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Archiv "Zentral wirksame Analgetika: Mißbrauch als Orogen-Ersatzmittel" (05.09.1984)

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Zentral wirksame Analgetika:

Mißbrauch als Orogen-Ersatzmittel

Wolfram Keup

Nach der Unterstellung von Pentazocin (Fortral®) und Buprenor- phin (Temgesic®) unter die Betäubungsmittel-Verschreibungs- verordnung ist zu erwarten, daß die Abhängigen intensiv nach Er- satzstoffen suchen und dazu auch Ärzte ansprechen werden, mit unkontrollierbaren Schmerzzuständen oder der Bitte um "Über- brückungshilfe". Die Verschreibung der verbleibenden zentralen Analgetika (Tramadol, Nefopam, Dextropropoxyphen, Tilidin plus Naloxon, Codein, Dihydrocodein) ist bei Suchtkranken nur in ganz seltenen Fällen zu rechtfertigen. Die Ärzteschaft wird aufge- rufen zu helfen, diese Substanzen durch größte Vorsicht der ein- fachen Verschreibung zu erhalten.

O

piatabhängige sind im Prinzip vorsichtig und kon- servativ, weil sie einerseits, als Teil ihrer Abhängigkeit, psy- chisch an die Wirkung der Opiate gebunden sind, andererseits aber auch, weil Abstinenzsymptome sie stets erneut zum Suchtstoff zurücktreiben. Sie werden versu-

chen, im Rahmen einer "low-dose

dependence" einen möglichst niedrigen Suchtstattspiegel zu halten oder doch eine weitere Do- sissteigerung zu vermeiden ("steady-state dependence"). ln den meisten Fällen jedoch schwächt eine sich entwickelnde Toleranz die Wirkung ab, und die Dosis muß gesteigert werden. Hö- here Dosen aber bedeuten er- schwerte Beschaffung, Stehlen, Fälschen, Prostitution usw., dane- ben aber auch erhöhte toxische Gefahren, besonders in der Dro- genszene, in der die Konzentra- tionsunterschiede des Straßenhe- roins die Regel sind und eine Art Russian Rau Iette darste IIen. Es gibt aber viele Gründe, die in der Drogenszene zur Suche nach Heroin-Ersatzsubstanzen führen können:

..,.. Um den oben beschriebenen steigenden Schwierigkeiten der Opiat-Beschaffung im Zyklus Do- sissteigerung-Toleranz-Dosisstei- gerung zu entgehen, werden bei periodischen Dosissenkungen Er- satzstoffe zur Deckung von Ent- zugssymptomen eingesetzt.

..,.. Neben dem periodischen Selbstentzug zum Zweck ·der Do- sissenkung unternehmen fast alle Opiatabhängigen gelegentlich den Versuch, aus der· Abhängig- keit auszubrechen, "clean" zu werden. Dies kann zu ernsteren Abstinenzerscheinungen führen, die zu bewältigen ohne ärztlichen Rat versucht wird.

..,.. Vor dem Eintritt in ein Kranken- haus zur körperlichen Entgiftung versuchen viele Opiatabhängige sich "herunterzudosieren", um die erwarteten, aber gefürchteten Entzugssymptome zu lindern, in- dem die Opiat-Tagesdosis inner- halb von einigen Tagen schritt- weise reduziert wird.

Die auftretenden Entzugssympto- me werden mit Ersatzstoffen zu bekämpfen versucht.

ÜBERSICHTSAUFSATZ

..,.. Vor ihrer Einweisung in eine stationäre Behandlung versuchen Opiatabhängige in der Regel, von der unsterilen Injektion des Stra- ßenheroins auf sterile Medika- mente umzuschalten und erwar- ten hierzu im Sinne der "Über- brückungshilfe" die Hilfe des Arz- tes durch Verschreibung selbstin- jizierbarer Opiate.

Der Arzt darf aber in solchen Fäl- len nicht Handlanger der Sucht sein. Für Überbrückungshilfe gibt es nur ganz selten eine ärztliche Indikation.

..,.. Bewährungsauflagen nach be- dingter Bestrafung oder Gefäng- nisentlassung sind nicht selten das Motiv dafür, statt illegaler Dro- gen legale Medikamente einzu- nehmen, die, wenn sie noch dazu ärztlich verordnet sind, als Thera- pie getarnt die Erhaltung der Sucht ermöglichen .

..,.. Bei körperlichen Krankheiten, nach Unfällen usw. mag es dem Süchtigen unmöglich sein, zur Stoffbeschaffung das Haus zu ver- lassen.

..,.. Eine "Versorgungslücke" kann durch Stoffmangel in der Szene, etwa durch Verknappung des An- gebotes, bedingt sein. Hier ist ei- ne effiziente Drogenfahndung zu- weilen Anstoß zu neuen Miß- brauchsformen.

..,.. Geldmangel beim Abhängigen, bzw. Versagen der üblichen Geld- quellen ist eine weitere Ursache. ..,.. Selten einmal werden andere Suchtstoffe, aber zuweilen auch Stoffe, die selbst kein Suchtpo- tential besitzen, wie Phenothia- zin-Derivate, zur Potenzierung der Heroinwirkung und damit zur Ver- minderung des Konsums einge- setzt.

Analoge Verhältnisse herrschen bei Opiatabhängigen der Medika- mentenmißbrauchs-Gruppe und bei Konsumenten anderer Sucht- stoffe, wie Barbiturate, amphet- aminartige Medikamente usw. I>

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 36 vom 5. September 1984 (57) 2561

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Orogen-Ersatzmittel

Ausweich- und Ersatzmittel zur Neutralisation

der Abstinenzsymptomatik Es hat sich eingebürgert, von

"Ausweichmitteln" dann zu spre-

chen, wenn diese Substanzen die

Entzugssymptome und die Wir- kungen des eigentlichen Sucht- stoffes, hier der Opiate, nicht voll ersetzen können, obwohl sie eini- ge Linderung bringen. Hierzu ge- hören die Barbiturate und andere Sedativa/Hypnotika, selbst schwä- chere, wie die meisten Antihist- aminika, aber auch die Tranquili- zer/Anxiolytika der Benzodiaze- pin-Reihe und der Alkohol. Wan- delt sich die Situation und steht das Opiat wieder zur Verfügung, so wird ein Ausweichmittel in der Regel sogleich wieder verlassen.

Ein "Ersatzmittel" bietet dem Ab- hängigen vollen oder nahezu vol- len Ersatz für das eigentliche SuchtmitteL Hat es diesem ge- genüber Vorteile, wie Sterilität, stabile Dosierungsmöglichkeiten usw., so mag nach dem "Probie-

ren" ein Übergehen zu diesem

Mittel erfolgen. Solche Substan- zen zeigen in der Regel Kreuzto- leranz zu Opiaten und sind oft selbst Opiate und Opioide.

Substanzen, die als Ausweichmit- tel und unter höheren Anforde- rungen als Ersatzstoffe in Frage kommen, müssen für den Abhän- gigen in ihrer Wirkung dem ei- gentlichen Suchtmittel analog oder nahezu analog sein. Dies ist nicht selbstverständlich, wie es pharmakologisch erscheint, denn in der Selbstmedikation des He- roinentzuges werden unter dem vergeblichen Versuch, eine Neu- tralisation der Abstinenzsympto- matik zu erreichen, oft enorm ho- he Dosen von Barbituraten in Kombination mit Alkohol und an- deren Mitteln eingenommen, so daß intensivstationspflichtige Mischzustände von schwerem Entzug und Vergiftungszuständen mit Ausweichmitteln auftreten können. Ausweichmittel bzw. Er- satzstoffe sollen eine Stabilität in der Dosierung sichern, am besten also in medizinischer Dosierung

aus der Apotheke stammen - und noch dazu steril sein. Sie sollen entweder in der Szene oder über Apotheken und Ärzte verfügbar sein und daher nicht unter der Be-

täubu ngsmittei-Versch reibu ngs- verordnung (Btm-VV) stehen. Sie sollten, so wünscht man, mög- lichst in wäßriger Lösung vorlie- gen, eventuell auch als Tabletten, die rückstandslos wasserlöslich, zwar nicht steril aber doch arm an korpuskulären Elementen sind, so daß sie bei intravenöser Gabe ein relativ geringes Risiko des Lun- genödems in sich bergen. Die für den Fixer ideale Substanz als He- roinersatz ist ein Opiat, ist potent, steril, in wäßriger Lösung, zeigt ei- ne volle Opiat-Ersatzwirkung, steht nicht unter der Btm-VV, ist also relativ leicht beschaffbar und in der Drogenszene mit geringe- ren Kosten als Heroin erhältlich.

Ersatzmittel für Opiatabhängige Bis 1978 hatte sich Tilidin in Form des alten Valoron® zum Haupter- satzmittel in der Drogenszene entwickelt, bis es am 28. 4. 1978 der Btm-VV unterstellt wurde. Um den praktizierenden Ärzten das Mittel als Analgetikum zur Hand zu halten, haben wir damals in Zu- sammenarbeit mit dem Hersteller eine geeignete Kombination von Tilidin mit Naloxon ermittelt, die vom BGA für die einfache Rezep- tur gebilligt wurde. Nimmt ein Opiatabhängiger in der Versor- gungslücke diese Mischung (Va- loron N®), so verdrängt Naloxon mit seiner größeren Rezeptoraffi- nität das noch im Körper verblei- bende Opiat von den Rezeptoren.

Da Naloxon keine morphin-agoni- stische, sondern eine fast reine antagonistische Wirkung entfal- tet, kommt es beim Opiatabhängi- gen zum Entzugssyndrom, bzw.

zur Verstärkung eines bereits be- ginnenden Abstinenzsyndroms.

Tilidin kann nun am Opiatrezeptor nicht mehr lindernd eingreifen.

Dadurch war Valoron N zur Dek- kung von Entzugssymptomen un- brauchbar geworden, und in der Tat verschwand es als Ersatzmittel 2562 (58) Heft 36 vom 5. SeotP.mber 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

innerhalb von wenigen Monaten aus der Drogenszene. Das hier wirksame Prinzip wird uns weiter unten noch einmal beschäftigen.

- Die treoretische Möglichkeit, durch geeignete Dosierung die Wirkungen von Tilidin und Nalo- xon voneinander zu trennen (Heinzow et al.), wird nach unse- ren Untersuchungen in der Dro- genszene nicht praktiziert.

Nach dem Untauglichwerden des Tilidins wurden, wie schon früher, die Barbiturate vermehrt als Aus- weichmittel benutzt, vor allem aber Methaqualon (Mandrax u. a.), bis dieses im Sommer 1982 der Btm-VV unterstellt wurde. Die Su- che nach weiteren Stoffen führte zu vermehrtem Mißbrauch beson- ders zweierzentral wirksamer An- algetika, des Pentazocins (For- tral®) und des Buprenorphins (Temgesic®).

..,.. Pentazocin (Fortral®) wurde 1967 als Talwin in den USA einge- führt. 1968 bereits erschienen die ersten Mißbrauchsfälle (Keup, 1968). Der Mißbrauch breitete sich zunächst nur langsam aus, bis entdeckt wurde, daß die gemein- same Aufnahme von Pentazocin- und Tripelenamin-Tabletten eine heroinartige Wirkung hat. Dies führte zuerst im Staat lllinois zu einer sprunghaften Ausweitung des Problems mit folgender loka- ler Unterstellung des Pentazocins unter die Betäubungsmittel-Ord- nung (Schedule II) (Annexton, 1978). ln der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich der Mißbrauch besonders im Bereich des Medikamentenmißbrauches, bald aber auch in der Drogensze- ne. Eine gezielte Erhebung (Keup, 1982) ergab die folgenden, in Ta- belle 1 wiedergegebenen Daten.

Unter 326 ausreichend dokumen- tierten Mißbrauchsfällen gehörten 52,5 Prozent zu der Gruppe der Medikamentenabhängigen, weite- re 8,6 Prozent zur Gruppe der Al- koholkranken mit gleichzeitigem Medikamenten- und/oder Drogen- mißbrauch, und nur etwas über ein Drittel gehörte zur Gruppe der Drogenabhängigen. Diese letzte-

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re Gruppe hatte allerdings im Jah- re 1983 erheblich aufgeholt. Der Anteil der Pentazocin-Erfahrenen unter den im Rahmen des "Früh- warn-Systems .. . " abgefragten Patienten war von 5,5 Prozent im Jahr 1982 auf 12,3 Prozent im Jahr 1983 angestiegen (siehe Tabelle 2). Bei den darin enthalten&n Dro- genabhängigen war der Erfah- rungsgrad von 38,9 Prozent je- doch auf 64,0 Prozent im Jahr 1983 angestiegen.

Tabelle 1 zeigt ferner, daß bei 75,2 Prozent aller Pentazocin-Mißbrau- cher von den untersuchenden Suchtfachleuten eine Abhängig- keit festgestellt wurde. Der Ab- hängigkeitsgrad lag mit 84,2 Pro- zent unter den Medikamentenab- hängigen deutlich höher als mit 63,0 Prozent bei den Drogenab- hängigen, weil diese Pentazocin erheblich öfter als Ausweichmittel und dann nur temporär benutzen.

ln einer Ermittlungs-Teilserie des oben zitierten Berichtes (n = 159) waren Medizinalberufe mit 49,1 Prozent der Pentazocin-Mißbrau- cher vertreten. Hierin zeigt sich

Hauptmiß- nur

brauchs- pro-

Substanz- biert

gruppe n

A -

A+M/D 1

M 2

D 14

Summe n 17

% 5,2

22,7

0

Information -

Summe 17

A = rein Alkoholabhängige M = Medikamenten-Abhängige D = Drogenabhängige

eine Nachfolgegruppe der fast verschwundenen alten "Morphini- sten". 42,3 Prozent dieser Gruppe waren Krankenschwestern und -pfleger, 32,0 Prozent waren Ärzte.

~ Buprenorphin (Temgesic®) wurde Anfang 1981 in der Bundes- republik Deutschland eingeführt, nachdem in Großbritannien wäh- rend einer einjährigen Phase be- dingter Zulassung keine Suchtfäl- le aufgetreten waren. ln der Bun- desrepublik verschrieben Ärzte zunächst Temgesic® auch an Dro- genabhängige unter der Vorstel- lung, es könne wegen eines man- gelnden Suchtpotentials nicht mißbraucht werden, obwohl eine erste gründliche Untersuchung (Jasinski et al., 1978) die Entwick- lung von Abhängigkeit beim Men- schen und das Auftreten von Ent- zugssymptomen bereits doku- mentiert hatte. Manche Ärzte glaubten, es handele sich um ei- nen legitimen Heroinersatz, nach- dem in den USA diese Substanz als Ersatz für Methadon-Pro- gramme getestet worden war

Pentazocin

Orogen-Ersatzmittel

(Mello et al., 1980). Zu Beginn des Jahres 1982 traten in der Bundes- republik die ersten Buprenorphin- Mißbrauchsfälle auf (Benos, 1983; Keup et al., 1983). Führend waren die Städte München (Beer, 1984) und Heidelberg (Ernst, 1984). Teilt man die Bundesrepublik an ihrer engsten Stelle in einen nördlichen und einen südlichen Teil, so fin- den sich die uns gemeldeten Fälle bereits zu einem Drittel im Nor- den. Insgesamt verfügen wir der- zeit über 130 ausreichend doku- mentierte Mißbrauchsfälle (siehe Tabelle 3).

Abweichend vom Mißbrauchsmu- ster von Pentazocin gehören mehr als zwei Drittel der Mißbrau- cher zu den Drogenabhängigen.

Mit 73,8 Prozent Abhängigkeit un- ter allen Mißbrauchern liegt die Abhängigkeitsquote hier, wie bei Pentazocin, im für Opiate übli- chen Bereich. Unter den Drogen- abhängigen ist die Zahl der regel- mäßigen Mißbraucher von Bupre- norphin mit 57,8 Prozent er- schreckend hoch, das heißt, daß Buprenorphin als volles Ersatz-

Abhängigkeit Summe Summe

frag- keine

nein lieh Ja Information

n n n % n % n n

- - - - - - - -

6 - 21 75,0 28 8,6 - 28

22 3 144 84,2 171 52,5 3 ' 174

29 4 80 63,0 127 38,9 1 128

57 7 245 4 330

17,5

2,1 75,2 100,0

2 - - 2 1 3

59 7 245 328 5 333

A+M/D = Alkoholkranke mit gleichzeitigem Mißbrauch von Medikamenten und/oder Drogen

Tabelle 1: Mißbrauchsmuster von Pentazocin. Daten aus dem Frühwarn-System und einer Sondererhebung

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 36 vom 5. September 1984 (59) 2563

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2270

Summe 151 6,7

Gru ndge- sam th e it*)

n

Pentazocin FWS-Fälle n

Jahr

1976 1977/79

1982 1983

593 383 707 587

20 3,4 20 5,2 39 5,5 72 12,3

*) außer reinen Alkoholkranken

Tabelle 2:

Häufigkeit der Pentazocin- Erfahrenheit unter Suchtkranken (Frühwarnsystem..., seit 1976), in Absolutzahlen und als Prozentanteil des abgefragten Grundkollektivs

Alkohol

mit Medikamenten 5 3,9

nein n

fraglich n

(100) 5

Summe n

Mißbrauchsgruppe

Abhängigkeit ja n

Medikamente

Buprenorphin allein Schmerzmittel allein Polytoxikomanie

2 1

1

1 3

6 66,6 9 90,0 12 75,0

9 6,9

10 } 35 7,7 } 26,9 16 12,3

77,2

Drogen Bupren. i. d.

Versorgungslücke regelmäßiger Mißbrauch von Buprenorphin

17 1

4 4

20 52,6 44 84,6

38 29,2

90 69,2

52 40,0 71,1

24 10

18,5 7,7

96

73,8

Summe

n

130

100,0 Drogen-Ersatzmittel

mittel und nicht nur als Ausweich- mittel zur Anwendung kommt. Un- sere Ermittlungen an bisher 19 Abhängigen, die Erfahrung so- wohl mit Heroin als auch mit Bu- prenorphin besaßen, zeigte, daß bei etwa 10 Prozent Heroin und Buprenorphin gleich beliebt wa- ren, bei etwa 20 Prozent war Bu- prenorphin beliebter als Heroin.

Diese Patienten schätzen die mil- dere flash-Wirkung, die längere Dauer des Effektes und die milde, häufig sogar fehlende Entzugs- symptomatik, die auf der großen Haftfähigkeit des Buprenorphins am Morphin-Rezeptor beruht;

Entzugssymptome treten erst

nach 10 bis 15 Tagen auf. Bei niedriger Dosis kommt es dadurch zu einer Art inneren graduierten Entzuges, wie es mit dem „Herun- terdosieren" von Substanzen mit weniger starker Haftfähigkeit vom Drogenabhängigen versucht wird.

Anfang 1984 hat der Sachverstän- digenausschuß nach § 1 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes ei- ne Unterstellung der Ampullen von Fortral® und Temgesic® unter die Btm-VV empfohlen. Der Ver- ordnungsgeber hat jedoch mit Wirkung vom 1. September 1984 alle Formen unterstellt (siehe auch ausführliche Informationen Seite 2558 dieses Heftes).

Mißbrauch

nach der Unterstellung

Die gleichzeitige Unterstellung von Pentazocin und Buprenor- phin unter die Regeln der Btm-VV wird größere Gruppen von Medi- kamenten- und Drogenabhängi- gen zur Änderung ihrer Miß- brauchsgewohnheiten zwingen.

Folgende Entwicklungen sind zu erwarten:

1. Mißbrauch der oralen Formen:

Wären nur die Ampullen der bei- den Medikamente unterstellt wor- den, so würden die Abhängi- gen auf die enteralen Formen, die Temgesic-Sublingualtabletten und die Tabletten und Supposito- rien von Fortral übergehen. Für den Mißbrauch auch der oralen Formen beider Medikamente gibt es aber deutliche Beispiele: In Neuseeland hat sich 1982/83 in der Drogenszene ein erheblicher Mißbrauch nur mit aufgelösten Sublingualtabletten, intravenös appliziert, entwickelt; die Ampul- len waren dort nicht zugelassen.

Pentazocin-Tabletten, zusammen aufgelöst mit zerstoßenen Tripe- lenamin-Tabletten und intravenös

Buprenorphin

Tabelle 3: Mißbrauchsmuster von Buprenorphin. Daten des Frühwarn-Systems und einer Sondererhebung 1982-1983

2564 (60) Heft 36 vom 5. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Drogen-Ersatzmittel

appliziert, oder oral aufgenom- men führten zu der oben schon genannten Abhängigkeitsform der „T's and blues" in den USA.

Wären die oralen Formen frei von den Regeln der Btm-VV geblie- ben, wären diese Mißbrauchsmu- ster auch für uns vorgezeichnet.

2. Mißbrauch von Ersatzstoffen:

Manche Suchtkranke werden nach Unterstellung von Fortral®

und Temgesic® nach anderen Er- satzmitteln suchen. Als Ersatzmit- tel kommen alle zentral wirksa- men Analgetika in Frage, die auf einfache Rezeptur erhältlich sind, einschließlich solcher Substan- zen, die nur unterhalb einer be- stimmten Maximalmenge pro Do- sis und Tag nicht der Btm-VV un- terstehen. Hierzu gehören:

Tramadol (Tramal®) wird zur Zeit nur in relativ seltenen Fällen miß- braucht, es besitzt aber ein klares morphin-agonistisches pharma- kologisches Profil und erscheint daher potentiell mißbrauchge- fährdet.

Nefopam (Ajan®) hat ein von den übrigen, zentral wirksamen Anal- getika abweichendes Wirkprofil.

Es wird derzeit nur sehr selten mißbraucht und erscheint nicht besonders tauglich als Ersatzmit- tel. Darin könnte man sich aller- dings erheblich täuschen.

Dextropropoxyphen (Develin®) spielt in der Bundesrepublik Deutschland derzeit kaum eine Rolle als Abhängigkeitssubstanz;

in den USA ist dieser Mißbrauch dagegen bereits verbreitet (Col- lins, 1981). Dextropropoxyphen ist auch in Mischpräparaten wie Ro- simon-neu®-Tabletten enthalten.

Tilidin plus Naloxon (Valoron N®) ist als Ersatzmittel in der Heroin- Versorgungslücke nicht mehr tauglich. Der Mißbrauch durch Medikamentenabhängige ist der- zeit begrenzt, der durch Drogen- abhängige außerhalb der Versor- gungslücke ist selten geblieben.

Naloxon ist dagegen gegen Tilidin selbst erst bei sehr hohen Dosen

wirksam, so daß dann eine gewis- se Einschränkung der anaigeti- schen Wirkung eintritt. Über eine Einschränkung des Suchtpoten- tials von Tilidin durch Naloxon am Menschen ist nichts Sicheres be- kannt. Medikamentenmißbrauch von Valoron N® ist trotz Naloxon möglich.

Codein (Codeinum phosphoricum Compretten®, Codipront®, Codi- caps®) ist heute bereits als Aus- weich- und Ersatzmittel weit ver- breitet und wird leider für diesen Zweck sogar von Ärzten ver- schrieben (siehe hierzu Hoffmei- ster, Beil, Täschner, Keup, 1981/82).

Codein ist überdies bis zu einer zulässigen Maximaldosis in zahl- reichen Misch-Analgetika enthal- ten, unter denen es, vom Blick- punkt des Abhängigen, geradezu

„psychotrope Cocktails" gibt, mit Kombinationen von Codein, Bar- bituraten, Coffein und zahlreichen anderen Substanzen. Codein wird zu 5 bis 20 Prozent im Stoffwech- sel zu Morphin umgewandelt, so daß die Gabe von Codein prak- tisch einem „Erhaltungspro- gramm" gleichkommt.

Dihydrocodein (Remedacen®, Pa- racodin®) wird von manchen Ärz- ten ähnlich gehandhabt wie Co- dein. Die Anwendung bei Heroin- fixern bedeutet nicht nur einen Mißbrauch dieser Substanz durch den Abhängigen, sondern auch durch den Arzt. Das Abhängig- keitspotential des Dihydrocodeins ist längst unbestritten (Himmels- bach, 1941). Der Mißbrauch von Dihydrocodein, wie übrigens auch der von Codein, ist bedauerlicher- weise in den letzten Jahren steil angestiegen.

Eindämmende Maßnahmen Das Such-Verhalten der Sucht- kranken ist eine logische Folge der Abhängigkeit und ist als Sym- ptom der Sucht als Krankheit zu sehen. Es werden in den Praxen der Ärzte nach der Unterstellung

von Fortral® und Temgesic® ver- mehrt Patienten erscheinen, die unter vielen Vorwänden die oben angeführten Ersatzmittel verlan- gen, um damit ihre Sucht zu erhal- ten. Es wird entscheidend auf die Haltung der Ärzteschaft ankom- men, ob dieser Versuch erfolg- reich ist oder nicht. Dazu einige Grundgedanken:

1. Die Behandlung eines Opiatab- hängigen mit einem Opiat im Rah- men eines Erhaltungsprogramms ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen.

Die Bekämpfung von Schmerzen als Teil eines Opiat-Entzugssyn- droms mit einem zentral wirksa- men Schmerzmittel ist keine Schmerzbekämpfung im zugelas- senen Sinne. Wie bei allen Schmerzzuständen ist auch hier die Ursache des Schmerzes zu bekämpfen, die nicht das Ent- zugssyndrom, sondern die Sucht selbst ist; und dies geht nur über die Entgiftung. In seltenen Aus- nahmefällen ist die Anwendung eines Opiates im Entzug gerecht- fertigt; das Mittel der Wahl ist dann L-Methadon (Polamidon®) (Keup, 1980).

Bekämpft man beim Suchtkran- ken die Entzugssymptome, ohne gleichzeitig die Entgiftung durch- zuführen, so nimmt man ihm die Motivation zur Entgiftung und ver- ringert so seine Bereitschaft zur eigentlichen, gegen die Sucht ge- richteten Behandlung. Dies liegt nicht im wohlverstandenen Sinne des Patienten und ist daher un- ärztlich. Unter diesen Gesichts- punkten ist kürzlich in München ein Arzt in einem Berufsgerichts- verfahren zu DM 3000,— Geldstra- fe verurteilt worden, weil er einer Patientin in begrenzter Zahl Tem- gesic®-Ampullen überlassen hatte und die Verschreibung erneuerte, obwohl er wußte, daß die Patien- tin die Ampullen intravenös „ge- schossen" hatte.

2. Medikamentenabhängige mit Mißbrauch von Fortral® oder Tem- gesic® werden ähnliches Aus- weichverhalten zeigen. Durch sie Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 36 vom 5. September 1984 (65) 2565

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Drogen-Ersatzmittel

I

FÜR SIE GELESEN ist allerdings zusätzlich Valoron

N® in Gefahr, weil Naloxon nur in der Versorgungslücke, also im Opiatentzug wirksam werden kann. Für Medizinalpersonen, die gerade unter den Pentazocin-Miß- brauchern häufig sind, ist der Übergang zu den oben dargestell- ten Ersatzmitteln leicht, weil sie außerhalb des Giftfachs im Arz- neimittelschrank stehen. Gerade in dieser Situation ist den Kran- kenhäusern zu raten, diese Er- satzmittel gut zu überwachen.

3. Den Verhaltensweisen Sucht- kranker in solcher Situation ist am besten vorbeugend zu begegnen.

Dazu aber müssen die beteiligten Ärzte sich der Problematik be- wußt sein und müssen das vom Patienten sorgfältig versteckte Verhalten frühzeitig erkennen können.

4. Im Prinzip mag auch der Weg der Beimischung von Naloxon, wie er für Tilidin begangen wurde, sinnvoll sein. Dies gilt insbeson- dere für beide, die orale wie die parenterale Form von Buprenor- phin, weil ein hoher Anteil der Mißbraucher zur Gruppe der Dro- genabhängigen, und den Benut- zern in der Versorgungslücke ge- hört. Die Naloxon-Beimischung wird vom Hersteller derzeit vorbe- reitet. Bei Pentazocin ist die Grup- pe der Drogenabhängigen bei uns noch klein, bei den Medikamen- tenabhängigen aber würde Nalo- xon nicht zur Wirkung kommen.

Eine Beimischung von Naloxon zu Pentazocin ist in den USA in der oralen Form bereits erfolgt (Tal- win Nx®). Die Beimischung zur In- jektionslösung schafft offenbar galenische Probleme und scheint derzeit nicht geplant zu sein.

Ein Aufruf

Vom Standpunkt des praktizieren- den Arztes und des Arztes, der überwiegend mit Schmerzpatien- ten zu tun hat, ist die Unterstel- lung zweier weiterer wirksamer und besonders im Fall von Tem- gesic erfreulich ungiftiger, zentral

wirksamer Analgetika eine zusätz- liche Belastung. Für Krankenhäu- ser spielt dies eine geringere Rol- le. Aber auch hier wie beim prakti- zierenden Arzt muß sorgsam dar- auf geachtet werden, daß Schmerzpatienten unter einer sol- chen Komplizierung der Ver- schreibungspraxis nicht leiden!

Andererseits ist die Behauptung, ein Schmerzmittel „stehe nicht mehr zur Verfügung", wenn es der Btm-VV untersteht, falsch.

Richtig ist allerdings, daß die Be- nutzung der Btm-VV von vielen Ärzten gar nicht praktiziert wird, weil sie die Formulare und vor al- lem die Kontrollmöglichkeit scheuen. Dies aber ist ein päd- agogisches und kein prinzipielles Phänomen. Jeder Arzt muß sich mit der Verschreibung von Betäu- bungsmitteln (siehe hierzu: Jun- ge, im Anfangsteil jeder „Roten Liste") bis zur Geläufigkeit ver- traut machen. Wenn die Ärzte- schaft aber mit den noch auf ein- fache Rezeptur erhältlichen zen- tralen Analgetika nicht behütend und die Suchtkranken abschir- mend umgeht, so werden wir es leider erleben müssen, daß noch weitere potente und nützliche An- algetika der Btm-VV unterstellt werden. Wir möchten die Ärzte- schaft dringend dazu aufrufen, dies verhindern zu helfen.

Literatur

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Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Wolfram Keup

Josef-Schauer-Straße 16 8039 Puchheim bei München

Kindliche Schizophrenie

— 20 Jahre später

Die Verfasser referieren divergie-- rende Auffassungen über den Übergang von Schizophrenie im Kindesalter zu der der Erwachse- nen. Schwierigkeiten ergeben sich aus diagnostischer Unein- heitlichkeit. In ihrer Arbeit brin- gen die Verfasser die Ergebnisse einer Nachuntersuchung an 20 Patienten, die vor mehr als 20 Jah- ren als kindliche Schizophrenien, Autismus oder kindliche Psycho- sen diagnostiziert worden waren.

Ziel der Studie war herauszufin- den, wie die Patienten als Kinder gewesen waren, zu beurteilen, ob sie sich als Erwachsene verändert hatten, und zu entscheiden, ob sie sich von Schizophrenen unter- scheiden, deren Krankheitsbe- ginn später lag. Die Krankenge- schichten wurden retrospektiv diagnostisch ausgewertet durch strikte Anwendung der neun dia- gnostischen Punkte der briti- schen Arbeitsgruppe um Came- ron und Creak. Alle Erwachsenen wurden persönlich von einem der Verfasser nachuntersucht, zusätz- lich wurden Auskünfte von Be- zugspersonen eingeholt. Es stell- te sich heraus, daß die Patienten allgemein ruhiger geworden, sonst aber im wesentlichen unver- ändert waren und die meisten Hauptsymptome der kindlichen Schizophrenie weiterbehielten.

Sie boten das Bild einer Schizophrenia simplex ohne die Erstrangsymptome nach Kurt Schneider. Das Alter bei Erkran- kungsbeginn beeinflußte den spä- teren Verlauf insoweit, als bei späterem Erkrankungsbeginn sich eher Hinweise auf halluzina- torische Erlebnisweisen fanden.

Kritisch bleibt anzumerken, daß die Zusammenfassung so ver- schiedener diagnostischer Grup- pen wie kindlicher Schizophrenie oder Autismus fragwürdig bleiben muß. Otr

Howells, J. G., Guirguis, W. R.: Childhood Schi- zophrenia 20 Years Later, Arch. Gen. Psychia- try, Vol 41 (1984) 123-128. Dr. John G. Howells, Institute of Family Psychiatry, lpswich Hospi- tal, 23 Henley Rd, Ipswich IP1 3TF, England

2566 (66) Heft 36 vom 5. September 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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