Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 418. Oktober 2004 AA2713
S E I T E E I N S
B
ei den diagnosebasierten Fall- pauschalen (Diagnosis Related Groups; DRGs) hakt es an vielen Ecken und Enden, obwohl im Zuge der jetzt in die Schlussberatung ge- henden Novelle zum Fallpauscha- lensystem noch Änderungen bei den immer weiter aufgefächerten Zu- und Abschlagsregelungen, Ausnah- me- und Sonderregelungen, vor al- lem für besonders aufwendige Fälle, getroffen wurden. Durch die bis En- de 2008 verlängerte Konvergenz- phase und die mildere Anpassung der „Konvergenzquoten“ bekom- men die Krankenhäuser noch nicht die volle Wucht des Vergütungssy- stems zu spüren.Dies ändert aber nichts an der Tat- sache, dass das Vergütungssystem in vielen Teilen noch unreif, die Kalku- lationsbasis noch nicht ausreichend
repräsentativ ist und die Kranken- häuser bislang unzulängliche An- strengungen unternommen haben, ihre Kostenstrukturen im Hinblick auf das neue Entgeltsystem zu durch- forsten. Aus der Mechanik des Sy- stems und der Anpassungsphase re- sultieren ab 2005 Umverteilungen.
Diese können wegen der sich bis zu 300 Prozent unterscheidenden kran- kenhausindividuellen Basisfallwerte einen Budgetzuwachs oder -abschlag im zweistelligen Prozentbereich zur Folge haben. Insbesondere die Hoch- schulmedizin und die Maximalver- sorger sehen sich im Hintertreffen.
Universitätskliniken verlieren mehr als eine Milliarde Umsatzerlö- se infolge der Umverteilung in Rich- tung Grund- und Regelversorgung.
Krankenhäuser mit mehr als 800 Betten und höheren Fallzahlen dürf-
ten ausnahmslos zu den Verlierern zählen. Zwei Drittel der Kranken- häuser dürften hinzugewinnen, ein Drittel dürfte erheblich einbüßen.
Den Schwachpunkt des DRG-Sy- stems haben Experten bei einer An- hörung am 29. September in Berlin herausgestellt: Das DRG-System er- klärt allenfalls 70 Prozent aller Ko- stenunterschiede. Die Schwankungs- breite der Kosten innerhalb einzelner Fallpauschalen betrage bis zu 50 Pro- zent. Die vorherrschende „Kalkulati- on am Patienten“ birgt unbekannte Risiken und provoziert ein unüber- sichtliches, kaum steuerbares Zu- und Abschlagsystem. Inhaltlich in- suffiziente Basisfallraten verzerren den Wettbewerb, und innovative Hochleistungsmedizin kann schon bald zu einer Durchschnittsmedizin abdriften. Dr. rer. pol. Harald Clade
Krankenhausfinanzierung
Verteilungsrisiken
Gesundheitskarte
Festgefahren D
ie Selbstverwaltung hat sich zumStichtag 1. Oktober nicht auf ein gemeinsames Konzept der elektroni- schen Gesundheitskarte geeinigt.
Daran konnten auch massiver politi- scher Druck und die Androhung der ministeriellen Ersatzvornahme nichts ändern – zu groß waren die Mei- nungsverschiedenheiten zwischen Kassen auf der einen Seite und Ärz- ten, Krankenhäusern und Apothe- kern auf der anderen Seite. Zwar ha- ben die Kassen einen vom Projekt- büro Protego.net erarbeiteten Verein- barungsentwurf termingerecht an das Bundesgesundheitsministerium (BMGS) übermittelt. Doch wurde dieser von den Leistungserbringern nicht unterschrieben. Das sei keine Blockadehaltung, sondern Ausdruck von Verantwortung, betonte Prof. Dr.
med. Christoph Fuchs, Hauptge-
schäftsführer der Bundesärztekam- mer. Es gebe noch zu viele Inkonsi- stenzen und offene Fragen. Auch die Fachabteilung der AOK habe auf er- hebliche Defizite des Konzepts hin- gewiesen.
Ungeklärt ist nicht nur das Karte- Server-Speicherproblem (DÄ, Heft 40/2004), Differenzen bestehen auch bei zentralen Fragen zur Datensicher- heit und zum Patientenschutz. Bei- spiele sind die Pseudonymisierung der Verordnungsdaten durch spezielle Server und die direkte, sichere Card- to-Card-Authentisierung. Auch wenn die Technik im Unterschied zu Toll Collect nicht das Problem sein sollte (was sich bei der teilweise veralteten technischen Ausstattung der Arztpra- xen erst noch zeigen muss), geht es um grundsätzliche Weichenstellun- gen für das Gesundheitssystem. Auf-
grund der Komplexität und der Aus- wirkungen des Projekts Gesundheits- karte sei Sorgfalt vor Schnelligkeit er- forderlich, argumentieren die Lei- stungserbringer.
Das BMGS muss jetzt entscheiden, ob es die Frist verlängert und eine Ge- nehmigung mit Auflagen erteilt oder die Ersatzvornahme einleitet.Angeb- lich gibt es für diese bereits ein Kon- zept, das auf den Arbeiten des Indu- striekonsortiums Bit4Health beruht.
Hier kommt die dritte Partei neben Politik und Selbstverwaltung ins Spiel – die Informationstechnik-Industrie mit handfesten finanziellen Interes- sen. Doch auch wenn diese das Pro- jekt forciert, wäre das Gelingen nicht sicher. Letztlich ist die Akzeptanz für den Erfolg der Karte entscheidend, und die ist nicht per Verordnung zu erreichen. Heike E. Krüger-Brand