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Archiv "„Wir sind Opfer keine Täter!“ - Brief eines AIDS-Betroffenen" (20.06.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

„Wir sind Opfer 1- keine Täter!"

eruflich war ich über meh- rere Jahre sehr häufig in den USA, und das eben noch zu einer Zeit, als die Bedrohung für mich noch nicht zu erkennen war. Auch war ich nicht promisk, aber ich „kuckte"

halt auch schon mal, es ergab sich auf Reisen auch schon mal ein Flirt und auch schon mal mehr. Aber bis dato stand auf ein Sex-Abenteuer ja auch noch nicht die „Todesstrafe".

Ansonsten war ich eigentlich sehr solide und habe eine 19jährige stabile Beziehung mit meinem gleichaltrigen Lebenspartner aufge- baut.

Trotz „beruhigender" Diagno- sen nach Untersuchungen aufgrund meiner panischen Ängste blieb ich hartnäckig und „ahnte" selbst bes- ser meine Erkrankung. Meine Angst war, nach dem Erkennen der Bedro- hung, eventuell als „Todesengel"

gerade den liebsten Menschen durch Ansteckung zu bedrohen. Mein Le- benspartner blieb so gottlob „HIV- negativ"!

Ich bin Ende 30 und weiß jetzt seit gut einem Jahr ärztlich bestätigt, daß ich erkrankt bin. Durch gute ärztliche Versorgung und verdammt teure Infusionen geht es mir heute aber gesundheitlich eigentlich besser als vor einem Jahr.

Aber da unser beider wirtschaft- liche Existenz öffentlichkeitsabhän- gig ist, darf, auch nach ärztlichem

Rat, wirklich niemand von der Er- krankung wissen. Die daraus zusätz- lich resultierende Isolation und Zu- kunftssorge ist derzeit schwerer zu tragen als die Beschwerden der Krankheit.

Zwar geht man mit anderen schweren Krankheiten ja tunlichst auch nicht hausieren, aber immerhin hilft es doch, wenn ein Teil der Um- gebung sachlich informiert ist und einen abschirmen und die belastete Situation einschätzen kann. Unsere

„Tarnung" führt jedoch zu völligem Unverständnis bei früheren Bekann- ten und Kollegen. Zaghafte Ge- sprächs-Versuche scheiterten schon im Ansatz an der sich offenbarenden knallharten Ablehnung.

Die Anonymität ist mein letzter Schutz, und gleichzeitig leide ich un- heimlich unter ihr. Irgendwie bin ich dadurch schon ein bißchen tot. Wer uns aber diesen letzten Schutz der Anonymität bei der gegebenen Ein- stellung der Menschen nehmen möchte, der kann gleich hergehen und uns „eine Art Judenstern" an- kleben . . . So habe ich bei einigen, insbesondere bayrischen Politikern den Eindruck, daß sie wegen der Hilflosigkeit im Kampf gegen die Krankheit auf einen Kampf gegen die AIDS-Erkrankten ausweichen.

Alle, die sich freiwillig testen lassen, gerade auch die dann mit

„positivem" Ergebnis, sollten bei- spielsweise als besonders verantwor-

tungsbewußte Menschen von der Gesellschaft gewürdigt statt diskri- miniert werden. Denn der so heftig propagierte Test hat eine so schreck- liche und wenig diskutierte Seite, nämlich die fast nicht auszuhaltende Belastung für einen sich ja sonst noch als gesund empfindenden Men- schen, wenn er erfahren muß, daß er bereits infiziert ist. Jeden Tag bela- stet dann die Selbstbeobachtung, und die früher so unwichtigen vielen kleinen alltäglichen Beschwerden oder „Zipperleins" bekommen eine ganz schreckliche, lebensbedrohen- de Dimension.

Mein Rat an alle: Schränke Dich beim Sex so ein, daß Du Dich auf keinen Fall anstecken kannst, dann kann sich auch niemand an Dir anstecken. Gehe zum Test nur dann, wenn Du Dich krank fühlst und Hil- fe brauchst. Genieße das Leben an- sonsten als „Gesunder" — es gibt wichtigeres als Sex. Und das sage ich, mit heute Null-Sex, der einmal glaubte, ohne Sex wäre das Leben nicht mehr lebenswert.

Trotz ärztlicher Versorgung kommen wir uns aber total alleinge- lassen und stigmatisiert vor. Von der z. B. in TV-Diskussionen zugesag- ten Betreuung durch psychologisch geschulte Ärzte keine Spur. Eher im Gegenteil, weil der Zeitdruck länge- re Gespräche für den Arzt unmög- lich macht.

Warnung vor der Krankheit: ja!

Aber Slogans wie „Keiner, der diese Krankheit nicht will, muß sie auch bekommen" empfinde ich als Ver- höhnung und verletzend. Diese tük- kische Krankheit mit jahrelanger In- kubationszeit hat doch gerade uns jetzt Betroffene noch unvorgewarnt erwischt.

Über die „Promiskuität" der Schwulen wurde vielfach die Nase gerümpft. Aber dieses Verhalten hatte doch seine Ursachen, unter an- derem eine positive: Sex war part- nerschaftlich gleichwertig möglich.

Ohne Folgen, wie Schwangerschaf- ten.

Was dieser Wegfall an Sorge auch für die „Heteros" bedeutete, wurde ja nach der Pille deutlich.

Brief eines AIDS-Betroffenen

„In der Hoffnung, außerhalb der medizinischen Problematik einen kleinen Beitrag zum noch besseren Verständnis dieser Krankheit leisten zu können", schrieb ein HIV-Infizierter den folgenden, et- was gekürzt wiedergegebenen Brief an die Bundesgesundheitsmi- nisterin Süssmuth, aber gleichzeitig „an alle Menschen guten Wil- lens". „Mein Kernanliegen", heißt es im Begleitschreiben an das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT, „ist, daß nicht weiterhin die ‚Opfer' mit

‚Tätern' verwechselt oder gleichgesetzt werden und daß man nicht wegen der Hilf- und Ratlosigkeit im Kampf gegen die Krankheit AIDS einen rigorosen Kampf gegen uns AIDS-Kranke und AIDS-In- fizierte beginnt."

Dt. Ärztebl. 84, Heft 25/26, 20. Juni 1987 (29) A-1811

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Aber bei den Schwulen hat sich dra- matisch etwas verändert, das kann ich aus distanzierter Beobachtung der Szene bestätigen. Negativer Grund war doch aber auch, daß Partnerschaften zwischen Männern ja in keinster Weise gesellschaftlich gestützt, geschweige denn gefördert wurden (als einer, der's geschafft hat, weise ich auch darauf hin, daß es für schwule junge Männer auch keine Leitbilder diesbezüglich gab und gibt). Im Gegenteil. Ein Schwu- ler kann sich verhältnismäßig noch gut gesellschaftlich tarnen. Ein Paar ist jedoch nach wenigen Wochen

„erkannt" und dann dem puren Wohlwollen der Umgebung ausge- liefert, was selten vorhanden ist. In der Regel hat die „positive" gesell- schaftliche Veränderung von der Ablehnung bestenfalls nur bis zur Gleichgültigkeit gereicht .. .

Wenn Sie aus gesellschaftlichem Interesse etwas zur Stabilisierung des Sexualverhaltens und Minde- rung der Promiskuität tun wollen, beziehen Sie die „Ermunterung für mehr Mut zur festen Partnerschaft"

(auch der Schwulen!) in Ihre Öffent- lichkeitsarbeit ein. Es ist zwar kein totaler Schutz, wie mein Beispiel zeigt, aber es ist selbst bei einer Er- krankung für die Gesellschaft ein Vorteil, daß die Kranken dann nicht ganz alleine dastehen.

Vielleicht macht die Angst vor AIDS hier für die betroffene Grup- pe Regelungen möglich, die sonst politisch garantiert nicht durchsetz- bar wären. Ich denke nur beispiels- weise an die Regelung von finanziel- len Fragen im Erbrecht, wo auch ein nichtehelicher Lebenspartner, ana- log den Regelungen bei nichtehe- lichen Kindern, mehr Rechte be- kommen sollte, oder eine Regelung zu gemeinsamer steuerlichen Veran- lagung, wenn ein Partner sich für die Führung des Haushalts entscheidet oder für die Pflege des AIDS-er- krankten Lebenspartners und ähn- liches! Solche Maßnahmen könnten ja auch die offenen Lebenspartner- schaften allgemein in Zeiten von AIDS zusätzlich stabilisieren helfen.

Wichtiger aber noch wäre eben das gesellschaftliche Signal für die in pa- nischer Angst und Isolation Leben- den!

Ich klammere mich an jede noch so kleine Hoffnung. Lenke mich ab.

Sehe viel fern. Höre dann „Jeder In- fizierte stirbt". Wieder sind sie da, die panischen Ängste! Dabei haben wir doch noch wenigstens statistisch eine kleine Chance, oder? Helft uns auch hoffen! Und macht uns nicht absichtlich oder gedankenlos fer- tig . ..

Daß der HIV-Virus zunächst bestimmte Gruppen heimgesucht hat, gab doch Zeit und eine Chance, um die ganz große Katastrophe noch zu verhindern. An uns konntet Ihr

Die letzten AIDS-Zahlen aus den USA: Kumuliert sind bis jetzt 32 786 Fälle gemeldet worden. Da- von sind 23 322 (71 Prozent) homo- und bisexuelle Männer, 2691 (8,2 Prozent) homosexuelle Drogensüch- tige, 5902 (18 Prozent) weitere Dro- gensüchtige, 1043 (3,2 Prozent) sind Transfusionsempfänger und Hämo- phile , als Heterosexuelle werden 1375 Personen angegeben, wobei die Hälfte davon aus Ländern stammt, in der die heterosexuelle Verbrei- tung des HIV häufiger zu sein scheint. Bei 1144 Fällen (3,5 Pro- zent) reichen die Informationen zur Einordnung in eine Gruppe nicht aus; meist sind sie gestorben, bevor sie interviewt werden konnten.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird auch in den USA dar- über gestritten, ob mehr als bisher und womöglich mit sanftem Druck oder gar Zwang getestet werden sol- le. Präsident Reagan ist dafür. Ihm werden allerdings aus der Fachwelt eine Reihe von Gegenargumenten präsentiert. Im „Center for Disease Control" (CDC) ist man davon überzeugt, daß mehr Tests nicht mehr einbringen. Nach wie vor sei — die Zahlen zeigen es — die Krankheit weitgehend auf die Risikogruppen beschränkt. Der Epidemiologe des CDC, Harold Jaffe, erklärte: „Wir haben kaum Beweise dafür, daß das Virus sich auf Personen außerhalb der Risikogruppen verbreitet; für

lernen und forschen. Viele werden aber jetzt noch für ihre Dummheit und Borniertheit leiden, ja sogar sterben müssen, nur weil sie zu ger- ne an das Märchen von der „Schwu- len-Seuche" glauben wollen und die Fakten einfach ignorieren.

Bitte haben Sie Verständnis . Name und Anschrift sind ein Pseu- donym, da ich nicht sicher sein kann, ob, und wenn, über wieviele Schreibtische und Mitleser mein Brief Sie erreichen wird.

Mit freundlichen Grüßen

„Wolfgang Brandtner"

die meisten Menschen ist das AIDS- Risiko gleich Null" — und die Tests sind daher überflüssig. Die Routine- tests in der Armee beispielsweise ha- ben fast ausschließlich Infizierte aus den Risikogruppen gefunden.

Beim CDC ist man außerdem der Auffassung, daß die Ausbrei- tungsgeschwindigkeit von AIDS sich bereits verlangsamt. Dazu hat offen- bar besonders beigetragen, daß die

„gay community" im großen und ganzen den Kampf gegen AIDS auf- genommen hat; der gute Organisa- tionsgrad der Homosexuellen half dabei. Es gibt inzwischen Gesund- heitsbeamte, die der Meinung sind, die „Schocktherapie" der brutalen Allgemeinaufklärung habe ihre Wir- kung getan, und man sollte jetzt Zeit, Geld und Energie auf gefähr- dete Randgruppen richten. Dies sind besonders die schwarzen oder spanischsprechenden ( „Hispanics") Jugendlichen in den großstädtischen Slums. An diese ist die Aufklärung bisher kaum gelangt, ganz einfach, weil sie keine Zeitungen lesen. Bei ihnen wird aber am meisten gefixt, und die HIV-Durchseuchung ist groß — in New York bei den Drogen- süchtigen beispielsweise um 50 Pro- zent. Die ersten Aktionen sind ange- laufen: Plakate in Chicago, ehemali- ge Drogensüchtige als Berater in New York, die Verteilung von Des- infektionsmitteln für die Spritzen in San Francisco. bt

AIDS: Neue Schwerpunkte

A-1812 (30) Dt. Ärztebl. 84, Heft 25/26, 20. Juni 1987

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