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Archiv "Operative Behandlungsmöglichkeiten des Halswirbeltraumas" (13.07.1998)

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Academic year: 2022

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ur Behandlung von Verlet- zungen des Rückenmarks und der Wirbelsäule ist die enge Zusammenarbeit der operati- ven Fächer Neurochirurgie, Unfall- chirurgie und Orthopädie notwendig, um das Rückenmark zu dekompri- mieren und die Wirbelsäule zu stabili- sieren.

Diagnostik

Röntgenaufnahmen in zwei Ebe- nen müssen nicht nur nach Frakturen abgesucht werden, sondern auch nach den indirekten Zeichen einer liga- mentären Verletzung: Im seitlichen Röntgenbild (Abbildungen 4a und 6a) muß die gedachte Verbindungs- linie sowohl der Vorder- als auch der Rückflächen aller Wirbelkörper har- monisch verlaufen. Ebenso darf es dorsal keinen Sprung in der spino- laminären Linie (Übergänge zwi- schen Wirbelbögen und Dornfortsät- zen) geben. Im ap-Bild wird die Aus- richtung der Dornfortsätze insbeson- dere im Bereich des zervikothoraka-

len Übergangs beurteilt. Röntgenauf- nahmen ohne pathologischen Befund schließen eine disko-ligamentäre Ver- letzung nicht aus, daher müssen seitli- che Funktionsaufnahmen angefertigt werden. Bei bewußtlosen Patienten und dem Verdacht auf eine Instabi- lität muß ein Arzt diese Untersu- chung manuell geführt vornehmen.

Beim wachen Patienten maskieren Muskelverspannungen die Instabi- lität, daher sollten diese Aufnahmen gegebenenfalls ein bis zwei Wochen nach dem Unfall wiederholt werden.

Bei neurologischen Ausfällen (siehe Beitrag Jörg und Menger [12]) oder bei pathologischem Röntgenbefund muß der Wirbelkanal mit der Compu- tertomographie (CT) näher unter- sucht werden (Abbildungen 4b und c). Zur Notfalldiagnostik ist die Ma- gnetresonanz-Untersuchung (MRT) bei traumatisierten Patienten auf-

wendig und nicht überall rund um die Uhr verfügbar. Veränderungen im Rückenmark (Hämatomyelie) lassen sich aber nur durch diese Untersu- chung nachweisen.

Dekompression

Die Ansichten über den Zeit- punkt der Dekompression sind in der Literatur uneinheitlich. In einer randomisierten prospektiven Studie konnten Vaccaro et al. (18) keine besseren Behandlungsergebnisse durch eine frühe Dekompression in- nerhalb der ersten 72 Stunden errei- chen. Möglicherweise läßt sich der neurologische Befund wie bei der Ödembehandlung nur durch einen Behandlungsbeginn innerhalb der ersten acht Stunden nach dem Unfall günstig beeinflussen (3). Diese Aus- sage ist aber nicht wissenschaftlich belegbar und rechtfertigt daher keine übereilten Entscheidungen zur Ope- ration. Im Vordergrund haben die Vermeidung von Sekundärschäden durch Immobilisation und eine subti-

Operative

Behandlungsmöglichkeiten des Halswirbeltraumas

Andreas Weidner

Stichwörter: Halswirbelsäule, Rückenmark, Verletzungen, Dekompression, Stabilisierung

Bei Verletzungen der Halswirbelsäule muß die Röntgenauf- nahme nach Zeichen einer Instabilität analysiert werden.

Knöcherne Verletzungen sind leichter zu erkennen als die Verletzungen von Bandscheibe, Bändern und Gelenkkap- seln, die nur indirekt nachweisbar sind, aber für die Stabilität der Wirbelsäule eine große Bedeutung haben. Die instabile Wirbelsäule verliert ihre Schutzfunktion für das Rücken- mark. Um sekundäre Schäden für das Nervensystem zu ver-

meiden, muß die Halswirbelsäule im- mobilisiert und eine Luxation repo-

niert werden. Die Klassifikation der Halswirbelsäulenverlet- zung nach dem Ergebnis der bildgebenden Diagnostik und dem Unfallmechanismus ist zur Beurteilung der Stabilität hilfreich. Die Indikation zur Operation besteht bei einer Kompression des Nervensystems. Für die instabilen Verlet- zungen wird die Indikation zur Stabilisierung angegeben.

Die ventralen und dorsalen Operationsverfahren werden für die obere und untere Halswirbelsäule dargestellt.

ZUSAMMENFASSUNG

Key words: Cervical spine injury, spinal cord injury, spinal fracture, decompression surgical, internal fixation X-rays of cervical spine injuries must be examined very care- fully for instability. Injuries to the bony elements are easier to detect than injuries affecting the ligaments, discs, and joint capsules, though these structures are often more important with regard to spinal stability. The unstable cervical spine is no longer able to protect the spinal cord and nerve roots against mechanical stresses. Immobilization of the cervical

spine after trauma as well as reposition of dislo- cations or luxations are important to avoid further

damage to neural tissue. The classification of cervical spine trauma is based on both the radiographic findings and the mechanisms of trauma and gives information about cervical spine stability. The indication for surgery is spinal cord com- pression. Indications and techniques for ventral and dorsal osteosynthesis are described separately for the upper and lower cervical spine.

SUMMARY

Z

Abteilung für Wirbelsäulenchirurgie des St.-Elisabeth-Hospitals (Leitende Ärzte: Prof.

Dr. med. Andreas Weidner, Dr. med. Hans- Werner Schumacher, Dr. med. Mario Wähler und S. T. Chin), Ibbenbüren

(2)

le Diagnostik zu stehen. Der operati- ve Zugang richtet sich nach dem Ort der Kompression: Bandscheibenge- webe oder Knochenfragmente, die von ventral auf das Rückenmark drücken, werden von ventral ent- fernt; Gelenk- oder Bogenfrakturen werden dagegen von dorsal reponiert

und stabilisiert. Bei Schußverletzun- gen ist es nicht bewiesen, daß durch das Entfernen von Detritus oder durch den Duraverschluß das Infek- tionsrisiko gemindert wird (11). Die Spaltung des geschwollenen Rücken- marks, die Entlastung eines intrame- dullären Hämatoms oder auch nur die Laminektomie mit einer Dura- plastik haben keinen Erfolg gebracht (6).

Ein Einfluß auf das Ödem ist nur durch die Gabe von Methylpredniso- lon nachgewiesen. Allerdings muß die Behandlung so früh wie möglich beginnen (am besten sofort am Un- fallort): Innerhalb von 15 Minuten werden 30 Milligram Methylpredni- solon pro Kilogramm Körpergewicht

als Bolus gegeben. Kann die Bolus- Injektion innerhalb der ersten drei Stunden nach dem Unfall erfolgen, sind 24 Stunden Dauerinfusion mit 5,4 Milligramm Methylprednisolon pro Kilogramm Körpergewicht aus- reichend. Bei der Gabe zwischen der dritten und achten Stunde nach dem

Unfall sind Infusionen über 48 Stun- den notwendig. Ein späterer Behand- lungsbeginn mit Methylprednisolon bessert die neurologischen Störun- gen nicht mehr (4).

Stabilisation

Eine Wirbelsäule ist nur dann stabil, wenn sich bei aufrechter Kör- perhaltung keine Kyphose ent- wickeln kann. Die Wirbelkörper müssen – ohne sich zu verformen – Widerstand gegen eine axiale Bela-

stung leisten können, und dorsal muß der Bandapparat intakt sein, um einer Zugbeanspruchung zu wi- derstehen. Verletzungen des Kno- chens haben eine bessere Chance, stabil auszuheilen, als die der Bänder.

In den knöchernen Bruchspalt kön- nen Gefäße einsprossen, über wel-

che knochenbildende Zellen in den Spalt gelangen und ihn durchbauen.

Voraussetzung ist, daß die einspros- senden Gefäße nicht durch Bewe- gung der Bruchflächen gegeneinan- der zerstört werden.

Aus diesem Grund muß durch äußere oder innere Ruhigstellung die Frakturheilung unterstützt wer- den. Verletzungen der Bänder und Gelenkkapseln heilen dagegen meist nur narbig und somit weniger wider- standsfähig aus. Die operative Sta- bilisation der Wirbelsäule erleich- tert bei Querschnittsverletzten die Abbildung 1: Halo-Weste zur Immobilisation bei ei-

nem 18jährigen Patienten mit einer Fraktur des zweiten Halswirbels. Die Behandlung in der Halo-We- ste erfolgte ambulant, die Schrauben wurden zwei- mal wöchentlich nachgezogen.

Abbildung 2: a: Dens-Fraktur (Typ II nach Anderson). b: Ventrale Schraubenosteosynthese. Die kanulierte Schraube wurde über einen Kirschner-Draht eingedreht.

Abbildung 3: Pseudarthrose nach Densfraktur. Verschraubung der Gelenke von erstem mit zweitem Halswirbel von dorsal. Zur Verstärkung ist ein Knochenblock zwischen Atlasbogen und Dornfortsatz des zweiten Halswir- bels eingefalzt und mit einem Titan-Kabel gesichert. b: Die Schrauben blockieren insbesondere die Rotation zwischen dem ersten und zweiten Halswirbel.

a

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b

b

(3)

Pflege und Rehabilitation. Bei Pati- enten, die mobilisiert werden kön- nen, entfällt die für den Patienten lästige äußere Fixation der Halswir- belsäule.

Jede instabile Verletzung läßt sich durch eine MRT-kompatible Halo-Weste (Abbildung 1)ruhigstel-

len, und damit sind Sekundärschäden zu vermeiden. Die Technik ist ein- fach und sollte von jedem beherrscht werden, der Verletzungen der Hals- wirbelsäule behandelt: Fronto-late- ral 1 cm oberhalb der Augenbrauen sowie temporal 1 cm hinter dem äußeren Gehörgang und etwa 1 cm oberhalb der Ohrmuschel wird ein Ring mit vier Schrauben am Schädel fixiert. Ein Drehmoment-Schrauben- dreher verhindert, daß die Schrau- benspitze die tabula interna des Schädels perforiert. Entweder wird über einen Bügel die Halswirbelsäule extendiert oder Stäbe verbinden den Ring mit einer Kunststoff-Weste. Die weitere Behandlung kann ambulant

überwacht werden. Komplikationen sind selten: Schraubenlockerungen und Entzündungen der Eintrittsstelle zwingen zu einem Versetzen der Schrauben. Intrakranielle Abszesse oder Hämatome sind beschrieben.

Kontraindikation ist eine Schädel- fraktur.

Wegen der unterschiedlichen funktionellen Bedeutung werden die Operationsindikationen für die obere und die untere Halswirbelsäule ge- trennt dargestellt (2, 8, 10, 15, 16).

Obere Halswirbelsäule

Die ersten drei Halswirbel bilden eine funktionelle Einheit und haben große Bedeutung für die Kopfbewe- gungen. Wegen der relativen Weite des Wirbelkanals sind Verletzungen des Rückenmarks und somit neuro- logische Ausfälle nicht so häufig wie an der mittleren/unteren Halswirbel- säule.

Frakturen des ersten Halswirbels

Der Nachweis der Frakturlinien gelingt am besten durch die CT- Untersuchung. Die Stabilität wird durch die antero-posteriore Zielauf- nahme des kranio-spinalen Über- gangs überprüft: Wenn die Summe der Abstände zwischen dem Dens und der jeweils inneren Be- grenzung der Massa late- ralis mehr als sieben Milli- meter beträgt, ist die Fraktur instabil. Stabile Atlasfrakturen werden mit einer festen Zervikal- stütze für sechs bis acht Wochen behandelt. Insta- bile Frakturen benötigen eine rigidere Immobilisa- tion durch eine Halo- Weste für 10 bis 14 Wo- chen. Eine Operationsin- dikation besteht bei die- sen Verletzungen nur in Ausnahmefällen.

Frakturen des zweiten Halswirbels Die am meisten ver- breitete Einteilung der Dens-Frakturen ist die von Anderson (1). Beim Typ I verläuft die Bruchli- nie schräg durch den obe- ren Teil des Dens. Bei dem Typ II trennt der Bruchspalt den Dens von dem Wirbelkörper. Beim Typ III strahlt die Bruchlinie von dem unteren Drittel des Dens in den Kör- per des zweiten Halswirbels ein.

Dens-Frakturen Typ I sind mit ei- ner Zervikalstütze für ein bis zwei Wochen ausreichend versorgt. Dens- Frakturen Typ II sind instabil. Die Be- handlung richtet sich nach der Ver- schiebung der Fragmente. Bei einem Abstand der Fragmente von unter sechs Millimetern ist eine Halo-Weste für zwölf Wochen angezeigt. Läßt sich der Abstand nicht verringern, ist die ventrale Dens-Verschraubung die Methode der Wahl. Bei Patienten über 60 Jahre sollte die Verschrau- bung bevorzugt werden, da das Pseud- arthrose-Risiko bei der konservativen Abbildung 4: a: Röntgenbild eines 28jährigen Patienten nach

Badeunfall: Fraktur des zweiten und dritten Halswirbels sowie Gelenkfrakturen mit Subluxation von viertem gegenüber fünf- tem Halswirbel. b: CT: Fraktur beider Pedikel des zweiten Hals- wirbels. c: CT: Gelenkfrakturen und Luxation von dem viertem gegenüber dem fünften Halswirbel.

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b

c

(4)

Therapie etwa dreimal so hoch ist.

Dens-Frakturen Typ III heilen mit ge- ringer Pseudarthroserate aus und müssen selten operiert werden. Die Halo-Weste sollte 10 bis 12 Wochen getragen werden (9).

Bei Pseudarthrosen nach konser- vativer Therapie oder bei übersehe- ner Dens-Fraktur ist die ventrale Ver- schraubung nicht sinnvoll, da die knöcherne Durchbauung nicht ge- währleistet ist. Diese Verletzungen müssen von dorsal stabilisiert werden (transartikuläre Verschraubung des ersten mit dem zweiten Halswirbel).

Frakturen der pars interarticula- ris und der Bogenwurzel (Abbildung 4a) des zweiten Halswirbels ohne größere Verschiebung der Fragmente werden konservativ mit einer Halo- Weste für 10 bis 12 Wochen versorgt.

Als Alternative steht die dorsale Ver- schraubung durch den Bruchspalt zur Verfügung. Bei zusätzlicher Verlet- zung der Bandscheibe zwischen zwei- tem und drittem Halswirbel oder der Gelenkkapseln ist die ventrale Plat- tenosteosynthese die Methode der Wahl (9).

Verletzungen der kranio- spinalen Bandverbindung Durch verbesserte Bergungs- und Transportmöglichkeiten überle- ben immer mehr Patienten diese Ver- letzung. Besonders betroffen sind Kinder: Bei Beschleunigungsverlet- zungen kann der noch nicht voll ent- wickelte Bandapparat des Kindes den relativ großen Kopf nicht halten. Eine Halo-Extension muß röntgenologisch kontrolliert werden, um eine zu starke Distraktion zu vermeiden. Wenn die Verletzten die ersten 48 Stunden überleben, bleiben bei einem Viertel der Patienten keine und bei einem weiteren Viertel nur geringe neurolo- gische Ausfälle zurück (17). Nach Sta- bilisierung der vitalen Funktionen ist die Versteifung des Hinterhauptes mit der Halswirbelsäule angezeigt.

Operationsverfahren an der oberen Halswirbelsäule

Bei einer ventralen Dens-Ver- schraubung wird nach querer Hautin- zision in Höhe des fünften Halswir- bels unter Durchleuchtung in beiden

Ebenen eine 4,5-Millimeter-Schraube von der vorderen Basis des zweiten Halswirbels in den Dens durch den Bruchspalt gedreht (Abbildung 2). Ei- ne weitere Schraube verbessert die Stabilität nicht (14). Der Vorteil die- ses Verfahrens ist, daß die Beweglich- keit zwischen dem ersten und zwei- ten Halswirbel erhalten bleibt. Kon- traindikationen sind Frakturen, die von kranio-dorsal nach kaudal-ven-

tral verlaufen, da bei Kompression der Fragmente durch die Schraube ei- ne Verschiebung auftreten würde.

Bei einer dorsalen Verschrau- bung der Gelenke des ersten und zweiten Halswirbels (Abbildung 3) wird beidseits vom Unterrand des kaudalen Gelenkfortsatzes des zwei- ten Halswirbels nach Reposition ein sagittaler Schraubenkanal gebohrt.

Zusätzlich wird ein Knochenblock aus dem Becken zwischen Atlasbogen und Dornfortsatz des zweiten Hals- wirbels eingefalzt und mit einem Titan-Kabel gesichert. Schrauben- lockerung oder -brüche mit Pseud- arthrosen treten in etwa zehn Prozent auf. Ein Nachteil ist, daß die Rotation des Kopfes eingeschränkt wird. Kon- traindikation ist ein abnormer Verlauf der A. vertebralis.

Bei verschobenen Frakturen in der pars interarticularis und der Bo- genwurzel ist die direkte Verschrau- bung von Frakturen des zweiten Hals-

wirbels als Verfahren anwendbar (Ab- bildung 5). Von dorsal wird in der Mit- te des kaudalen Gelenkfortsatzes des zweiten Halswirbels eine Schraube 20 Grad medial konvergierend durch den Bruchspalt gedreht. Sowohl die dorsale transartikuläre Verschrau- bung als auch die direkte Verschrau- bung des Bruchspalts sind durch die computerassistierten Navigationsver- fahren sicherer geworden. Durch die

exakte Operationsplanung und die in- traoperative Navigation läßt sich das Risiko einer Fehllage der Schraube deutlich vermindern.

Die dorsale Versteifung von Hin- terhaupt mit oberer Halswirbelsäule schränkt die Beweglichkeit des Kop- fes sehr ein. Hinterhaupt und obere Halswirbelsäule werden durch Plat- ten oder ein Platten-Stab-System sta- bilisiert, das an dem Hinterhaupt und an den Gelenkfortsätzen der Halswir- belsäule mit Schrauben fixiert wird.

Auch Stäbe, die mit dem Hinterhaupt und den Halswirbelbögen verdrahtet werden, stabilisieren den kranio- spinalen Übergang.

Mittlere und untere Halswirbelsäule

Frische Luxationen sollten sofort extendiert und reponiert werden, da- zu muß eine Halo-Extension mit fünf Tabelle 1

Klassifikation von Verletzungen der Halswirbelsäule*)

Typ Gruppe

Typ A A1 Impaktionsbrüche

Verletzung durch Kompression A2 Spaltbrüche

der Wirbelkörper A3 Berstungsbrüche

Typ B B1 Verletzung der Gelenke

Verletzung durch Distraktion B2 Verletzung der Wirbelbögen und der der vorderen und/oder dorsalen Bänder

hinteren Wirbelsäule (Flexion-Distraktion)

B 3 Ventrale Zerreißung durch die Bandscheibe

(Hyperextension-Distraktion)

Typ C C1 Typ A mit Rotationsverletzung

Verletzung durch Rotation C2 Typ B mit Rotationsverletzung der vorderen und der hinteren C3 Rotations-/Scherbrüche Wirbelsäule

*)in Anlehnung an Magerl et al. (1994) und Müller und Muhr (1997)

(5)

Kilogramm Zug angelegt werden. Der Zug wird bis zu maximal einem Drit- tel des Körpergewichtes gesteigert.

Eine zusätzliche Kompression des Rückenmarks durch Bandscheiben- gewebe von ventral sollte vorher durch eine CT- oder MRT-Untersu- chung ausgeschlossen sein (7). Luxa- tionen ab zweiter Woche nach dem Unfall können nur operativ reponiert werden (19). Jede instabile Fraktur

läßt sich durch einen Halo ruhigstel- len, bis optimale Operationsbedin- gungen geschaffen sind. Der „drohen- de Querschnitt“ ist wissenschaftlich nicht definiert und rechtfertigt allein keine Operation.

Magerl et al. (13) haben eine Klassifikation für Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule erar- beitet, die von Müller und Muhr (15) auf die Halswirbel übertragen wurde und in Tabelle 1 zusammengestellt ist.

Grundsätzlich wird unterschieden, ob die Verletzung den vorderen Anteil der Wirbelsäule (Wirbelkörper und Bandscheibe) oder den hinteren Be- reich der Wirbelsäule (Gelenke und Bandapparate) betrifft und ob der Unfall durch Kompression (Typ A), Distraktion (Typ B) oder Rotation (Typ C) entstanden ist.

Typ A entsteht durch axiale Kompression mit und ohne Flexion und verletzt vorwiegend den Wirbel- körper. Die Höhe des Wirbelkörpers ist reduziert, das hintere Längsband intakt. Eine Versetzung des Wirbel- körpers in der sagittalen Ebene be- steht nicht. Impaktions-, Spalt- und Berstungsbrüche bilden je eine eigene Gruppe (A 1, A 2 und A 3). Durch ei- ne Halo-Extension läßt sich die Fehl-

stellung (Kyphose) korrigieren. Acht bis zwölf Wochen muß eine Halo- Weste getragen werden. Ein Korrek- turverlust tritt aber in 10 bis 15 Pro- zent auf, so daß bei Berstungsbrüchen (A 3) eine interkorporelle Platten- osteosynthese zu erwägen ist.

Für Typ B ist charakteristisch die tranversale Zerreißung durch Dis- traktion entweder der hinteren oder zusätzlich auch der vorderen Säule.

Bei Typ-B-Verletzungen besteht die Gefahr einer Dislokation in der sagit- talen Ebene mit Schädigung des Rückenmarks und/oder der Spinal- nerven. Diese Verletzungen werden in der Regel operativ versorgt. Bei ventraler Kompression des Rücken- marks ist ein ventraler Zugang zu wählen, während bei Kompression der Spinalnerven durch Gelenkfrak-

turen oder Luxationen die dorsale Entlastung und Stabilisation ange- zeigt ist.

Bei Typ-C-Verletzungen sind die vordere und die hintere Säule durch eine Rotationsbewegung verletzt.

Zusätzliche Verletzungen der Wir- belkörper werden zu der Gruppe C 1 zusammengefaßt, Verletzungen nach Typ B werden bei zusätzlichem Rota- tionstrauma als Gruppe C 2 klassifi- ziert. Als Sondergruppe wer- den Rotations/Scherbrüche (C 3) angesehen. Die Verletzun- gen nach Typ C werden wie die Typ-B-Verletzungen operativ versorgt, häufig ist sowohl eine ventrale als auch dorsale Stabi- lisierung notwendig.

Operationsverfahren der mittleren/unteren Halswirbelsäule

Der Zugang zur Wirbelsäu- le erfolgt bei einer ventralen in- terkorporellen Osteosynthese zwischen Halsschlagader und Speiseröhre (Abbildung 6). Die Bandscheibe wird mit Faßzan- gen ausgeräumt. Knochenfrag- mente und Bandscheibengewe- be werden aus dem Wirbelkanal entfernt. Ein Operationsmikro- skop ist in dieser Phase hilfreich.

Die Stabilisierung erfolgt in Lor- dosestellung. Ein Beckenkamm- span wird als Bandscheiben- und Wirbelkörperersatz unter geringer Distraktion eingefügt. Eine Titan-Platte sichert die Lage des Kno- chenspans. Sie wird mit je zwei Schrauben rotationsstabil an die Wir- belkörper fixiert. Diese Technik wur- de insbesondere von Caspar (5) zu ei- nem Standardverfahren in der Wirbel- säulenchirurgie entwickelt. Komplika- tionen sind Pseudarthrosen. Verlet- zungen der Speiseröhre oder des N.

laryngeus recurrens sind bei übersicht- licher Präparation sehr selten. Kontra- indikation ist eine ausgeprägte Osteo- porose. In diesem Fall muß auf eine dorsale Technik ausgewichen oder diese zusätzlich angewandt werden.

Die paraspinale Muskulatur wird bei einer dorsalen Osteosynthese bis zur lateralen Begrenzung der Gelen- ke abpräpariert (Abbildung 5). Nach der Reposition und/oder Dekompres- Abbildung 5: a: Seitliches Röntgenbild nach offener Reposi-

tion der Luxation (siehe Abbildung 4) durch dorsale Platten- osteosynthese von dem zweiten bis zu dem fünften Hals- wirbel. b: Dorsale Plattenosteosynthese von dem zweiten zu dem fünften Halswirbel. Die Schrauben konvergieren im zweiten Halswirbel nach medial, in die Gelenke des dritten bis fünften Halswirbels müssen sie nach lateral divergie- rend eingebracht werden.

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b

(6)

sion der Spinalnerven werden Platten auf beiden Seiten über die Gelenke gelegt und mit Schrauben fixiert. Der Winkel der Schraubenachse zur Ge- lenkaußenfläche beträgt 30° nach la-

teral und 20° nach kranial. Bei dieser Bohrerrichtung ist eine Verletzung von Spinalnerven oder A. vertebralis nicht zu befürchten, zumal man einen Bohrer mit einer Tiefenbegrenzung (14 bis 16 mm) verwenden sollte.

Behandlung nach Osteosynthesen

Röntgenaufnahmen werden un- mittelbar postoperativ, nach sechs Ta- gen, nach sechs Wochen und nach sechs Monaten angefertigt. Bei einer ventralen Platten- oder Schrauben- lockerung muß das Implantat ent- fernt werden. Dorsale Schrauben-

lockerungen müssen dagegen nicht unbedingt revidiert werden.

Eine isometrische Krankengym- nastik zur Stärkung der Halsmuskula- tur sollte ab zweiter Woche mit ange-

legter Zervikalstütze erfolgen. Eine Zervikalstütze wird für sechs bis acht Wochen getragen und für die Körper- pflege abgenommen. Die Abschulung der Zervikalstütze kann schrittweise erfolgen. Nach vier Wochen wird die Zervikalstütze vormittags und nach- mittags für eine Stunde entfernt, und dieser Zeitraum wird dann wöchent- lich um eine Stunde gesteigert.

Behandlung von Spätfolgen

Höhlen im Rückenmark (Syrinx) können nach Verletzungen durch Un- tergang von Nervengewebe entstehen

und in seltenen Fällen raumfordernd wirken. Bei sekundärer Verschlechte- rung ist daher eine Operation in Er- wägung zu ziehen. Eine Drainage der Syrinx allein ist nicht ausreichend. Mi- krochirurgisch müssen intra- durale Narben gelöst werden, um die Zirkulation im Li- quorraum wiederherzustel- len. Eine Duraplastik ist in Höhe der Verletzung notwen- dig.

Bei übersehenen liga- mentären Verletzungen oder bei fehlerhafter Stabilisie- rung entwickelt sich eine Ky- phose und später eine Myelo- pathie.

Eine Dekompression und Achsenkorrektur ist dann not- wendig. Der Kyphosescheitel muß durch eine Spondyl- ektomie (Wirbelkörperentfer- nung) beseitigt werden. Eine interkorporelle Plattenosteo- synthese stabilisiert die Wir- belsäule.

Rehabilitation

Operationen stellen ei- nen wichtigen Behandlungs- schritt dar. Die sich unmittel- bar an die Operation an- schließende neurologische Frührehabilitation ist aber der unverzichtbare Schritt für die Genesung und leider zu- meist der Engpaß in der Be- handlungskette, da wertvolle Zeit für die Rehabilitation bei der Suche nach einem geeigneten Be- handlungsplatz vergeht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1998; 95: A-1785–1790 [Heft 28-29]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med.

Andreas Weidner

Lengericher Landstraße 19b 49078 Osnabrück

Abbildung 6: a: Luxationsfraktur vierter und fünfter Halswirbel, zusätzlich ventrale Rückenmarkskompression durch Bandschei- bengewebe. b: Befund nach Dekompression des Rückenmarks von ventral. Ersatz der Bandscheibe durch einen Beckenkamm- span. Eine Titanplatte nach Caspar (5) stabilisiert das Bewe- gungssegment. c: Lage der Titan-Platte in der antero-posterioren Projektion.

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b

c

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