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Archiv "95. Hauptversammlung des Marburger Bundes: Krankenhäuser unter Kassen-Kuratel" (18.06.1999)

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er Marburger Bund (Verband der Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V.), der anläß- lich seiner vorausgegangenen Haupt- versammlung im November 1998 nach vollzogenem Regierungswechsel der neu amtierenden rot-grünen Re- gierungskoalition noch mit verhalte- nem Optimismus und einigen Erwar- tungen gegenübertrat, hat anläßlich der 95. Hauptversammlung in Cottbus zum Auftakt der Ärztetagswoche den Vorstoß der Regierung zur Struktur- reform als „teilweise unverantwort- lich und grotesk“ bezeichnet. Er sei das Gegenteil dessen, was als eine in- telligente, strukturinnovative Gestal- tung des Gesundheitswesens und als eine Verbesserung der Patientenver- sorgung versprochen worden ist. Er- neut würden die rund 135 800 Kran- kenhausärzte mit anderen Leistungs- erbringern als Hauptlastenträger von staatsdirigistischen Kostendämp- fungsmaßnahmen in die chaotischen Planspiele des Gesetzgebers einbezo- gen und als eine fest kalkulierbare Restgröße verdingt. Es sei ein „An- schlag auf den hochqualifizierten Nachwuchs“, über dirigistische Ein- schränkungen der Niederlassungsfrei- heit die Zahl der berufstätigen Ärzte zu begrenzen und die „beati possiden- tes“ in den existentiellen Ruin zu trei- ben – im ambulanten wie im sta- tionären Sektor.

Bundesverfassungsgericht soll prüfen

Der Bundesvorsitzende des Mar- burger Bundes (MB), Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Radiologe aus Hamburg, sagte vor dem Kongreß in Cottbus, sein Verband werde notfalls

die Regelungen vor dem Bundesver- fassungsgericht prüfen lassen. Bereits in dem Grundsatzurteil vom 23. März 1960 habe das höchste Verfassungsge- richt dem Marburger Bund und dem mit ihm klageverbundenen NAV – Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V. – recht gegeben, daß

eine staatliche Begrenzung der Nieder- lassungsfreiheit und Eingriffe in die Berufstätigkeit freiberuflich tätiger Ärzte keinen Bestand haben könnten.

Nach Überzeugung des Marbur- ger Bundes ist es der Hauptmangel des Reformpaketes, daß mit Pla- nungs- und Steuerungsinstrumenten, die bereits in der Vergangenheit ge- scheitert seien, erneut versucht wer- de, reines Krisen- und Kostenma- nagement zu betreiben, ohne die ei-

gentlichen Ursachen der Strukturver- werfungen und Ausgabenschübe an- zupacken. Der Satz „Wir müssen ra- tionalisieren, damit es nicht zur Ratio- nierung kommt“, sei eine Vereinfa- chung der medizinischen Wirklich- keit, so die Meinung auch des Ge- sundheitsexperten der CDU/CSU-

Bundestagsfraktion, Dr. med. Hans Georg Faust, MdB, Anästhesiologe, Klinikarzt aus Bad Harzburg, in sei- ner Grußadresse.

Montgomery warf der Politik und den Krankenkassen vor, sie suggerier- ten, allein mit einer Bettenstillegung könnten die notwendigen Rationalisie- rungs- und Finanzierungsreserven er- schlossen werden, um Strukturinnova- tionen in Gang zu bringen und die Kas- senfinanzen dauerhaft zu sanieren. ! A-1665 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 24, 18. Juni 1999 (69)

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

95. Hauptversammlung des Marburger Bundes

Krankenhäuser

unter Kassen-Kuratel

Klinikärzte befürchten: Gedeckelte Budgets führen zur Rationierung und zur Arbeitsplatzvernichtung.

D

Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, 1. Vorsitzender des Marburger Bundes: „Das Gesetz ist kein Gesundheits- reformgesetz, sondern ein reines Kostendämpfungsgesetz.“ Fotos (2): Johannes Aevermann

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Der Teufel steckt im Detail

Die Bestandsaufnahme und die Diagnose für die Bewältigung des gesundheitspolitischen Problemhaus- haltes aus der Sicht des MB sind ebenso deutlich wie nachvollzieh- bar: Unbestritten müsse das hoch- sensible Leistungssystem weiterent- wickelt werden, Strukturverwerfun- gen behoben und die Effizienz wie Effektivität erhöht

werden, ohne die tragenden Prinzi- pien einer sozial ausgewogenen, flä- chendeckenden Pa- tientenversorgung zu gefährden. Was der Klinikärztever- band MB vermißt, ist eine gründliche sachverständige Vorbereitung eines so tiefgreifenden Gesetzesvorhabens.

Dadurch, daß das Morbiditätsrisiko von denjenigen, die für das Risiko ein- stehen müßten, nämlich den Sozial- versicherungsträ- gern, insbesondere den Krankenkassen, auf die Leistungser- bringer abgewälzt

werde, leide die Motivation und der Leistungswille der Abgestraften.

Bei den Klinikärzten sei deswe- gen sehr schnell die Enttäuschung und Ernüchterung eingekehrt, weil die Po- litik, die die Bewältigung der Massen- arbeitslosigkeit energisch angehen wollte, mit brachialer Gewalt Arbeits- platz- und Existenzvernichtung im Gesundheitswesen betreibe. Immer- hin, so konstatierte der Marburger Bund, seien heute fast 4,2 Millionen Arbeitnehmer direkt oder indirekt im Gesundheitswesen beschäftigt oder von diesem wirtschaftlich abhängig bei einem Gesamtjahresfinanzvolu- men von mehr als 500 Milliarden DM (allein 270 Milliarden DM entfallen hierbei auf die Gesetzliche Kranken- versicherung).

Das Urteil des MB-Vorsitzenden Montgomery zum Schnellschuß-Ge- setz: Dieses Gesetz ist kein Gesund-

heitsreformgesetz, sondern ein rei- nes Kostenreformgesetz. Montgomery verwies auf den Kassenüberschuß im vergangenen Jahr in Höhe von einer Milliarde DM, der eigentlich nicht zu hektischen Reformschritten veranlas- se. Keinem anderen Berufsstand wer- de zugemutet, daß er nachgefragte Mehrleistungen erbringt, jedoch mit gesetzlicher Duldung um den Ver- dienst und die Bezahlung geprellt wird.

Besonders den Beschäftigten in den Krankenhäusern der neuen Bundesländer macht der „negative Grundlohnanstieg“ bei den Kranken- kassen zu schaffen. Rechnerisch müß- te das Klinikbudget 1999 um 0,48 Prozent gesenkt werden (bei einem vergleichsweise unzureichenden Zu- wachs des Krankenhausbudgets um 1,66 Prozent in 1999 in den alten Bun- desländern), obwohl der BAT-Ab- schluß 3,1 Prozent beträgt.

Ungerechtigkeiten beseitigen

Für die Klinikärzte ist es nur ein schwacher Trost, daß Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fischer prüfen will, ob diese Ungerechtigkeit per Mi- nisterentscheid aus der Welt geschafft und nachgebessert wird. Alles andere

würde die Aufbauarbeit in den neuen Ländern zunichte machen, so der MB.

Montgomery bezeichnete den Referentenentwurf als ein „gewaltiges Arbeitsbeschaffungsprogramm“ für die Administration, verbunden mit ei- ner nicht gerechtfertigten Machtverla- gerung zugunsten der Krankenkassen und ihres Medizinischen Dienstes (MDK). Die Eingriffe in die berufliche Unabhängigkeit und Entscheidungs-

freiheit aller Ärzte, die Unterjochung medizinischer Entscheidungen unter ökonomischen Vorgaben, das Über- maß an Verwaltungs- und Bürokratie- Vorschriften führten zur Lähmung und zur Demotivation derer, die das Sy- stem (noch) tragen. Hinzu kommt:

Die Verwaltungskosteninflation bei den Krankenkassen sei unübersehbar, und die eigentlich für die Patientenver- sorgung bestimmte teure Arbeitskraft der Ärzte in Klinik und Praxis werde für den Papierkrieg blockiert.

Staatssekretär Erwin Jordan (Grüne) vom Bundesgesundheitsmi- nisterium verteidigte den Entwurf des Fischer-Ministeriums. Einige Ärzte- Funktionäre hätten sich zu Äußerun- gen gegenüber seiner Ministerin hin- reißen lassen, die „Anflüge eines ver- deckten Sexismus alter Männer“ zeig- ten. Montgomery konterte: Die Dis- kussionen über die Einkommen der A-1666 (70) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 24, 18. Juni 1999

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

Staatssekretär Erwin Jordan (am Pult): „Reine Kostendämpfungspolitik zu Lasten der Patientinnen und Patienten kommt nicht in Frage.“

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Ärzte (die angeblich eigene Pfründe sichern wollten), seien alte Platitüden, die von der Politik nur dazu eingesetzt würden, um von den eigenen Ar- gumentationsschwächen abzulenken.

Jordan versuchte zu beschwichtigen:

Der Entwurf enthalte doch auch ärzt- liche Forderungen, nämlich nach ei- ner integrierenden, sektorenübergrei- fenden, durchlässigen und gestuften Patientenversorgung. Zudem sollten die starren Grenzen zwischen ambu- lantem und stationärem Bereich und deren Zuständigkeiten aufgelockert und begradigt werden – zugunsten in- dikationsbezogener Regelungen und eines geregelten Qualitätsmanage- ments. Allerdings: Überkapazitäten vor allem im stationären Sektor und beim Zugang zur ambulanten Tätig- keit müßten abgebaut werden. Der Medizinbetrieb sei künftig weder Be- schäftigungs- noch Wachstumsgarant.

Vielmehr müßten mit gegebenen Res- sourcen, bei moderatem Wachstum, die Beitragsstabilität und damit die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt werden. Aller- dings müsse man aufpassen, daß durch eine institutionelle Öffnung der Krankenhäuser nicht erneut Zusatz- kapazitäten geschaffen werden, so Jordan. Das Krankenhaus müsse, falls die Länder hier mitspielen, mit einem begrenzten Bettenabbau rechnen, Kompensationsmöglichkeiten seien kaum möglich. In einem Dienstlei- stungssektor wie dem der Kranken- häuser gebe es noch genügend Spar- und Wirtschaftlichkeitsreserven, die mobilisiert werden müßten. Was jetzt der Gesetzgeber in den Griff nehmen will, ist, das Mengenwachstum und die überwiegend von den Leistungser- bringern induzierte Nachfrage zu be- grenzen.

Auf dem Weg zur Zwei-Klassen-Medizin

Ein forcierter Kassenwettbewerb um günstige Versichertenrisiken füh- re zur Risikoselektion und damit zur Entsolidarisierung der Versicherten- gemeinschaft. Zudem würde durch eine Vielzahl von Modellversuchen und Strukturverträgen die Bundesre- publik Deutschland mit einem Flik- kenteppich überzogen. Ein Durch-

schnittsarzt habe es künftig mit einem Patientenstamm zu tun, der in 60 bis 80 Krankenkassen versichert sei – mit zum Teil abweichenden Vertrags- und Versorgungskonstellationen. Mont- gomery: „Wir sind nicht nur auf dem Weg zu einer Zwei-Klassen-Medizin, sondern einer 120-Klassen-Medizin, wenn alles lupenrein umgesetzt wird.“

Klinikärzte und Klinikträger po- chen darauf, die medizinisch unab- weisbaren Kosten über ausreichend dotierte Budgets zu decken. Dabei müsse auch die Demographie- und In- novationskomponente berücksichtigt werden. Es müsse der Politik längst aufgegangen sein, daß mit den BAT- Abschlüssen und einer strikten Grund- lohnsummenbindung der Ausgaben der Krankenkassen das bisherige Leistungsniveau und der Anspruchs- umfang der Versicherten nicht gehal- ten werden kann. Der Versuch des Gesetzgebers, tarifliche Erhöhungen nicht zu 100 Prozent im Budget abzu- decken, sei ein verfassungswidriger Eingriff in die Tarifautonomie. Der geltende § 6 Abs. 3 der Bundespflege- satzverordnung dürfe nicht ersatzlos gekippt und an anderer Stelle des Ge- setzes noch verschärft werden. Auch bei einer Suspendierung des Selbstko- stendeckungsprinzips müßten die be- darfsnotwendigen Leistungen sowie die Versorgungs-, Weiterbildungs- und Fortbildungsaufgaben der Kranken- häuser durch garantierte Finanzie- rungsansprüche gedeckt werden.

Skeptisch beurteilt der Marbur- ger Bund auch den „Schlachtplan“, die dualistische Finanzierung stufenweise auf Monistik umzustellen. Dies gebe den Krankenkassen zusammen mit den geänderten Vertrags- und Pla- nungsbestimmungen (Aufhebung des Kontrahierungszwanges) das Recht, sachfremd und extern bis hin in die Strukturierung und Dimensionierung des Leistungsangebotes der Kranken- häuser einzugreifen und damit auf die letzte Personalplanstelle Einfluß zu nehmen. Die zusätzliche Belastung durch die Umstellung in Höhe von acht Milliarden DM bis zum Jahr 2008 sei ein teures Faustpfand zugunsten der Krankenkassen, damit diese künf- tig den Goldenen Zügel führen dür- fen. Die Länder dürften nicht aus dem Sicherstellungsauftrag für die sta- tionäre Versorgung, ihrer Kompetenz

bei der Krankenhausbedarfsplanung und der Letztentscheidung entlassen werden. Eine Umstellung der Befug- nisse zugunsten der Kassen führe nicht nur zu einer Gefährdung der flächen- deckenden Krankenhausversorgung, sondern auch zu einem Verlust von Zehntausenden von versorgungsnot- wendigen Arbeitsplätzen in den Klini- ken, heißt es in einem Beschluß.

Persönliche Ermächtigung ist vorrangig

Die Institutsermächtigung für Krankenhäuser für die ambulante Ver- sorgung – statt der vom Marburger Bund geforderten persönlichen Er- mächtigung qualifizierter und be- darfsnotwendiger Klinikärzte – sei ebenso kontraindiziert. Zudem habe die höchstrichterliche Rechtspre- chung des Bundessozialgerichts be- reits 1979 bestätigt, daß die Instituts- ermächtigung immer nur nachrangig Platz greifen dürfe. Dies gelte auch für die ambulante Behandlung in Hochschulkliniken, so die Begrün- dung in einem von Prof. Dr. med. Det- lef Kunze, Landesverband Bayern, München, initiierten und angenom- menen Antrag.

Die geplante Verschärfung der Zulassungssperren für niederlas- sungswillige Ärzte ist aus der Sicht des Marburger Bundes existenzvernich- tend. Eine Regelung nach strikten Verhältniszahlen und Planstellen sei zudem verfassungswidrig. Die Gefahr bestehe, daß die Zulassungsinstanzen einseitig den Voten der Krankenkas- sen und den wirtschaftlichen Interes- sen der bereits niedergelassenen Ver- tragsärzte folgen.

Um so wichtiger sei es, so die von Dr. med. Oliver Funken, Bonn, und Rudolf Henke, Aachen, initiierten An- träge, daß der Status der außerordent- lichen Mitglieder in den Gremien der Kassenärztlichen Vereinigungen unan- getastet bleibt. Ein von der Bundesre- gierung geplanter KV-Verwaltungsrat (statt der bisherigen KV-Vertreterver- sammlung) könne nur dann akzeptiert werden, wenn er demokratisch und re- präsentativ gewählt werde und die In- teressen alleran der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte berücksichtige. Dr. Harald Clade A-1667 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 24, 18. Juni 1999 (71)

T H E M E N D E R Z E I T TAGUNGSBERICHT

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