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Archiv "Epidemiologie der Diphtherie" (24.03.1977)

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Diphtherie

fast vergessene Gefahr

Das seit Ende 1975 in einigen Bezir- ken der Bundesrepublik (Düsseldorf, Köln, Münster, neuerdings auch Hamburg) vermehrte Auftreten von Diphtherieerkrankungen mit zum Teil tödlichem Ausgang hat die Auf- merksamkeit wieder stärker auf ein Krankheitsbild gelenkt, das der jün- geren Ärztegeneration aus eigener Anschauung kaum noch bekannt ist.

Schon oft wurde die Diphtherie beim erstmaligen Wiederauftreten in lange Zeit verschont gebliebenen Gebieten erst sehr spät, zum Teil zu spät diagnostiziert und behändelt, in einigen Fällen deshalb, weil man zu- nächst an ein bis dahin noch unbe- kanntes Virus als Erreger dachte.

Ob es sich bei den aufsehenerregen- den Kleinepidemien der letzten Mo- nate um vorübergehende, lokalisiert bleibende Häufungen handelt, die durch mangelhaften Impfschutz be- günstigt wurden, oder ob dabei auch Faktoren der mit mancherlei Rätseln behafteten „säkulären Schwankun- gen" der Diphtheriemorbidität und -mortalität beteiligt sind, wird erst die Zukunft lehren können.

Sollte sich darin jedoch der mögliche Beginn einer neuen Diphtheriewelle ankündigen, könnte sich das man- gelnde Vertrautsein eines großen Teils der jüngeren Ärzteschaft mit den klinischen und epidemiologi- schen Merkmalen der Krankheit ver- hängnisvoll auswirken; nur noch etwa ein Drittel der Schulkinder und ein Fünftel der Kleinkinder in der Bundesrepublik sind als ausrei- chend geschützt gegen Diphtherie anzusehen.

Die Periodizität der Diphtheriewellen

Seit der 1826 nach einer großen Epi- demie erschienenen Monographie von Bretonneau, der die schon im Altertum unter verschiedenen Be- zeichnungen bekannte Diphtherie erstmalig als klinische Einheit be- schrieb und ihr den heutigen Namen gab, ist in der Epidemiologie dieser Krankheit neben den saisonalen Schwankungen — Morbiditätsgipfel im Winter und Frühjahr — eine sich über längere Zeiträume erstrecken- de Periodizität im Sinne eines wel-

lenförmigen Ansteigens und Abflau- ens im Rhythmus von etwa 20-30 Jahren festzustellen. Die in der zwei- ten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Osten ausgehende große Pandemie mit sehr hoher Letalität (über 20 Pro- zent) erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1875-1890; die 1894 ein- geführte Serumtherapie war eine der Ursachen für den raschen Rückgang der Letalität in der Folgezeit, aber nicht die einzige, da dieser schon einige Jahre zuvor spontan einge- setzt hatte. Eine neue große europäi- sche Epidemie begann im 1. Welt- krieg mit steigender Morbidität und Mortalität, aber im wesentlichen gleichbleibender Letalität. Kleinere Epidemien waren 1929-1931 in Deutschland und mehreren anderen europäischen Ländern zu verzeich- nen. Zeitlich parallel mit einer schon damals einsetzenden, mit zuneh- mender Impfprophylaxe im frühen Kindesalter sich verstärkt fortsetzen- den Altersverschiebung — größerer Anteil von Schulkindern und Über- greifen auf höhere Altersgruppen — war bereits damals eine Pathomor- phose der Diphtherie zu beobachten, die sich in einem Rückgang der Croupfälle und einer Zunahme der Rachendiphtherie und toxischer Verlaufsformen äußerte.

Die letzte große Diphtherieepidemie entwickelte sich nach einer schon seit 1938 ansteigenden Mortalität im 2. Weltkrieg in Deutschland, von wo sie sich nicht nur auf die besetzten Gebiete, sondern auch auf die Schweiz, Schweden und Großbritan- nien ausdehnte. 1942 wurden in

Epidemiologie der Diphtherie

Gerd B. Roemer

Aus dem Institut

für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie der Universität Hamburg

(Direktor: Professor Dr. Dr. Gerd B. Roemer)

Säkulare Wellenbewegungen mit einem Rhythmus von 20-30 Jahren sowie Morbiditätsgipfel im Winter und Frühjahr sind epidemiologische Eigentümlichkeiten der Diphtherie. für die infolge eines außerordent- lich geringen Durchseuchungsgrades und einer stark vernachlässigten Impfprophylaxe in der Bevölkerung der Bundesrepublik nur noch ein sehr beschränkter Immunitätsschutz besteht. Angesichts steigender Erkrankungszahlen mit hoher Letalität muß die prophylaktische aktive Schutzimpfung intensiviert werden, da erst bei einer Impfquote von wenigstens 70-75 Prozent der Kinder im Vorschulalter ein ausreichen- der Seuchenschutz gegeben ist.

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Diphtherie

Deutschland 244 500 Erkrankun- gen mit 14 764 Sterbefällen, 1943 245 067 Erkrankungen mit 12 833 Sterbefällen registriert; 1946 betrug die Zahl der statistisch erfaßten Er- krankungen 142 788, darunter 7576 Sterbefälle. Wegen Ungenauigkeiten der Meldungen müssen diese Zahlen als Minimalwerte angesehen wer- den. Die Gesamtzahl der Diphtherie- fälle in Europa während der damali- gen Epidemie ist mit etwa 3 Millionen zu veranschlagen.

Charakteristisch war die relativ hohe Letalität durch größere Häufigkeit maligner Fälle, bei denen sehr oft auch eine frühzeitige hochdosierte Serumtherapie versagte, ein erhebli- cher Anteil Erwachsener und — bei bereits abklingender Epidemie—das vorübergehende Auftreten einer to- xischen Säuglingsdiphtherie, zum Teil — ein Novum — schon im ersten Trimenon. Inwieweit kriegsbedingte Verhältnisse (enges Zusammenle- ben, Bevölkerungsverschiebungen, Resistenzminderung durch qualita- tiv und quantitativ unzureichende Er- nährung u. a.) denVerlauf des dama- ligen Seuchenzugs beeinflußt ha- ben, ist retrospektiv kaum zu ent- scheiden.

Rückgang seit 1948

Seit etwa 1948 zeigte die Diphtherie in der Bundesrepublik einen nahezu kontinuierlichen Rückgang der Mor- bidität und Mortalität bei niedriger Letalität. Mit insgesamt nur 16 ge- meldeten Erkrankungen erreichte die Morbidität 1974 ihren Tiefst- punkt.

Von den im Zeitraum 1960-1969 ge- meldeten 6535 Erkrankten verstar- ben 118 (Letalität: 1,8 Prozent). Das Hauptkontingent an den letal verlau- fenen Fällen stellten mit annähernd gleichen Anteilen Kinder der Alters- gruppen 1-5 und 5-10 Jahre, zusam- men 65 (55 Prozent der Gesamtzahl).

Auf Jugendliche und Erwachsene (Personen zwischen 15 und 90 Jah- ren) entfielen 32 Diphtherietodesfäl- le (27 Prozent der Gesamtzahl), wo- bei die höheren Altersgruppen stark überwogen. Von 175 in den Jahren

1970-1974 Erkrankten verstarben 13 (Letalität 7,4 Prozent!), darunter 9, das heißt zwei Drittel, Erwachsene (Tabelle).

Ob die stark rückläufige Bewegung der Diphtheriemorbidität und Morta- lität ausschließlich auf die intensiven Impfkampagnen früherer Jahre zu- rückzuführen ist, ist umstritten, da einerseits an dem günstigen Effekt der Schutzimpfung kaum Zweifel be- stehen, andererseits aber auch in Ländern mit geringer Impfaktivität ein deutlicher Abwärtstrend zu beob- achten war.

Neue Diphtherieepidemie nicht ausgeschlossen

In der Bundesrepublik war erstmals im Jahre 1975 mit 41 gemeldeten Erkrankungen, davon allein 26 in den letzten sechs Wochen des Jahres, ein Anstieg der Diphtheriemorbidität zu verzeichnen. Diese Zunahme hat sich in der ersten Hälfte des Jahres 1976 verstärkt fortgesetzt: bis Ende Juni 1976 betrug die Zahl der stati- stisch erfaßten Fälle mit 65 Erkran- kungen das Vierfache der im ganzen Jahr 1974 gemeldeten Fälle. Das Gros der seit dem Spätherbst 1975 bekannt gewordenen Erkrankungen entfällt auf das Land Nord- rhein-Westfalen (70 Fälle). In Ham- burg wurden im Juli 1976 im An- schluß an eine tödlich verlaufene Er- krankung bei 11 weiteren Patienten der Umgebung Diphtheriebakterien festgestellt.

Das Wiederaufflackern der Diphthe- rie, das in eine Zeit fällt, in der nach dem säkularen Verlauf der Beginn einer neuen Diphtheriewelle zum mindesten nicht von vornherein aus- zuschließen ist, dürfte angesichts der Unerfahrenheit vieler Ärzte auf diesem speziellen Gebiet eine kurze Darstellung einiger epidemiologisch wichtiger Fakten nicht unnütz er- scheinen lassen. Der begrenzte zur Verfügung stehende Raum verbietet ein näheres Eingehen auf das klini- sche Erscheinungsbild der verschie- denen Formen der Diphtherie, ob- wohl deren Kenntnis in der heutigen Situation besonders wichtig ist.

Nach einer Untersuchung von Mun- ford und Mitarb. über Diphtherieto- desfälle in den USA im Zeitraum 1959-1970 war das Risiko eines letal ausgehenden Verlaufs weitaus am größten bei kleineren Ausbrüchen in Gebieten mit selten vorkommender Diphtherie. Ähnliche Beobachtun- gen betreffen Erkrankungen im Frühstadium größerer Epidemien.

Die höhere Letalität unter diesen Verhältnissen düfte nicht allein durch unvollständige Erfassung leicht verlaufender, bei kleineren Ausbrüchen unentdeckt bleibender Fälle zu erklären sein. Die größere Wahrscheinlichkeit spricht nach An- sicht der amerikanischen Autoren für die ursächliche Bedeutung einer we- gen verzögerter Diagnose zu spät begonnenen Behandlung.

Abweichende Befunde erschweren Diagnose

An dieser Stelle kann nur auf einige von der lehrbuchmäßigen Beschrei- bung der Diphtherie mitunter abwei- chende Befunde hingewiesen wer- den, die die rechtzeitige Erkennung der Krankheit und deren Unterschei- dung von ätiologisch andersartigen Affektionen, zum Beispiel infektiöse Mononukleose, Streptokokkenangi- na, erschweren können. Das gilt zu- nächst für den Lokalbefund an den Tonsillen, der in einigen in den ver- gangenen Jahren beobachteten Fäl- len eher dem Bild einer Angina lacu- naris ähnelte. Vorhandene Beläge waren entgegen dem üblichen Be- fund relativ leicht abstreifbar, ohne zu bluten. Auch der für Diphtherie typische, aber nicht unbedingt be- weiskräftige fad-süßliche Foetor ex ore kann fehlen.

Halsschmerzen und Schluckbe- schwerden können zu Beginn der Krankheit trotz bereits geröteter und geschwollener Tonsillen noch ge- ringfügig sein. Die Fieberreaktion ist keineswegs charakteristisch. Die pri- mär toxische Diphtherie beginnt meist hochfebril und nur selten mit den angeblich für Diphtherie typi- schen relativ niederen Temperatu- ren. Diese sind bei den übrigen For- men der Diphtherie anfangs wohl et-

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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1 1-5 5-10 10-15 15-20 20-30 30-40 40-50 50-60 60-70 70-80 80-90 >90

1960 1965 27 10 10 1

1961 1317 33 6 7 1 1 1 4

1 1

1 2

1962 1963

1964

1 2 2 4 1

6 1

3 1

5 1

10 9 16 813 662 637

1965 305 6 2 1 1

1966 196 4 1 2

1967 117 4 1 1 1

1968 370 5 3 1 1

1969 153 4 2 1 1

3 2 4 4 9 2 1

1960— 6535 118 34 31 14 1969

1970 62 3 1

1971 42 5 2 1

1972 34 2 1 1

1973 37 1 1

16 2 1

1

13 4 4

1970- 191 1974 1974 1

was häufiger, aber durchaus nicht die Regel. Eine wegen ihrer primären Oligosymptomatologie und ihres meist milden Verlaufs leicht verkann- te, aber hochinfektiöse Form ist die Nasendiphtherie des Säuglings und Kleinkinds; verdächtige Anzeichen sind ein leicht eitrig-sanguinolentes Sekret, Borkenbildung an den Na- seneingängen, mitunter Trink- schwierigkeiten.

Von den mancherlei sonstigen Loka- lisationen ist die bei uns seltene, stärker in tropischen Ländern ver-

breitete Haut- und Wunddiphtherie vielleicht in ihrer epidemiologischen Bedeutung etwas unterschätzt wor- den. Aus dem Ausland eingeschlepp- te Fälle könnten wegen ihrer wenig auffälligen, meist nur bakteriolo- gisch abklärbaren Symptome (torpi- der Verlauf, schmierig belegte Gra- nulationen auf Wundflächen oder ekzematös veränderter Haut) als In- fektionsquellen übersehen werden.

In jedem Verdachtsfall Diphtherieserum Injizieren

Bestätigt wird der klinische Verdacht durch eine bakteriologische Unter-

suchung von der Peripherie der Be- läge unter Vermeidung einer vorheri- gen lokalen Anwendung von Desinfi- zienzien. Leider mißlingt erfah rungs- gemäß der kulturelle Nachweis der Erreger oft gerade bei der gefährli- chen toxischen Diphtherie, so daß ein einmaliges negatives Ergebnis nicht verwertbar ist. Besondere Pro- bleme ergeben sich aus der heute stark verbreiteten Anwendung von Antibiotika bei unklaren Infekten;

ihre Applikation kann einen nach- träglich versuchten Erregernach- weis unmöglich machen (Vgl. hierzu P. Naumann u. Mitarb.). Priorität hat in jedem Fall das klinische Bild. Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, in jedem Verdachtsfall unverzüglich Diphtherieserum in ausreichender Menge (je nach Schwere 250-1000 IE/kg Körpergewicht) zu injizieren, da — abgesehen von seinem häufigen Versagen bei maligner Diphtherie — nur dieses das noch nicht gebunde- ne Toxin zu neutralisieren vermag und Stunden über das Leben des Patienten entscheiden können. Das Abwarten eines bakteriologischen Befundes wäre nicht zu verantwor- ten. Die zusätzliche Anwendung von Penicillin, bei Penicillinallergie Ery- thromycin, vermag nur die Vermeh-

rung der Erreger und damit die wei- tere Produktion von Toxin und des- sen Nachschub zu verhindern.

Übertragungswege

Das natürliche Infektionsspektrum der Diphtherie ist auf den Menschen beschränkt. Der gelegentlich gelun- gene Nachweis von Diphtheriebakte- rien bei Tieren dürfte, wenn über- haupt, nur eine sehr untergeordnete Rolle in der Verbreitung der Krank- heit spielen. Die Übertragung erfolgt in der Regel durch Tröpfchen- oder direkte Kontaktinfektion, wobei Re- konvaleszenten, Keimträger und Dauerausschneider, vielleicht auch Inkubationsausscheider, als Streu- quelle wegen der größeren Kontakt- möglichkeiten weit gefährlicher sind als die der Absonderung unterlie- genden Kranken. An der Außenwelt, zum Beispiel im Staub von Kranken- zimmern und an Gegenständen, kön- nen die gegen Austrocknung ziem- lich resistenten Bakterien bis zu fünf Wochen überleben, so daß auch aerogene Infektionen durch aufge- wirbelten Staub, indirekte Kontaktin- fektionen durch kontaminiertes Spielzeug und andere Vehikel, unter

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Diphtherie

Umständen auch alimentäre Infek- tionen, zum Beispiel durch sekundär infizierte Milch, möglich, wenn auch wahrscheinlich nicht allzu häufig sind. Gegen chemische Desinfek- tionsmittel und Erhitzung sind Diph- theriebakterien dagegen wenig wi- derstandsfähig.

Verdrängt — nicht ausgestorben In früheren Jahrzehnten wurden zur Auffindung von Keimträgern in bak- teriologischen Laboratorien Legio- nen von Abstrichuntersuchungen mit großem Arbeitsaufwand durch- geführt, ohne daß damit in der Ver- hütung weiterer Ausbreitung sehr überzeugende Erfolge erzielt wur- den.

Tröstlich für den in der Seuchenbe- kämpfung verantwortlichen Amts- arzt war aber die Feststellung, daß Diphtheriebakterien bei Ausschei- dern vielfach nach einiger Zeit ihre an der Toxinbildung gemessene Vi- rulenz größtenteils oder völlig verlo- ren. Bereits seit vielen Jahren wer- den in der Bundesrepublik Keimträ- ger kaum noch gefunden, wobei al- lerdings einschränkend hinzugefügt werden muß, daß wegen der Selten- heit der Krankheit auch nur aus- nahmsweise danach gefahndet wird.

Möglicherweise hat die zunehmende Anwendung von Penicillin und ande- ren Antibiotika die gegen diese Sub- stanzen sensiblen Diphtheriebakte- rien weitgehend verdrängt. Obwohl augenblicklich die wichtigste Infek- tionsquelle kaum noch existent zu sein scheint, beweisen die vereinzelt immer wieder aufgetretenen kleine- ren Epidemien wie auch die jetzige Zunahme schwerer Erkrankungen, daß die Diphtherie noch keineswegs ausgestorben ist. Soweit es sich bei solchen Ausbrüchen nicht um schwer nachweisbare Einschlep- pungen aus Ländern mit größerer Diphtheriemorbidität gehandelt hat, müssen andere noch unbekannte Faktoren dafür verantwortlich sein.

Zu denken wäre hier in erster Linie an eine Veränderung in den Eigen- schaften der Erreger, insbesondere ihrer Virulenz.

Gerade in der Erforschung dieser Ei- genschaft sind in den letzten Jahr- zehnten einige erwähnenswerte Fortschritte erzielt worden. Bereits seit 1935 sind bei Diphtheriebakte- rien drei durch kulturelle und bio- chemische Merkmale differenzierba- re Haupttypen — Gravis, Mitis und Intermedius — bekannt, die sich in ihrer unterschiedlich stark ausge- prägten Fähigkeit zur Bildung des bei allen Typen einheitlichen Exoto- xins und der dafür optimalen bezie- hungsweise maximal tolerierten Konzentration von Eisen als Spuren- element unterscheiden. Das Exoto- xin, ein Protein mit dem Molekular- gewicht 64500, ist vor einigen Jahren in kristalliner Form dargestellt wor- den. Anscheinend entfaltet es seine starke Giftwirkung, indem es die Synthese einer oder mehrerer Kom- ponenten des menschlichen Zyto- chromsystems blockiert; möglicher- weise interferiert es mit dem che- misch ähnlich konfigurierten Zyto- chrom b in einer dem kompetitiven Antagonismus zwischen Sulfonami- den und p-Aminobenzoesäure im Folsäurestoffwechsel von Bakterien in etwa vergleichbaren Form.

Typenzugehörigkeit

und Schwere der Erkrankung Zwischen der Typenzugehörigkeit des Erregers und der Schwere der Erkrankung besteht eine lockere Korrelation. Im allgemeinen verur- sacht Typ gravis gefährlichere Infek- tionen als Typ mitis. 1943 betrug die Letalität bei Erkrankungen durch Typ gravis 8,4 Prozent, durch Typ intermedius 7,2 Prozent und durch Typ mitis nur 2,6 Prozent. Diese Un- terschiede gelten allerdings nur für große Untersuchungsreihen. Sie be- sagen nichts in bezug auf die Schwere des Verlaufs im Einzelfall, zumal innerhalb der Typen Stam- mesunterschiede bekannt sind; so ist zum Beispiel der in der ganzen Welt zur Antitoxingewinnung be- nutzte, zum Mitistyp gehörige Stamm Park-Willams VIII ein beson- ders kräftiger Exotoxinproduzent.

Andererseits findet sich beim Mitis- typ der höchste Prozentsatz atoxisch gewordener Stämme. — Ergebnisse

der Typendifferenzierung in Epide- miezeiten lassen darauf schließen, daß der Beginn einer Diphtheriewelle oft mit einer Verdrängung von Mitis- und Intermediusstämmen durch den Gravistyp verbunden war, während umgekehrt bei abflauender Epide- mie der bis dahin vorherrschende Gravistyp durch Stämme des Typs mitis abgelöst wurde. Offen bleibt dabei jedoch die Frage, durch wel- che Faktoren Verbreitung und wech- selseitige Verdrängung der einzel- nen Typen gesteuert werden. Die In- terpretation, daß der Mitistyp besser zu einem kommensalen Verhältnis zum Wirtsorganismus geeignet sei, erklärt das Geschehen allenfalls nur teilweise.

Virulenzänderung durch ß-Phagen

Alle bisherigen Untersuchungen sprechen für eine weitgehende Sta- bilität der Typmerkmale einschließ- lich ihrer Fähigkeit zur Giftbildung.

Um so umwälzender mußte daher die Entdeckung (Freeman 1951) wirken, daß in vitro bei atoxischen Diphthe- riebakterien die Fähigkeit zur Toxin- bildung durch Infektion mit be- stimmten temperierten Bakteriopha- gen (ß-Phagen) induziert werden kann.

Nur lysogene, das heißt das Genom der ß-Phagen als zusätzlichen ver- erbbaren Faktor enthaltende Diph- theriebakterien können Toxin bil- den. Bei Verlust der Lysogenität, zum Beispiel durch mehrfache Pas- sagen in Nährmedien mit spezifi- schem Antiphagenserum, geht auch dieses Vermögen wieder verloren.

So könnten auch die im Blut von Diphtherierekonvaleszenten nach- gewiesenen Phagenantikörper für den oben erwähnten Virulenzverlust der Bakterien bei Keimträgern ver- antwortlich sein. Noch unbekannt ist, inwieweit und wie oft das Phäno- men der Phagenkonversion, das heißt, der Umwandlung atoxischer in toxische Stämme, durch Aufnahme der von lysierten Zellen lysogener Stämme freigesetzten ß-Phagen im epidemiologischen Geschehen eine

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Rolle spielt und ob vielleicht auch Phagen anderer Spezifität zur Kon- version beizutragen vermögen.

Das Exotoxin der Diphtheriebakte- rien ist zwar der wichtigste, aber nach heutigen Vorstellungen wahr- scheinlich nicht der einzige Faktor ihrer Virulenz. Neben dem heute als A-Substanz bezeichneten letalen To- xin kennt man, vor allem beim Gra- vistyp, einen als B-Gruppe bezeich- neten Komplex verschiedener Anti- gene mit zum Teil aggressivem und invasionsförderndem Charakter, de- ren Identifizierung im einzelnen noch nicht abgeschlossen ist. Zur B-Gruppe rechnet man u. a. die frü- her „spreading factor" genannte Hyaiuronidase, das Invasin, eine Neuramidase, den nekrotisierenden und einen Transferrin spaltenden Faktor. Das Vorhandensein solcher Substanzen begünstigt nicht nur die Ausbreitung des Toxins, sondern auch die von vielen Untersuchern nachgewiesene, dem überlieferten Dogma zuwiderlaufende hämatoge- ne Verschleppung von Diphtherie- bakterien in innere Organe. Ver- schiedene Beobachtungen lassen darauf schließen, daß im Falle von Mischinfektionen auch ähnlich wir- kende Enzyme anderer Bakterien (zum Beispiel hämolysierender A-Streptokokken) eine Rolle spielen können (Koch und Roemer). Die heute zur Verfügung stehenden hochgereinigten Antitoxine besitzen keine Schutzwirkung gegen Kompo- nenten der B-Gruppe; das könnte ein, wenn auch wahrscheinlich nicht der einzige Grund für ihr Versagen in den meisten Fällen maligner Diph- therie sein.

Natürliche Resistenz und Immunität

Außer von Veränderungen der Erre- gervirulenz und von verschiedenen sekundären Faktoren (hygienische Verhältnisse, Wohndichte usw.) sind Auftreten und Ausbreitung von Infek- tionskrankheiten innerhalb einer Be- völkerung oder Bevölkerungsgruppe vom Ausmaß ihrer Widerstandsfä- higkeit, das heißt der Summe der unspezifischen und spezifischen Ab-

wehrkräfte der das Kollektiv bilden- den Individuen abhängig. Im Gegen- satz etwa zu Masern, Pocken oder Varizellen ist die Disposition für Diphtherie relativ gering; der Konta- gionsi ndex (Manifestationswahr- scheinlichkeit) schwankt zwischen 10 und 20 Prozent. Welche unspezifi- schen, der natürlichen Resistenz zu- zuordnenden Faktoren bei dieser in- dividuell verschiedenen Anfälligkeit maßgeblich beteiligt sind, ist unbe- kannt.

Durchseuchungsgrad und Impfprophylaxe

Bessere Information besitzen wir über den auf Immunität beruhenden Schutz gegen Diphtherie. Sein Aus- maß ist abhängig vom Grad der Durchseuchung und der Impfpro- phylaxe.

Einblick in die Immunitätsverhältnis- se kann durch zwei Methoden ge- wonnen werden. Die Bestimmung des Blutantitoxinspiegels mit Hilfe der indirekten Hämagglutination und anderer Techniken liefert exak- te Angaben über die zur Zeit der Untersuchung vorhandene Konzen- tration; Immunität gegen Diphtherie wird beim Antitoxingehalt des Se- rums von 0,01 1E/m1 angenommen.

Im Vergleich dazu ist die Schickpro- be ungenauer und weniger zuverläs- sig. Das spiegelt sich nicht nur in Diskrepanzen bei vergleichsweiser Durchführung beider Methoden, sondern auch in der Tatsache, daß gelegentlich auch schicknegative Personen an Diphtherie erkranken können. Bei Massenanwendung ist der Schicktest mit einem Fehler von

± 20 Prozent behaftet.

Trotz dieser notwendigen Ein- schränkungen können die Ergebnis- se zur groben Orientierung über die jeweilige Immunitätslage in einer Be- völkerung dienen; maßgeblich im Einzelfall ist wahrscheinlich auch nicht so sehr der jeweils vorhandene Antitoxinspiegel, sondern vielmehr die Fähigkeit des Organismus, auf einen Toxinreiz hin unverzüglich mit einer ausreichenden Antikörperpro-

duktion zu reagieren. Die Ergebnisse von Schicktestungen bei ungeimpf- ten Kindern und in Gebieten, in denen lange Zeit keine Diphtherie geherrscht und auch keine größere Impfaktion stattgefunden hatte, ge- ben Grund zu der Annahme, daß auch heute noch trotz der Seltenheit der Krankheit eine gewisse, schwer abschätzbare, zu stummer Feiung führende Durchseuchung statt- findet.

Da es schwer vorstellbar ist, daß völ- lig atoxische Diphtheriebakterien eine antitoxische Immunität hervor- rufen können, ergibt sich die Frage, ob nicht manche avirulente, gemein- hin als Krankheitserreger nicht in Er- scheinung tretende Stämme viel- leicht doch winzige, mit den üblichen Methoden nicht erfaßbare Toxin- mengen produzieren, die bei ihrem Träger einen schicknegativen Status herbeizuführen vermögen. Obwohl diese Hypothese schwer beweisbar sein dürfte, erscheint sie doch wahr- scheinlicher als die alternativ zu dis- kutierendespontane Entstehung von Antitoxinen ohne Kontakt mit einem spezifischen Stimulus, etwa im Sinne der „Serogenese-Theorie" nach Hirszfeld.

Keinesfalls sollten Beobachtungen der geschilderten Art zu der gefähr- lichen Schlußfolgerung verleiten, man könne die zur Zeit ungenügen- de aktive Immunisierung weiterhin vernachlässigen. Obwohl bekannt ist, daß auch diese keinen absoluten Schutz gegen Erkrankungen zu ver- leihen vermag, so ist sie doch die einzige Methode, die bei Aufflackern der Seuche den Verlauf zu mildern und die Letalität auf ein Minimum zu reduzieren vermag.

Grad der Durchimpfung ungenügend

Haas kommt bei Auswertung des ihm zur Verfügung stehenden Zahlehma- terials zu dem Schluß, daß in der Bundesrepublik derzeit nur etwa 30-50 Prozent eines Geburtsjahr- gangs durch die Gesundheitsämter geimpft werden und daß selbst bei Einbeziehung einer beträchtlichen

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Flammenphotometer mit Mikro- prozessor-Technik lassen sich einfach bedienen, verfügen über automatische Zündung, direkte Wahl des Meßprogramms und op- tische Warnanzeige bei Fehlbe- dienung Werkfoto

Das neuentwickelte 4-Kanal-Flam- menphotometer mit Mikroprozessor ist zur Bestimmung von Na, K, Ca und Li aus Serum sowie Na, K und Ca aus Urin gedacht. Das Gerät ar- beitet nach dem Quotientenverfah- ren mit Lithium als Leitlinienele- ment. Seine Konstanz erlaubt es, Li- thium direkt (ohne Standard) zu messen.

Die digitale, kommarichtige Anzeige des Meßwertes erfolgt nach Mittel- wertbildung aus 50 Einzelmessun- gen. Durch automatische Meßsi- gnalüberwachung (Flammenwäch- ter) gehen Flammenblitze nicht in die Mittelwertbildung ein. Das Gerät erkennt aus der vorgelegten Ver- dünnung selbständig, welche Ele- mente bestimmt werden sollen. Der störende Na-Einfluß bei der Ca-Be- stimmung wird automatisch korri- giert.

Durch die Mikroprozessor-Technik und entsprechenden Aufbau läßt sich das Gerät einfach bedienen. Es hat nur vier Schalter. Automatische Zündung der Flamme, direkte Wahl des gewünschten Meßprogrammes und optische Warnanzeigen bei Fehlbedienung oder falscher Ver- dünnung erhöhen den Bedienungs- komfort des Gerätes.

Bei Gas- oder Luftausfall setzt eine Zündautomatik ein. Erfolgt inner- halb von 40 Sekunden keine Zün- dung, werden die Magnetventile au- tomatisch geschlossen, so daß kein Brenngas unkontrolliert entweichen kann.

Durch Sichtfenster können Flamme und Zerstäuberkammer jederzeit be- obachtet werden. Konstruktive Ver- besserungen am Brenner haben zu einer gleichmäßigen Intensitätsver- teilung der Flamme geführt. Die Wärmeabstrahlung ins Gerät wird durch vergoldete Glaszylinder ein- geschränkt.

Die Messung nehmen fünf Halblei- ter-Empfänger vor, einer für jedes Element, der fünfte dient als Flam- menwächter. Dadurch können alle 4 Elemente gleichzeitig gemessen werden.

Die verwendeten Halbleiter-Empfän- ger sind in ihrer spektralen Empfind- lichkeit den Meßwellenlängen bes- ser angepaßt und nehmen nicht so- viel Platz ein wie zum Beispiel Mul- tiplier, die einen Hochspannungsteil benötigen. Ha

Hersteller:

Eppendorf Gerätebau Netheler u. Hinz GmbH Postfach 63 03 24 2000 Hamburg 63 Diphtherie

Zahl von Impfungen durch niederge- lassene Ärzte und Kliniken der not- wendige Durchimpfungsgrad der Bevölkerung bei weitem nicht er- reicht wird. Um die Krankheit unter Kontrolle zu halten, müßten minde- stens 70-75 Prozent der Kinder im Vorschulalter geimpft werden.

Der hohe Anteil älterer Jahrgänge an den in den letzten Jahren aufgetrete- nen Erkrankungen und Todesfällen hat verständlicherweise zu der Frage geführt, ob auch bei Erwachsenen und Kindern jenseits des zwölften Lebensjahres eine Schutzimpfung zu empfehlen sei. Wegen der dabei zu erwartenden starken Überemp- findlichkeitsreaktionen ist eine solche Maßnahme jedoch nur in Ein- zelfällen mit erhöhtem Infektionsrisi- ko und unter sorgfältiger Beachtung bestimmter Kautelen indiziert (Ver- gleiche hierzu Roemer, DMW 1976).

Literatur

Freemann, V. J.: Studies an the virulence of bacteriophage-infected strains of Corynebac- terium diphtheriae; J. Bact. 61 (1951) 675 — Haas, R.: Impfungen und Impfpolitik; B. Ge- sundh. BI. 19 (1976) 265 — Koch, 0., Roemer, G.

B.: Über die Bedeutung hämolysierender Strep- tokokken für die Pathogenese der Diphtherie, Klin. Wschr. 30 (1952) 654 — Munford, R. S., Ory, H. W., Brooks, F. G., Felduran, R. A.: Diph- therie deaths in the United Stetes, 1959-1970. J.

amer. med. Ass. 220 (1974) 1890 —Naumann, P., Tomaschoff, E., Rosin, H., Hagedorn, H. J., Sternschulte, W.: Diphtherie-Erkrankungen mit toxischem Verlauf in Düsseldorf. Dtsch. Ärztebl.

72 (1975) 3409

Anschrift des Verfassers:

Professor

Dr. Dr. Gerd B. Roemer Institut für

Medizinische Mikrobiologie und Immunologie

der Universität Martinistraße 52 2000 Hamburg 20

TECHNIK IN DER MEDIZIN

Flammenphotometer mit Mikroprozessor

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