- lich schwerer tun.

Jeder Investor muss genau prüfen, ob er unter den aktuel- len Rahmenbedingungen ein neues Gaskraftwerk mit einer Le- bensdauer von mehreren Jahrzehnten errichten kann. Die Politik täte gut daran, bei der Umsetzung der Energiewende auf weitere überhastete „Übernachtaktionen“ zu verzichten und neue Regeln handwerklich sauber zu gestalten. Alles andere birgt die Gefahr, Investoren dauerhaft zu verschrecken.

dr. Jürgen tzscHoPPe

ist Geschäftsführer der Statkraft Markets GmbH, einer Tochtergesell- schaft des norwegischen Staatsunternehmens Statkraft. Unter anderem baut und betreibt der Konzern Wasser-, Wind-, Gas- und Fernwärme- kraftwerke. Statkraft beschäftigt etwa 3 400 Mitarbeiter in über 20 Ländern.

27 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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» WeltWeit WäcHst kein energie- träger so stArk Wie erdgAs.«

Wie schätzen Sie die Zukunft von Erdgas im globalen Strom- markt ein, wenn Strom zunehmend aus erneuerbaren Ener- gien gewonnen wird?

PAul betts Die Rolle von Erdgas wird häufig unterschätzt.

Weltweit wächst kein Energieträger so stark wie Erdgas. Die Nach- frage nach Erdgas wird bis 2040 gegenüber 2010 um etwa 60 Pro- zent zulegen. Hauptgrund dafür ist der zunehmende Einsatz von Erdgas in der Stromerzeugung. Dieses wird helfen, die CO2-Min- derungsziele zu erreichen, da Erdgas bis zu 60 Prozent weniger CO2 emittiert als Kohle.

Welche Marktsignale sehen Sie für zusätzliche Kapazitäten aus der Stromerzeugung mit Gas?

betts Wir sind davon überzeugt, dass Investoren sich in einem offenen, unregulierten Markt, in dem alle Energieformen in einem fairen Wettbewerb zueinander stehen, für Gaskraftwerke entschei- den würden. Hauptanreize aus Investorensicht sind dabei geringe Investitionsvolumen für Gaskraftwerke und die Netzanbindung, die Verfügbarkeit von Erdgas aus vielfältigen Bezugsquellen, ver- gleichsweise kurze Bauzeiten, die flexiblen Einsatzmöglichkeiten und geringere CO2-Emissionen. In der Realität aber gibt es weltweit regulatorische Eingriffe in den freien Wettbewerb, unter anderem getrieben durch das politische Ziel, CO2-Emissionen zu reduzieren.

Diese Eingriffe führen zu im Ausmaß wahrscheinlich nicht beab- sichtigten Konsequenzen: Die Subventionen für die Stromerzeu- gung mit erneuerbaren Energien steigen stark, die Kosten für die Integration von erneuerbaren Energien in das deutsche Stromnetz sind signifikant und zugleich nehmen Anreize für Investitionen in die sichere Stromerzeugung mit Erdgas ab.

Im vergangenen Jahr haben Sie einen Informations- und Dialogprozess zum Thema Fracking ins Leben gerufen. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

betts Wir produzieren seit über 50 Jahren Erdgas in Deutsch- land und fördern zurzeit aus 230 Bohrungen in Niedersachsen.

Hydraulic Fracturing, das sogenannte Fracking, kommt seit den 1960er Jahren zum Einsatz, bisher über 300-mal. Ein Drittel der heutigen Erdgasproduktion geht auf Fracking zurück. Was nun geschieht, ist, dass wir diese bewährte Methode auch in unkon- ventionellen Lagerstätten, also Schiefergas- und Kohleflözgasla- gerstätten, zum Einsatz bringen. Dies hat zu einer Vielzahl von Fragen aus dem Erkundungsgebiet im Süden Niedersachsens und im Norden Nordrhein-Westfalens geführt.

Nach rund einem Jahr Recherche kommt der Kreis unabhän- giger Experten zu dem Ergebnis, dass keine Umwelt- oder Risiko- aspekte im Grundsatz gegen die Erkundung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten sprechen. Das gilt ausdrücklich auch für das Hydraulic-Fracturing-Verfahren und auch unter der Annahme, dass der Trinkwasserschutz Vorrang vor der Energiegewinnung hat. Der Expertenkreis definiert allerdings Ausschlussgebiete für Fracking, etwa in Kohlebergbaugebieten oder in Gebieten mit besonders kritischen tektonischen Spannun- gen. Dort werden wir keine Frac-Maßnahme durchführen.

Die Position des BDEW zu Gas aus unkonventionellen Lagerstätten finden Sie auf www.bdew.de

PAul betts

ist Manager Europe Gas Marketing bei ExxonMobil. Die ExxonMobil Corporation mit Sitz im US-Bundesstaat Texas ist die größte börsennotierte Öl- und Gasgesellschaft weltweit.

› Die Vorteile von Erdgas überzeugen Investoren weltweit.

Doch staatliche Regulierung könnte den Siegeszug des Ener- gieträgers bremsen, warnt Paul Betts von ExxonMobil.

28 Streitfragen 02|2012 zukunft des energieträgers gAs

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Welche Rolle kann Erdgas als fossiler Energieträger mit den geringsten spezifischen CO2-Emissionen bei der Energiewen- de spielen, wenn Strom künftig aus erneuerbaren Energien erzeugt werden soll? Was plant die Bundesregierung?

stefAn kAPferer Als klimaschonendster fossiler Energie- träger hat Erdgas im Wettbewerb gute Chancen. Die vielseitige Einsetzbarkeit von Erdgas in den Bereichen Stromerzeugung, Wärme und Mobilität macht diesen Energieträger interessant und unverzichtbar. Erdgas wird daher eine wichtige Brückenfunktion auf dem Weg in das Zeitalter der regenerativen Energien zukom- men. In welchem Umfang sich Erdgas durchsetzt, kann aber nicht Gegenstand einer politischen Entscheidung sein, sondern bleibt dem Markt überlassen. Es werden sich die Energieträger durchset- zen, die klimafreundlich sind, deren Preis stimmt und deren zu- verlässige Verfügbarkeit sichergestellt ist.

Konventionelle Kraftwerke sind auch in einem Stromver- sorgungssystem mit dominierender Erzeugung aus erneu- erbaren Energien als Backup unverzichtbar. Wie will die Bundesregierung den Bestand vorhandener Gas- und Kohle- kraftwerke sichern und den notwendigen Ausbau anreizen?

kAPferer Der Bau von Kraftwerken soll auch weiterhin in un- ternehmerischer Verantwortung bleiben. Das Bundeswirtschafts- ministerium hat auf der vergangenen Sitzung des Kraftwerks- forums am 20.4.2012 daher einen Dialog über die Zukunft unseres Stromgroßhandelsmarktes begonnen. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) hat dort ein Gutachten

zum Strommarktdesign vorgestellt. Alle im Kraftwerksforum ver- tretenen Länder und Verbände sind aufgefordert, bis zum August dieses Jahres zu diesem Thema im Allgemeinen und zu den Modellen, die das EWI-Gutachten diskutiert, im Einzelnen Stel- lung zu beziehen. Das Bundeswirtschaftsministerium wird auf Grundlage auch dieser Stellungnahmen einen zusammenfassen- den Bericht erstellen, der auf dem kommenden Kraftwerksforum im Herbst vorgestellt und diskutiert werden soll.

Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung der Gewin- nung von Gas aus unkonventionellen Lagerstätten bei?

kAPferer Die konventionelle Gasproduktion ist in Deutsch- land rückläufig. Unkonventionelles Erdgas kann diesen Rückgang kompensieren und damit einen wichtigen Beitrag zur Versor- gungssicherheit leisten, die Importabhängigkeit reduzieren und zur Sicherung des deutschen Wirtschaftsstandortes beitragen.

Deshalb sind die Exploration und die Gewinnung von unkonventi- onellem Erdgas bei der Einhaltung von hohen Umwelt- und Si- cherheitsstandards eine Option. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nimmt aber auch die Bedenken sehr ernst, die im Hinblick auf den Einsatz der Fracking-Technologie bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas geäußert werden. Es wird deshalb derzeit geprüft, inwieweit die geltenden Regelungen über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbauli- cher Vorhaben einer Änderung bedürfen.

stefAn kAPferer

ist beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie.

› Erdgas hat gute Chancen, auch künftig eine wichtige Rolle zu spielen. Am Ende muss aber der Markt entscheiden, in welchem Umfang es sich durchsetzt, meint Stefan Kapferer.

» erdgAs bleibt für deutscH- lAnd unverzicHtbAr.«

29 zukunft des energieträgers gAs Streitfragen 02|2012

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Zielgerichtete Forschung kann der Energiewende Impulse für intelligente Lösungen geben. Doch ohne entsprechende Anreize wird zu wenig geforscht,

warnt Dr. Jörg Hermsmeier.

» Wir brAucHen die An- erkennung von

forscHungskosten.«

30 Streitfragen 02|2012 fokus energieWende

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Die Energiewende bedeutet mehr De- zentralität, mehr Marktteilnehmer und mehr erneuerbare Energien. In welchen Bereichen wird sich bei den Energiever- sorgern am meisten ändern müssen, und wo liegen dort die Forschungs- schwerpunkte?

dr. Jörg Hermsmeier Die Verteil- netzbetreiber werden mehr Systemverant- wortung übernehmen und damit mehr Werkzeuge benötigen, um einen stabilen vorausschauenden Netzbetrieb zu gewähr- leisten. Auf dem Weg zum intelligenten Netz führt die Informations- und Kommu- nikationstechnologie zu effizienten Lösun- gen, zum Beispiel durch Kurzfristprogno- sen und automatisierte Ablaufprozesse, um die Betriebsmittel bei volatiler Einspeisung optimal auszulasten. Welche Rolle darin Speicher übernehmen, ist bis dato eine For- schungsfrage und wird teilweise durch kostengünstigere Lösungen wieder in Frage gestellt.

Um im Wettbewerb bestehen zu können, muss man sich im Markt diffe- renzieren. Daher liegen für den Vertrieb die Forschungsschwerpunkte im Kontext der Bedürfnisse des Kunden. Im Geschäfts- kundenbereich ist das Potenzial des Last- managements und der virtuellen Kraftwer- ke noch vielfach ungenutzt, während im Privatkundenbereich der Komfortnutzen durch Smart-Home-Anwendungen im Vor- dergrund steht, dies geht hin bis zur Inte- gration von Elektromobilität. Die Kunden sehen den Energieversorger auch hier als einen Systemintegrator, der ihnen Trans- parenz, Beratung und Dienstleistungen an- bietet.

Welchen Stellenwert nehmen Forschung und Entwicklung bei den Energieversor- gern ein?

Hermsmeier Energieversorger orien- tieren sich an der anwendungsbezogenen Forschung, die in einem vorwettbewerbli- chen Umfeld das technologische Potenzial und die Marktchancen untersucht. Der E-Energy-Wettbewerb von BMWi und BMU brachte einen starken Impuls für die Ener- gieforschungs-Landschaft. Aus dem daran beteiligten EWE-Projekt eTelligence sind innerhalb kurzer Zeit kommerzielle Pro- dukte entstanden, wie beispielsweise der intelligente Lastmanager für Kühlhäuser.

Weiterhin wurde bei allen sechs an E-Ener- gy teilnehmenden Modellregionen die Ein- führung standardisierter Datenprotokolle als dringlich und notwendig erachtet.

Forschung und Entwicklung eröffnet die Möglichkeit, Wissen und Erkenntnisse über das eigene Branchenwissen hinaus in neue Richtungen auszuweiten. Energiever- sorger, die in ihre Marktbeobachtung die Forschung und Entwicklung einbeziehen und einen strukturierten Innovationspro- zess im Unternehmen durchlaufen, sind am Ende schneller und erfolgreicher im Markt aktiv. In Demonstrationsvorhaben arbeitet die Forschung und Entwicklung mit Zulieferfirmen in Kooperation, um angepasste und effizientere Lösungen zu entwickeln. Dies bringt im Nachgang Kos- tenvorteile für die operativen Abteilungen.

Innovationsforschung braucht die rich- tigen Anreize. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ihr neues Energie- forschungsprogramm vorgelegt. Was erwarten Sie von der Bundesregierung im Rahmen Ihrer Forschungspolitik?

Hermsmeier Wir erwarten eine klare Koordination der Ressorts, wie etwa bei den gemeinsamen Förderinitiativen, um dem Systemansatz als übergeordnetem Leitmotiv zu folgen. Der BDEW hat in sei- nem Positionspapier zur Energiefor- schungspolitik deutlich gemacht, dass die Energieforschung die Aufgabe hat, einer- seits möglichst breit gefächert existieren- de Techniken weiterzuentwickeln und marktfähig zu machen sowie andererseits über Grundlagenforschung neue Optionen zu erschließen.

Eine zentrale Forderung stellt die Anerkennung von Kosten für Forschung, Entwicklung und Markteinführung im System der Anreizregulierung dar. Fehlen den Energienetzbetreibern die entspre- chenden Anreize, Forschung und Entwick- lung betreiben und neue Technologien ein- führen zu können, dann werden wichtige, für die Energiewende notwendige Innova- tionen nicht zur Verfügung stehen.

Einen weiteren wichtigen Punkt bil- det die Koordinierung auf europäischer und internationaler Ebene durch eine stär- kere Vernetzung. Die unterschiedlichen regionalen Voraussetzungen für einen ef- fizienten Einsatz der Energietechnologien spiegeln sich auch in den jeweiligen For- schungsprogrammen der Staaten wider.

dr. Jörg Hermsmeier

leitet die Abteilung „Forschung und Entwick- lung“ bei der EWE AG und ist Vorsitzender des BDEW-Lenkungskreises Innovation / F&E.

31 fokus energieWende Streitfragen 02|2012

(34)

01

WelcHen stellenWert HAt dAs tHemA energie Aktuell für die bundesbürger?

Generell setzt sich der allergrößte Teil der Bevölkerung nicht sonderlich intensiv mit der Energiepolitik ausein- ander. Eine breitere Betroffenheit war seit langem nur bei der Ablehnung der Atomenergie erkennbar – auch schon vor Fukushima. Die höchste Betroffenheit größerer Be- völkerungskreise wird regelmäßig durch Energiepreis- erhöhungen erreicht. Die Bevölkerung erwartet, dass Energie störungsfrei zur Verfügung steht. Nach wie vor gehen drei Viertel der Deutschen von einer langfristig gesicherten Stromversorgung aus. Ähnliches gilt für die Gasversorgung. Was die Energiewende angeht, haben die meisten kein realistisches Bewusstsein für die Komple- xität des Umbauprozesses und für das relativ zögerliche Anlaufen der infrastrukturellen Anpassungen. Gerade

bei diesem Prozess laufen die Energieversorgungsunter- nehmen Gefahr, dass der Vorwurf, es werde nicht genug in neue Anlagen und Netze investiert, letztlich sie trifft.

Bereits heute, wo Engpässe in der Versorgung für eine breite Öffentlichkeit noch nicht wirklich sichtbar ge- worden sind, meinen nur Minderheiten, dass die Ener- gieversorgungsunternehmen genügend Geld ausgeben für neue Kraftwerke, den Ausbau erneuerbarer Energien und des Stromnetzes.

drei frAgen An mAttHiAs Jung

32 Streitfragen 02|2012 fokus energieWende

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03

WAs sind Aus sicHt der bürger die kriti- scHen Punkte bei der energieWende?

Die große Mehrheit der Bevölkerung hält die Energie- wende, verstanden als Substitution konventioneller Energieträger durch regenerative, grundsätzlich für sehr wichtig oder wichtig. Vorteile aus der Energiewen- de werden dabei in erster Linie für den Wirtschafts- standort Deutschland wahrgenommen oder erhofft.

Für sich selbst geht ein großer Teil der Bevölkerung eher von persönlichen Nachteilen oder einer unverän- derten Situation aus. Eine deutliche Mehrheit erwar- tet steigende Strompreise. Obwohl in der öffentlichen Debatte sehr oft die Rede war von einem steigenden Stromimport als Folge des Atomausstiegs, wird die- se Befürchtung nur von wenigen geteilt. Fast genauso viele erwarten sogar eine Zunahme des Stromexports.

02

Wenn die energieWende HAken sollte – Wer trägt Aus sicHt der bürger die ver- AntWortung?

Wenn wir explizit fragen, ob letztlich die Politik oder die Energieversorger für die Energiewende verantwortlich sind, wird ganz eindeutig der Politik die entscheidende Verantwortung zugewiesen. Allerdings sollte sich kein Energieversorger der Illusion hingeben, er könne un- geschoren davonkommen, wenn erhebliche Probleme auftreten. Die Bewältigung der Energiewende dürfte in erheblichem Maße das Image der Branche bestimmen.

Der Bürger denkt: Die Stromversorger sind dafür zu- ständig, dass der Strom zuverlässig aus der Steck dose kommt, schließlich bezahle ich einen hohen Preis.

Trotz der allgemeinen Imageprobleme der Branche stimmt derzeit eine überwältigende Mehrheit der Be- fragten der Aussage „Mein Stromversorger steht für eine zuverlässige Stromversorgung“ zu. Die Branche muss ein elementares Interesse haben, dass daran kein Zweifel aufkommt.

mAttHiAs Jung

ist Mitglied des Vorstands der Forschungs- gruppe Wahlen e.V. Der Verein ist vor allem durch die Begleitung der ZDF-Wahlsendungen bekannt. Außerdem erstellt die Forschungs- gruppe den BDEW-Energiemonitor, der seit 1996 jährlich ein bundesweit repräsentatives Meinungsbild liefert.

33 fokus energieWende Streitfragen 02|2012

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34 Streitfragen 02|2012 fokus energieWende

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