P O L I T I K
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A3312 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 49½½½½8. Dezember 2000
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ir hatten eine gute Resonanz erwartet“, formulierte Derek Yach, Exekutiv-Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO),„und nun sind wir sehr ermutigt durch die überwältigendeResonanz.“
Die Begeisterung des Exekutiv-Di- rektor stand in der WHO-Pressemittei- lung 54 vom 1. September 2000. Sie galt einer Etappe im bislang ehrgeizigsten Projekt der WHO, der Einführung ei- ner „Framework Convention on Tobac- co Control“ (FCTC). In dieser Konven- tion sollen Werbeverbote und ähnliche Instrumente der Tabakkontrolle ver- bindlich für alle 191 Mitgliedstaaten der WHO festgeschrieben werden.
Überwältigt war Yach vom Echo auf einen Aufruf der WHO vom 18. Mai 2000. Darin hatte die WHO alle FCTC- Interessenten eingeladen, ihre Auffas- sungen in öffentlichen Hearings darzu- legen. Die fanden, begleitet von großem Medienecho, am 12. und 13. Oktober in Genf statt, mit 144 Rednern. Wichtiger noch als diese Veranstaltung waren für die WHO die Stellungnahmen („Sub- missions“), die „von allen interessierten Institutionen in jeder der sechs offiziel- len Sprachen der Vereinten Nationen“
abgegeben werden durften.
Strenge Regeln waren gesetzt: Orga- nisationen und Institutionen durften nur eineSubmission abgeben. Sie muss- ten sich eindeutig identifizieren, darle- gen, mit welchem Mandat sie agierten, welches Interesse sie an der FCTC hät- ten, wie sie sich finanzierten und so wei- ter. „Unter gar keinen Umständen“
werde die Abgabefrist – „Geschäfts- schluss in Genf am 31. 8. 2000“ – ver- längert, hieß es. Schon am Tag danach verkündete die WHO, über 500 schrift- liche Submissionen seien eingegangen.
Tatsächlich aber hatte der Aufruf der WHO offenbar nur geringe Resonanz.
Nicht einmal alle Mitglieder der
„Framework Convention Alliance“ ran- gen sich zu Submissionen durch; keine
Stellungnahmen kamen von tatsächlich relevanten Institutionen wie der „Ameri- can Public Health Association“, der „Bri- tish Medical Association“, der „Canadian Medical Association“. Die WHO-Vor- feldorganisation INGCAT (Internation- al Non-Governmental Coalition Against Tobacco, Zitat: „Wir können härter auf- treten als die WHO“), die hinter den Kulissen die „Nicht-Regierungs-Organi- sationen“ auf Trab bringen sollte, schaffte es lediglich, die Hälfte ihrer Mitgliedsor- ganisationen zu aktivieren. Die Zahl von mehr als 500 wurde nur mit Tricks er- reicht. Unter den 507 Submissionen auf der WHO-Internetseite finden sich zum Beispiel 79 Doubletten. Die sind nicht etwa von bösmeinenden Absendern der WHO untergeschoben, sondern von der WHO selbst produziert worden, etwa so:
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Auuss 11 mmaacchh 22
Ein Text der „Belgischen Nationalen Koalition gegen Tabak“ wird zweimal eingestellt:
einmal unter „Belgisch“, dann unter „National“.
So wurde mehrfach verfahren, selbst das Tabakunternehmen Zino Davidoff wurde dupliziert (Submission 1: „Davidoff“, Submission 2: „Zino“).
In einem Fall wurde ein Absender
„National Committee on Smoking Con- trol“ genannt – den es geben mag, nicht aber dessen angebliche Submission.
Die WHO verdoppelte kurzerhand die Submission eines koreanischen Tabak- und Ginsengunternehmens und schob sie dem „National Committee“ unter.
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Auuss 11 mmaacchh 33
Eine Textvorlage aus Ahmedabad wird, krumm und schief, auf drei Briefköpfe von drei Firmen montiert.
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Auuss 11 mmaacchh 66
Ein Text einer Herzstiftung in Venezuela wird als Sub- mission von dort sowie als eine solche aus Argentinien, Brasilien, Guatemala, Mexiko und Panama ausgegeben.
Nicht nur, dass es weit weniger Sub- missionen gab als von der WHO aufge- führt (Gesamtliste der WHO ist die Da- tei „fctc“.cfm, Pfad war: www-nt.who/
int/whosis/statistics/fctc/fctc.cfm): Viele Submissionen sind nicht im entfernte- sten das, als was die WHO sie ausgibt.
Die WHO hat als Submission eingestellt:
❃ Schreiben, die nur wenige Sätze umfassen, etwa von einer Theatertrup- pe, einer Radiostation, einem Möbel- händler, einem Softwarehändler, einem Textil-Exporteur. Jedes dieser Schrei- ben hat die WHO als eigenständige Submission aufgeführt.
❃ Als Submissionen wurden in etwa 15 Fällen Texte eingestellt, in denen FCTC gar nicht thematisiert war.
❃ Unter den vermeintlich aktuellen Submissionen finden sich eine Rede vom März 2000, eine Betriebsvereinbarung zum Rauchen aus dem Jahre 1998, zwei Artikel aus Vorjahren. Ein Unterneh- men wirbt für seinen transgenen Tabak, ein anderes erheischt Hilfe beim Hanf- anbau, weitere loben die eigenen Pro- dukte der „Nikotin-Ersatztherapie“. An- dere haben die Selbstdarstellung ihrer Organisation geschickt, ohne ein Wort über WHO oder FCTC zu verlieren.
Nicht nur die inhaltlichen Vorgaben hat die WHO missachtet. Die Not nach Vorzeigbarem war wohl so groß, dass auf einmal auch die „deadline“, die
„unter gar keinen Umständen“ verlän- gert werden sollte, zumindest für die WHO nicht mehr galt.
Kurzum – von 507 Submissionen auf der WHO-Webseite sind 67 nicht analy- sierbar. Von den analysierbaren 440 Submissionen sind 111 bei der WHO bearbeitet worden. Als „Autor“ ist in 98 Fällen „Helen Green“ angegeben.
Eine Frau Helen Green wurde von der WHO als Assistentin von Exekutiv-Di- rektor Derek Yach benannt.
Dies heißt nicht, dass Frau Green alle oder viele Submissionen selbst ver- fassthaben muss. Es bedeutet aber, dass die Submissionen auf ihrem Computer bearbeitet wurden. Nur fünf der 98 Sub- missionen enthalten kritische Anmer- kungen zur FCTC, alle anderen sind zum Teil enthusiastische Befürwortun- gen der WHO-Politik.
Mit dem Nachweis der Bearbeitung am Computer von Helen Green verbin- det sich die Feststellung, dass die Per- son, die diesen Computer benutzt hat, zur Kenntnis genommen hat, dass Texte als Submissionen der Weltöffentlich- keit präsentiert wurden, die keine Sub- missionen waren.
Quellennachweise beim Autor H
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