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Archiv "Empfehlungen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft zum Einsatz von Interferon beta-1b in: der Behandlung der schubförmig verlaufenden MS" (15.11.1996)

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eit Januar 1996 steht das rekombinante Interferon-be- ta 1b (Betaferon) nach seiner europäischen Zulassung für die Behandlung der schub- förmig verlaufenden Multiplen Sklerose zur Verfügung und ist in der Bundesrepublik allgemein verschreibungsfähig. Der Wir- kungsnachweis dieser Substanz wurde in einer großen nordame- rikanischen Therapiestudie er- bracht: Anzahl, Schwere und Dauer von Schüben sowie die krankheitsbedingte Aktivität in kernspintomographischen Auf- nahmen des Gehirns waren in der Behandlungsgruppe vermin- dert (5, 6, 7). Eine ausführliche deutschsprachige Analyse dieser Studie wurde am gleichen Ort bereits vor zwei Jahren veröf- fentlicht (4). Empfehlungen zur Indikationsstellung der Behandlung mit Interferon-b1b liegen vom Qua- litäts-Standardkomitee der Ameri- can Academy of Neurology (AAN) und, in leicht modifizierter Form, vom Ärztlichen Beirat der Deut- schen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) vor (Textkasten).

In den USA werden bereits etwa 40 000 und bundesweit über 2 500 MS-Patienten mit diesem Medika- ment behandelt. Aufgrund epidemio- logischer Schätzungen ist mit 15 000 bis 20 000 Erkrankten zu rechnen, die entsprechend den Indikationskriteri- en der Deutschen Multiple Sklerose

Gesellschaft (Textkasten) für die Be- handlung mit b-Interferonen potenti- ell in Frage kommen.

Interferon-b1b (Betaferon) ist derzeit das einzige in Deutschland für die Behandlung der MS zugelassene Interferonpräparat.

Die Zulassungsanträge für zwei weitere Beta-Interferone liegen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vor. Es handelt sich hierbei um das in eukaryonten Zellen rekombinant hergestellte Interferon- b1a (Avonex der Firma Biogen und Rebif der Firma Serono) (Tabelle 1).

Unklar war bisher, ob die mit Inter- feron-b1b erzielten Ergebnisse auch für die anderen gentechnologisch her- gestellten b-Interferone zutref- fen.

Mittlerweile liegen publizier- te Daten zur klinischen Wirksam- keit von Interferon-b1a (7) bei der MS sowie eine Auswertung der Fünf-Jahres-Ergebnisse von In- terferon-b1b (6) vor und erlauben eine vergleichende Betrachtung dieser gentechnologischen Prä- parate. Einen Überblick über die größeren, mit b-Interferonen durchgeführten klinischen Studi- en bei der MS gibt die Tabelle 1.

Wir wollen anhand der vorlie- genden Publikationen die Effekte der beiden b-Interferone auf die klinischen Parameter Häufigkeit, Dauer und Schwere der Schübe, Krankheitsverlauf und Verträg- lichkeit sowie die kernspintomogra- phischen Veränderungen vergleichen.

Vergleichbarkeit der Therapiestudien

In beiden Studien wurden Pati- enten mit gesicherter MS (16) vom schubförmigen Verlaufstyp unter- sucht. Es mußten mindestens zwei dokumentierte Schübe in den voran- gegangenen zwei Jahren (Betaferon- Studie: IFN-b1b) oder drei Jahren (Avonex-Studie: IFN-b1a) aufgetre- ten sein. Entsprechend dieser Vorga-

Rekombinante Beta-Interferone

Immunmodulatorische

Therapie der schubförmigen Multiplen Sklerose

Peter Rieckmann Hans-Peter Hartung Klaus Toyka

Die immunmodulatorische Therapie der schubförmig verlau- fenden Multiplen Sklerose gewinnt vor dem Hintergrund der wachsenden Erkenntnisse zur Pathogenese dieser chronisch- entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems zuneh- mend an Bedeutung. In zwei großen Multizenter-Studien konnte nun gezeigt werden, daß gentechnologisch unter-

schiedlich hergestellte Beta-Interferone (IFN- b 1a und IFN- b 1b) in ähnlicher Weise die Anzahl neu auftretender Krank- heitsschübe deutlich reduzieren. Die beiden jetzt publizierten Untersuchungen sollen in dieser vergleichenden Darstellung im Hinblick auf Verträglichkeit, therapeutischen Effekt und die Einsatzmöglichkeiten beim Patienten diskutiert werden.

Klinische Forschungsgruppe für die Multiple Sklerose und Neurologische Klinik der Julius- Maximilians-Universität, Würzburg

Empfehlungen der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft zum Einsatz von Interferon beta-1b in der Behandlung der schubförmig verlaufenden MS

1Eindeutig gesicherte MS vom schubför- migen Verlaufstyp einschließlich Lum- balpunktion mit MS-typischem Befund;

1Aktiver Krankheitsverlauf mit zwei ein- deutigen Krankheitsschüben pro Jahr oder mindestens einem schwerwiegen- dem Schub pro Jahr;

1Lebensalter von bis zu 50 Jahren und er- haltene Gehfähigkeit (EDSS < 6);

1kein aktueller Kinderwunsch bei Frauen im gebärfähigen Alter.

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Tabelle 1

Derzeit laufende beziehungsweise kürzlich beendete klinische Studien zur Wirksamkeit von Beta-Interferonen bei der MS

Studie IFN-Typ Patienten (n) Dosis + Applikation Status

IFNB/MS Study IFN beta 1b 372, schubförmiger – 1,6 MIU jeden 2. Tag s. c Publikationen zu Group: (5, 6) Betaferon Verlauf – 8,0 MIU jeden 2. Tag s. c. Therapieeffekt

(Nordamerika) – Plazebo jeden 2. Tag s.c. nach 2–5 Jahren liegen vor

Jacobs et al. (7) IFN beta 1a 301, schubförmiger – 6 MIU 1x/Wo i. m. Publikation zu

(Nordamerika) Avonex Verlauf – Plazebo 1x/Wo. i. m. Therapieeffekt nach

2 Jahren (172 Patienten) liegt vor

Ares-Serono IFN beta 1a 560, schubförmiger – 6 MIU jeden 2. Tag s.c. Rekrutierungsphase

(Europa) Rebif Verlauf – 12 MIU jeden 2. Tag s.c. beendet

– Plazebo jeden 2. Tag s.c. Zielparameter:

Reduktion der Schubrate Beobachtungszeit: 2 Jahre Ares-Serono IFN beta 1a 619, sekundär – 6 MIU jeden 2. Tag s.c. Rekrutierungsphase (Europa) Rebif chronisch progre- – 12 MIU jeden 2. Tag s.c. beendet

dienter Verlauf – Plazebo jeden 2. Tag s.c. Zielparameter:

Krankheitsprogression Beobachtungszeit: 3 Jahre Ares-Serono IFN beta 1a 293, schubförmiger – 6 MIU 1x/Wo. s.c. Auswertung

(Europa) Rebif Verlauf – 12 MIU 1x/Wo. s.c. erfolgt Ende 1996

– Plazebo 1x/Wo. s.c. Zielparameter: Reduktion aktive MRT-Läsionen Beobachtungszeit: 1 Jahr Corni et al. IFN beta 1a 300, Patienten – 6 MIU 1x/Wo. s.c. Rekrutierungsphase ETOMS Rebif nach dem 1. Schub – Plazebo 1x/Wo. s.c. läuft. Zielparameter:

(Europa) Zeitpunkt bis zum 2. Schub

Beobachtungszeit: 2 Jahre

Fieschi et al. IFN beta 1a 68, schubförmiger – 3 MIU jeden 2. Tag s. c. Auswertung erfolgt derzeit

(Italien) Rebif Verlauf – 9 MIU jeden 2. Tag s. c. Zielparameter:

Gd-anreichernde Läsionen im MRT Beobachtungszeit: 1 Jahr Fernandez et al. IFN beta 58, schubförmiger – 9 MIU jeden Auswertung erfolgt derzeit (Spanien) (Fibrobl.) Frone Verlauf 2. Tag s. c. (12 Mon) Zielparameter:

– 9 MIU jeden 2. Tag Aktive Läsionen im s. c. (nur die letzten MRT

6 Monate) Beobachtungszeit: 1 Jahr Schering IFN beta 1b 718, sekundär – 8 MIU jeden 2. Tag s. c. Rekrutierungsphase (Europa) Betaferon chronisch, progre- – Plazebo jeden 2. Tag s. c. beendet

dienter Verlauf Zielparameter:

Krankheitsprogression Beobachtungszeit: 3 Jahre Biogen IFN beta 1a 808, schubförmiger – 6 MIU 1x/Wo i. m. Beginn der Rekrutierung (Europa) Avonex Verlauf, sekundär – 12 MIU 1x/Wo. i. m. Zielparameter:

chronisch progre- Krankheitsprogression

dient möglich Beobachtungszeit: 3 Jahre

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be war die Schubrate vor Studienbe- ginn in der Avonex-Studie geringfü- gig niedriger (Tabelle 2). In die Beta- feron-Studie wurden Patienten mit einem Behinderungsgrad auf der Funktionsskala EDSS (expanded dis- ability status scale, „Kurtzke-Skala“) (9) bis 5,5 (entspricht einer Gehfähig- keit von 100 Meter ohne Hilfe und Ruhepause) aufgenom-

men, während die Pa- tienten in der Avo- nex - Studie weniger behindert waren (bis EDSS 3,5; entspricht einer vollen Gehfähig- keit, aber einer mäßi- gen Behinderung in ei- nem neurologischen Funktionssystem). In- teressanterweise war die Erkrankungsdauer bei den Patienten in der Avonex-Studie mit über sechs Jahren deutlich länger als in der Betaferon-Studie (Tabelle 2). Hieraus läßt sich schließen, daß vorwiegend Patienten mit primär schon leich- terem Krankheitsver- lauf in die Avonex-Stu- die aufgenommen wur- den. Hinsichtlich der Randomisierung nach Alter und Geschlecht ergaben sich keine Un- terschiede. Ebenso wa- ren die Ausschlußkri- terien bezüglich im- munsuppressiver Vor-

behandlungen vergleichbar. Die The- rapien wurden entweder mit selbst verabreichter Subkutan-Applikation (Betaferon) jeden zweiten Tag oder einmal pro Woche intramuskulär durch medizinisches Hilfspersonal (Avonex) durchgeführt. Als Kome- dikation waren nichtsteroidale An- tiphlogistika in der Betaferon-Stu- die als Bedarfsmedikation erlaubt, während in der Avonex-Studie 650 mg Acetaminophen/Paracetamol oral regelmäßig vor und nach der Injekti- on gegeben wurden. Unabhängig von der Prüfsubstanz war es in beiden Stu- dien erlaubt, MS-Schübe mit hochdo- sierter Kortikosteroid-Stoßtherapie zu behandeln.

Klinische Effektivität

Beide Studien unterscheiden sich hinsichtlich der primären Zielpara- meter. Während in der Betaferon- Studie die jährliche Schubrate und die Anzahl schubfreier Patienten Haupt- zielkriterien waren, wurde in der Avonex-Studie die Zeit bis zum Auf-

treten einer anhaltenden Verschlech- terung um >1 Punkt auf der EDSS als primärer Endpunkt definiert.

Verglichen werden im folgenden die Zwei-Jahres-Ergebnisse beider Studien, und ergänzend werden die Fünf-Jahres-Beobachtungen der Be- taferon-Studie referiert, die Aussa- gen über die Persistenz der Effekte erlauben.

In beiden Untersuchungen fand sich eine signifikante Reduktion der jährlichen Schubrate, welche in der Betaferon-Studie nur in der Hoch- dosisgruppe (8 MIU IFN-b1b) kli- nisch relevant war, aber auch noch nach fünf Jahren meßbar blieb (Ta- belle 3).

Die Anzahl schubfreier Patienten war in der Plazebogruppe (26 Prozent) der Avonex-Studie im Vergleich rela- tiv hoch (16 Prozent im gleichen Zeit- raum in der Betaferon-Studie), was dem insgesamt leichteren MS-Verlauf entspricht. Unabhängig davon bestand aber für diesen Parameter ein deutli- cher Unterschied zwischen der Verum- und der Plazebogruppe in beiden Studien, der in der Betaferonstu- die signifikant war. Die Zeit bis zum Auftre- ten des ersten Schubes innerhalb der Studie war unter der Thera- pie mit IFN-b1b deut- lich gegenüber Plaze- bo verlängert, während sich beim IFN-b1a kein signifikanter Unter- schied gegenüber Pla- zebo zeigte.

Die Kriterien, die zur Beurteilung der Krankheitsprogression herangezogen wurden, sind in beiden Unter- suchungen ähnlich. Ei- ne anhaltende Ver- schlechterung von ei- nem Punkt auf der EDSS wurde gewertet, wenn diese mindestens 90 Tage (Betaferon) oder sogar mindestens sechs Monate (Avo- nex) nachweisbar war.

Hierbei ist die Bestäti- gung der Verschlechte- rung nach sechs Mona- ten als sicherer Nachweis einer Pro- gression zu werten, da eine protra- hierte Rückbildung von Symptomen eines Schubes zu diesem Zeitpunkt nicht wahrscheinlich ist (3). Die Er- gebnisse zeigen, daß eine signifikante Reduktion der Krankheitsprogressi- on innerhalb der zweijährigen Beob- achtungszeit in der Avonex-Studie erreicht werden konnte (Verschlech- terung bei 22 Prozent in der Verum- gruppe versus 35 Prozent in der Pla- zebogruppe; p = 0,02). Betrachtet man eine Untergruppe der Patienten, die bei Behandlungsbeginn bereits ei- ne merkliche Funktionseinschrän- kung zeigten (EDSS 2,5–3,5), so war der Effekt des IFN-b1a noch ausge- Tabelle 2

Basisdaten der publizierten Betaferon- und Avonex-Studien bei schubförmiger MS

Parameter Betaferon-Studie Avonex-Studie (IFN-b1b) (IFN-b1a)

Patientenzahl P: 123 P: 143

V(1,6): 125 V(6): 158

V(8): 124

Geschlecht (w/m) P: 88/35 P: 103/40

V(1,6): 85/40 V(6): 118/40

V(8): 86/38

Alter P: 36,0 P: 36,9

V(1,6): 35,3 V(6): 36,7

V(8): 35,2

Erkrankungsdauer P: 3,9 P: 6,4

(in Jahren) V(1,6): 4,7 V(6): 6,6

V(8): 4,7

Behinderungsgrad P: 2,8 P: 2,3

(EDSS) V(1,6): 2,9 V(6): 2,4

V(8): 3,0

Schubrate vor Studie P: 1,8 P: 1,2

V(1,6): 1,7 V(6): 1,2

V(8): 1,7

(P: Plazebo; V: Verum; V(1,6): 1,6 MIU IFN-b1b; V(8): 8 MIU IFN-b1b;

V(6): 6 MIU IFN-b1a)

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prägter, da sich in dieser Population eine raschere Progressionsrate in der Plazebogruppe fand. Die Zwei-Jah- res-Daten der Betaferon-Studie zei- gen hier keine signifikanten Unter- schiede (Tabelle 3). Ein deutlicher Trend ergibt sich aber nach fünfjähri- ger Beobachtungszeit. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich 46 Prozent der

Patienten unter Plazebo, aber nur 35 Prozent unter der hochdosierten IFN-b1b-Therapie (8 MIU) ver- schlechtert (p = 0,096).

Kernspintomographische Befunde

Die Magnetresonanztomogra- phie (MRT) des Gehirns zum Nach- weis entzündlicher Läsionen hat in den letzten Jahren in der Beurteilung klinischer MS-Therapiestudien zu- nehmend an Bedeutung gewonnen (10, 11, 12, 20). Für Interferon-b1b konnte gezeigt werden, daß es die lo- kale Blut-Hirnschrankenstörung (Gadoliniumanreicherung im MRT), welche eine wichtige Rolle bei der Entstehung neuer Krankheitsherde spielt, verhindern kann (20).

In beiden referierten Studien wurden jährliche Kernspintomogra- phien durchgeführt, wobei in der Avonex-Studie neben Veränderun- gen in den T2-gewichteten Aufnah- men zusätzlich Gadolinium (Gd) anreichernde Läsionen ausgewertet wurden. Da in beiden Studien unter- schiedliche Quantifizierungsmetho-

den zur Anwendung kamen, kann le- diglich ein Vergleich der relativen Veränderungen innerhalb der Studi- engruppen erfolgen. Die Ausgangs- werte für T2-gewichtete Läsionen wa- ren in der Betaferon-Studie relativ homogen verteilt, während sich in der Avonex-Studie im Median ein deut- lich größeres Volumen T2-gewichte- ter Läsionen in der Plazebo- (8510 mm3) als in der Verumgruppe (5520 mm3) fand (Tabelle 4). Der Verlauf der kernspintomographischen Daten unter der Therapie zeigt, daß beide Präparate die Zunahme T2-gewichte- ter Läsionen bremsen, wobei der si- gnifikante Effekt gegenüber Plazebo in der Betaferon-Studie sowohl nach zwei als auch nach fünf Jahren nach- weisbar ist. Erstaunlicherweise fand sich in der Avonex-Studie nach zwei Jahren nicht nur in der Verumgruppe

eine Besserung der Befunde, sondern auch in der Plazebogruppe, so daß zwischen beiden Gruppen kein signi- fikanter Unterschied bestand. Da sich aber ein deutlicher Effekt auf die Zahl Gd anreichernder Läsionen fand, kann man vermuten, daß ein früher Schritt in der Läsionsentste- hung durch IFN-b1a positiv beein- flußt wird (8). Eine wei- tere mögliche Erklärung ist der häufigere Ein- satz der Kortikosteroid- Stoßtherapie zur Schub- behandlung in der Plaze- bogruppe, was einen Einfluß auf die Läsions- entstehung haben kann (2), oder aber die regel- mäßige orale Gabe von Acetaminophen zusam- men mit der intramus- kulären Injektion. Eine überzeugende Auflö- sung dieser Diskrepanz ist derzeit nicht möglich.

Sicherheit der Behandlung mit Beta-Interferonen

Ein wesentliches Au- genmerk wurde in beiden Studien auf die Verträg- lichkeit der Medikation gelegt. Beim Vergleich der unter Therapie auf- tretenden Nebenwirkungen ist folgen- des zu bedenken: Neben den imma- nenten Substanzunterschieden können die unterschiedlichen Protein-Konzen- trationen, Applikationsarten (s.c. ver- sus i.m.) und -frequenzen sowie die Be- gleitmedikation (zum Beispiel Aceta- minophen) einen wesentlichen Einfluß auf das Auftreten von Nebenwirkun- gen haben.

In beiden Studien fanden sich in den ersten Therapiewochen gegen- über Plazebo signifikant häufiger auf- tretende grippeähnliche Symptome, die in der Regel für einige Stunden nach der Injektion anhielten. Lokale Reaktionen an der Einstichstelle wa- ren ein Problem in der Betaferon-Stu- die. Sie traten in der Verumgruppe mit 8 MIU bei 85 Prozent der Patienten auf. Häufig lassen sich durch einfache Hilfsmittel, wie Wechseln der Nadel Tabelle 3

Klinische Daten der publizierten Betaferon- und Avonex-Studien bei schubförmiger MS

Zielparameter Betaferon: Betaferon: Avonex:

2-Jahres-Ergebnisse 5-Jahres-Ergebnisse 2-Jahres-Ergebnisse

Patienten (n) P: 112 P: 56 P: 87

V(1,6): 111 V(1,6): 52 V(6): 85

V(8): 115 V(8): 58

Schubrate P: 1,27 P: 0,81 P: 0,9*)

V(1,6): 1,17 V(1,6): 0,86 V(6): 0,6

V(8): 0,84 V(8): 0,57

Schubreduktion V(8): 33% V(8): 30% V(6): 32%*)

schubfreie Patienten P: 16% P: 10% P: 26%

V(1,6): 21% V(1,6): 18% V(6): 38%

V(8): 31% V(8): 19%

anhaltende P: 28% P: 46% P: 35%

Krankheitspro- V(1,6): 28% V(1,6): 47% V(6): 22%

gression V(8): 20% V(8): 35%

(P: Plazebo; V: Verum; V(1,6): 1,6 MIU IFN-b1b; V(8): 8 MIU IFN-b1b; V(6): 6 MIU IFN-b1a)

*) Bei der Auswertung aller Patienten der Avonex-Studie, die unterschiedlich lange in der Studie waren (so- genannte „Intention to treat-Analyse“), ergibt sich in der Verumgruppe V(6) eine Schubrate von 0,82 und in der Plazebogruppe (P) von 0,67, was dann einer Schubreduktion von 18 Prozent entspricht.

(5)

vor Injektion, Kühlen der Injektions- stelle und Massage der Haut nach In- jektion diese Beschwerden reduzie- ren. Interessanterweise führte die in- tramuskuläre Injektion von sechs MIU IFN-b1a lediglich bei 12 Prozent zu Hautreaktionen (Tabelle 5).

In beiden Studien wurde je ein Todesfall in der Verumgruppe berich- tet (Suizid in der Betaferon-Studie;

fulminante Lungenembolie in der Avonex-Studie). Vergleicht man das Auftreten von Depressionen unter der Therapie, so ergibt sich in beiden Studien kein signifikanter Unter- schied zwischen Verum- und Plazebo- gruppe. Eine erhöhte Rate an Selbst- mordversuchen konnte in beiden Stu- dien im Zusammenhang mit der Stu- dienmedikation nicht gesehen wer- den. Aus epidemiologischen Untersu- chungen ist bekannt, daß Depressio- nen und Suizidversuche bei MS-Pati- enten gegenüber der Normalbevölke- rung signifikant häufiger auftreten, wodurch die insgesamt relativ hohen Angaben in beiden Studien erklärt werden können (Tabelle 5).

An pathologischen Laborwerten fielen vorübergehende Leukopenien ohne Hinweise für opportunistische Infektionen sowie vereinzelt mäßige Anstiege der Trans-

aminasen im Hochdo- sisarm der Betaferon- Studie auf.

Die klinische Re- levanz des Auftretens neutralisierender Anti- körper unter der b- Interferon-Behandlung ist nicht eindeutig ge- klärt. In beiden Studien fanden sich während der ersten beiden Be- handlungsjahre in einer nicht unerheblichen Anzahl der mit Verum behandelten Patienten solche Antikörper (45 Prozent in der Acht- MIU-Gruppe der Beta- feron-Studie und 22

Prozent in der Verumgruppe der Avonex-Studie). Während sich in der Avonex-Studie kein Hinweis für einen Verlust der therapeutischen Wirksam- keit von IFN-b1a nach Auftreten von neutralisierenden Antikörpern fand (7), war in der Betaferon-Studie bei

Patienten mit neutralisierenden Anti- körpern im zweiten und dritten Be- handlungsjahr ein Wirkungsverlust nachweisbar (6). Im Verlauf schien die Entwicklung von neutralisierenden Antikörpern bei beiden Interferonen keinen Einfluß auf die Krankheits- progression (gemessen an der EDSS) zu haben. Die derzeit verwendeten Nachweisverfahren dieser Antikörper sind nicht einheitlich, so daß die Be- deutung der vorliegenden Befunde noch nicht abschließend beurteilt wer- den kann. Wahrscheinlich besteht eine Kreuzreaktivität der neutralisieren- den Antikörper mit den anderen b-In- terferonen. Der Nachweis neutralisie- render Antikörper während der Be- handlung kann anhand der vorliegen- den Ergebnisse also noch nicht zu the- rapeutischen Entscheidungen heran- gezogen werden.

Schlußfolgerung und Ausblick

Die vorliegenden Ergebnisse zweier Multizenter-Studien zur Be- handlung der schubförmig verlaufen- den MS mit Beta-Interferonen bele- gen, daß sowohl mit IFN-b1b (Beta-

feron) als auch IFN-b1a (Avonex) in den untersuchten Dosierungs- und Applikationsformen eine signifikante Reduktion der Schubrate bei Patien- ten mit schubförmig verlaufender MS erreicht wird. Der beschriebene Ein- fluß auf die kernspintomographi-

schen Veränderungen spricht dafür, daß beide Präparate die Entwicklung neuer Läsionen bremsen, wodurch ein aktiver Eingriff in das immun- pathologische Geschehen bei der MS vermutet werden kann. Experimen- telle Untersuchungen verschiedener Arbeitsgruppen belegen, daß beide Beta-Interferone die Zytokinexpres- sion verändern, die IFN-g-induzierte Expression von Histokompatibilitäts- antigenen der Klasse II antagonisie- ren, die Suppressorfunktion von be- stimmten T-Lymphozyten verbessern und die Adhäsion von Lymphozyten vermindern (1, 13, 14, 18, 19, 21).

Neben der Reduktion der Schub- frequenz ist der Einfluß beider Sub- stanzen auf die Krankheitsprogression bemerkenswert. Hier konnte gezeigt werden, daß IFN-b1a den Zeitpunkt bis zur anhaltenden Verschlechterung von neurologischen Symptomen deut- lich verzögert, und nach zwei Jahren fanden sich in der Verumgruppe signi- fikant weniger Patienten, die sich um einen Punkt auf der neurologischen Funktionsskala verschlechtert hatten, als in der Plazebogruppe. Die Fünf- Jahres-Ergebnisse der Betaferon-Stu- die zeigen hier zwar keine signifikan- ten Unterschiede zwischen Verum und

Plazebo, aber einen sichtbaren Trend in der Kaplan-Meier-Analyse.

Es liegen mit IFN-b1a und IFN- b1b zwei wichtige Substanzen zur Be- handlung der schubförmigen MS vor, die sich im wesentlichen durch den gentechnologischen Herstellungsweg Tabelle 4

Kernspintomographische Daten der Betaferon- und Avonex-Studien

Zielparameter Betaferon: Betaferon: Avonex:

2-Jahres-Ergebnisse 5-Jahres-Ergebnisse 2-Jahres-Ergebnisse

Patientenzahl P: 98 P: 14 P: 83

(jährliche MRT) V(1,6): 100 V(1,6): 16 V(6): 81

V(8): 96 V(8): 19

Ausgangswerte für P: 2611 mm3 P: 1503 mm3 P: 8510 mm3

MRT-Läsionen V(1,6): 2750 mm3 V(1,6): 1086 mm3 V(6): 5520 mm3

(Median) V(8): 2392 mm3 V(8): 1525 mm3

Veränderungen der P: 16,5% P: 30,2% P: – 6,5%

T2-Läsionen (Median) V(1,6): 11,4% V(1,6): 10,6% V(6): – 13,2%

V(8): – 0,8% V(8): 3,6%

(P: Plazebo; V: Verum; V(1,6): 1,6 MIU IFN-b1b; V(8): 8 MIU IFN-b1b; V (6): 6 MIU IFN-b1a)

(6)

unterscheiden. Die Verträglichkeit beider Substanzen ist gegeben und kann durch zusätzliche Maßnahmen, zum Beispiel den Einsatz nichtstero- idaler Antiphlogistika, noch optimiert werden. Obwohl tierexperimentell für beide Substanzen keine teratoge- ne oder mutagene Wirkung nachge- wiesen wurde, sollte aufgrund man-

gelnder Erfahrungen beim Menschen eine Therapie mit b-Interferonen bei geplanter Schwangerschaft nicht be- gonnen und bei aufgetretener Gravi- dität abgebrochen werden.

Über die Dauer der Therapie können bisher keine sicheren Anga- ben gemacht werden. Die vorliegen- den Studienergebnisse deuten aber darauf hin, daß der Therapieeffekt an- haltend ist und somit zumindest eine mehrjährige Behandlung gerechtfer-

tigt erscheint. In dem Zusammenhang ist die Frage von Bedeutung, ob es Marker gibt, die ein frühzeitiges An- sprechen auf die Therapie anzeigen.

Das Kernspintomogramm (zum Bei- spiel in halbjählichem Untersuchungs- abstand) kann mit zur Beurteilung des Therapieeffektes herangezogen wer- den (20). Immunologische Parameter

des Krankheitsverlaufes werden der- zeit in mehreren Studien auf ihre Aus- sagekraft hin untersucht. Ferner wird zu klären sein, ob sich die bisheri- gen Hinweise darauf bestätigen, daß neutralisierende Antikörper gegen IFN-b tatsächlich zum Wirkungsver- lust führen. Hier wären dann weitere Schritte zur Unterdrückung einer sol- chen Immunreaktion denkbar.

Ob die vielversprechenden Er- gebnisse von b-Interferonen bei der

Behandlung der schubförmigen MS auch den Einsatz bei anderen Ver- laufsformen der Erkrankung recht- fertigen, wird derzeit in drei großen, europaweit laufenden multizentri- schen Studien (Tabelle 1)geprüft.

In Anbetracht der hohen Behand- lungskosten für IFN-b1a und IFN-b1b (25 000 bis 30 000 DM pro Jahr) stellt sich die Frage nach kostengünstigeren Alternativen. Das seit Jahren bekann- te und immer noch häufig verwendete Azathioprin konnte in den bisher vor- liegenden multizentrischen Studien keine vergleichbar günstigen Effekte wie eines der beiden b-Interferone zei- gen; die in den 80er Jahren durch- geführten Untersuchungen genügen auch nicht heutigen Standards bezüg- lich des Studiendesigns und enthalten keine kernspintomographische Be- gleitdokumentation. Dennoch profi- tieren offenbar einzelne Patienten von diesem Medikament. Auch wurden nach schubfreiem Verlauf unter der Azathioprinbehandlung gehäuft Schü- be beim Absetzen beobachtet (17).

Um den Stellenwert dieses Immunsup- pressivums in der Therapie der MS eindeutig zu klären, wäre eine Ver- gleichsstudie Beta-Interferon versus Azathioprin vonnöten.

Zusammenfassend können wir keine Überlegenheit eines der beiden b-Interferonpräparate feststellen. Wie näher erläutert, sind differenzierte Ver- gleiche zwischen beiden Therapie- studien nur eingeschränkt möglich.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann aber da- von ausgegangen werden, daß die Sub- stanzklasse der b-Interferone einen wichtigen Stellenwert in der Behand- lung der MS einnehmen wird und einen Ansatzpunkt für weitere immunmodu- latorische Therapieansätze darstellt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-3022–3027 [Heft 46]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Peter Rieckmann Neurologische Klinik der

Julius-Maximilians-Universität Josef-Schneider-Straße 11 97080 Würzburg

Tabelle 5

Nebenwirkungsprofil von Betaferon und Avonex anhand der publizierten Studien

Nebenwirkung Betaferon: Avonex:

2-Jahres-Ergebnisse 2-Jahres-Ergebnisse

Grippeähnliche P: 56% P: 40%

Symptome V(8): 76% V(6): 61%

Fieber P: 41% P: 13%

V(8): 59% V(6): 23%

Schüttelfrost P: 19% P: 7%

V(8): 46% V(6): 21%

Reaktionen an der P: 37% P: 10%

Einstichstelle V(8): 85% V(6): 12%

Depression P: 12% P: 10 – 15%

V(8): 16% V(6): 10 – 15%

Menstruationsstörungen P: 8% P: 10 – 15%

V: 17% V(6): 10 – 15%

Leukozytopenie P: 5% P: <10%

V(8): 16% V(6): <10%

Transaminasen- P: 6% P: <10%

erhöhung V(8): 19% V(6): <10%

Neutralisierende Anti- P: 11% P: 4%

körper gegen IFN-beta V(8): 45% V: 22%

Studienabbruch P: 19% P: 6%

V(1,6): 14% V: 9%

V(8): 19%

(P: Plazebo; V: Verum; V(1,6): 1,6 MIU IFN-b1b; V(8): 8 MIU IFN-b1b;

V(6): 6 MIU IFN-b1a)

Referenzen

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