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ineinhalb Jahre nach dem In-Kraft- Treten des GKV-Modernisierungs- gesetzes bezeichnet die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Bilanz der flexiblen Vertragsformen als ernüchternd. „Die Disease-Manage- ment-Programme haben sich als büro- kratische Monster entpuppt, und die meisten der 600 Verträge zur Integrier- ten Versorgung folgen dem Prinzip ,quick and dirty‘, weil es hauptsächlich um den schnellen Vertrag und die An- schubfinanzierung geht“, sagt Dr. med.Andreas Köhler.
Der KBV-Vorsitzende sieht bei den rund 130 000 Vertragsärzten derzeit ei- ne Renaissance des Kollektivvertrages, weil dessen Vorteile – eine flächen- deckende, wohnortnahe und einheitli- che Versorgung – wieder stärker ins Be- wusstsein rückten. Diese Entwicklung will die KBV nutzen – und die Kran- kenkassen zugleich zwingen, Farbe zu bekennen. Das Mittel zum Zweck: dif- ferenzierte Zusatzverträge auf der Ba- sis von Kollektivverträgen.
Der Paragraph 73 c des Sozialgesetz- buches V, die Förderung der Qualität in der vertragsärztlichen Versorgung, lie- fert den Ansatzpunkt für eine Vertrags- offensive, mit der die Krankenkassen jetzt konfrontiert werden. Das erste Angebot dieser Art widmet sich der Versorgung von Patienten mit chroni- schen Wunden. Rund vier Millionen Menschen sind davon betroffen. Das Vertragskonzept sieht die Verbesserung der ärztlichen Zusammenarbeit und strukturierte Behandlungsabläufe mit festgelegten Behandlungspfaden vor.
Die Qualität der Versorgung soll durch besondere Anforderungen an die teil- nehmenden Ärzte und die Kooperation mit der häuslichen Krankenpflege er- reicht werden. Auch Angebote für die
Selbstpflege und für pflegende An- gehörige gehören dazu. Vorhandene Wundambulanzen sollen – wo immer das möglich ist – eingebunden werden.
„Mit diesem Vertragsangebot geht es uns primär nicht ums Geld“, sagt Köhler.
„Wir stellen die Qualität der Versorgung in den Vordergrund.“ Der KBV-Vorsit- zende räumt ein, dass das Kollektivver- tragssystem „bei bestimmten Versor- gungsfeldern zu starr ist“. Zugleich ist Köhler sicher, dass der angestrebte Ver- trag „chronische Wunden“ sehr schnell zu Qualitätsverbesserungen auf breiter Front führen wird. „Und jetzt wollen wir es wissen: Geht es den Krankenkassen um eine bessere Qualität oder doch nur um die Anschubfinanzierung bei beliebi- gen Integrationsverträgen?“
Ziel: Bundesweite Regelung
Das herauszufinden dürfte nicht schwer sein. In den kommenden Wochen sollen Verhandlungen mit den Spitzenverbän- den der Krankenkassen stattfinden. Das Ziel ist eine bundesweite Regelung. Ge- lingt dies nicht, werden die Kassenärztli- chen Vereinigungen auf Landesebene Vertragsabschlüsse suchen.
Die Vorteile gegenüber den üblichen Integrationsverträgen nach § 140 SGB V liegen auf der Hand. Der Vertragsarzt und andere Beteiligte (Krankenhäuser und Pflegedienste) hätten weitaus we- niger Aufwand mit dem Vertragsmanage- ment, die Abrechnung liefe über die KVen, die auch für die Einhaltung und Überprüfung der Qualitätsvorausset- zungen zuständig wären. Schließlich wäre damit auch die schwierige Bereini- gung der vertragsärztlichen Gesamtver- gütung – bislang ein noch ungelöstes Problem bei den Integrationsverträgen
– vom Tisch, weil die KVen als Vertrags- partner eingebunden sind. Das Ver- gütungskonzept sieht die Zusammen- fassung der entsprechenden EBM-Posi- tionen in einem Leistungskomplex vor, der außerhalb des Budgets nach festen Punktwerten honoriert werden soll.
Einen Haken hat das neue Vertrags- konzept jedoch derzeit noch: der Para- graph 73 c regelt ausschließlich das Ver- tragsgeschäft zwischen Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und niedergelassenen Ärzten. Sektorenüber- greifende Verträge sind damit nicht abge- deckt. Deshalb fordert die Kassenärztli- che Bundesvereinigung eine gesetzliche Änderung: ein neuer Paragraph 73 d soll die kollektivvertraglich organisierte In- tegrationsversorgung ermöglichen.
Dies würde nach Auffassung der KBV den Weg für einen wirklich sinnvollen Wettbewerb um Qualität ebnen. Köhler:
„Einzelverträge, die nur um des Marke- tingeffektes der Krankenkassen willen geschlossen werden und keinen Mehr- wert für die Patienten bringen, sind nicht nur nutzlos und teuer, sie sind vielmehr eine Gefahr für die flächendeckende Re- gelversorgung, die sowieso schon chro- nisch unterfinanziert ist.“
Niemand könne ernsthaft eine Zer- splitterung der Versorgungslandschaft wollen. Patienten müssten auch weiter- hin ungehinderten Zugang zu Ver- tragsärzten haben – unabhängig davon, ob der Arzt „einen bestimmten Vertrag mit einer bestimmten Krankenkasse“ ab- geschlossen habe.
Dem Vertragskonzept „chronische Wunden“ sollen weitere Angebote fol- gen. Die KBV bereitet weitere Muster- verträge für die koordinierte und qua- litätsgesicherte Behandlung vor: unter anderem für HIV/Aids und für ausge- wählte Krebserkrankungen. Josef Maus P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 278. Juli 2005 AA1925